3. Die Gefangenen unter sich

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Der "alte" Ratgeber

3. Die Gefangenen unter sich

Die im folgenden beschriebenen Erfahrungen stammen aus dem Män­nerknast. Zum gleichen Thema steht auch einiges im Frauenteil (Kapitel 6.).

3.1. Die Situation als „Neuzugang" — die erste Kontaktaufnahme

Begegnung mit den Hausarbeitern

Die erste Kontaktperson in der Anstalt ist in aller Regel ein Hausarbei­ter („Kalfaktor")- Die Hausarbeiter genießen allerdings das Vertrauen der Beamten und sind ihre wichtigsten Zuträger von Informationen. Deshalb ist Zurückhaltung ihnen gegenüber unbedingt zu raten. Man. kann allerdings die Hausarbeiter fragen, wo welche Leute liegen, die man vielleicht kennt, wie man an einen Sanitäter bzw. Arzt rankommt oder wie man zu Tabak kommt, wann Einkauf ist, welche Freizeitveran­staltungen es gibt und überhaupt über den inneren Betrieb. Die Hausar­beiter wissen da am besten Bescheid. Sie kommen ja viel herum. Auch wenn sie selber vertraulich auf einen zukommen, sollte man nichts im Vertrauen mit ihnen reden. Man sollte sie lediglich nach den Dingen, die man unbedingt wissen will, ausfragen und von sich aus nichts weiter mit ihnen reden. Man sollte ihnen nie mehr sagen, als das, was man auch einem Beamten sagen könnte. Nicht irgendwelche Sprüche loslassen, die dann schon wieder irgendwo verwertet werden könnten, von der Staatsanwaltschaft zum Beispiel!. Es kommt vor, dass die Hausarbeiter unmittelbar für die Staatsanwaltschaft arbeiten, diese anrufen lassen und ihr die gehörten Neuigkeiten berichten. Fühlt man sich bei den Hausarbeitern zu unsicher, dann sollte man lieber bis zum ersten Hofgang warten, wo man vielleicht jemanden findet, dem man einigermassen vertrauen kann. Anders sieht es aus, wenn man in Isolationshaft ist und mit den anderen Gefangenen bei keiner Gelegenheit zusammenkommt. Dann kann aller­dings der kurze Kontakt mit dem Hausarbeiter wichtig sein: Du kannst in einer solchen Situation den Hausarbeiter bitten weiter zusagen, dass du isoliert bist und wo du liegst. Natürlich auch wie du heißt. Es kann überlebenswichtig sein, dass die Mitgefangenen über den Hausarbeiter von deiner Isolation erfahren. Du wirst es zum Beispiel daran merken, wieviel es für dich bedeutet, wenn dir ein Mitgefangener ein solidarisches Wort im Vorbeigehen durch die Zellentür zuruft.

Vorsicht vor Geschäftemachern

Die Hausarbeiter sind zugleich diejenigen, die mit den Neuangekomme­nen die besten Geschäfte machen, indem sie ihnen Tabak aufdrehen und sich dafür teuer bezahlen lassen. Die Neuen haben vielleicht eine gute Uhr, ein gutes Feuerzeug, das wird dann für ein bisschen Tabak abge­knöpft.

Der erste Hofgang

Der erste Eindruck ist die totale Fremdheit, der man ausgesetzt ist, wenn man zum ersten mal Hofgang hat. Man kommt in einen Hof, in dem man auf andere Gefangene trifft. Man kennt niemanden. Man ist vielleicht zunächst ungeheuer neugierig, weil es der erste Tag ist, den man in den Hof kommt, während man vorher in einer Zelle allein gesessen hat. Es ist die erste Gelegenheit, wo man mit anderen Gefange­nen richtig sprechen kann. Oder man ist so mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, dass man sich ganz auf sich konzentriert und sich wenig um die andern kümmert. Der erste Hofgang ist die erste Gelegenheit, etwas Genaueres über deine neue Umgebung zu erfahren.Dazu sollte man sich vielleicht schon in der Zelle bestimmte Fragen überlegen. Die Zeit, in der man mit andern sprechen kann, ist kurz, und wenn du erst wieder in der Zelle einge­schlossen bist, musst du wieder einen Tag warten, um von anderen bestimmte Dinge zu erfahren, es sei denn, du erfährst sie durch Zurufen am Fenster. Wonach man sich auf jeden Fall gleich erkundigen sollte, ist

wann man zum ersten mal zum Arzt kommt, zur Zugangsuntersuchung, wie der Arzt ist, wann er Sprechstunden hat, wie man sich zu den Sprechstunden meldet,

wie oft Einkauf ist, wann man das erste Geld bekommt, wie die Überweisungen von draußen funktionieren und wann man über das überwiesene Geld verfügen kann, wann man dafür einkaufen kann,

1.wie die Gemeinschaftsveranstaltungen aussehen, ob man dazu Zugang hat und auf welchem Weg (Antrag),

2.wie die Gemeinschaftsveranstaltungen aussehen, ob man dazu Zugang hat und auf welchem Weg (Antrag),

3.wie die Freizeit aussieht, wann sie ist, ob man dazu\i Zugang hat,

4.für den, der arbeiten will: welche Arbeit es gibt,

5.Informationen über „gute" und „ungute" Beamte, über besondere Vorfälle, über allgemeine Zustände im Knast, über die Geschichte des Knasts,

6.Informationen über den Tagesablauf im Knast, alles was mit der Zeiteinteilung zusammenhängt: wann das Licht ausgeschaltet wird, wann Einschluss ist usw.

Der erste Kontakt ist der schwierigste

Viele schaffen es nicht, einen ersten Kontakt zu finden und hängen dann wochenlang ohne ein Gespräch mit andern herum. Das ist aber die Ausnahme, und das liegt dann auch an den einzelnen selbst, dass sie von sich aus nicht die Anstrengung machen können, ihre Vereinzelung aufzuheben. Die Anstrengung - und es ist wirklich eine Anstrengung -sollte man auf jeden Fall möglichst sofort machen. Andernfalls lebt man wie auf einem Bahnsteig. Und man wartet! Nur dass das Warten dann vielleicht unendlich ausgedehnt ist, für Monate und oft für Jahre. Im Hof läuft man gewöhnlich im Kreis. Es sind meistens mehrere, die nebeneinander laufen, und wenige laufen allein. Das sind meistens nur die Neuzugänge. Es gibt auch einen Knastausdruck: „der geht mit dem". Man wechselt aber auch öfter, aber diejenigen, die untereinander wech­seln, bleiben auch unter sich. Normal ist, dass man in einer Gruppe von drei, vier, fünf Leuten ist, mit denen man abwechselnd im Hof geht. Man geht an einem Tag mit dem, dann kommt ein anderer aus der eigenen Clique hinzu, und der erste geht dann mit einem anderen, aber der ist dann vielleicht wieder aus derselben Clique. Manchmal geht man zu zweit, manchmal zu dritt - und man kennt diese Leute, mit denen man immer geht, besser als alle anderen. Wie man in eine solche Gruppe hineinkommt oder wie man überhaupt zu einem ständigen Kontakt kommt; oft beginnt das damit, dass man den andern fragt, ob er was bestimmtes hat, was man gerade braucht. Dann kommt die Frage: Wann bist du hergekommen? Wohin gehst du? Was glaubst du, dass du zu erwarten hast? Seit wann bist du hier? Wann hast du Prozess! Was hast du für einen Anwalt? - Das sind die ersten Gesprächs­themen. Die meisten andern nehmen eigentlich gar keine Notiz von einem. Es sei gehen mit ihren Freunden, die sie vielleicht schon monatelang kennen, mit denen sie Themen haben, über die sie sich unterhalten. Und es drängt sie, wenn sie aus dem Zellenbau herauskommen, gleich das loszuwerden, was sie beschäftigt. Sie merken vielleicht erst gar nicht, dass da ein Neuer ist. Das fallt ihnen erst im Laufe des Hofgangs auf, oder erst Tage später. Und der Neue ist unsicher, wie er sich verhalten soll, in welche Richtung er loslaufen soll. Er weiß nur, dass er im Kreis laufen muss. Und er läuft dann zunächst allein. Irgendeiner wird ihn dann vielleicht ansprechen, ihn fragen, ob er gerade reingekommen ist oder ob er auf Transport ist, ob er Tabak hat. Man kann dann auch über die Schnorrerei Kontakt finden. Dann schleicht sich vielleicht ein anderer an, der erzählt ihm seine Sache, wegen der er sitzt - eben die üblichen Knastgespräche. Da wird die Unzufriedenheit abgeladen. Aber auf jeden Fall sind es die ersten Kontakte für einen, der niemand kennt, Es kommt oft vor, dass die Zugänge nicht zum ersten mal im Knast sind, und dann kann man schon mal Bekannte treffen. Allerdings stößt es auf Unwillen, wenn man andere nach ihrem Delikt ausfragt, weil sie sich dann ausgehorcht fühien. Man sollte zuerst viel einfachere Fragen stellen, die kein Misstrauen provozieren. Geht jemand im Hof ständig allein, so sollte man auf ihn zugehen und schauen, ob man ihm irgendwie helfen kann. Vielleicht bewahrt man dadurch jemanden vor dem Selbstmord.

Die,,üblichen" Knastgespräche

Es ist zunächst schwierig, ein Gesprächsthema zu finden. Die meisten Gefangenen in U-Haft sind fixiert auf ihre eigenen Sachen, wegen denen sie eingesperrt sind -auf den Prozeß, den Anwalt, den Knast. Alle Gespräche scheinen sich irgendwie um den Knast zu drehen und um den Prozess. In Strafhaft ist es hauptsächlich der Knast, und in U-Haft ist es mehr der Prozess. Auch die Dinge, die man vom Leben eines andern erfährt, sind ja meistens Dinge, die mit dem Knast zu tun haben. Man erfährt, dass er auch schon früher im Gefängnis war und dass der eine Knast so ist und der andere so. Vom Leben, das einer geführt hat, erfährt man lauter Verwaltungsbezeichnungen. Man erfährt ein Leben so, wie die Justiz es erzeugt hat, nämlich als eine Folge von Prozessen, Verwal­tungsakten und Bestrafungen und außerdem Knast und nochmal Knast. Und das ist schwer zu durchbrechen. Man kann monatelang mit einem andern im Hof laufen und jeden Tag eine Stunde mit ihm reden, bevor man erfährt, was er draußen eigentlich gemacht hat - ob er eine Familie hat, ob er Kinder hat oder sonst was über sein Leben. Das ist alles sehr im Hintergrund. Auch für ihn spielt es nicht mehr eine so große Rolle. Trotzdem, sind die Verhaltensformen untereinander im Hof nicht so anders als draußen. Denn der Knast ist auch ein Abbild der Gesellschaft draußen. Man wird also auch im Knast dieselben Gewohnheiten, diesel­ben Konflikte und auch Gespräche finden wie draußen. Auch im Knast hat man es mit bestimmten sozialen Gruppen und Klassen zu tun, die sich gegenseitig anziehen oder abstoßen. Je nachdem, welcher Schicht man selbst zugehört, wird man unter Umständen zu einer bestimmten Gruppe Kontakt finden oder nicht. Dabei kommt es auf mehr an, als auf persönliche Anstrengung und guten Willen. Es kommt drauf an, ob man auch draußen zu einer bestimmten Schicht gehört hat und worauf sich die eigenen sozialen Sympathien richten. Bestimmte Gruppen von Gefange­nen werden für einen selbst vielleicht immer unzugänglich sein. Hier sollte man sich nicht so aufzudrängen versuchen, vor allem nicht mit moralischen Urteilen.

Es gibt auch unter den Gefangenen Ausbeuter und Ausgebeutete

Vor Geschäftemachern sollte man sich auf jeden Fall in acht nehmen. Solche, die aus Gewohnheit Geschäfte machen, mit denen sie andere ausnutzen, werden auch mit dem, was sie von anderen wissen, Geschäfte machen. Deshalb keine leichtfertigen Aussagen darüber, warum du im Knast bist! Es ist durchaus möglich, dass du denunziert wirst. Gegenseitiges Denun­zieren kommt hier oft vor, es liegt in einer solchen Lage auch nahe. Es kann der rettende Strohhalm sein, an den sich einer klammert. Es gibt immer welche, die Gehörtes weitergeben. Sie tun es entweder aus Berechnung oder aus Dummheit und gewohnheitsmäßiger Unterwürfig­keit gegenüber Beamten. Die Kripo spart nicht mit entsprechenden Angeboten und Druckmitteln. Viele fallen darauf herein und werden zu Verrätern.

Auch dir gegenüber ist man misstrauisch

Im Knast herrscht deshalb allgemeine Angst vor Verrat. Man sollte Verständnis dafür haben, dass andere Mitgefangene einem selbst gegen­über zurückhaltend und vielleicht sogar ziemlich misstrauisch sind. Offene Gespräche sind selten. Die politischen Gefangenen bilden hier den auch von den andern als solche angesehen, die nicht denunzieren. Das ist einer der Gründe für das-Ansehen, das sie bei den anderen Gefangenen haben.

Kein Verfolgungswahn!

Trotz der üblen Erfahrungen, die viele im Knast mit ihren Mitgefange­nen gemacht haben, sollte man sich vor übertriebenem Misstrauen und Verfolgungswahn hüten, denn im schlimmsten Fall kann auch gerade dieser Verfolgungswahn das provozieren, wovor man sich in acht neh­men will - indem man ein derartiges Misstrauen um sich verbreitet, dass man sich das Misstrauen aller und vor allem die Abneigung aller zuzieht. Was unter Umständen bedeuten kann, dass man erst recht gelinkt wird. Außerdem ist diese Angst meistens tatsächlich übertrieben. Wen du für einen Denunzianten hältst, der dich aushorchen will, kann jemand sein, der tatsächlich an dir interessiert ist. Er wird durch ein solches offenes Misstrauen dann von dir zurückgestoßen. Es ist im Knast nicht anders als draußen. Nur: draußen merkt man es nicht so. Aber auch draußen ist man ja vorsichtig bei Leuten, die man nicht kennt - und auch draußen würde man nicht offen über seine Straftaten sprechen - oder über Dinge, die andere nichts angehen.

