18. Die Gefängnismedizin

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18. Die Gefängnismedizin

18.1. Wie man sich gegenüber Sanitäter und Gefängnisarzt verhält

Hast du Beschwerden, mit denen du nicht allein fertig wirst, so bist du auf die Gefängnismedizin angewiesen. Du kannst dich jedoch nicht darauf verlassen, daß du automatisch die notwendige Behandlung bekommst. Es sind schon einige Anstrengungen nötig, um überhaupt ernstgenommen zu werden. Wir beschreiben zunächst, wie man sich allgemein gegenüber der Gefängnismedizin verhalten kann. Anschließend zeigen wir an einem konkreten Beispiel, wie man sich gegen die Gleichgültigkeit des_der Gefäng­nisarztes_ärztin durchsetzen kann.

Wie man an den_die Arzt_Ärztin rankommt

Wenn man wegen eines normalen Krankheitsfalls - und nicht wegen eines Notfalls - zum_r Arzt_Ärztin will, geht das so vonstatten, dass man dem_der Stationsbeamten_in bei der Frühstücksausgabe dieses meldet. Vergisst man es in der Hektik der Essensausgabe, muss man bis zum nächsten Tag warten. Der_Die Stationsbeamte trägt einen ohne irgendwelche Rückfragen nach Art der Erkrankung in eine Liste ein, die er_sie sodann dem_der Sanitäter_in gibt. Diese_r sucht einen dann in der Regel ziemlich bald - bei Strafgefan­genen noch vor Arbeitsbeginn - auf und fragt, was anliegt. Nun kommt es darauf an, ihm_ihr glaubhaft zu versichern, dass es sich um eine ernsthafte Sache handelt, nämlich eine solche, die er_sie nicht selbst behandeln kann und die einem den Arbeitsantritt verunmöglicht. Was der_die Sani mit ein paar Pillen selbst behandeln zu können glaubt, sind insbesondere Grippe, Verdauungstörungen, Kopfschmerzen und kleine äußerliche Verletzungen. Andere Erkrankungen - wie Kreislaufprobleme - wird er_sie mittels seines Blutdruckmessers einer Vorkontrolle unterziehen. Was ihm_ihr gemeinhin wirklich imponiert, sind - abgesehen von deutlich sichtbaren Symptomen - all jene Schmerzen, die in den internistischen Bereich fallen, also die inneren Organe, wie Magen, Lunge, Leber etc. Natürlich nur dann, wenn einem nicht gerade zuvor röntgenologisch, labortechnisch oder sonstwie „notorisches Simulantentum" nachgewie­sen wurde.

Bei Zahnschmerzen

Mit Zahnschmerzen muss man sich bei der Frühstücksausgabe vom Stationsbeamten in die Zahnarztliste eintragen lassen und wird dann ohne weitere Rückfragen seitens des Sanitäters zur Behandlung vorge­führt. Da der_die Zahnarzt_ärztin im allgemeinen jedoch nur ein - oder zweimal in der Woche die Anstalt besucht, muss man meistens dennoch recht lange warten, ehe etwas passiert. In der Zwischenzeit kann man sich von dem_der Sanitäter_in relativ problemlos mit Schmerztabletten versorgen lassen. Handelt es sich, wie bei einer Wurzelvereiterung, um wirklich unerträgli­che Schmerzen, die praktisch nicht vorgetäuscht werden können, kann man „Glück" haben und in die Zahnklinik ausgeführt werden. Das allerdings erst dann, wenn man vor Schmerzen eine ganze Nacht lang getobt und um Schmerztabletten gebettelt hat.

Die Vorführung bei dem_r Arzt_Ärztin

Hat man die Klippe Sanitäter_in erfolgreich umschifft, wird man erforderli­chenfalls vom Arbeitsantritt freigestellt und hat darauf zu warten, dass man dem_der Arzt_Ärztin vorgeführt wird. Zu Gehunfähigen kommt der_die Arzt_Ärztin im Laufe des Tages auf die Zelle. Die Vorführung vollzieht sich stations­weise. D.h., der_die Stationsbeamte, sucht sich zu einem bestimmten Zeit­punkt diejenigen Gefangenen seiner Station zusammen, die der_die Sanitäterin in die Arztliste eingetragen hat. Er_Sie stellt sie am Zwischengitter bereit. Dort werden sie von einem_r Verfügungsbeamten übernommen. Diese_r geleitet sie zum Revier, der Krankenabteilung, wo sie ein_e Sanitäter_in empfängt und ins Wartezimmer bringt. Da man die Stationen zur Ver­meidung von Leerzeiten im allgemeinen viel zu früh abruft, beginnt nun eine sehr lange Wartezeit, die allerdings zum Gespräch mit Gefangenen von anderen Stationen genutzt werden kann. Das Wartezimmer des_der Arztes_Ärztin wird dadurch zu einer Art interstationärer Knastnachrichten­börse. Der_Die Arzt_Ärztin trägt die vorgetragenen Beschwerden stichwortartig in die Krankenakte ein und weist den_die dabeisitzenden Sanitäter_in an, dem_der Gefangenen künftig bestimmte Medikamente zu verabreichen. Die Medika­mente werden morgens in Tagesrationen ausgegeben. Bei diesen Medi­kamenten handelt es sich - zumal wenn der_die Gefangene zum erstenmal beim Arzt aufkreuzt - gemeinhin um Schmerz- oder Beruhigungsmittel, mit denen man im Knast recht großzügig operiert. Chancen auf eine ernsthafte Untersuchung oder gar Überweisung an eine_n Facharzt_ärztin hat der_die Gefangene nur bei sichtbar akuten schweren Erkrankungen oder nach seinem x-ten Vorstelligwerden wegen derselben Beschwerde. (Wer laufend mit anderen Krankheiten erscheint, gilt eh als Simulant.)