3.2. Gemeinschaftlicher Alltag

Das,,Betriebsklima" des Knasts

Es gibt in jedem Knast ein bestimmtes „Betriebsklima". Und es gibt eine Art von Solidarität, auch wenn sie immer sehr zwiespältig ist. Einerseits ist da eine sehr beeindruckende Solidarität zwischen den Gefangenen, die viel größer sein kann als die Solidarität zwischen Menschen außer­halb eines Gefängnisses. Das ist die spontane Solidarität zwischen denen, die in einer gemeinsamen üblen Lage sind. Und das sind die Gefangenen alle. Diese gemeinsame Lage schafft ein ganz spontanes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Man kann sie ebenso in der Untersuchungshaft wie in der Strafhaft finden, allerdings ebenso ihr Fehlen an manchen" Stellen, in manchen Situationen, bei einzelnen oder Gruppen von Gefan­genen. In der U-Haft kann für ein solidarisches Klima eine gewisse Ungebrochenheit und Widerstandsfähigkeit, kurz nach der Verhaftung, auch ein besserer Gesundheitszustand, ausschlaggebend sein. Anderer­seits herrscht hier auch eine gewisse Unverbindlichkeit wegen des ständigen Kommens und Gehens, das die Solidarität erschweren kann. Und bei der Strafhaft kann man sagen: auf der einen Seite als positiver Faktor für das Entstehen von Solidarität die gemeinsame Perspektive durch länge­res Zusammenleben und bessere gegenseitige Bekanntschaft; auf der andern Seite aber ist in Strafhaft die Gefahr des Gebrochenwerdens gerade wegen dieser Aussicht auf eine längere Strafe und der damit verbundenen Hoffnung auf vorzeitige Entlassung (Zweidrittel, Halb­strafe) größer als in U-Haft. Das Klima der Solidarität ist deshalb weniger eine Frage des Knasts als eine Sache bewusster Aktivität, des Willens und der Persönlichkeit derer, die im günstigsten (oder ungünstig­sten) Fall auf einer Station oder in einem Flügel aufeinander treffen. Es ist jedenfalls sicher, dass einige wenige Gefangene, wenn die Bedingun­gen günstig sind, das Klima der Solidarität auf ihrer Station sehr verbes­sern können - ein Grund für die Anstaltsverwaltung, sie zu trennen.

Solidarität und Unsolidarität

Für uns ist zunächst wichtig, wie man dieses „Betriebsklima" überhaupt erkennt, wie man es einschätzen kann - durch welche Beobachtungen. Und vor allem, wie man auf dieses Klima selber in seiner unmittelbaren Umgebung Einfluss nehmen kann. Dafür gibt es zunächst einen Maßstab der Beobachtung: die Tauschge­schäfte. In jedem Knast sind sie üblich. In der Art, wie sie üblich sind, ob sie etwas sind, was man dauernd um sich beobachtet oder ob sie mehr im Hintergrund vorgehen, ob das ganze Klima von einer egoistischen Tauschhaltung, von Geschäftemacherei bestimmt ist, oder ob das Klima von einer freundschaftlicheren Art ist - daran kann man ablesen, wie es beschaffen ist. Die Tauschgeschäfte sind die unterste Stufe dieser Soli­darität, wo Solidarität übergeht in Unsolidarität, Eigensucht. Auch diese Tauschgeschäfte können verschiedenen Charakter haben. Sie können gegenseitige Ausbeutung sein, sie können auch gegenseitige Hilfe sein. Und im günstigsten Fall sind sie uneigennützige gegenseitige' Hilfe und verlieren dadurch völlig den Charakter eines Geschäfts. Das Tauschver­halten im Knast sollte man deshalb nicht grundsätzlich ablehnen. Um zu verhindern, dass man hereingelegt wird, sollte man sich bei andern Gefangenen nach den Preisen erkundigen. Es gibt im Knast eine „Wäh­rung" - die Tabakwährung. Was etwas kostet, wird am Wert eines „Koffers" (Päckchen) Tabak gemessen. Das ist aber nicht der Einkaufs­wert des Tabaks, sondern der Wert, den er auf dem „schwarzen Markt" des Knasts hat. Es gibt allerdings auch die konkrete und alltägliche Unsolidarität, eine alltägliche fürchterliche Gleichgültigkeit für alles, was andere angeht-gebracht, sie bestimmt die ganze gewöhnliche Sprache, den Umgangston. Was andere angeht, ob die in den Bunker kommen, ob die keinen Tabak haben, ob sie eine hohe Strafe verpasst bekommen - wie man das ausdrückt, wie man miteinander darüber redet, das wird bestimmt von einer furchtbaren Vereinzelung, die im Knast gleichzeitig herrschen kann. Tatsächlich ist das Klima in den einzelnen Knästen, Abteilungen und von Zeit zu Zeit innerhalb dieser Knäste und der Abteilungen immer ein verschiedenes. Es fällt und steigt wie die Temperatur. Es ist also beeinflusst durch das Verhalten von einzelnen und von Gruppen. Die Solidarität ist etwas sehr zwiespältiges und oft verborgenes, eine Schicht der Knastgemeinschaft, die nicht immer oben ist, sondern unter­halb einer ganz anderen Art, miteinander umzugehen. Dieses innere Klima eines Knasts ist auch etwas sehr flexibles. Es lässt sich verändern. Die Beamten, die Administratoren, aber hauptsächlich die Gefangenen selbst stellen es. her, und es ist damit, ein Prozess mit einer bestimmten Gesetzmäßigkeit, die man zu durchschauen versuchen sollte, um Einfluss zu nehmen. Man sollte jedenfalls nicht in den Fehler verfallen, dieses Klima der alltäglichen Unsolidarität, wie man es zunächst bemerken wird, als Beweis zu nehmen, dass es im Gefängnis überhaupt keine Solidarität gäbe.

3.3. Was Gefangene gemeinsam tun können

Das „Betriebsklima" des Knasts ist von der Institution ebenso mitbe­stimmt wie von den Gefangenen selbst - und damit von den Möglichkei­ten, die die Gefangenen haben, zusammen zukommen, miteinander zu sprechen, sich kennenzulernen. Diese Möglichkeiten werden mit Absicht beschränkt. Diese Kommunikation spielt sich ab bei einerseits beaufsichtigten und reglementierten Gelegenheiten, andererseits aber auch in den Zwischen­räumen der totalen Kontrolle, die im Knast herrscht. Beaufsichtigt ist zwar alles, aber nicht alles lässt sich eben beaufsichtigen. Der größte Teil der Kommunikation der Gefangenen entzieht sich der Kontrolle durch die mächtige Verwaltung: die Gespräche, die Kassiber usw. Es gibt die offiziellen Einrichtungen der Kommunikation:

-Die Gemeinschaftszelle: Lies dazu Abschnitt 3.4.

-Der Hofgang: Er ist jeden Tag, und wenn man nicht isoliert ist, also nicht Einzelhofgang hat, kann man ihn dazu benutzen, aus der Vereinzelung, in die man sonst in der Zelle eingeschlossen ist, herauszukommen.

-Freizeit oder Urnschluß: Die Freizeit wird in den verschiedenen Anstalten unterschiedlich gehandhabt und ist auch zwischen U-Haft und Strafhaft verschieden. In der Rege! sind es ein bis zwei Stunden täglich. In der U-Haft wird diese Möglichkeit immer häufiger ausgeschaltet. Umschluß muss man beantragen. In der U-Haft braucht man eine richterliche Genehmigung. In Strafhaft hat man in manchen Knästen einen Umschluß der Station von Zeit zu Zeit. Das bedeutet, dass die Zellen offen . bleiben, für einige Stunden.

-Fernsehen: Auch das Fernsehen kann benutzt werden, um mit anderen zusammen zukommen oder einfach um sich zu informieren. Meistens ist das Programm allerdings miserabel ausgewählt und der Informationswert im Vergleich zu einer Tageszei­tung oder einem selbst gewählten Buch gering.

-Gemeinschaftsveranstaltungen, Kurse: Lies dazu Abschnitt 3.5.

-Der Gottesdienst: Er ist eine ebensolche Gelegenheit, mit anderen zusammen zukommen und ist der traditionelle Ort der „Subkultur" im Gefängnis. Dort trifft man sich mit Leuten von den anderen Stationen, zu denen man sonst keinen Zugang hat. Näheres hierzu unter 3.6. Falls man arbeitet {was auch in U-Haft der Fall sein kann), kann man die

-Arbeit auch dazu benutzen, mit anderen zusammen etwas zu machen - falls man die Chance hat, eine Gemeinschaftsarbeit zu bekommen (siehe zu Arbeit Abschnitt 9.1. und 9.2.).

-Gefangenenzeitung: (siehe Abschnitt 3.8.)

Die nicht offizielle Kommunikation

Neben diesen „erlaubten" Möglichkeiten, etwas zusammen zu tun, gibt es solche, die üblich sind, obwohl sie unerlaubt sind. Dazu gehört das Sprechen am Fenster. Schon am ersten Tag im Knast wird man merken, dass der Knast sich mit sich selbst unterhält. M-an spricht von Zellenfenster zu Zellenfenster. Jeder Knast führt so ein Selbstgespräch, das Gespräch aller, die abends, wenn sie eingeschlossen sind, am Fenster hängen und mit ihrem Nachbarn oder mit einem unten oder oben oder manchmal quer über die ganze Zellenhausfront reden. Das geht bei alten Gefängnissen genauso wie bei neuen.

Im Knast hat man als Neuling, der nur die aggressiven Geräusche des Zellenhauses hört, das Gefühl, dass sich jeden Moment ein Grüner auf einen stürzen könnte. Zum Beispiel wenn man am Fenster quatscht. Das ist eine Täuschung. Orientiere dich lieber an dem. was andere machen und nicht an deinen eigenen Befürchtungen. Das Pendeln ist ebenso in allen Knästen üblich, wird allerdings von den Grünen immer zu verhindern versucht. Unter Pendeln versteht man das gegenseitige Zuwerfen eines Gegenstands, der an einer Schnur (Pendel­schnur), notfalls noch mit einem Gewicht daran, befestigt ist. Gependelt wird von Fenster zu Fenster. Es ist schwierig, wenn die Fenster mit einem Maschendraht verbaut sind oder wenn Sichtblenden davor sind. Aber auch da finden immer welche eine Möglichkeit . . Man muss natürlich damit rechnen, besonders bei Sachen, die sich am Fenster abspielen, dass man von dem Wachhabenden im Hof gemeldet wird, der mit einem Fernglas die Fenster absucht. Ein weiteres übliches Mittel, mit anderen in Verbindung zu kommen -wenn ihre Zelle zugeschlossen ist oder zum Beispiel! wenn sie isoliert sind oder auf einer anderen Station liegen - ist ein Kassiber, ein Stück beschriebenes Papier, das meistens winzig klein ist, um es notfalls aufessen zu können, und das man entweder selbst durch eine Tür schiebt oder von einem Hausarbeiter bzw. einem anderen Gefangenen überbrin­gen lässt. Wenn Hausarbeiter die Zuträger sind, kann das allerdings riskant sein. Aber Hausarbeiter sind dafür oft die letzte Möglichkeit. Eine früher beliebte Methode, sich zwischen nahe gelegenen, insbeson­dere übereinanderliegenden Zellen zu verständigen, bestand darin, das Röhrensystem der Klos und Waschbecken als „Telefon" zu benutzen. Ob das auch heute noch geht, ist von Knast zu Knast verschieden. In den meisten Knästen, vor allem den alten, geht es - in neuen geht es manchmal nicht mehr. Der Syphon, das U in dem Rohr, das gewöhnlich mit Wasser gefüllt ist, wurde dazu ausgeleert. Dieses Wasser wurde entweder ausgepumpt, herausgedrückt oder aufgesaugt mit Hilfe eines Lappens oder Schwamms. Beim Waschbecken konnte man den Syphon unter Umstän­den einfach aufschrauben. Das berühmte Klopfalphabet ist nicht mehr so sehr im Gebrauch.

Es sieht so aus:

1 2 3 4 5
1 A B C D E
2 F G H I K
3 L M N O P
4 Qu R S T U
5 V W X Y Z

(ohne j)

Man teilt das gesamte Alphabet in Fünfergruppen auf. Jeder Buchstabe besteht aus zwei Schlägen. Der erste Schlag bezeichnet die Zeile, also zum Beispiel 1,2,3, 4 oder 5, der Zweite Schlag bezeichnet die Steile des Buchstabens innerhalb einer Zeile, wofür es ebenfalls nur fünf Möglichkeiten gibt. Danach bedeutet zum Beispiel der Buchstabe S: 4 Schläge und 3 Schläge, also 4 für die Zeile 4 und 3 Schläge für die Stelle 3, wo der Buchstabe steht. Natürlich wird das Klopfalpha­bet auch als optisches Verständigungssignal benutzt.

Es gibt sicher noch eine Vielzahl anderer Verständigungsmöglichkeiten unter Ausnutzung der besonderen Bedingungen in den verschiedenen Anstalten. Nach der Hausordnung ist diese Art der Kommunikation verboten und kann mit Hausstrafen belegt werden. Aber die Hausordnung ist in vielen Punkten nur dazu da, zu zeigen: wir können euch alles verbieten, wenn wir wollen. Wenn diese Hausordnungen strikt von den Grünen eingehal­ten würden, wäre u.U. auch das Weitergeben von Zeitungen und das Ausdemfenstersehen, ja oft selbst das Sprechen verboten. Trotzdem wird beim Hofgang gesprochen und aus gerade den verbotenen Fenstern hinaus geguckt. Die Grünen versuchen ihr Bestes, das alles zu verhin­dern. Aber das liegt an den Vorschriften: wenn sie übertrieben sind, dann sind sie eben nur durch übertriebene Anstrengung einzuhalten, und die Beamten scheuen die übertriebene Anstrengung (siehe auch den Abschnitt 8.1. „Hausstrafen").

Möglichkeiten gemeinsamen Handelns

Im folgenden sollen einige Dinge aufgeführt werden, die als Möglichkei­ten gemeinsamen Handelns von Gefangenen vorgeschlagen worden sind und womit auch bereits Erfahrungen gemacht wurden. Es sind Dinge, die im Knast zum Teil üblich sind, also nichts, was man sich erst ausdenken müsste.

Sich um Neue kümmern

Sehr verbreitet ist, dass man sich um Neuzugänge kümmert, die meistens noch keinen Einkauf haben - dass man ihnen die notwendigsten Dinge, wie Tabak, Kugelschreiber, Papier, Kuverts, Briefmarken usw. beschafft. Man kann sehr leicht erfahren, wer ein Neuzugang ist, und man wird wissen, was er braucht, wenn man ihn fragt. Diese Hilfe wird auch öfter ausgedehnt zu einem Fond für Tabak. Manchmal legen mehrere Leute abzugeben. Normalerweise werden mittellose Gefangene von den übri­gen mit dem Notwendigsten versorgt.