Versuche eine_n Facharzt_ärztin zubekommen

Wenn der_die Arzt_Ärztin bereit ist, das Leiden überhaupt ernst zu nehmen, kommt es nicht darauf an, eine Untersuchung oder Behandlung bei ihm zu erreichen, sondern zu einem Facharzt_ärztin zu kommen. Knastärzte_innen sind meistens nicht nur restlos gleichgültig, sondern auch noch total unfähig: oft sind sie ehemalige Militär- oder gescheiterte Privatärzte_innen. Hier empfiehlt sich jedoch eine andere Vorgehensweise als bei dem_der Sanitäter_in: während man versuchen kann, letzteren mit einer sicher vorgetragenen Selbstdiagnose zu verunsichern, würde man den_die Arzt_Ärztin damit nur gegen sich aufbringen. Er_Sie ist der_die Arzt_Ärztin, und er_sie will diagnostizie­ren. Er_Sie lässt sich von einem_r gefangenen Patienten_in nicht vorschreiben, was er_sie zu tun hat. Wenn du sagst: Ich habe Magengeschwüre, wird er_sie dir am Magen herumdrücken' und herablassend lächelnd irgendetwas gegen Magenschmerzen verschreiben. Wenn du hingegen die Symptome von Magengeschwüren schilderst und ihn_sie erwartungsvoll anschaust, wird er_sie dir mit sorgenvoller Miene eröffnen, dass du vielleicht Magengeschwüre hast. Dann musst du ihn_sie fragen, ob es denn unbedingt erforderlich ist, geröntgt zu werden - ob er_sie das nicht auch so mit Pillen behandeln könne. Er_Sie wird dir sagen, dass es doch schon sicherer ist, den Magen zu röntgen... Auf diese Weise lässt sich mit einiger Energie und taktischem Geschick eine Ausführung zu einem_r Facharzt_ärztin erreichen. Natürlich klappt das nicht bei jedem_r Arzt_Ärztin. Manche_r gibt erst nach, wenn man ihn_sie massiv damit bedrängt, dass man sich an Mediziner draußen oder an die Presse wendet und dass man notfalls auch bereit ist, ihn_sie wegen unterlassener Hilfelei­stung anzuzeigen.

Schmerzen am,"arztfreien" Tag oder nachts

Wenn man an einem arztfreien Tag oder nachts von Schmerzen überfallen wird, muss man die "klappe" (die in jeder Zelle befindliche Notrufgegensprechanlage oder den Notrufknopf) betätigen. Man schildert dann dem_der Beamten_in, den_die man über die Sprechanlage erreicht oder der_die kommt, was einem fehlt. Der_Die verspricht dann, „gleich" eine_n Sanitäter_in vorbeizu­schicken. Das kann jedoch Stunden dauern. Wenn man wirklich akute Schmerzen hat, empfiehlt es sich, sich nicht von unwirschen Zurechtwei­sungen und Versprechungen von seiten des_r diensttuenden Beamten_in abschrecken zu lassen, sondern immer wieder (zumindest alle Viertel­stunde) die Klappe zu drücken und am besten auch noch gegen die Tür zu trommeln, so dass auch die Gefangenen in den Nachbarzellen sich beschweren. Nur so hat man einige Gewähr, dass in absehbarer Zeit tatsächlich ein_e Sanitäter_in erscheint. Im folgenden zeigen wir an einem konkreten Beispiel, wie man sich mit seiner Krankheit und dem_der Gefängnisarzt_ärztin auseinandersetzen kann:

Du spürst etwas

Jede Krankheit beginnt irgendwann einmal. Es kann sein, dass du lange ihre ersten Anzeichen übersehen hast, bis die Signale eines Tages unüberhörbar werden, die dir dein Körper schickt. Hier soll jetzt beschrieben werden, was ein_e Gefangene_r im Knast tun kann, wenn er_sie solche Symptome, die nicht gleich, wie bei den akuten Notfällen, unüber­sehbar sind, an sich bemerkt. Dazu nehmen wir ein Beispiel: Gesetzt den Fall, du bemerkst eines Tages, dass deine beiden Kniegelenke bei Kniebeugen knacken und ziemlich deutlich knirschen. Irgendetwas ist damit nicht in Ordnung. Aber du hast keine Schmerzen. Es hört sich so an, als ob in deinem Kniegelenk die „Schmiere" fehlt. Du meldest dich zum_r Arzt_Ärztin. Am besten machst du das schriftlich. Der normale Weg ist zwar, sich beim Sanitäter in die Liste eintragen zu lassen - aber zweckmäßiger ist es für dich, du schreibst dem_r Arzt_Ärztin gleich ausführlich, welche Symptome du bemerkt hast. Diesen Brief muss er_sie in die Krankenakte ablegen und dazu seinen Kommentar abgeben, und allein das Vorhandensein dieses Briefs in der Akte kann bedeuten, dass er dich überhaupt gründlich untersucht - soweit er dazu fähig ist und Geräte hat. Du könntest schreiben: „Die beiden Kniegelenke knacken und knirschen, wenn sie wie bei Kniebeugen in einem größeren Winkel bewegt werden. Schmerzen spüre ich keine. Manchmal spüre ich bei Bewegungen im Gelenk eine geringe, kaum wahrnehmbare Hem­mung. Das Symptom habe ich vor meiner Inhaftierung noch nicht bemerkt. Es kann auf den ständigen Bewegungsmangel und die damit verbundene mangelnde Durchblutung zurückzuführen sein."