Schreibarbeiten

Eine andere Möglichkeit ist die gegenseitige „Dienstleistung" mit Schreibarbeiten. Derjenige, der eine Schreibmaschine hat, wird sowieso von anderen angegangen, ob er nicht Anträge, Beschwerden, auch Briefe tippen kann. Man sollte das nicht ablehnen. Es ist eine gute Möglichkeit, jemanden besser kennenzulernen und auch jemandem zu helfen. Es kann einem anderen unter Umständen sehr helfen, wenn man seine Sachen nicht nur abschreibt, sondern auch mit ihm darüber redet, die Anträge vielleicht, wenn es nötig ist, umformuliert, verbessert, ihm bestimmte juristische Bücher dafür gibt und ihm Vorschläge macht, was man in seinem Fall unternehmen könnte. Das Schreiben für andere spielt eine wichtige Rolle im Knast, gerade angesichts der ständigen Unterbrechung der Kommunikation durch die Einschließung in den Zellen. Die Vereinzelung wird auch durchbrochen durch Briefe nach draußen, die man für andere schreibt - durch Schriftsätze, Schreiben an Rechtsan­wälte, Presse usw.

Lesematerial weitergeben

Eine gute Möglichkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten, ist auch, eine Zeitung zu verteilen und dafür zu sorgen, dass sie an möglichst viele Leute verteilt wird, vor allem wenn es eine Tageszeitung ist, Tageszei­tungen sind sehr begehrt, und man sollte die Verteilung so organisieren, dass sie nicht von einem, dem man sie weitergegeben hat, unter den Nage! gerissen wird, sondern dass sie möglichst viele lesen.

Du kannst deine Fähigkeiten für andere einsetzen

Man kann seine eigenen Fähigkeiten - vor allem wenn es berufliche Fähigkeiten sind - für andere verwenden. Wenn man z.B. Krankenpfle­ger ist, kann man sich um die Gesundheit seiner Mitgefangenen küm­mern. (Das kann man allerdings auch, wenn man kein Krankenpfleger ist, aber den medizinischen Teil dieses Ratgebers studiert hat.) Wenn man juristische Kenntnisse und die entsprechenden Bücher hat, kann man sie für andere verwenden. Man muss eben sehen, welche Fähigkeit man für andere einsetzen kann. Auch damit wird man nicht nur den andern helfen, sondern sich selbst die Öde des Alleinseins vertreiben können. , Wenn man Fremdsprachen beherrscht, kann man das für ausländische Gefangene, die oft nicht oder zu wenig deutsch sprechen können, einset­zen. Näheres im Abschnitt 7.2. für ausländische Gefangene. Wenn man Kontakt zu politischen Gruppen hat, kann man sie auch für andere nutzbar machen.

Gemeinsamer Einkauf

Eine Möglichkeit, die schon oben angedeutet worden ist, ist der Gemein­schaftseinkauf. Das ist etwas, was denen, die kein Geld haben, unmittel­bar nützen kann. Dazu Näheres in den Abschnitten Geld und Einkauf 9.4 und 9.5.

Überlebenshilfe

Eine sehr wichtige Sache ist noch die Hilfe für isolierte und von Haus­strafen betroffene Gefangene. Lies dazu Kapitel 8. über „Sicherheit, Ordnung und Disziplin".

Interner Knastratgeber

Wenn man eine Schreibmaschine hat und einigermaßen in einem Knast Bescheid weiß, kann man - mit anderen zusammen - vielleicht einen internen „Knastratgeber" herstellen, den man auf Durchschlagpapier oder auf sonstige Weise vervielfältigt und an andere' verteilt (siehe Abschnitt 3.8. „Anstaltszeitungen"). Man kann Muster von Dienstauf­sichtsbeschwerden, von Strafanzeigen, von Briefen an die Presse und von anderen immer wiederkehrenden Sachen aufsetzen. Man kann durch ein Beispiel zeigen, wie man.einen Antrag auf Haftunfähigkeit schreibt. Man kann Ratschläge für den Umgang mit Anwälten und mit Richtern im Prozess geben und andere Ratschläge, die einen unmittelbaren Gebrauchswert in der Untersuchungshaft haben. Dasselbe kann man auch in Strafhaft tun. Dabei sollte man vor allen Dingen auf lokale Besonderheiten eingehen, was wir in unserem Ratgeber nicht tun kön­nen, z.B. auf die Eigenarten bestimmter Beamter und bestimmter Vorschriften. Das sind. natürlich noch nicht alle Möglichkeiten, sondern nur einige Beispiele. Wenn man noch andere Möglichkeiten sucht, wird man sie auch mit Sicherheit finden. In den folgenden Abschnitten noch einmal etwas genaueres zu den wichtigsten offiziellen Gemeinschaftsveranstaltungen und anderen Mög­lichkeiten zusammen zukommen und was man daraus machen kann.

3.4. Möglichkeiten, sich verlegen zu lassen

Die Gemeinschaftszelle

Die Untersuchungshaft wird grundsätzlich als Einzelhaft vollzogen. Dazu lautet die offizielle Begründung: Für Untersuchungsgefangene als Nichtverurteilte gilt die Unschuldsvermutung. Die Einzelzelle gilt also als allgemeine Vergünstigung, den möglicherweise Unschuldigen davor zu bewahren, mit möglicherweise „Kriminellen" zusammenleben zu müssen. Daraus müsste eigentlich folgen, dass es der freien Entscheidung des Unter­suchungsgefangenen überlassen bleibt, auf diese Vergünstigung zu ver­zichten. Das Strafvollzugsgesetz schreibt inzwischen auch für den Vollzug der Strafhaft die Unterbringung in Einzelzellen vor. Diese Regelung gilt je­doch nicht für Anstalten, die bereits gebaut und mit Gemeinschaftszellen versehen sind. Für die Praxis bedeutet dies, dass nach wie vor die Gemein­schaftszelle in der Strafhaft die Regel ist. Die Einzelzelle ist an sich genauso vorteilhaft oder mit Nachteilen behaftet wie die Gemeinschaftszelle, je nach dem, welcher Typ man ist. Es gibt solche, die es in Gemeinschaftszellen nicht aushalten und solche, für die die Einzelzelle die Hölle ist. Das liegt in erster Linie an einem selbst, an der Art, wie man eben auf bestimmte Umgebungen reagiert. Um in U-Haft in eine Gemeinschaftszelle zu kommen, muss man erst einen Antrag an den Haftrichter stellen und sich dann mit der Genehmigung des Richters an die Anstaltsleitung wenden. In Strafhaft wendest du dich di­rekt an die Anstaltsleitung. Als Begründung dürfte am erfolgversprechensten sein: Krankheit, Drogen­sucht, Depressionen und ähnliches — vor allem dann, wenn die . Zusammenlegung auch von dem Anstaltsarzt befürwortet wird. In der Regel wird man jedoch nicht mit irgendwem zusammengelegt werden wollen, sondern hat sich schon mit einem bestimmten Mitgefan­genen, der gleichzeitig eine Gemeinschaftszelle beantragt — oder in dessen Gemeinschaftszelle ein Platz frei geworden ist — abgesprochen. Man braucht aber eine Menge Glück, um nun tatsächlich mit dem- oder derjenigen zusammengelegt zu werden. Es kann daher sinnvoll sein, hier noch eine plausible Begründung dafür zu überlegen, warum man mit einem bestimmten Menschen zusammen sein will: Problematisch ist es, zu erklären, dass man sich schon von früher kennt — die Anstaltsleitung wittert dann gleich Komplizenschaft. Geschickter ist es, man sagt einfach, dass man sich hier im Knast kennengelernt hat, dass man in der selben Gemeinschaftsgruppe oder am selben Arbeitsplatz ist und gut miteinander auskommt. Am besten verbindet man diese Begründung noch mit der Hilfsbedürftig­keit des einen (wegen Krankheit, Sprachschwierigkeiten etc.) und Hilfs­bereitschaft des anderen. Erwecke aber nicht den Anschein, dass ihr euch allzu sehr mögt — auch wenn es der Fall ist. Erkläre, dass ihr gemeinsame (Bildungs-) Interessen habt, zusammen Sprachen lernen wollt etc. Vielleicht lässt sich auch ein gutwilliger Psycho­loge, Sozialarbeiter oder Pfarrer dazu bewegen, den Antrag zu unterstüt­zen. Da du ja als U-Häftling einen Anspruch auf eine Einzelzelle hast, kannst du jederzeit deinen Antrag wieder zurückziehen und wieder eine Einzelzelle verlangen. Diese Aussicht auf lästige Arbeit kann in manchen Fällen für sie ein Be­weggrund sein, dir lieber gleich nachzugeben. Allerdings wird sie diese Mühe gerne auf sich nehmen, wenn sie damit rechnet, sich sonst eine kleine subversive „Zelle" in den Knast zu pflanzen. Besonders in Strafhaft stellt sich oft die Frage, wie man aus einer bestimmten Gemeinschaftszelle herauskommt, da du hier — anders als in der U-Haft — keinen Anspruch auf eine Einzelzelle besitzt. Hier kann man gesundheitliche Gründe anführen; oder auch andere Gründe, z.B. Fortbildung (man braucht Ruhe zum Arbeiten), oder man erklärt einfach, mit seinen Zellengenossen nicht klar zu kommen. Auch wenn dies nicht stimmt, ist es sinnvoll, wenn diese deine Verlegung mit der gleichen Begründung ebenfalls beantragen. Wenn alles nichts hilft, packt man einfach sein Bündel zusammen, stellt sich in der Freistunde damit vor die Tür und weigert sich, die Zelle wieder zu betreten. Man riskiert dabei zwar, einige Stunden in die Absonderung zu kommen — aber es soll ganz wirkungsvoll sein.

Stationswechsel

Ebenfalls sehr schwierig ist es, einen Stationswechsel durchzusetzen. Willst du das, weil du auf der anderen Station Leute gut kennst und mehr mit ihnen Zusammensein willst als nur beim Gottesdienst, dann wird es sinnvoll sein, gerade das nicht als Grund anzugeben. Suche möglichst „harmlose" Gründe. Dazu musstt du dich vorher ge­nauestens erkundigen, wie es auf der betreffenden Stationaussieht.. Infrage kämen folgende Begründungen: Du bist besonders lärmempfindlich (Kopfschmerzen, Migräne und ähnlichen Beschwerden) und mußt deshalb von der Straßenseite weggelegt werden. Du hast rheumatische oder ähnliche Beschwerden und wüst deshalb in eine Zelle gelegt werden, in die etwas Sonne herein scheint, die an der Sonnen­seite liegt und dadurch etwas wärmer ist. Du leidest unter starker Knastkurzsichtigkeit und brauchst deshalb eine Zelle, aus deren Fenster man etwas sehen kann, um deine Augen wieder an größere Entfernungen zu gewöhnen. Eine bessere Aussicht aus dem Zellenfenster kann auch bei schweren Depressionen nötig sein, um sich etwas abzulenken. . Auch Allergien (d.h. überempfindliche körperliche Reaktionen auf äußere Reize) können eine Verlegung begründen: bestimmte Geruchsallergien, z.B. wenn die Station bei der Knastküche liegt oder beim Werkhof;Staub­allergien, wenn die Zelle in einem unteren Stockwerk liegt, wenn sie an der Straßenseite liegt, wenn sie einer Baustelle zugerichtet ist, wenn sie dem Werkhof zugerichtet ist. Allergien können in verschiedenen Formen auf­treten: starker Niesreiz, Schnupfen (Heuschnupfen), Hustenreiz, Kopf­schmerzen, Augenreizungen, Hautreaktionen, (Ausschläge, Rötungen). Man sollte in diesem Fall versuchen, den Arzt einzuspannen.

Verlegung in eine andere Anstalt

Eine Verlegung wird man nur selten erreichen. Als Begründung kommt in Frage, dass die Entfernung zu den draußen lebenden Angehörigen so groß ist, dass regelmäßige Besuche nicht möglich sind. Diese Begründung kann man auch auf Ehegatten beziehen, die ebenfalls inhaftiert sind und wenn die Entfernung zwischen den Knästen regelmäßige Besuche nicht zulässt. Man konnte auch versuchen, den Antrag damit zu begründen, dass man eine bestimmte Aus- und Weiterbildung unternehmen will und dies hier nicht möglich ist. Allerdings wird man mit dieser Argumentation in U-Haft kaum Erfolgsaussichten haben. In Strafhaft gewinnt vor allem das Argument der Aus- und Weiterbildung größeres Gewicht. Doch auch familiäre Gründe sind in Strafhaft von größerer Bedeutung als in U-Haft, denn erst in Strafhaft gibt der Staat vor, dich „resozialisieren" zu wollen.

3.5. Die offiziellen Gemeinschaftsveranstaltungen

Die Teilnahme an Sport-, Bastel- und anderen Gruppen wird meist von deiner „Führung" abhängig gemacht. Sie wird somit wie jede „Vergünstigung" als Disziplinierungsmittel verwendet. Dennoch sollte man ruhig versuchen, in möglichst viele Gemeinschafts­veranstaltungen hineinzukommen, denn sie bieten neben dem kurzen Hofgang eine weitere Möglichkeit zusammen zukommen, miteinander zu reden, Informationen auszutauschen, Probleme gemeinsam anzugehen — auch wenn das nicht das Thema der Freizeitgruppe ist. Welche Gruppe sinnvollerweise besucht werden sollte, hängt von den speziellen Bedingungen in der jeweiligen Gruppe ab — und natürlich auch von deinen Interessen. Informiere dich deshalb bei deinen Mitgefangenen darüber, wie die verschiedenen Gruppen ablaufen. Wichtig zu erfahren ist: Wer die einzelnen Gruppen leitet, ob es ein Vollzugsbeamter ist oder z.B. ein ehrenamtlicher Mitarbeiter von draußen, was in der Regel günstiger ist; wie sehr man dort beobachtet und kontrolliert wird, ob ein zusätzlicher Aufpasser dabei ist; wie stur der Gruppenleiter ist usw. Wenn sich nachher mehrere in der Gruppe dafür einsetzen, dass z.B. die erste halbe Stunde für Gespräche untereinander freigegeben wird, so gelingt es manchmal, dies durchzusetzen. Es gibt in den Gruppen eine begrenzte Teilnehmerzahl und natürlich viel zu wenig derartige Gruppen. Das hat zur Folge, dass man sich oft in eine Warteliste eintragen muss und unter Umständen insgesamt nur an zwei Gruppen nebeneinander teilnehmen darf. Es ist deshalb sinnvoll, die Teilnahme so schnell wie möglich zu beantragen, sonst kann es dir passieren, dass du den Knast verlässt, bevor du überhaupt an der Reihe warst.