Du gehst zum Arzt

Du wirst dann an einem der nächsten Tage von einem Grünen zum_r Arzt_Ärztin geführt. Möglicherweise kommt er_sie auch zu dir auf die Zelle. Er_Sie wird deinen Brief durchlesen und dann dein Gelenk untersuchen. Du wirst ihm_ihr vorführen, wie das Geräusch entsteht, und wenn er_sie nicht schwerhö­rig ist, wird er_sie es auch hören. Er_Sie wird das Gelenk an beiden Beinen betasten und es hin- und herbewegen, wird mit seinem Reflexhammer drauf klopfen und dann sagen, dass er_sie nichts feststellen kann. Damit wärst du normalerweise abgefertigt, wenn nicht dein Brief in der Krankenakte wäre. Der_Die Arzt_Ärztin schickt dich zum Röntgen. Von deinen beiden Gelenken werden je zwei Aufnahmen gemacht. Du sollst in einer Woche wieder­kommen. Du wartest, und nach einer Woche meldest du dich wieder zum_r Arzt_Ärztin. Er_Sie sagt dir, die Röntgenaufnahmen sind fertig, und er_sie geht schnell nach nebenan, um sie sich anzusehen. Dann kommt er_sie wieder und sagt, er_sie könne darauf nichts erkennen, aber er_sie würde sie zum_r Röntgenologen_in schicken. Nach einiger Zeit ist auch der Bescheid des_r Röntgenologen_in da. Er_Sie konnte keine krankhafte Veränderung im Gelenk feststellen. - Hier darfst du nicht den Fehler machen, diese Auskunft einfach hinzunehmen. Lass dir den Befund des_der Röntgenologen_in zeigen, lies genau was draufsteht, lass es dir erklären. Nachdem man dir also gesagt hat, dass nichts krankhaftes an deinen Gelenken festzustellen ist - obwohl es kein gesundes Gelenk gibt, das knirscht - bist du nahe dran aufzugeben. Das wäre aber ein Fehler. Denn die ersten, oft harmlos wirkenden Anzeichen von Krankheiten sind meistens von praktischen Ärzten_innen und erst recht von den Knastärzten überhaupt nicht zu erkennen. Auch Röntgenaufnahmen sagen oft nur dem_der Facharzt_ärztin etwas, und selbst die Spezialärzte_innen können sich über solche Anzeichen auf Röntgenaufnahmen uneins sein, ebenso wie über die Deutung geringfügiger Symptome, die sich noch nicht endgültig zu einer eindeutigen Krankheit ausgewachsen haben. Außerdem: manche Krankheiten können nur im Frühstadium geheilt werden. Obwohl der_die Arzt_Ärztin offenbar nicht weiß, was mit deinem Gelenk los ist, verschreibt er_sie dir eine Salbe, die du dreimal am Tag draufschmieren sollst. Sie besteht aus verdünntem Bienengift und soll die Durchblutung anregen. Du kannst die Salbe verwenden, weil du ihre Zusammenset­zung und ihre Wirkung kennst. Bei Medikamenten, die dir unklar sind: Vorsicht! Und erst recht dann, wenn offensichtlich noch nicht einmal klar ist, was du eigentlich hast. In diesem Fall: nimm lieber diese Medikamente nicht. Bestehe immer darauf, den Namen des Medika­ments genannt zu bekommen. Merke ihn dir, schreibe ihn auf. Erkundige dich bei Freunden und Ärzten_innen draußen. Im Kapitel 21 „Medikamente" findest du die Beschreibung einiger Arzneimittel.

Arzt und Patient

Immer wenn man mit Ärzten_innen zu tun hat, befällt einen ein leichter Wahn - der Wahn des Respekts und der Wahn der eigenen völligen Ohnmacht. Das geht soweit, dass man erstarrt. Man fühlt sich so, als wäre man „weggetreten". Im Umgang mit anderen Menschen benimmt man sich einigermaßen lebendig - im Umgang mit Ärzten_innen wirkt man wie eine Leiche: starr, sagt nichts, lässt alles mit sich machen. Ich glaube, die meisten Patienten_innen ließen sich sogar ohne Widerspruch umbringen, wenn es dabei nur recht „medizinisch" zugeht. Aus demselben Grund werden „falsche Ärzte_innen" oft erst nach vielen Jahren entlarvt. Es umgibt die Ärzte_innen ein heiliger Schein.