Wie man in der U-Haft in Gruppen kommt

Besonders schwierig ist es in der U-Haft, in eine solche Gruppe zu kom­men. Hier gibt es viel weniger Angebote; zudem ist man der Ansicht, der U-Gefangene habe keinen Rechtsanspruch auf die Teilnahme. Wie schon oben gesagt wurde, haben manche U-Haft-Anstalten für neu eingelieferte Gefangene eine generelle Gemeinschaftssperre eingeführt. Versuche es trotzdem. In der U-Haft musst du zunächst einen Antrag zur generellen Genehmi­gung der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen an den für dich zuständigen Haftrichter stellen. Wird der Antrag abgelehnt, dann versuche, wenn du die Ausdauer dazu hast, dich mit rechtlichen Mitteln dagegen zu wehren. Wie du dabei vorgehen musst, kannst du dem „Rechtsmittelteil“ entnehmen. Hast du die Genehmigung erhalten, so musst du noch ein „Anliegen" oder „Vormelder" an die Anstalt richten, mit der genauen Angabe der ge­wünschten Veranstaltung. Für den Fall der Überfüllung kann es auch sinn­voll sein, Ausweichmöglichkeiten anzugeben wenn es solche gibt.

Wie man in Strafhaft in Gruppen kommt

Hier musst du dich gleich an die Anstalt wenden. Oft werden bereits während der Aufnahmeuntersuchung die „geeigneten" Gemeinschaftsver­anstaltungen für dich ausgesucht. Das Dumme daran ist, dass du zu diesem Zeitpunkt ja noch keine Gelegenheit hattest, dich über die verschiedenen Gruppen bei kompetenten Leuten — also bei deinen Mitgefangenen — zu informieren. Deshalb, wenn die Vorabentscheidungen Missgriffe waren, dann solltest du nicht zögern, neue Anträge zu steilen. Versuche sie notfalls mit weiteren Rechtsmitteln durchzusetzen (siehe hierzu den Rechtsmittelteil).

Veranstaltungen

Neben den typischen, meist wöchentlich stattfindenden Gruppen, gibt es hin und wieder einmalige Veranstaltungen wie Filme, Theaterstücke, Musikauftritte etc., die es ermöglichen auch mal mit Gefangenen zusammen zukommen, die man sonst nicht treffen kann, weil sie auf einer anderen Station untergebracht sind.

Kurse

Von Bedeutung für dich können auch die verschiedenen Kurse sein, die neben der Möglichkeit der Kommunikation auch von ihrem Inhalt her ganz brauchbar sein können: Erste Hilfe, Schreibmaschine, Sprachen etc. Es gibt auch hier viel zu wenig Angebote. Versuche daher zusammen mit anderen Gefangenen, die die gleichen Interessen haben, durchzusetzen, dass neue Kurse eingerichtet werden. Rücke dem Sozialarbeiter, der meistens dafür zuständig ist, auf den Pelz. Suche ihn, wenn es möglich ist mit mehreren zusammen auf, oder, wenn das nicht geht, hintereinander. Nimm Kontakt mit kompetenten und vertrauenswürdigen Leuten draußen auf (z.B. einem Arzt), die sich bereit erklären würden, „ehrenamt­lich" einen solchen Kurs (z.B. Erste Hilfe) durchzuführen. Kündige an, dass du dich an die Öffentlichkeit wenden wirst, wenn eure Forderung ignoriert wird. Vieles kannst du dir natürlich auch allein aneignen: mit Hilfe von Sprachlehr­büchern und anderen Fachbüchern, die du vielleicht sogar in der Anstaltsbibliothek findest.Aber du wirst oft das Bedürfnis haben, mit anderen über das Gelernte zu dis­kutieren und gemeinsam zu arbeiten. Du kannst aber auch versuchen Kurse selbst zu organisieren: Beantrage einen regelmäßigen Sonderumschluß z.B. zum Sprachen lernen mit anderen Gefangenen zu diesem Zweck. Versuche das gegebenenfalls auch rechtlich durchzusetzen. Wie groß die Chancen sind, wissen wir allerdings nicht. Eine andere Möglichkeit ist, mit interessierten Mitgefangenen die Zusammenlegung auf eine Gemeinschaftszelle zu beantragen. Du wirst feststellen, es geht notfalls auch ohne „Fachmann", wenn man gemeinsam ein Buch durcharbeitet und die unklaren Dinge diskutiert. Wie man dabei am besten vorgeht, hängt von dem Fachgebiet, den zur Verfügung stehenden Lernmaterialien und den eigenen Absichten ab. Z.B. kann einer laut vor­lesen und anschließend wird der Stoff abschnitt- oder kapitelweise besprochen. Das ist insbesondere bei schweren Texten sinnvoll. Oder aber es bereitet sich jedes mal ein anderer besonders gründlich vor und referiert dann den anderen. Man muss eben ausprobieren, welche Arbeitsmethode sich am besten eignet.

Berufsausbildung

Neben dem Aneignen von Wissen und Fertigkeiten, die dich interessieren oder die dir nützlich erscheinen, besteht noch die Möglichkeit, eine Berufs­ausbildung oder einen bestimmten Schulabschluss zu machen. Darauf soll in den Abschnitten 9.1 und 9.2. über „Arbeit im Knast" eingegangen werden — insbesondere auf das Verhältnis von Arbeit und Ausbildung im Knast (Befreiung vom Arbeitszwang bei einer Ausbildung und finanzielle Vorteile).

3.6. Gottesdienst, Seelsorge, religiöse Arbeitskreise

Das Strafvollzugsgesetz (§ 53/54) regelt die „religiöse Betreuung" so, dass der absolute Anspruch auf Kontakt mit einem Seelsorger der eigenen Konfession anerkannt wird. Das bedeutet, dass das unüberwachte Gespräch mit dem Pfarrer — in der Regel auch in dessen Dienstzimmer — garantiere ist und durchgesetzt werden kann.. Dagegen kann das Recht auf Teilnahme am Gottesdienst und an „religiösen Veranstaltungen" der eigenen Konfession entzogen worden, „ wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit und Ordnung geboten ist" — also die berüchtigte Gummiformulierung! Immerhin soll der Seelsorger vorher gehört werden. Ähnlich sind die Bestimmungen für die U-Haft. Man kann auf dem Standpunkt stehen, dass Kirche und Pfarrer in die Mottenkiste gehören. Das heißt aber noch lange nicht, dass man nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen sollte, die hier unter dem komischen Titel „religiöse Betreuung" zum Vorschein kommen können.

„Himmelskomiker'

Seit eh und je wird der Pfarrer im Knast von „Abstaubern" belatschert, die auf abfallende „Koffer" und sonstige Annehmlichkeiten spekulieren. Schön dumm, wenn er darauf reinfällt — aber viele Gefangene sind sich zu gut für diese Sorte von Bettelei, die oft noch mit frommen Augenaufschlägen „garniert" wird. Manchmal hat man ein Beschaffungsproblem, für das keiner so recht zuständig ist: z.B. ein neues Scherblatt für den Trockenrasierer. Da sollte man's ruhig mal beim Pfaffen versuchen. Wenn er begreift, daß das Problem nicht anders zu lösen ist, gibt es eine Chance, dass er's einem besorgt. Manchen besonders gutmütigen Typen unter den Pfaffen wachsen solche kleinen Besorgungen allerdings schnell über den Kopf. Geschickt ist es, den Pfarrer für Selbsthilfeprojekte einzuspannen: z.B. eine Büchse mit Tabak für Neuzugänge, die noch keinen Einkauf haben. Da soll der Pfarrer ruhig mal ein paar „Koffer" (Tabakpäckchen) springen lassen. Oder den Kaffee bei Gruppengesprächen. Wenn der Knastpfarrer oft „Himmelkomiker" (oder auch einfach „Komiker") genannt wird, dann liegt das daran, dass er meist sehr wenig Ahnung hat, was im Knast läuft, und ganz abgehoben seine Schau abzieht. Meist hat er dann noch so ne persönliche Schrulle, und keiner nimmt ihn mehr richtig ernst. Bei manchen Typen ist das richtig schade. Die sind nämlich nicht als Komiker geboren, sondern sie werden es erst mit der Zeit. So ein Pfarrer hat auf der Uni ein Menge total unnützes Zeug gelernt — und weiß Gott, was er noch alles angestellt hat, bevor er in den Knast kam, aber von den Leuten, den Gefangenen und den Grünen, von dem ganzen Betrieb da drin, hat er keine Ahnung. Das meiste läuft an ihm vorbei, er soll nicht in alles seine Nase stecken, so langsam richtet er sich häuslich ein, macht seinen Gottesdienst, macht seine Gruppen (wenn er welche macht), seine Besuche bei einzelnen Leuten, merkt gar nicht, was ihm alles entgeht. Er gehört ja auch zu den „Bediensteten", bekommt seine Informationen oft vom Direktor... Das muß nicht so sein, daß so einer zum Komiker wird. Die anderen Bediensteten sind ihren Vorgesetzten verantwortlich. Sie haben sich an ihre Dienstvorschriften zu halten, das Strafvollzugsgesetz, die Verwaltungsvorschriften, die U-Haftvollzugsordnung usw. Der Pfarrer muß sich auch an die Vorschriften halten, sonst fliegt er raus, aber sein Background ist die Religion, die Bibel, die Kirche. Und da ist er zu packen. Denn irgendwann muß er sich mal entscheiden, für wen er da ist, wen er als seine Gemeinde betrachtet: die Gefangenen oder die Bediensteten. Das ist nicht unbedingt schön für den Pfarrer, wenn er zu so einer Erkenntnis kommt. Denn nach der Ideologie, mit der er rein gekommen ist, ist er doch für alle da. Aber bald merkt er, daß das im heutigen Strafvollzug jedenfalls nicht geht. (Vielleicht merkt er's auch nicht. Dann steht er jedenfalls bald nicht mehr auf der Seite der Gefangenen). Manche meinen auch, der Pfarrer müßte so eine Art Vermittler zwischen den Fronten sein. Das kann sogar manchmal ganz gut klappen, aber auf die Dauer hält das keiner aus, ständig zwischen den Fronten hin und her zu flattern und den Dolmetscher-Engel zu spielen. Und außerdem wird so das Problem total vom Tisch gewischt, daß die Gefangenen eben die von vornherein benachteiligte Gruppe sind, der man (widerwillig) einzelne Rechte zugesteht. Hier den Vermittler spielen ist pervers — auf die Dauer. Es scheint so, als würden das in der letzten Zeit immer mehr Pfarrer begreifen. Ziemlich viele sind deswegen schon (mit faulen Tricks) gefeuert worden, andere haben von selbst aufgegeben. Aber es kommen neue nach. Sie sind bestimmt gewarnt, sich all zu sehr auf die Gefangenen einzulassen. Sie haben mords Angst, was falsch zu machen. Sie wollen aber auch ihre Erfahrungen sammeln, ihre eigenen Erfahrungen. Das ist die Chance. Auch mancher, der schon länger im Geschäft ist, kann noch zuhören und mitdenken und Konflikte aushalten. Sie müssen nur gefordert werden — von ihrer „Gemeinde", den Gefangenen.

Der Gottesdienst

— für die meisten die Möglichkeit, sich einmal in der Woche zu sehen, Neuigkeiten auszutauschen, auch Hefte und weiß der Geier was, oder einfach ein bißchen aus der Zelle rauszukommen, mal was anderes sehen. Und manche wollen auch einen „ordentlichen" Gottesdienst haben, möglichst feierlich, mit Blumen, Orgel, Stimmung. Der Pope will irgendwas erzählen und vorlesen, wozu er Ruhe braucht. Ein Vorschlag den man ihm machen kann: Wir teilen uns den Gottesdienst — vorher und hinterher wollen wir ein Viertelstündchen zum Quatschen haben, und dazwischen sollst du deinen Rummel abziehen. Aber: erzähl uns bitte nicht zu viel von Jesus und vom lieben Gott, verkauf uns nicht für dumm! Und laß es dir gefallen, wenn wir uns in deine Predigt einschalten, wenn uns was nicht paßt. Du hast hier keine sanften Kirchenlämmer vor dir, schon gar keine reuigen Sünder, die nur darauf warten, von dir bekehrt zu werden, sondern Leute mit ziemlichen Problemen — und unser Problem Nr. 1 hier ist der Knast. Wie ist das mit den Beruhigungszellen? Und was sagt die Kirche zum Kontaktsperregesetz? Und warum darf der X nicht zum Gottesdienst kommen? Warum ist am Mittwoch die Freizeit ausgefallen? Mußt du diese Fragen mit deinen frommen Sprüchen zudecken? Dann bist du nicht der richtige Pfarrer für uns. Sagt die Bibel was über Richter, Staatsanwälte und Knäste? Rück mal raus damit, das hast du doch studiert! Hat der Apostel Paulus nicht auch im Knast gesessen? Und war das mit Jesus nicht Justizmord? So dick muß man das natürlich nicht gleich bringen. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, mit ihm gemeinsam den Gottesdienst zu planen. Dann können die Interessen der Gefangenen noch viel besser einbezogen werden. Und in der Gestaltung des Gottesdienstes ist der Pfarrer ziemlich frei. Da darf ihm kein Justizminister Vorschriften machen. "Höchstens die Kirche kann ihn zurückpfeifen. Das wird sie aber, meist von sich aus nicht tun.

Arbeitskreise

Manchmal machen die Popen auch ganz gute Arbeitskreise, wo nicht nur rumgelabert und ab und zu Kaffee und Kuchen ausgeteilt wird, sondern wo ganz gute Diskussionen laufen, Leute von draußen eingeladen werden usw. Das kann manchmal ein Stück Hilfe zum Überleben sein. Ist es in so einem Arbeitskreis zu doof, dann kann man immer noch den Versuch machen, da was zu ändern, vielleicht läßt sich der Pope drauf ein, z.B. einzelne Abschnitte aus dem Ratgeber könnte man in so einem Arbeitskreis wunderbar diskutieren, Erfahrungen, die man in der Selbstdiagnose gemacht hat, juristische Probleme etc. Ob einem ein Pfarrer als Gesprächspartner liegt ist natürlich Geschmacksfrage, es kommt auch auf den Typ an. In der Regel ist es wichtiger, unter den Mitgefangenen Leute zu finden, mit denen man reden kann. Allerdings: der Pfarrer steht unter Schweigepflicht. Das ist manchmal nicht unwichtig. Dann gibt es noch die Möglichkeit, über den Pfarrer Kontakt zu Freunden und Angehörigen etc. aufzunehmen. Nur: eine kaputte Ehe kann er auch nicht kitten. In jedem Fall: So groß ist die Auswahl nicht. Es lohnt sich schon, sich den Pfarrer mal anzusehen, ob er einem liegt. Wenn man merkt, daß er außer frommen Sprüchen nichts drauf hat, dann hat man halt Pech gehabt. Außerdem: es gibt ja meistens zwei von der Sorte, einen evangelischen und einen katholischen. Wechselt man eben schnell mal die Konfession.