So ist es dir bei dem_r Arzt_Ärztin ergangen, und nachher ärgerst du dich drüber

Du ärgerst dich vor allem, weil du nichts gefragt hast. Das lag nicht nur daran, dass es zu schnell ging, sondern dass du wie erstarrt warst. Du hättest fragen sollen, worauf ein solches Symptom wie das Knacken im Gelenk hinweisen kann, woher es kommen kann. Du hättest sagen müssen, daß ein_e Facharzt_ärztin (in diesem Fall ein_e Orthopäde_in) das Gelenk untersuchen soll, dass du zu dem Zweck eine Ausführung beantragst. Du hättest dir auch die Röntgenbilder zeigen lassen sollen. Schließlich sind das deine Beine, und du hast ein Recht, selber zu sehen, was damit ist - noch dazu sind Röntgenaufnahmen wegen der damit verbundenen Strah­lenbelastung des Körpers nicht ohne Risiko, also müssen sie für dich auch einen Wert haben, und den haben sie nur, wenn du sie auch betrachten kannst. Du hättest fragen sollen, warum der_die Arzt_Ärztin dir eine Bienengiftsalbe verschreibt, wozu die gut sein soll, was sie an deinem Gelenk ändern soll. Du hättest fragen müssen, ob der Schaden am Gelenk auf mangelnde Bewegung zurückzuführen ist, und falls der_die Arzt_Ärztin dem zustimmte, hättest du darüber ein schriftliches Attest verlangen sollen. Alles das hast du nicht getan, weil du dich, sobald du bei dem_der Arzt_Ärztin eingetreten bist, in eine_n bescheuerten „Patienten_in" verwandelt hast. Beim nächsten Hofgang redest du mit einem_r Mitgefangenen über die Sache. Du erfährst, dass es ihm_ihr genauso gegangen ist. Und dass man von diesem_r Arzt_Ärztin immer nur hört, was man nicht hat, nie aber was man hat. Wenn eine_r Schmerzen im Magen spürt, sind es „Muskelschmerzen". Es sind aber auch „Muskelschmerzen", wenn er_sie sie woanders spürt. Die Knastärzte_innen scheinen sich, jeder für sich, irgendwie auf bestimmte Krank­heiten spezialisiert zu haben. Diese_r hier hat sich auf Muskelschmerzen spezialisiert. Er_Sie findet sie bei jedem_r zweiten, schließlich sind Muskeln überall. Und gegen Muskelschmerzen braucht es keine Therapie, weil sie von selber wieder vergehen. So wie die Schmerzen, die er_sie feststellt, immer dieselben sind, sind auch die Medikamente oft dieselben. Sie scheinen überall zu wirken: am Kopf, am Fuß, genauso im Bauch, am Rücken - es sind immer dieselben Pillen. Nachdem dir klargeworden ist, dass du nie erfahren wirst, was du hast, wenn du dich auf diese_n Arzt_Ärztin verläßt, stellst du einen Antrag auf Untersuchung bei einem_r Facharzt_ärztin. Dazu brauchst du die Zustimmung des_r Anstaitsarztes_ärztin. Da er_sie sie ungern geben wird, ist es zweckmäßiger, ihm_ihr wieder einen Brief zu schicken, den er_sie wieder in seine Krahkenakte einheften muss (überhaupt solltest du immer dafür sorgen, dass in ihren Akten hauptsächlich deine Angaben sind und nicht ihre!). Du beschreibst in dem Brief, dass du über die Symptome, die du bemerkst, beunruhigt bist, weil sie möglicherweise auf eine später nicht mehr heilbare Gelenkerkrankung hinweisen. Ist der_die Arzt_Ärztin ein_e besonders sturer Bock_Ziege, kannst du noch hinzufügen: Eine Verweigerung der fachärztlichen Untersuchung müßtest du als vorsätzliche Körperverletzung betrachten, da aus einer später nicht mehr heilbaren Gelenkerkrankung für dich eine lebenslange Invalidität erwachsen kann. Wenn es dir möglich ist, besorgst du dir jetzt von draußen oder wenig­stens aus der Anstaltsbücherei Bücher über Krankheiten. Vielleicht findest du irgendwo einen Hinweis auf speziellere Bücher, oder du lässt dir ein spezielles Buch über Gelenkkrankheiten von draußen besorgen. Eine Liste von Büchern, die für die Suche nach Antworten brauchbar sind, findest du im Anhang.

Du beginnst dein Symptom zu studieren

Dazu ist allerdings zu sagen, dass man sich dabei leicht auch verirren kann. Jede_r von uns kennt den Effekt, dass man glaubt man hat Krebs, wenn man nur ein Buch über Krebs gelesen hat. Und man glaubt man hat Schizophrenie, wenn man nur ein Buch über Schizophrenie gelesen hat. Man sollte sich also ruhig etwas Zeit lassen und nicht immer glauben, man hätte schon das, was man gerade gelesen hat. Außerdem sind nicht nur eine Vielzahl von Krankheiten bei einem solchen Symptom möglich, sondern jede Krankheit, die eine_r hat, hat auch ihre Individualität, das heißt: sie ist nicht einfach „die" Krankheit, wie sie im Buch steht, sondern es ist „deine" Krankheit. Sie ist so typisch wie dein Körper typisch für das Menschengeschlecht ist, aber auch so untypisch wie dein eigenes Leben im Verhältnis zum Leben aller übrigen Men­schen. Es könnte auch sein, daß die Krankheit viel mehr mit deinem ganzen Leben als mit deinen Knochen oder anderen Organen zu tun hat - und dass dein Körper nur der Resonanzboden für einen seelischen, depressiven Grundton ist, der von deinem Denken und Fühlen ausgeht.

18.2. Der_Die medizinische Gutachter_in

Medizinische Gutachten werden im Knast im wesentlichen zu folgenden drei Themenbereichen angefertigt: Schuldfähigkeit, Verhandlungsfähigkeit, Haftfähigkeit. Auf den_die psychiatrische_n Gutachter_in wird weiter unten noch genauer eingegangen (siehe Kapitel 19).

Schuldunfähigkeit

Beim Komplex der Schuldfähigkeit gibt es die Möglichkeit der Schuldunfähigkeit zur Tatzeit (Alkohol- oder Drogeneinfluss, Schockzustand etc.), sowie die der generellen Schuldunfähigkeit (Schizophrenie etc.). Falls einem eine verminderte oder völlige Schuldunfähigkeit zur Tatzeit zugestanden wird, kann man unter Umständen Glück haben und einer Einsperrung entgehen, im zweiten Fall wird man zumindest auf Dauer in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen, was oft noch zerstörerischer ist als der Knast und außerdem eine vorangehende Gefängnishaft keineswegs ausschließen muss.

Verhandlungsunfahigkeit

Bei der Frage der Verhandlungsfähigkeit gibt es die Möglichkeit der selbstverschul­deten und der unverschuldeten Verhandlungsunfähigkeit. Im ersten Fall (Selbstverstümmelung, Hungerstreik etc.) kann das Gericht den_die Angeklagte_n von der Verhandlung ausschließen und den Prozess ohne ihn_sie veranstalten. Im zweiten Fall (schwerwiegende Konzentrations-, Kreislauf- oder Organstörungen) wird die Verhandlung entweder verschoben, oder die Dauer der Verhandlungstage wird geküret, z. B. auf nur zwei Stunden täglich, mit Einlegung von Pausen, ständige Anwesenheit eines_r oder mehrerer.Ärzte_innen, Bereitstellung einer Bahre, von der aus der_die Angeklagte den Prozess verfolgen „darf" etc. Wenn die Verhandlung verschoben wird, bedeutet dies für den_die Angeklagte_n gemeinhin keine Haftunterbrechung, sondern seine zwischenzeitliche Verschubung in ein Gefängniskrankenhaus.

Haftunfähigkeit

Haftunfähig ist schließlich der_diejenige Gefangene, bei dem_der die Haft eine nachhaltige und bleibende gesundheitliche Schädigung bewirkt. Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass diese gesundheitliche Schädigung in direktem Zusammenhang mit der Haft steht. Tatsächlich anerkannt wird aber in der Regel nur akute Lebensgefahr.

Wann und von wem wird ein Gutachten angefertigt?

Ob und von wem ein Gutachten angefertigt wird, kann nur vom zuständigen Gericht entschieden werden. Beantragt werden muss das Gutachten jedoch in der Regel von der_dem Anwalt_in des_r Angeklagten, da das Gericht selbst nur höchst selten von sich aus eine_n Gutachter_in hinzuzieht. Der_Die Anwalt_in muss dabei in seinem Antrag begründen, warum er_sie ein solches Gutachten für erforderlich hält. Diesen Antrag legt das Gericht sodann dem_r Gefängnisarzt_ärztin zur Stellungnahme vor - jedenfalls wenn es sich um die Frage der Haft- bzw. Verhandlungsunfähigkeit handelt. Von der Stellungnahme des_r Gefängnisarztes_ärztin hängt es im wesentlichen ab, ob das Gericht eine_n gutachtende_n Facharzt_ärztin hinzuzieht: Psychiater_in, Psychoso­matiker_in, Neurologe_in, Internist_in oder dergleichen. Für den_die Gefangene_n kommt es also darauf an, ein Krankheitsbild aufzuweisen, das sich der Beurteilungsfähigkeit des_r Gefängnisarztes_ärztin - eines_r Allgemeinmediziners_in -entzieht. Das heißt: Schon der_die Anwalt_in sollte seinen Antrag auf eine eindeutige medizinische Argumentation stützen und deswegen frühzeitig mit Ärzten_innen draußen zusammenarbeiten. Wenn das Gericht dem Antrag auf ein fachärztliches Gutachten stattgibt und dieses negativ für den_die Gefangenen ausgeht, hat er die Möglichkeit ein zweites Gutachten von einem_r anderen Arzt_Ärztin zu beantragen. Hierzu ist es allerdings erforderlich, dass er_sie bzw. sein_e Anwalt_in nachweisen, dass die Forschungsmittel des_der zweiten vorgeschlagenen Gutachters_in denen des_r ersten überlegen sind. Als Beispiel hierzu möge ein Sexualdelikt dienen, wo das Gericht zur Untersuchung der Frage der Schuldfähigkeit eine_n Psychiater_in hinzuzog, während die Verteidigung einen Sexualwissen­schaftler einschalten wollte.

Wer sind die Gutachter_innen?

Wer sind nun diese Gutachter_innen, von deren Urteil die Existenz oder Vernichtung eines_r Gefangenen abhängt, was für ein Interesse haben sie, wessen Interesse vertreten sie? Gutachter_innen sind fast ausnahmslos Professoren_innen von gerichtsmedizinischen oder anderen Instituten der nächstliegenden Universität, und das bedeutet zweierlei: einerseits sind sie Beamte_innen, die vom Staat dafür bezahlt werden, dass sie sein Funktionieren und mithin auch das möglichst reibungslose Über-die-Bühne-gehen seiner Prozesse garantieren, andererseits sind sie Wissenschaftler_innen die "objektiv" sein wollen. Der_Die Gutachter_in interessiert sich meist lediglich für sich selbst, für seine_ihre Objektivität, für seinen_ihren gut bezahlten Auftrag, für seinen_ihren guten Ruf - nicht aber für deinen Lebensweg und deine Leidensgeschichte. Trotzdem wird er_sie sich um dein Vertrauen bemühen, denn ohne deine Angaben kann er_sie keine vollständige Beurteilung abgeben. Denke immer daran, daß der_die Gutachter_in deine Krankheit selbst entdecken will. Sage ihm_ihr, dass du bestimmte Gefühle, Mißempfindungen und Beschwerden nicht richtig beschreiben kannst. Schildere dabei nichts, was du nicht selbst schon ansatzweise erlebt, gefühlt oder genau durchdacht hast, um glaubwürdig zu klingen. Vor allem die Psychiater_innen sind so weit wissenschaftlich geschult, dass sie dir alles zum Nachteil auslegen können!

Die Untersuchung durch den_die Gutachter_in

Man erwartet von dem_der Gutachter_in, dass diese_r sich - wie der_die Gefängnisarzt_ärztin - zynisch verhält und den_die Gefangenen von vorherein für eine_n Simulanten_in hält. Wenn der_die Gutachter_in nun aber zu dir freundlich ist, den Anschein des Mitgefühls erweckt und sich durch ein Späßchen über die bornierte Bürokratie auch noch auf deine Seite zu stellen scheint, wirst du leicht vertrauensselig und meinst, mit dem_der über den Vorurteilen und Institutionen schwebenden Herrn_Frauu Professor_in ein offenes Wort reden zu können. Genau das ist es, was der_die Gutachter_in erreichen will: er_sie inszeniert - vor Beginn der eigentlichen Untersuchung - ein kleines lockeres Schwätzchen mit dem_der Gefangenen. Diese_r freut sich, dass er_sie endlich mal mit jemandem reden kann, dass ihm_ihr endlich mal jemand zuhört, dass endlich mal jemand Verständnis für ihn_sie aufbringt, und er_sie blüht auf, präsentiere sich meistens entgegen seinem wirklichen Befinden, immer aber entgegen seiner Absicht - als ganz gesunder Mensch. Nun erst beginnt die eigentliche Untersuchung. Allerdings nur für den_die Gefangene_n, denn der_die Professor_in hat sein_ihr Gutachten bereits fertig: der_die Mann_Frau ist schuld-, haft- und verhandlungsfähig. Das sagt er_sie dem_r Gefangenen aber nicht, vielmehr läßt er_sie ihn_sie jetzt von seinen Leiden erzählen, veranstaltet Tests und nimmt Messungen vor (Blutdruck, Reflexe etc.). Der_Die Gefangene erschrickt und entsinnt sich wieder seines wirklichen Befindens oder desjenigen, das er_sie vorspielen wollte: er_sie setzt eine Leidensmiene auf, fängt an zu stottern, erzählt von ständigem Schwindeigefühl und Schmerzen, taumelt bei Gleichgewichtsüberprüfungen und verkorkst die Tests. Dies alles beeindruckt den_die Professor_in jedoch herzlich wenig; im Gegenteil, es bestärkt und bestätigt ihn_sie lediglich in seiner_ihrer Verachtung für dieses „jämmerliche Subjekt", das nicht bereit ist, die Verantwortung (Strafe) für seine_ihre Untaten zu tragen, und überdies noch die Frechheit besitzt, ihn_sie, den_die Professor_in, übertölpeln zu wollen. Der_Die Gefangene erscheint ihm_ihr also als dumm, feige und verschlagen und entsprechend fällt auch sein „objektives" Gutachten aus - meistens sehr zum Erstaunen des_der Gefangenen, der_die nichts von alledem gemerkt hat.