3.7. Die Gefangenenmitverantwortung oder Mitverwaltung

Hier soll auf die Rolle eingegangen werden,die die „Gefangenenmitverantwortung" oder „Mitverwaltung" innerhalb der Gefängnisse und innerhalb dessen, was man nur sehr ungenau mit „Gefangenenbewegung" bezeichnen kann, spielen. Gleichzeitig mit den linken Strömungen unter den Gefangenen, die ab 1968/69 mit den Linken draußen, mehr mitgerissen als auf ein gemeinsames Ziel hin, entstanden sind, entwickelte sich innerhalb der Gefängnisse auch eine reformistische Strömung, eine Art von Gewerkschaftsbewegung der Gefangenen — vergleichbar mit den Betriebsräten, wie wir sie kennen. In dieser Zeit entstanden im Gefolge der Justizreformbewegung eine Anzahl von Gefangenenzeitungen in den Anstalten, und es entstanden die Mit Verwaltungen in der heutigen Form, die nach dem neuen Strafvollzugsgesetz von 1977 vorgeschrieben sind.' Die Mitverwaltungen werden oft als korrupte Handlanger der Administratoren, der Leiter und Verwalter, bezeichnet. Das ist in dieser Allgemeinheit nicht ganz richtig. Die Mitverwaltungen spiegeln durchaus eine Haltung der Gefangenen selbst wider, die sich damit begnügt, es sich da, wo man ist, einigermaßen bequem einzurichten und die Ordnung der Gesellschaft, Ungleichheit, Eigentum, Ausbeutung, als unabwendbare, wenn nicht sogar vorteilhafte Tatsachen hinzunehmen. Man kann sogar sagen, daß ein großer Teil der Gefangenen im Grunde wenig anders denkt als die Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik, nämlich unpolitisch, auf das Nächstliegende im Kampf ums Dasein fixiert, auf die Vorteile, die man für sich selber oder höchstens für seine Familie, koste es was es wolle, erreichen möchte. Um bestimmte minimale Vorteile durchzubringen, die mit einem noch größeren Maß an Anschmiererei bezahlt werden, an Verlust der Identität der Gefangenen {denn auch die Justiz ist bestrebt, aus dem Gefangenen einen „Mitarbeiter" zu machen), eignen sich die Mitverwaltungen durchaus — in ihrer jetzigen Form. Aber ihre jetzige Form ist im Grunde nur die Politik, die die Gefangenen selbst machen. Gäbe es unter den Gefangenen eine breite und radikale politische Bewegung, so wären die Mit Verwaltungen ihr Instrument — solange sie nicht von der Justiz wieder abgeschafft würde. Daß die Mitverwaltungen jetzt nur das Instrument der Administratoren sind, liegt nicht an den gesetzlichen Bestimmungen, die sie in Fesseln halten, sondern daran, daß die politische Bewegung der Gefangenen selbst noch nicht entfesselt ist, Es hat also wenig Sinn,die Mit Verwaltungen an sich als korrupt hinzustellen und sie damit ein für allemal auch abzulehnen.

Welche Rolle die Mitverwaltung spielt

Die Mitverwaltung ist von den Gefangenen nicht erkämpft worden. Die Administratoren haben sie vielmehr als eine ganz zweckmäßige Sache selbst zunächst ausprobiert und dann eingerichtet, nachdem alle Experimente damit günstig verlaufen sind. Daß das aus Wohlwollen für die Gefangenen und für ihre Interessen geschehen ist, wird man in der Zeit der Isolationsfolter, Kontaktsperre, Anwaltsverhaftungen, der Debatten über Todesstrafe und Sicherungsverwahrung, der Verbunkerung von Gefängnissen, der gewaltsamen Auflösung des Frankfurter Gefangenenrates usw. nicht glauben können. Die Mitverwaltung ist für die Administratoren eine Einrichtung, die nach dem Prinzip des „Teile und herrsche" die Gefangenen spalten und selbst verwalten soll. Wie man mit denjenigen Gefangenen am besten zurechtkommt, denen man mit psychologischen Methoden und den ähnlichen, aber älteren Mitteln der Kirche ein schlechtes Gewissen verschafft, so kommt man mit den Gefangenen insgesamt am besten zurecht, wenn man in ihrer Mitte die Institution, die sie verwaltet, die Anstalt, in verkleinerter Form als Mitverwaltung der Gefangenen, wählen läßt. So erscheint es den Gefangenen, als hätten sie etwas gewählt, was sie gegen die Verwaltung vertritt, während sich in Wirklichkeit in dem, was sie gewählt haben, die Verwaltung gegen die Gefangenen vertreten läßt — durch die „Interessenvertreter", Wer sich dann beschwert, erfährt, daß er sich gefälligst bei den „Interessenvertretern" beschweren soll: fürs schlechte Essen, für den ausgefallenen Film, für die schlechte Beheizung sind sie verantwortlich. Die Mitverwaltung ist auch nichts Neues. Sie geht hervor aus einer jahrhundertelangen Spaltung der Gefangenen durch eine Hierarchie von Funktionen, mit der die Kontrolle über sie verstärkt wurde. Die Gefangenen sich selbst mit verwalten zu lassen, hatten schon längst vergangene Regimes entdeckt. Bereits im Mittelalter, mit der Entstehung der Gefängnisse, gab es besonders bevorrechtigte Gefangene, die als Vorarbeiter und Antreiber eine Rolle in dem subtilen Mechanismus der Bestrafung und Ausbeutung Bestrafter spielten. Zunächst wurde versucht, bestimmte ausgewählte Gefangene aus der anonymen Masse der übrigen herauszulösen und ihr gegenüber zu stellen oder sie als kontrollierende und rückmeldende Sonde in der Masse der Gefangenen zu benutzen: als Aufseher und Antreiber einerseits und als Spitzel, auf den die Ahnungslosen hereinfallen. Im Lauf der Zeit ist man dann schließlich dazu übergegangen, die aus der Gemeinschaft herausgelösten Gefangenen als eine Gruppe von Vertretern der übrigen Gefangenen zu behandeln. Jeder Staat praktiziert in der Gefangenengesellschaft seine eigene Ordnung: der puritanische die gottgewollte Ordnung des Arbeitsmenschen mit dem patriarchalischen Antreiber; der faschistische die Ordnung nach Rassen und die Hierarchie der Befehlshaber bis hinunter in die Familie, also erst recht bis hinunter in die Zelle; und der demokratische sein Prinzip der Übereignung dessen, was man selbst will und tun könnte, nach oben, an die Parteien, an die Regierung, die Behörden, die den Willen des Wählers als Rohstoff aufsammeln und ihn zu dem verarbeiten, was sich in den Aufsichtsratssitzungen und Gremien als zweckmäßig erweist. Auch noch diese Demokratie findet in der reinen Diktatur eines Gefängnisses seine Entsprechung; die Gefangenen wählen — sowohl ihre Abgeordneten, deren Sicherheitsdebatten sie im Rundfunk hören können, wie ihre „Sprecher", die über den Speiseplan diskutieren. In allen diesen Stadien der Geschichte der Gefangenen kommen die Gefangenen selbst nicht anders zu Wort außer als Karikatur der offiziellen Ordnung; als patriarchalischer, bigotter Antreiber* als „Blockältester" oder Kapo, oder als der seifenglatte Typus eines heutigen „Interessenvertreters", dessen Interessen man wohl weiß, aber nicht welche er vertritt. Er verkörpert das demokratische Stadium der Gefangenengeschichte: die Gefangenen nicht mehr als Kettensträfling und Antreiber oder als KZ-Häftling und Blockältesten, sondern als den Wähler und seinen Abgeordneten. Doch mehr als die Geschichte außerhalb der Mauern ist die Geschichte der Gefangenen nach innen gerichtet. Die äußeren Veränderungen sind minimal (das Strafgesetzbuch ist älter als hundert Jahre), dagegen verändern sich die Namen, das Verständnis, die Einbildungen. Diesen falschen Schein über alles auszubreiten, ist eine der hauptsächlichen Funktionen der Mitverwaltung. Schon ihr Dasein, im wörtlichen Sinn, ist Schein, und für noch mehr Schein ist sie da.

Wer verwendet wen?

Es wäre unsinnig, generell, zu bestimmen, was man mit den Mitverwaltungen tun soll — ob man sie bejahen oder verneinen soll, ob man sie wählen soll oder nicht. Dafür kann es jeweils nur situationsbedingte Gründe geben. Denn wenn es Momente gibt, wo die Gefangenen durch ihre Lage gezwungen werden, für etwas zu kämpfen was sie klar erkennen können, dann werden sie auch alles aufnehmen, was sich dafür überhaupt als Hilfsmittel, als Waffe eignet — und sie werden überhaupt alles, was um sie herum ist, als Hilfsmittel und Waffe verwenden können. Warum sollten ausgerechnet die Mitverwaltungen davon ausgeschlossen sein? Die reiche Phantasie, der sichere, erfindungsreiche Instinkt derer, die kämpfen, wird sie in die richtige Stellung bringen, wo sie, zwar dem Namen nach noch dasselbe, im Inhalt jedoch schon etwas anderes sind. Während es jetzt den Administratoren gelingt, mit Hilfe der Mit Verwaltungen die Interessen der Gefangenen gegen die Gefangenen selbst zu verwenden, könnte es einmal sein, daß die Gefangenen einen Teil der Institution gegen die Institution selbst richten und sie damit von innen heraus aufbrechen. Die endlosen Debatten um die Speisepläne und das Radioprogramm bekommen auf diesem Hintergrund, angesichts der Möglichkeit, daß es einmal andere Debatten werden, ihren nüchternen Sinn. Es kann auch dabei bleiben. Es kann aber auch anders kommen. Die Gefängnisse könnten dann einmal nicht die Unfreiheit produzieren, sondern die Freiheit.

3.8. Anstaltszeitung — Gefangenenzeitung

Unter Anstaltszeitungen versteht man die hauseigenen Blätter, welche die Anstaltsleitung an die Gefangenen verteilen läßt und die sich auch den Anschein von Gefangenenzeitungen geben. Sie werden oft von der Mitverwaltung hergestellt, unter der Oberaufsicht eines Fürsorgers, Psychologen oder Oberlehrers. Im Normalfall sind es nicht mehr als Speisepläne und ein Organ für die Tagesbefehle der Anstaltsleitung. Diese Verlautbarungen von oben sind dann noch ergänzt durch die Verlautbarungen der Mitverwaltung, die den Gebrauch von Mülleimern, Putzlappen, Seife oder auch des Radios regeln, für das sie das Programm bestimmt. Manchmal schwellen diese Anstaltszeitungen zu einer beachtlichen Dicke an und geben sich den Anspruch einer eigenen Meinungsbildung der Gefangenen. Sie enthalten Schwulst. Ihr Seifenwasser „konstruktiver Kritik" ist derart verdünnt worden, daß nichts Echtes mehr übrig bleibt. Es sieht eben so aus wie eine Meinung, wenn alle Meinungen mit einer Ausnahme verboten sind. Es lohnt sich also nicht, an solchen Anstaltszeitungen mitzuarbeiten. Die sparsame Kritik, die man zwischen die Zeilen einfließen lassen könnte, wird bei weitem aufgewogen durch die Masse an konformer Anschmiererei, die sie sonst liefern. Ihr Boykott durch die Gefangenen wäre oft sinnvoller als der Versuch, sie irgendwie beeinflußen zu wollen. Allerdings werden sich wohl immer welche finden, die dafür ihren Namen und ihre „Meinung" hergeben werden, wie es auch immer welche geben wird, die sich als „Gefangenenvertreter" gegen die Gefangenen einsetzen lassen. Die einzige mögliche Alternative zu solchen Anstaltszeitungen wäre der Versuch, eine Gefangenenzeitung zu machen, in die sich Administratoren nicht einmischen können. Dieser Versuch ist natürlich von vornherein gegen die Interessen der Administratoren und der Kollaborateure gerichtet, und die Administratoren werden auch das harmloseste Erzeugnis einer „freien Meinung" der Gefangenen wie ein schweres Delikt verfolgen. Ein eigenes Schicksal zu haben, ist in dem Staat, in dem so vieles andere erlaubt ist, das schlimmste Verbrechen. Es ist ein Verbrechen der falschen Meinung. Es schließt alle anderen Verbrechen ein, bzw. macht sie erst möglich. Es ist also nur.konsequent, wenn in den Gefängnissen vor allem die freie Meinung unterdrückt wird. Was draußen mittels ununterbrochener Information geschieht, versucht der Knast mit Brachialgewalt: Zensur, Beschlagnahmung, Bunker. Und wo keiner mehr den Mund aufmacht, spricht umso lauter der Anschmierer.

Der „Samistad"

Eine Gefangenenzeitung herzustellen, kann von jedem unternommen werden — von einzelnen, von einer kleinen Gruppe auf einer Station. Der „Samistad" ist dabei für uns vorbildlich. „Samistad" ist ein russisches Wort und wird gebraucht als Bezeichnung der Untergrundliteratur, die in der Sowjetunion kursiert. Das sind alle die Schriften, die niemals Aussicht haben, von der offiziellen Presse und den Partei-Verlagen gedruckt zu werden: Artikel, Nachrichten, Chroniken, Bücher. Sie werden zunächst in einigen maschinegeschriebenen Exemplaren verbreitet, und diese Abschriften vermehren sich dann durch immer neue Abschriften. Es gibt eine Art Verpflichtung der Samistad-Leser, daß sie ihr Samistad-Exemptar mit mehreren Durchschlägen abtippen und weiterverbreiten. Auf diese Weise entstehen aus wenigen „Originalen" hunderte und tausende von Abschriften. Es ist also eine Literatur unter der Bedingung der Kontrolle, die ein Staat über die Literatur ausübt. Eine totale Kontrolle über Geschriebenes herrscht im Gefängnis. Eigen dich könnte man annehmen, daß es dann auch hier so etwas wie einen Samistad geben müßte. Es gibt ihn, allerdings in noch sehr unentwickelter Form. Es gibt zum Beispiel die mit Durchschlägen vervielfachten Flugzettel, die als Kassiber geschmuggelt werden, und es gibt regelrechte primitiv gemachte Zeitungen, die immer wieder neu auftauchen, von den Lesern immer wieder abgeschrieben und weitergegeben werden, bis sie in einer Razzia und Verlegungsaktion ihr Dasein beenden — um anderswo wieder aufzutauchen. Zwar haben sie kein langes Leben und sie sind auf ein paar Seiten beschränkt, aber immerhin gibt es sie und damit schon so etwas wie eine „Literatur" im Untergrund des Knasts, Oft werden auch Texte abgeschrieben, die den Umfang einer Broschüre haben, und auch Bücher — Lebensgeschichten über hunderte von Seiten, die nie eine Aussicht haben, irgendwo gedruckt zu werden, weil sie nicht in die Zielgruppenanalyse eines Verlages passen und nicht den Erwartungen des kultivierten Publikums, daß Gedanken immer schön sein müßten, entsprechen. Es gibt kaum eine Gruppe der Gesellschaft, die mehr zur Weltliteratur beisteuern könnte als die, die nicht zu Wort kommt.