Wie verhält man sich einem_r Gutachter_in gegenüber richtig?

Zuerst sollte man bedenken, dass die Untersuchung mit der Begrüßung anfangt und mit der Verabschiedung aufhört. Alles, was dazwischen liegt, jede Gefühlsäußerung, jedes Wort, jede Bewegung wird beobachtet und begutachtet. Man darf, wenn der Blutdruck einen abnormen Wert aufweist, kein befriedigtes Lächeln zeigen, sondern muss bestürzt dreinblicken. Man darf nicht konzentriert über seine Konzentrationsstörungen reden, man sollte lieber überhaupt nichts von Konzentrationsstörungen sagen, wenn man welche hat oder vorspielen will, sondern soll dem_der Professor_in ihre Existenz demonstrieren, so dass er_sie sie selbst diagnostiziert. Man sollte die angebotene Coca Cola mit dem Hinweis auf ständiges Sodbrennen ablehnen und nicht erst genüßlich die Cola trinken und dann mit gequältem Gesichtsausdruck von notorischen Magenschmerzen berichten. Über­haupt sollte man nie versuchen, eine_m Arzt_Ärztin eine Selbstdiagnose zu unterbreiten - jedenfalls dann nicht, wenn deine Symptome nicht so eindeutig sind, dass kein_e Arzt_Ärztin daran vorbeigehen kann. Sag nicht „Kreislaufstörungen" oder gar „vegetative Dysregulationen", sondern beschreib mit besorgtem Gesichtsausdruck die Symptome, denn du darfst nicht krank sein wollen (um einer Strafe zu entgehen), du darfst dir lediglich Sorgen um deine Gesundheit machen. Wenn du auf Verhandlungsunfähigkeit abzielst, musst du dem_r Gutachter_in klarmachen, dass du den Prozess nicht wegen seines Ausganges fürchtest - denn entweder bist du unschuldig und hast eh nichts zu befürchten, oder du bist selbstverständlich gewillt, die Folgen deines Tuns voll und ganz zu tragen -, sondern dass du lediglich denkst, dass du dich hier und jetzt aufgrund deines schlechten Gesundheitszustandes nicht hinreichend verteidigen kannst und deshalb den Prozess verschoben haben willst.

Nun noch ein Wort zu dem, was untersucht wird und was für eine eventuelle Haftverschonung oder wenigstens Prozessverschiebung von Belang sein kann. Falls keine manifest organischen Krankheiten wie Magengeschwüre oder dergleichen feststellbar sind (röntnologisch oder labortechnisch), kommen nur Kreislauf- und schwerwiegende psychische Störungen in Betracht, wobei die einen ohne die anderen gemeinhin nicht sehr überzeugend wirken. Außerdem müssen beide messbar sein, sich also in abnormen Blutdruckwerten und schlechten Testergebnissen niederschlagen. Beides ist mit viel Training und Selbstdisziplin für eine_n Gefangene_n, der_die ohnehin allein aufgrund der Situation fast immer diese Krankheitsbilder zumindest im Ansatz aufweist, herstellbar und eskalierbar. Hierzu empfiehlt sich die intensive Lektüre eines Handbuches psychosomatischer Erkrankungen.

18.3. Wie man an einen Arzt von draußen rankommt

Für Gefangene, die sich medizinisch nicht richtig behandelt fühlen und folglich das Vertrauen zu den Gefängnisärzten_innen verloren haben stellt sich die Frage: Wie komme ich an eine_n externe_n Arzt_Ärztin heran?