Zum Abschluß noch ein paar technische Ratschläge: Eine Schreibmaschine ist zur Herstellung einer Zeitung wohl notwendig. Wenn man keine eigene hat, sollte man jemanden finden, der die Texte abtippen kann. Es sollte ein Maschine sein, die scharfe (und nicht breite, abgeplättete) Typen hat, womit man dann mehr Durchschläge machen kann. Dafür nimmt man dünnes Papier, Durchschlagpapier. Man bekommt es im Knast beim Einkauf, ebenso das Kohlepapier. Wenn du eine Schreibmaschine hast, kannst du damit auch drucken. Notwendig ist allerdings, daß die Maschine — wie oben schon gesagt — spitze Typen hat. Man spanne ein Kohlepapier in die Maschine (am besten noch einige Blatt Papier unterlegen) und beschreibt es — bei ausgeschaltetem Farbband — auf der Vorderseite, wo das Kohlepapier meistens einen Reklameaufdruck hat. Auf der Farbseite kann man nicht schreiben, weil man dann den geschriebenen Text nicht sieht. Dann streicht man etwas Ölfarbe (schwarz oder jedenfalls dunkel) auf eine glatte Fläche. Die Ölfarbe kann man sich über eine Bastelgenehmigung besorgen. Am besten eignet sich natürlich Druckfarbe. Schlechter verwendungsfähig ist Plakatfarbe, aber vielleicht kann man sie mit anderen Substanzen so mischen, daß sie ähnliche Eigenschaften (Zähflüßigkeit, nicht schnell trocknend) annimmt wie Druckfarbe. Man muß eben probieren. — Über die Farbmasse, die man gleichmäßig verstreicht, legt man dann das Kohlepapier. Die Schreibmaschine hat ihre Typen so in das Kohlepapier eingeschlagen, daß man es — vorausgesetzt man hat die richtige Farbe — in der An des Schablonendrucks als Schablone verwenden kann. Das Kohlepapier legt man mit der Farbseite nach oben auf die Farbe und drückt es dann fest, Dann braucht man nur noch ein Blatt nach dem anderen auf das Kohlepapier zu legen und mit dem Handrücken darüberstreichen. Der Abdruck auf dem Papier ist zwar ziemlich unscharf und nicht gerade schön, aber man kann ihn lesen. Das ist die Hauptsache dabei. Wenn die Farbe gut ist und man nicht zu stumpfe Typen in der Maschine hat und außerdem der Zeilenabstand nicht zu eng ist, kann man von einem Farbauftrag 30-50 Drucke machen, ohne nachzufärben. Wenn man mehr machen will, muss man die Schablone vorsichtig von der Farbe wegnehmen, neue Farbe verstreichen und die Schablone wieder drauflegen. Rings um die Schablone legt man am besten eine Umrahmung aus Papier, um die zu bedruckenden Blätter am Rand sauber zu halten. Wichtig: Beim Tippen so fest auf die Tasten schlagen, daß jeder Buchstabe durch die Kohlepapierschablone geschlagen wird. Auch eine normale Illustrierte oder Tageszeitung kann zum „Samistad" werden, wenn sie von den Lesern „kommentiert" und weitergegeben wird.

3.9. Zum Verhältnis „politische" Gefangene — „soziale" Gefangene

Innerhalb der Protest- und Widerstandsbewegungen der sechziger und siebziger Jahre gehörte der Knast zu den Institutionen, gegen die sich die Kampagnen richteten. Denn er stellte sich bald als Bedrohung für diejenigen dar, die sich in radikalisierter Form an dieser Bewegung beteiligten. Der Begriff der „politischen Gefangenen", der sich auf eine alte internationale Tradition stützt, kam auf, als es im Zuge der großen „Terroristen-Jagden" zu zahlreichen Verhaftungen, zu jahrelanger U-Haft unter härtesten Haftbedingungen und schließlich nach vom Staat und den Medien geführten politischen Schauprozessen zu politisch begründeten hohen Haftstrafen kam. Gefangene, die wegen „gewöhnlicher" Rechtsverstöße in dieser Zeit inhaftiert waren, berichten, daß Ansehen und Einfluß der Gefangenen, die den Stadtguerilla-Gruppen „Rote Armee Fraktion", „Bewegung2. Juni" u.a. zugerechnet wurden, auf Grund ihres Kampfes gegen die Haftbedingungen im Knast, nicht gering war. Die ersten großen Hungerstreiks, die vor allem von den Gefangenen aus der RAF geführt wurden, bezogen sich auch auf die Bedingungen, unter denen alle Gefangenen zu leiden haben. Die Forderungen beinhalteten die Gleichsteilung der politischen mit den übrigen Gefangenen und darüber hinaus Mindestgarantien für den Regelvollzug, also für alle Inhaftierten. Die Situation hat sich inzwischen geändert: Die Strategie des Staatsschutzes und seiner Presse hat den Hungerstreik zur stumpfen Waffe werden.lassen — nachdem am 9.11. 1974 Holger Meins an den Folgen seines Hungerstreiks gegen Isolationshaft und Sonderbehandlung starb. Die in den späteren Hungerstreiks von Gefangenen aus der RAF formulierten Forderungen nach Anerkennung als Kriegsgefangene bzw. Gewährung der Mindestgarantien der Genfer Konvention ist bei vielen „normalen" Gefangenen auf Befremden gestoßen — vor allem auch bei denjenigen, die selbst seit Jahren im Knast Widerstand leisten — auch wenn sie wegen „unpolitischer" Delikte inhaftiert worden waren. Seitdem wird auch infrage gestellt, daß diejenigen, die auf Grund ihres politischen Kampfes inhaftiere wurden, die Bezeichnung „politischer Gefangene" für sich allein in Anspruch nehmen können. Dennoch, es bleibt der Sonderstatus dieser Gefangenen: Ihre Vorgeschichte — bereits draußen „genießt" du als politisch Aktiver, als Linksradikaler eine Art Sonderstatus. Ihre Haftbedingungen — die allerdings auch jeden anderen Gefangenen treffen, der konsequent „Sicherheit und Ordnung der Anstalt" gefährdet. Ihre sozialen und politischen Zusammenhänge draußen — die Kontakte zu der eigenen politischen Gruppe, zu Unterstützungskomitees, zu Genossen von früher. Und schließlich auch ihr Ansehen unter den Mitgefangenen — sei es von Distanz und Fremdheit oder von Sympathie und Bewunderung bestimmt. Im folgenden einige Erfahrungen aus der Sicht eines „politischen Gefangenen":

„Politische Gefangene" — „normale Knackis"

Diese Unterscheidung ist grundsätzlich problematisch. Sehr viel praktischer, unabhängig von „ideologischen" Überlegungen, wird uns die Einteilung in Polit-/Normalknacki jedoch von der anderen Seite aufgezwungen; insofern als jeder, der als Politischer, Widerstandskämpfer, „Terrorist" einfährt, automatisch in den Genuß von Sonderbehandlung gerät. Um einen besonderen Status kommt der/die Politische nicht herum, was in der Regel heißt: Erstmal eine ganze Weile Isolation („verschärfte Einzelhaft") Knast im Knast. Erst nach geraumer Zeit kommst du mit „normalen" Knackis in Kontakt. Wenn überhaupt. Die Sonderbehandlung sieht je nach Knast verschieden aus. Obligatorisch dürfte sein: zusätzliches Vorhängeschloß an der Zellentür; du machst alles allein, Hofgang, Duschen, Einkauf, Arzt; alle Gemeinschaftsveranstal­tungen fallen flach; die Nachbarzellen sind nicht belegt; Fliegendraht vorm Fenster . . . Du bist dann schon bekannt wie ein bunter Hund. Die Knackis sehen dich ja zum Beispiel — zunächst einige — vom Fenster aus beim Hofgang. Sowas ist Knastgespräch, wer da verschärfte Einzelhaft hat. Und warum. Während der Iso kriegst du auch mehr oder weniger offene Solidaritätsbeweise der übrigen Gefangenen mit. Was nur selten als politische Sympathiekundgebung gemeint ist; das ist eher zu verstehen als „menschliche" Geste einem gegenüber, der unmenschlich behandelt wird. Denn daß Isolation mörderisch ist, wissen die Knackis sehr genau. Wie die Solidaritätsbekundungen im einzelnen aussehen, ist je nach Knast und Örtlichkeit verschieden; mindestens bekommst du bisweilen aufmunternde Sprüche zugerufen oder es zeigt dir jemand eine Faust.eine Zeitung, Kartenspiel oder so versucht reinzuschmuggeln. Es ist oft überraschend, welche Phantasie die Knackis dabei entwickeln. Beim ersten direkten Kontakt zu deinen Mitgefangenen — wie gesagt, meist nach einer Phase der Isolation — passiert folgendes: Du wirst von einer Woge ungeheurer Neugier („n richtiger Terrorist") vermischt mit einer guten Portion Sympathie überschwemmt. Die aber recht bald abebbt. Und dann einem allgemeinen Unverständnis bis Empörung weicht, was die Unsinnigkeit der schikanösen Sonderbehandlung angeht. Nur die Gefahr für dich: Du gerätst in eine Art Euphorie. Und siehst nicht, zunächst jedenfalls, daß die soziale Organisation des Knasts im wesentlichen auf Mißtrauen aufgebaut ist. Hast Illusionen, daß alles unheimlich dufte „Genossen" sind. Von dieser Euphorie wissen die Bullen natürlich auch und nutzen sie möglicherweise aus. Regelrechte Feindseligkeit aus einer allgemeinen Ablehnung gegen „Terroristen" gibt's sehr selten. Auch wenn in den Massenmedien solch ein Unsinn penetrant behauptet wird. Vor allem, wenn du mit den Leuten direkt Kontakt hast, verflüchtigen sich Vorurteile dieser Art sehr bald. Womit du auf jeden Fall rechnen mußt: daß die Gefangenen, mit denen du dich unterhältst, von den Schließern oder gar den Bullen ausgequetscht werden, was du fürn Typ bist, was du so erzählst etc. Ferner wird — auch wenn's nicht auffällt! — sehr genau registriert, mit wem du Kontakt hast.

Dieselben Spaltungsstrategien wie draußen

Nach der ersten Euphorie kommt bald die Ernüchterung: Daß der Knast ein verkleinertes Abbild der Gesellschaft ist, ist so richtig wie banal; Daß das aber konkret auch bedeutet, daß im Knast dieselben Spaltungsstrategien angewandt werden wie draußen — mit Erfolg! —, daß Gefangenen ihre eigene Kolonisation im Schädel mitproduzieren ~ das ist schon eine der greulichsten Erfahrungen im Knast. Andererseits ist manchmal erstaunlich, was die Knackis so von dir wegstecken. Nicht daß du dauernd am „Agitieren" wärst — Unsinn. Dazu hast du eh keine Gelegenheit. Aber einfach aus deinem Verhalten ticken die eine ganze Menge. Auch was das auf sich hat mit dem, was sie im Femsehen von den „Terroristen" mitkriegen. Wenn die „normalen Knackis" zu offensichtlich mit dir zusammenmachen, werden sie häufig zwangsverlegt. In andere Abteilungen. Regelrecht panisch reagieren die Schließer, wenn einer während der Iso mit dir Kontakt aufzunehmen versucht; was sich sowieso auf Zurufe beschränkt. Das gibt dann für die Knackis nicht selten ein „Hausstrafverfahren", d.h. Verbot von Gemeinschaftsveranstaltungen, Einkaufssperre oder ähnliches. Das heißt jedoch nicht, daß allein die Anstalt dafür verantwortlich ist, wenn eine Distanz und Fremdheit gegenüber den Politischen besteht. Die politischen Gefangenen werden von den übrigen Gefangenen immer noch nicht als etwas angesehen, was zum Gefängnis gehört wie sie selbst. Sie sind eine Aus­nahme. Dabei ist es nicht so sehr wichtig, was die politischen Gefangenen für politische Positionen haben, sondern wie sie sich überhaupt verhaken. Sie werden als etwas Exklusives angesehen und beobachtet. Und erst später spielt eine Rolle, was sie meinen. Zuerst spielt nur eine Rolle, wie sie, sich verhalten. Die Politischen werden von den Mitgefangenen auch nicht etwa nur als besonders stark Benachteiligte erlebt. Sie werden oft gleichzeitig als privilegiert angesehen und in gewisser Weise sind sie es auch; Wahrend die übrigen Gefangenen allenfalls in den widerlichen Seiten der Gerichts­berichterstattung als bloße Objekte der Justiz, als ihr Demonstrationsmaterial, er­scheinen, haben die Politischen draußen eine gewisse Öffentlichkeit, einen Umkreis von Leuten, auf die sie sich beziehen können, die sich jedenfalls mit ihnen identifi­zieren, sie unterstützen. Das haben die „normalen" Gefangenen nicht. Es sind höchstens einzelne, die sich um sie kümmern — Angehörige, Freunde — meistens nicht einmal das. Die Politischen haben einen Anwalt — und zwar einen der sich um sie kümmert, was sonst selten ist. Sie werden mit Zeitungen und Geld für den Einkauf versorgt und bekommen Briefe. Alles das also,, was ein normaler Gefangener entweder nur in einem sehr geringen Maße oder überhaupt nicht hat. Die „Privilegierung" wird also nur durch den eigenen sozialen und politischen Zusammenhang draußen geschaffen und nicht durch die Institution — die alles tut, um das abzuschneiden. Die Haftbedingungen haben sich für alle Gefangenen in den letzten Jahren tatsäch­lich verschlechtert, und manche Gefangenen werden dafür die Politischen irgendwie verantwortlich machen. Auch die ganzen Fahndungen, bei denen keine „Terroristen" geschnappt, dafür aber hunderte von Autodieben aufgebracht worden sind, spielen da natürlich eine Rolle. Aber inzwischen ist auch durchschaubar geworden, daß die allgemeinen Verschärfungen nicht nur auf die Politischen abzielen, nicht nur ihnen „zu verdanken" sind, sondern überhaupt garantieren sollen, daß die Knaste auch morgen noch regierbar bleiben. Zur Zeit muß auch noch eine andere Gruppe von Gefangenen als Vorwand für die immer weitergetriebenen Haftverschärfungen herhalten: Es sind die wegen Drogengeschichten Einsitzenden. Vielleicht werden es morgen die Ausländer sein.

3.10. Sexuelle Beziehungen im Männerknast

Wir haben zu diesem Thema drei sehr unterschiedliche Beiträge zu­sammengestellt: Im ersten Beitrag beschreibt ein Gefangener wie er die Unterdrückung der Sexualität erlebt und wie er darauf reagiert („Das Gemeinste am ganzen Knastsystem"). Danach lassen wir — wie es sich bei diesem Thema gehört — auch einen Pfarrer zu Wort kommen, der längere Zeit als Anstaltspfarrer tätig war. Seine Arbeitskreise wurden von den Gefangenen zu Gesprächen über dieses Thema genutzt. Auf das, was dort an Fragen und Problemen zur Sprache kam, geht dieser Beitrag ein („Sex im Knast"). Im letzten, etwas abstrakteren Beitrag setzt sich ein ehemaliger Gefangener damit auseinander, wie sich die Sexualität unter den Bedingungen des Eingesperrtseins verändern kann. • Die Sexualität im Gefängnis existiert in den Beschreibungen der kriminologischen Fachbücher und Zeitschriften nur in Gewalttätigkeiten, Vergewaltigungen, Prostitution, Perversion. In dem Beitrag wird dies als „Sexualität der Justiz" erkannt, der eine Sexualität der Gefangenen entge­gengesetzt wird, die auch die Verteidigung, den Widerstand gegen ein lebensfeindliches Prinzip enthält („Die Veränderung der Sexualität"). Im ganzen Abschnitt ist nur von Männern die Rede; Erfahrungen von Frauen mit der „Liebe im Knast" sind im Frauenteil unter Abschnitt 6.1. zu finden. Das Thema Sexualität im Knast war ursprünglich überhaupt nicht vorge­sehen, denn das — so schien es uns — gehört nun wirklich nicht in einen „Ratgeber". Kein Abschnitt dieses Buches war.unter uns so umstritten, wie dieser: Es sei eine Verhöhnung der sexuellen Einsamkeit und eine Verharmlosung der sexuellen Gewalttätigkeit im Knast wenn hier gepredigt werde, die Selbstbefriedigung zu genießen und die Berührungsängste gegenüber Mit­gefangenen abzubauen. Dies fanden vor allem diejenigen u nter uns, die den Knast nur von außen kennen. Es waren aber gerade die Knasterfahrenen, die darauf drängten, dieses Thema nicht auszuklammern und die sich von den vorliegenden Beiträgen eine entkrampfende, die Verdammnis um dieses Thema etwas lüftende Wirkung versprechen.

Das Gemeinste am ganzen Knastsystem

Au Backe, ja, Sexualität. Die Unterdrückung derselben ist wohl das Ge­meinste am ganzen Knastsystem. Ein unheimlicher Horror, diese völlige Vernichtung der Intimsphäre; schlimmer noch als das Alleinsein, absolut tödlich über einen längeren Zeitraum hinweg —bleibt einem nix weiter als das Wixen. Darüber groß zu jammern wäre falsch. Du m u ß t halt so zu­rechtkommen — und dabei noch versuchen, nicht kaputtzugehen. Allgemeine Regeln fürs sexuelle Überleben lassen sich wohl kaum aufstellen. Ich will versuchen, anhand meiner Figur e i n Beispiel aufzei­gen; wie ich also versuche, damit fertigzuwerden; was ich gegen den Verfall unternehme, Nach fünfzehn Monaten wird die Stimulierung zum Problem. Die Phantasie, die keinerlei Anregungen mehr erfährt, läßt nach. Du stellst auf einmal fest, daß es nicht mehr reicht, an eine bestimmte Braut zu denken, um einen hochzukriegen. Stellt sich also konkret die Frage nach Wixvorlagen. Hast du einen gewissen Bewußtseinsstand bezüglich der sexuellen Unterdrückung in diesem verpissten System erreicht; hast du gar schon versucht, das Wissen um bestimmte Beziehungen zwischen beispielsweise Sex und Aggression oder zwischen Erotik und Werbung etc. in die Praxis umzusetzen — so bedeutet das nun ganz konkret einen Rück­schritt, einen Zurückfall in deine individuelle sexuelle Steinzeit. Du darfst also erotische Stimulierungen nicht mehr aus der Wirklichkeit, von wirklichen Menschen beziehen, sondern nur noch von einer vorgegaukelten Scheinrealität auf Hochglanzpapier, mehr oder weniger ästhetisch abgelichtet. Das ist finster, sehr finster. Klar, selbst der schlechteste Porno macht dich an, aktiviert deine Triebe — dagegen bist du eigentlich wehrlos. Ich bin über ein Jahr ohne ausgekommen, zehrte noch so lange von meiner Phantasie. Wenn du aber dann feststellst, daß dir deine ganze schöne Phantasie den Schwanz kaum noch bewegt- und dich das geringste Geräusch an der Tür zwingt, wieder von vorne anzufangen — dann muß einfach was geschehen. Dann hast du einen Punkt erreicht, wo du entweder was für dein Überleben tun mußt oder dein Sex geht zum Teufel. Davon abgesehen, daß das stumpfsinnige Onanieren mit halbschlaffem Schwanz sogar zu physischen Defekten führen kann, frustriert ungemein. Es verschafft kein Gefühl der Befriedigung sondern der Verzweiflung, der Trauer. Es macht deine Sehnsucht nach lebendigen Menschen so unendlich groß, daß du davon verrückt werden kannst. Ich bin nach wie vor erbitterter Porno-Gegner, Nachdem ich mich damit Erotik zu erhalten. Das heißt bevor ich auch nur einmal so'n Drecksporno, der von Frauenfeindlichkeit und Erniedrigung nur so stinkt, in die Hand nehme, verzichte ich lieber zwei Tage auf die gewohnte Intim-Gymnastik. Glücklicherweise gibt es aber auch erotische Darstellungen, die gut und schön sind; die Sexualität nicht von Erotik trennen. Dazu zählen z.B. gewisse Comix (womit ich nicht den kaputten Frauenhasser Crumb meine) oder Tantra-Darsteliungen. Naja, erotische Romane gibts dann schließlich auch noch. Was mir noch aufgefallen ist; Daß man hier drinnen viel intensiver über den ganzen Komplex der Sexualität nachdenkt, als dies jemals draußen der Fall war. Und daß das ganz enorme Erkenntnisse mit sich bringt — wenn gezielt und . offen nachgedacht wird. Mir sind jedenfalls schon etliche, hundertmal längst durchgegrübelte Geschichten plötzlich wie nagelneue Seifensieder aufgegangen. Auch über Homosexualität denkt man auf einmal viel intensiver nach. Der kleine schwule Bursche in dir wird nicht länger verdrängt, sondern du bist auf einmal gezwungen, dich mit ihm zu beschäftigen. Und dann fragst sich auch der eingefleischteste Hetero, ob das Bisherige nun wirklich das Gelbe vom Ei war und wovor er eigentlich immer Angst hatte . . . Soweit ich das bis jetzt übersehe, bedeutet der Knast alles andere als ein sexuelles Eldorado für unsere warmen Brüder. Kaum ein Schwuler zeigt bzw. wagt es, seine Vorliebe für Männer zu zeigen, Schwule im Knast werden oft ähnlich wie Ausländer oder „Kinderficker" behandelt. Mit einem Schwulen unterhalte ich mich seit einiger Zeit darüber. Ich frage ihn Locher in den Bauch und lerne Etliches — auch über mich selbst, d.h. er stimmuliert mich, über mich nachzudenken.

Sex im Knast

Eigentlich lassen sich ja zu diesem Thema noch weniger als zu anderen konkrete Ratschläge geben. Wir haben aber in Diskussionen im Knast ge­merkt, wie viele zum Teil völlig blödsinnige oder vorsintflutliche Vorur­teile und Ängste sich mit dem Thema auch heute noch verbinden und von Eltern, Lehrern, Ärzten, aber auch in Büchern und Zeitschriften verbraten werden. Und nicht jeder, der bei dem „Thema Nr. .1" das Maul weit auf­reißt, ist tatsächlich der große Sachkenner. Wir meinen aber, daß es möglich sein müßte, auch über Sexualität und was einem dabei zu schaffen macht, ganz vernünftig miteinander zu reden, ohne gleich ins Blödeln 2u verfallen. Ich erinnere mich an ein paar Gruppendiskussionen in einem Ar­beitskreis im Knast, die waren wirklich Spitze. Versuch das auch einmal, wenn du ein paar Leute hast, mit denen man vernünftig reden kann. Blende dieses Thema nicht aus, weil's zu „heiß" oder zu „doof" ist. Und wenn je­mand unbedingt seine Wit2-Show abziehen muß: laß ihm den Spaß, lach besonders herzlich, denn er hat's bestimmt nötig!

Was man sich so unter Sexualität vorstellt

Es gibt einen Kinderreim, der ganz gut beschreibt, was „man" sich so unter Sexualität, unter „normaler" Sexualität, vorstellt: „Licht aus, Licht aus' Mutter zieht sich nackt aus, Vater holt den Dicken raus, einmal rein, einmal raus, fertig ist der kleine Klaus." Nun kann man sich das ja noch ein bißchen ausführlicher und lustvoller ausmalen, was hier so kurz und treffend mit „einmal rein, einmal raus" um­schrieben wird. Und fast alle Sexfilme, Sexbücher und -witze leben von die­sem einen, unerschöpflichen Thema: die normale Sexualität, das ist der Beischlaf. Der Mann steckt seinen steifen Schwanz in die Mose einer Frau, dann bewegt man sich ein paar Minuten auf- und untereinander, bis es bei einem oder bei beiden Partnern zum Orgasmus kommt. Da gibt es dann noch die verschiedensten Stellungen, ganze Bibliotheken sind schon darüber geschrieben worden. Im Knast ist diese Form von sexueller Betätigung so gut wie ausgeschlossen — jedenfalls in-der U-Haft und im geschlossenen Vollzug. „Die Unter­drückung der Sexualität ist wohl die gemeinste am ganzen Knastsystem" schreibt ein Gefangener, „ein unheimlicher Horror, diese völlige Vernich­tung der Intimsphäre; schlimmer noch als das Alleinsein, absolut tödlich über einen längeren Zeitraum hinweg — bleibt einem nix weiter als das Wixen". Was er hier beschreibt, ist klar: Sexualität könne sich im Knast nur in einer entwürdigenden Ersatz-Form äußern, die eigentlich für jeden „normalen" Mann unzumutbar sei: ungenießbar wie Ersatzkaffee. Nicht zufällig ist „du Wichser!" eines der schlimmsten Schimpfwörter im Knast. Wichsen, Selbstbefriedigung, Onanie, Masturbation, Sich-einen-runterhoien usw. usw. — viele Wörter für eine eigentlich sehr natürliche und selbstverständ­liche Sache. Aber die meisten von uns sind von klein auf drauf gedrillt worden: das tut man nicht, das ist bäbä — oder ganz schlicht und besonders wirkungsvoll ein Klaps auf die Finger, wenn sie sich mal unter die Gürtellinie verirrten; zumindest aber ein strafender Blick und die Erklärung, dass man „dafür“ denn doch schon zu alt sei...So fing das bei uns schon im zarten Kindesalter an, ging weiter in der Schulzeit – bis wir schliesslich selbst davon überzeugt waren: sich selbst geschlechtliche Befriedigung zu verschaffen ist Murks, Pfuscherei. Wir tun es, gelegentlich, wenn wir nix besseres finden, und dann hastig, unter der Bettdecke, auf dem Klo. Mit Lust hat das wenig zu tun, man bringt's halt hinter sich wie Zähneputzen. „In gewisser Weise wirst du während vieler Formen der Selbstbefriedigung durch deine Hände vergewaltigt, und da du der Vergewaltigende bist, richtet sich dein Arger gegen dich selbst". Wer hat das im Knast noch nicht erlebt, was J.JL Rosenberg da herausgefunden hat: Selbstbefriedigung kann zur Selbstbestrafüng, Selbstvergewaltigung werden. Viele flüchten sich dann in immer aggressivere Phantasien hinein, und ohne das können sie gar nicht mehr zum Orgasmus kommen.

Sich selbst entdecken

Dagegen möchte ich einen anderen Weg vorschlagen: Lerne es, die Selbst­befriedigung zu genießen! Das geht auch im Knast. Wichtig ist, daß du einigermaßen sicher sein kannst, nicht gestört zu werden. Die Zeiten, in denen kaum ein Grüner unterwegs ist, bekommst du schnell heraus. Und wenn du deine Zelle mit jemand teilen mußt, ist es besser, ihr sprecht über eure Art, mit Sexualität umzugehen, als daß es jeder „heimlich" unter der Bettdecke macht. Viele benutzen irgendwelche Wixvorlagen, um sich in Stimmung zu bringen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich in die eigene Phantasie zu vertiefen, statt sich mit den langweiligen Illustrierten-Girls anzutörnen. Entdecke deine Phantasie! Erlaube dir, mit deinen Phantasien mitzugehen! Es ist erstaunlich, wohin unsere Phantasie führt, wenn wir uns ihr überlassen. Und genauso gilt: entdecke deinen Körper! Dazu findest du Anregungen in anderen Abschnitten des „Knastratgebers", bei den Atmungs- und gymnastischen Übungen. Denke daran, daß deine ganze Haut, nicht nur dein Schwanz, sexuell erregbar ist. Streichele dich an allen möglichen Stellen und lerne dabei, wo du besonders lustvolle Empfindungen hast. Manche können das besser mit Gleitmitteln, mit Öl oder Vaseline oder mit Körperlotions (ohne Alkohol).' Weitere Anregungen findest du in den Büchern „Der selbstbefriedigte Mensch" von V.E. Pilgrim und „Orgasmus" von J.L. Rosenberg (siehe Bücherliste am Schluß). Wichtiger als eine raffinierte Onaniertechnik ist aber allemal, daß du lernst, nett zu dir selbst zu sein — und das in einer Umgebung, in der kaum einer nett zum anderen ist..

Berührungsängste

Es sieht so aus, als wäre das Problem der Geringschätzung von Homosexu­alität in manchen Frauenknästen schon sehr viel fortschrittlicher, freier er­kannt und diskutiert, als wären schon mehr Lösungsmöglichkeiten erprobt. Zumindest sieht man in Frauenknästen öfter Frauen, die Arm in Arm gehen, sich um den Hals fallen, küssen. Das alles ist in den Männerknästen (noch?) tabu. Es gilt eben als unmännlich, schwul. Dabei wäre zu­mindest das ein guter Weg, aus der totalen Isolierung und Verkümmerung herauszukommen. Wem nützt denn diese Berührungsangst? Gewiß, wir werden anfälliger für den Schmerz und die Trauer bei Verlegungen und sonstige Trennungen, wenn wir intensive, auch körperliche Beziehungen und Berührungen eingehen und zulassen. Aber dieser justizförmige Irr­sinn, daß die Gefangenen selbst alle Zärtlichkeiten unter Gefangenen ver­folgen, lächerlich machen, mit Strafe belegen — der muß irgendwann einmal verschwinden!

Schwule

Als Schwuler wird man im Knast nicht nur durch die Beamten, sondern auch von einem Teil der Gefangenen diskriminiert. Entweder du wirst geschnitten oder — was noch häufiger ist — gehänselt und verspottet. Da gibt es natürlich den Weg, das Schwulsein zu verbergen und zu hoffen, daß es keiner merkt. Es sind aber immer mehr Schwule im Knast auf den Trichter gekommen, daß mit ihrer Unterdrückung oder gar Ausbeutung nur durch ein offensives Schwulsein Schluß gemacht werden kann — sowie dies auch draußen immer mehr Schwule erkennen. Das kann so aussehen, daß du dich mit anderen Schwulen -—natürlich auch Nichtschwulen — zu­sammentust und ihr gemeinsam auf die Spötteleien von Mitgefangenen während der Arbeit oder während des Hofgangs reagiert — selbstsicher reagiert. Die Beamten verhalten sich meist dann gegenüber den schwulen Gefange­nen zurückhaltend, wenn ihnen klar wird, daß es sonst Ärger auf der. Station gibt. Ihr könnt die Situation der Schwulen im Knast auch mal zum Thema eines kirchlichen Arbeitskreises, einer Gesprächsgruppe oder einer anderen Gemeinschaftsveranstaltung machen, in die vorher möglichst viele Schwule reingegangen sind. Vielleicht läßt sich auch die Einrichtung einer Nehmt Kontakt zur Schwulenbewegung draußen auf. Im Kontaktadressenteil findet ihr dazu einige Adressen. Bei dem Kapitel „Sexualität" wird die Grenze des Knastratgebers besonders deutlich: Wir können eigentlich nur Anregungen geben, das Thema in die ernsthaften Gespräche und Diskussionen im Knast mit einzubeziehen, Leute von draußen einzuladen, die dazu was sagen können, Kontakt mit Gruppen draußen aufzunehmen — und jedenfalls nicht bei der resignierten Feststellung stehenzubleiben, daß die Unterdrückung der Sexualität „wohl das gemeinste am ganzen Knastsystem" ist.

Die Veränderung der Sexualität

Die Inhaftierung bedeutet auch, daß man von Sexualität abgeschnitten wird, und das bedeutet nicht einfach nur von anderen Menschen abge­schnitten zu werden, zu denen man eine sexuelle Beziehung hat, sondern daß man in einen Zustand versetzt wird, der von vornherein künstlich ist — wie überhaupt der Knast einen Menschen in einen künstlichen Zustand versetzt, nämlich der Isolation von sozialen Beziehungen, der versuchten Aushungerung der emotionalen Beziehungen zu andern. Die Verhaftung bedeutet also vordergründig zunächst einen Verzicht auf Sexualität. Aber gerade das ist nicht der Fall. Denn Sexualität ist etwas so elementarisches, lebensnotwendiges, daß auch die im Knast versuchte Iso­lation sie nicht unterbrechen kann. Der Knast kann sexuelles Bedürfnis vielleicht verbiegen, aber nicht unterbrechen. Das Bedürfnis ändert sich und paßt sich an die veränderte Situation an. Die Situation ist das Einge­sperrtsein. Das heißt, daß man allein gelassen wird mit einem Bedürfnis, das sich auf andere richtet. Dieses Bedürfnis wird sich dann, weil es einfach nicht zu unterbinden ist, auf einen selbst richten. Man ist also konfrontiert mit einem Bedürfnis, das keinen anderen Ausweg mehr laßt, als sich selber an sich selber zu befriedigen. Die Ängste, die damit verbunden sind, sind ein Teil der Unterdrückung, die ein Gefangener erfährt. Weniger als in anderen Teilen des Ratgebers kann auf dem Gebiet der Sexualität eine Norm angegeben werden, wie man sich am „zweckmäßig­sten" verhält. Trotzdem ist es vielleicht eine gewisse Hilfe für den ein­zelnen, wenn ich hier die Situation, wie ich sie erlebt und beobachtet habe, zu beschreiben und in der Beschreibung Lösungsmöglichkeiten aufzuzei­gen versuche. Dabei geht es vor allem darum, Ängste abzubauen und die Sexualität im Knast, also die Sexualität des Einzelnen und die Sexualität die sich auf die Männer richtet, angstfrei zu beschreiben. Denn: Wie man sich verhält und unter welchen Ängsten man leidet, ist auch abhängig davon, wieweit man in der Lage ist, diese Ängste auszudrücken und im Gespräch mit anderen zu klären.

Die Isolation

Das Abschneiden eines Menschen von seiner Gesellschaftlichkeit soll ihn zu dem Zweck der Justiz zur Verfügung stellen. Er soll sich gefügig machen lassen. Das wird versucht mit einer Isolierung — Isolierung von allen seinen bisherigen Lebenselementen. Und wenn ein solcher aus seinen bis­herigen Lebenselementen herausgenommener Mensch in das völlig künst­liche Lebenselement der Justiz versetzt wird, dann bedeutet das erzwunge­ner Verzicht auf einen Teil seiner selbst. Dieser Verzicht wird auch auf sexuellem Gebiet versucht. Doch ein selbst vollzogener Verzicht auf Sexualität bedeutet eine Gefügigkeit auch auf anderen Gebieten. Niemand kann auf ein elementares Bedürfnis verzichten, ohne daß sich sein ganzes Ich verzerrt. Das immer wiederkehrende Bedürfnis, das sich nicht mehr ausdrücken kann, wird sich dann andere Wege zur Befriedigung suchen — in einer scheinbar nicht sexuellen Sphäre, vielleicht auch in der Krankheit.

Die Sexualität der Justiz

Welche Zerstörung die Justiz auf diesem Gebiet mit Menschen anrichtet, kann man auch bei vielen Beamten beobachten, die eine perverse Form der Sexualität, den Sadismus, ausleben. Dafür gibt es erlaubte Gelegenheiten und Riten der Erniedrigung von Gefangenen: die Entkleidung zum Bei­spiel beim Zugang oder die Entkleidung in der Beruhigungszelle. Die per­verse Form der Intimität, die hier geschaffen wird, ist angefüllt mit der unterschwellig sexuellen Vorstellung und Sprache der Beamten. Diese Form der sadistischen Perversion der Beamten ist von der Institution des Knasts in hohem Maße toleriert. Gegen sie gibt es keine Rechtsmittel, sie ist ausdruckslos, und es würde bereits ein Delikt — „Beamtenbeleidigung" —- bedeuten, sich dagegen in Worten und mit Anzeigen zu wehren. Auf der anderen Seite versucht die Institution Justiz, die Sexualität der Gefangenen zu unterbinden, weil sie die künstliche Vereinzelung durch den Schmutz. Dem Vorbild der Perversion der Beamten steht die versuchte emotionale Verarmung und Verschuldung der Sexualität der Gefangenen gegenüber. Damit wird versucht, die Gefangenen sexuell zu pervertieren, das heißt auf solche „anständigen" Ersatzbefriedigungen — auf eine unterschwellige Sexualität, die sich nicht sexuell äußern darf, abzudrängen und dadurch einen Menschen in seinen Ausdrucksmöglichkeiten aufs Äußerste zu be­schränken. Wer sich darauf einschränken läßt, wird sich vielleicht auf anderen Ge­bieten ebenso gefügig machen lassen. Die geforderte Unterwerfung bedeutet nicht nur die Unterwerfung eines einzelnen Bedürfnisses, son­dern eines Bedürfnisses, das grundlegend für alle andern Bedürfnisse ist.

Phantasie und Sexualität des Einzelnen

Sexualität ist etwas, was sehr viel mit Phantasie zu tun hat, mit Vor­stellung, Erinnerung. In der Isolation bedeutet die Phantasie etwas, was das Leben draußen ersetzen muß, sie bedeutet einen Ersat2 für das Nicht-leben draußen, einen Ersatz für wirkliche Personen, einen Ersatz für Ge­sellschaft. Ohne Phantasie kann Sexualität sich nicht entfalten. Phantasie versucht, sich den andern vorzustellen, sich in den andern hineinzuver­setzen, und sie bedeutet damit einen wesentlichen Teil des Umgangs mit andern. Denn auch draußen ist es so, daß nicht nur die Körper miteinander umgehen, sondern auch die Phantasien. Die Phantasie kann sich auf den einzelnen selbst richten, und sie kann sich auf andere richten. Sie kann andere als Figuren oder Objekte der eigenen Wünsche erscheinen lassen. Man sollte nicht versuchen, diese Phantasie, weil sie Ängste hervorruft, einzudämmen. Man sollte im Gegenteil ver­suchen., diese Phantasien auszudehnen, sie zu dramatisieren, die Vor­stellung der Nichtvorhandenen und einer nicht vorhandenen Gelegenheit des Umgangs mit ihnen auszubauen, sie zu „inszenieren". Phantasie ist eines der wenigen Mittel, die einem Gefangenen übrig bleiben, um seine Isolation zu durchbrechen. Es ist zugleich das Mittel, durch das sich seine Sexualität erneuern kann. Es gibt ja nicht nur die Sexualität zwischen Mann und Frau und zwischen Männern, Sondern wenn man davon ausgeht, daß die Sexualität ein Bedürfnis ist, das nicht ohne die Zer­störung eines Menschen zu unterbrechen ist, wie Hunger und Durst, muß man auch die Sexualität des Einzelnen als etwas anerkennen, was unter der Bedingung der Isolation mindestens den gleichen Rang hat wie die Sexuali­tät zwischen Mann und Frau und die Homosexualität. Die Sexualität des Einzelnen ist auch nicht zu verkürzen auf den Begriff Onanie, Selbstbe­friedigung, weil dadurch die ganze Dimension der Phantasie wegfallen würde. In der sexuellen Beziehung mit andern ist der einzelne ebenso einzeln.. Nur durch seine Phantasie ist er mit anderen verbunden. In weicher Weise er durch Phantasie mit anderen verbunden ist, bestimmt wesentlich die Art seiner Sexualität. Man kann also annehmen, daß die Sexuaiität des Einzelnen eine Art Beziehung zu anderen ist, die sich zwar von allen anderen sexuellen Beziehungen unterscheidet, aber trotzdem immer noch eine sexuelle Beziehung ist — und damit gleichrangig mit anderen Formen der Sexuaiität — die sich ja auch nicht beschränken lassen auf Heterosexualität und Homosexualität.

Das sexuelle Bild und die sexuelle Vorstellung

Wie notwendig die Phantasie bei Sexualität ist, zeigt sich darin, daß es auch für sie einen Ersatz gibt: das sexuelle Biid. Es bedeutet eine Verhinderung der. eigenen Phantasie und damit eine Verhinderung der Individualität, wenn etwas so Persönliches wie die eigene Sexualität durch etwas Fremdes wie ein Bild stimuliert wird. Vielleicht ist das der Grund, warum solche stimulierenden Bilder an den Wänden der Zellen von der Institution geduldet werden. In der sexuellen Vorstellung wird dagegen eine Situation geschaffen, die persönlichen Charakter hat und sich der Kontrolle durch die Institution entzieht.. Die sexuelle Vorstellung hat die Tendenz in sich, sich auszuweiten und zu dramatisieren. Sie ist nicht nur eine Vorstellung vom andern, sondern eine Vorstellung von einem andern Leben mit andern dem die üblichen sexu­ellen Rollen aufgehoben sein können. Dieser Phantasie sich hinzugeben bedeutet nicht einfach einen Ersatz für Nichtvorhandenes, sondern eine Möglichkeit der eigenen Verwirklichung. Denn je mehr man mit ihr umgeht, desto mehr wird sie sich vernünftig machen, d.h. zum Gedanken über ein verändertes Leben mit andern werden. Die Phantasie hat die Tendenz, sich einem körperlichen Akt zu widersetzen, sie verzögert unmittelbare Befriedigung und Entspannung durch das Interesse, das sie erzeugt. Auch der Umgang mit Phantasien braucht eine gewisse Übung und Überlegung, und man muß wissen, wie man sich auf Phantasien konzentrieren kann, um sie deutlich wahrzuneh­men. Wie beim Denken bedeutet auch bei der Phantasie Konzentration deutliches Wahrnehmen. Die vorgestellte Szenerie wird dadurch intensiv und wirklich. Die Beschäf­tigung mit ihr enthält eine eigene Form der Befriedigung, die weit lustvoller ist, als die sexuelle Entlastung ohne Vorstellung.

Die Träume

Die Phantasie, die von der gewöhnlichen Angst im Umgang mit andern ständig gehemmt wird, setzt sich schließlich durch in den Träumen. In den Träumen erscheinen die durch ein unbewußtes Gewissen nur noch gestör­ten Wünsche. Damit erscheint aber auch die Institution, der ein Gefange­ner ausgeliefert ist, in ihrer ganzen Brutalität und Widersinnigkeit. Die Träume nehmen radikal Partei für den einzelnen. Unter Umständen sind sie der einzige Verteidiger, den einer hat. Die Träume sind auch wirk­licher als Gedachtes, Gesprochenes, weil sie ihre eigene optische Wahrneh­mung haben. Sie erscheinen in Bildern und Szenen, in einer eigenen Reali­tät. Diese Realität, die sie hervorbringen, ist vor allem das Bild des Gefäng­nisses, des Gefangenseins. Die Träume zeichnen dieses Bild so, wie es zur Verteidigung des Gefangenen notwendig ist: als Grausamkeit und Gewalttätigkeit gegenüber einem hilflosen, verängstigten Wesen, einem Kind ... Wie die Träume die Realität parteilich verzerren, damit aber nur die Ohnmacht des einzelnen ausdrücken können, so versuchen sie auch, dem einzelnen zu Macht zu verhelfen, je gewalttätiger und grausamer der Zustand ist, den sie widerspiegeln, desto gewalttätiger wird auch die Verteidigung sein, die die Träume vorstellen. Damit aber erscheint die Gefahr, daß sich die unbewußte Phantasie als Antwort auf die Gewalt, die einem Individuum angetan wird, mit Gewalt­tätigkeit erfüllt und auch die sexuellen Vorstellungen von dieser Gewalt­tätigkeit beeinflußt werden. Die Gewalttätigkeit, die man in sich spürt, er­zeugt dann Schuldgefühle und den Versuch, die aufkommenden Phantasien zu verdrängen und auf diese. Weise loszuwerden. Das Ver­drängte erscheint dann wieder in den Träumen, und damit ist der Kreis ge­schlossen. Für diese typische Situation des Unbewußten eines Gefangenen eine Lö­sung zu finden, kann hier natürlich nicht versucht werden. Doch gibt es in jedem Fall die Möglichkeit und auch Notwendigkeit, mit den eigenen Träumen umzugehen. Das ist im Gefängnis vielleicht noch viel notwen­diger als draußen, denn gerade unter extremen Zuständen entstehen extreme Verschiebungen des Gefühlslebens.

Der "alte" Ratgeber