Durchsetzung einer medizinischen Betreuung

Nach allgemeinen „rechtsstaatlichen" Grundsätzen hat der_die Gefangene Anspruch auf ausreichende medizinische Versorgung, die den „Regeln der ärztlichen Kunst" entspricht. Um das auch wirklich nur annähernd zu erreichen, muss man sehr beharrlich bohren und nicht nachlassen zu beantragen und zu mahnen. Wenn überhaupt, so wird der_die Arzt_Ärztin von draußen meist nur zur Untersuchung und Beratung hinzugezogen, nicht aber zur Alleinbehandlung. Dies ist aber immer noch besser, als sich allein auf den_die Gefängnisarzt_ärztin verlassen zu müssen. Denn der_die zweite Arzt_Ärztin übt dann praktisch eine Kontrolle aus, die nicht ohne Folgen bleibt. Trotzdem wird man vorsorglich beantragen, von dem_der externen Arzt_Ärztin auch voll behandelt zu werden. Der_Die Richter_in, oder der_die Anstaltsleiter_in, der die Entscheidung über die Zulassung eines_r externen Arztes_Ärztin hinauszögert, muss täglich darauf aufmerksam gemacht werden, dass seine_ihre Entscheidung die Gesundheit eines Menschen betrifft und, dass er_sie kein Recht hat, einem Menschen auch nur für kurze Zeit die gebotene ärztliche Hilfe zu entziehen. Wenn die zuständige Instanz, d.h. der_die zuständige Richter_in in U-Haft und der_die Anstaltsleiter_in in Strafhaft, die Hinzuziehung eines_r externen Arztes_Ärztin erstmal genehmigt hat, gibt es keinerlei legitime Handhabe mehr, die Arbeit des_r externen Arztes_Ärztin zu behindern. Trotzdem muss manchmal jede Kleinigkeit mit einem Antrag oder einer Beschwerde durchgesetzt werden. In diesem Zusammenhang sollte man auch ruhig ankündigen, wegen der katastrophalen medizinischen Versorgung im Knast an die Presse zu schreiben. Bevor man eine_n externe_n Arzt_Ärztin beantragt, muss man auf jeden Fall mal zu dem_der Anstaltsarzt_ärztin gehen, um sich von dem_der untersuchen zu lassen. Ansonsten kann man schlecht sagen, die medizinische Versorgung in der Anstalt sei unzureichend. Außerdem wird sonst der Antrag sicherlich nicht genehmigt, und du wirst zuerst zu dem_der Knastarzt_ärztin geschickt, was dann die Sache nur noch verzögert. Der_Die Anstaltsarzt_ärztin muss bei dem Antrag auf eine_n externe_n Arzt_Ärztin gefragt werden und wird keine Stellungnahme abgeben, wenn er_sie dich noch nicht gesehen hat. Wir wollen nun kurz beschreiben, wie man am besten vorgeht, um eine_n externe_n Arzt_Ärztin zu bekommen:

Kontaktaufnahme mit dem_r Arzt_Ärztin

Bevor man sich mit dem_r Richter_in oder der Anstalt über eine_n externe_n Arzt_Ärztin auseinandersetzt, muss man sich erstmal um eine_n kümmern, der_die einen auch behandeln will. Am besten, man fragt seine_n alte_n Hausarzt_ärztin - wenn der_die nicht gerade seine_ihre Praxis in München hat und du in Hamburg im Knast sitzt. Oder man fragt Freunde, Verwandte, Rechtsanwälte_innen, Sozialarbeiter_innen, Gefängnispfarrer_innen nach einem_r Arzt_Ärztin - gegebenenfalls Facharzt_ärztin -, der_die auch Gefangene behandelt, was leider längst nicht alle machen. In manchen Städten gibt es auch schon Arzte_Ärztinnengruppen (die Adressen findest du im Anhang), die Gefangene kostenlos medizinisch untersuchen und beraten. Vielleicht macht das ja mal Schule bei anderen Ärzten_innen! Wenn du nun eine Adresse herausbekommen hast, schreibst du am besten gleich dem_der Arzt_Ärztin, dass du Gefangener in dem und dem Knast bist und gern von ihm_ihr behandelt werden möchtest. In dem Schreiben informierst du den_die Arzt_Ärztin so genau wie möglich über:

- deine genauen Beschwerden

- welche Untersuchungen bisher durchgeführt wurden

- welche Behandlung (Medikamente usw.) bisher durchgeführt wurde

- inwieweit die Behandlung bisher geholfen bzw. dir nicht geholfen hat.

Der Antrag auf Hinzuziehung eines_r externen Arztes_Ärztin

Wenn der_die angeschriebene Arzt_Ärztin sich bereiterklärt, dich zu behandeln, dann musst du oder dein_e Anwalt_Anwältin bei der zuständigen Stelle die „Hinzuziehung" des_r externen Arztes_Ärztin beantragen. D. h. du beantragst eine_n Arzt_Ärztin, der in erster Linie den_die Knastarzt_ärztin in deiner Behandlung unterstützen und damit auch kontrollieren soll. Anders ist es erstmal juristisch schwer durchsetzbar. In der Strafhaft muss der Antrag an die Anstaltsleitung, in der U-Haft an den_die zuständige_n Richter_in gestellt werden. In diesem Antrag solltest du deine Beschwerden genau - ruhig ein bisschen drastisch - schildern, aber nicht zu dick auftragen, denn sonst glaubt dir keiner. Schreib dazu am besten dasselbe wie an den_die externe_n Arzt_Ärztin (s. o.). Dann musst du ausführen, dass du eine_n Spezialisten_in zur Behandlung deiner Krankheit benötigst und (oder) dass du kein Vertrauen mehr in den_die Anstaltsarzt_ärztin hast, weil... ungenügende Behandlung usw. oder weil er_sie deine Beschwerden nicht ernst nimmt. Am besten, man beantragt gleich die Ausführung zu dem_der Arzt_Ärztin, denn das kommt dir und ihm_ihr zugute. Für dich ist es immer besser, in der Praxis eines_r externen Arztes_Ärztin untersucht zu werden, denn die ist sicherlich besser ausgestattet als das Knastarzt­zimmer. Bei der Ausführung siehst du außerdem wieder was von der „Welt". Die Anstalt und insbesondere auch der_die Anstaltsarzt_ärztin muss zu deinem Antrag eine Stellungnahme schreiben, in der mit Sicherheit Bedenken gegen eine Ausführung aufgeführt werden (Fluchtgefahr, Personalknappheit etc.). Versuch es aber trotzdem, denn die Behandlung im Knast kann ja dann immer noch genehmigt werden. Wichtig bei deinem Antrag ist, dass du es so ausführlich wie möglich darstellst, dass deine Krankheit eine Spezialistenbehandlung notwendig macht und deshalb die Behandlung durch den_die Anstaltsarzt_ärztin nicht ausreicht! Da der_die Anstaltsarzt_ärztin und der_die Anstaltsleiter_in dich in ihrer Stellungnahme vielleicht (die Erfahrung sagt: meistens) als Simulanten_in (d. h. Vortäuscher_in von Krankheiten) bezeichnen, lege deinem Antrag an den Haftrichter am besten ein Schreiben eines_r oder mehrerer Mitgefangener bei, die darin deine Angaben über deinen Gesundheitszustand bestätigen. Das hilft zwar im Moment noch nicht viel, erschwert allerdings der Anstalt, dich so einfach als Simulanten_in und Lügner_in hinzustellen. Mache von deinem Antrag einige Durchschlage und schicke ein Exemplar an Freunde und Verwandte draußen, damit die auch wissen, was du unternommen hast und dann eventuell mit Unterstützung des_der Arztes_Ärztin draußen etwas Druck ausüben können, zum Beispiel durch Telefonate oder Briefe an den_die U-Haftrichter_in oder an den_die Anstaltsleiter_in und an den_die Anstaltsarzt_ärztin. Manche Gefängnisärzte_innen haben draußen auch noch eine eigene Arztpraxis. Möglicherweise hilft es, wenn Angehörige oder Freunde dort einmal vorsprechen. Falls du keine_n Anwalt_Anwältin hast, der_die den Antrag für dich stellt, können die folgenden Musterentwürfe eine Orientierungs- und Argumentationshilfe sein:

U-Haft::

Name: Datum: [rechtsbündig]

z.Zt.JVA ...


An den

zuständigen Haftrichter


In der Strafsache

gegen...

Aktenzeichen: ...


[mittig] wird beantragt, mir zu gestatten, mich durch den_die externe_n Arzt_Ärztin Dr.... (Adresse, Telefon­nummer)untersuchen und gegebenenfalls behandeln zu lassen. Die Untersuchung und Behandlung soll in der Praxis des Dr.... durchgeführt werden.


Begründung:

I.

[mittig] Ich befinde mich seit dem... in der Untersuchungshaft in der JVA... .

(Jetzt genau die Entwicklung der Krankheit schildern und die mangelhafte Behandlung durch den_die Arzt_Ärztin. Am besten dazu den Brief an den_die externe_n Arzt_Ärztin als Vorlage nehmen)

Aus den dargelegten Gründen erscheint mir eine ausreichende Behandlung meiner Krankheit durch die medizinische Einrichtung in der JVA... nicht gegeben. Außerdem halte ich eine Hinzuziehung der_der Dr..... als Spzialisten_in für solche Krankheiten für unbedingt notwendig.

II.

Nach Nr. 56 U-Haftvollzugsordnung soll die ärztliche Betreuung zwar dem_der Anstaltsarzt_ärztin obliegen, es ist jedoch dem_der Beschuldigten gestattet, eine_n externe_n Arzt_Ärztin freier Wahl als Berater_in hinzuzuziehen, sowie sich von seinem_r eigenen Zahnarzt_ärztin behandeln zu lassen. Diese Möglichkeit der U-Haftvollzugsordnung ist zu eng, denn auch der Behandlung durch den_die externe_n Arzt_Ärztin kann nichts entgegenstehen, zumal die UVollzO selbst die Behandlung durch den_die eigene_n Zahnarzt_ärztin gestattet (Dünnebier in Löwe-Rosenberg § 119 Rdn.l52). Die Behandlung durch den_die Arzt_Ärztin des Vertrauens ist daher stets zugelassen; dem_der Arzt_Ärztin ist das gleiche Vertrauen wie dem_der Verteidiger_in entgegenzubringen (Dünnebier in Löwe-1 Rosenberg a. a. O.).

Die staatliche Fürsorgepflicht, der der_die U-Gefangene unterliegt, beinhaltet eine ausreichende ärztliche Versorgung (Dünnebier in L-R a. a. O.). Diese ausreichende ärztliche Versorgung ist an dem verfassungsrechtlichen Gebot des Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz, des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, zu messen. Meine körperliche Unversehrtheit ist allein durch die Behandlung meiner Krankheiten durch den_die Anstaltsarzt_ärztin nicht mehr gewährleistet. Daher muss die Hilfe eines_r externen Spezialisten_in in Anspruch genommen werden. Die staatliche Fürsorgepflicht verpflichtet außerdem alle mit dem Vollzug befassten Behörden (also auch Sie als Haftrichter_in), dem_der Verhafteten das Erforderliche zur Verfügung zu stellen, was er_sie sich wegen der Anstaltsgebundenheit im allgemeinen nicht selbst verschaffen kann (Dünnebier in Löwe-Rosenberg 119 Rdn.44). Darunter fällt auch eine ärztliche Betreuung, die den Grundwerten des Art.2 Abs.2 Satz 1 Grundgesetz gerecht wird. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein in Freiheit befindlicher Mensch im Krankheitsfall für eine bestmögliche Behandlung seiner Beschwerden sorgt. Nach Art.6 Abs.2 Menschenrechtskonvention ist ein_e Untersuchungs­gefangene_r bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig anzusehen und dementsprechend zu behandeln. Danach dürfen nach § 119 Abs.3 StPO (Strafprozessordnung) und Nr.1 UVollzO einem_r U-Gefangenen auch nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Haft, oder die Ordnung der JVA erfordert. Es dürfte wohl kaum dem Zweck der U-Haft entsprechen, den_die Untersuchungsgefangene_n in seiner körperlichen Unversehrtheit durch unzureichende medizinische Versorgung in der Anstalt zu beeinträchtigen, zumal darin auch schon ein erheblicher Rechtsbruch (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu sehen ist. Die Ordnung der Anstalt kann auch nicht durch meine Konsultierung eines_r externen Arztes_Ärztin gestört werden. Außerdem hat sich die Realisierung von Grundrechten eines_r Gefangenen (hier Art.2 Abs.2 Satz1 GG) nicht nach den anstaltsinternen Möglichkeiten zu richten, sondern vielmehr andersherum (BVerfGE 15, 296). Es kann somit auch nicht eine eventuelle Personalknappheit in der Anstalt ein Hinderungsgrund meiner ärztlichen Betreuung durch Dr.... darstellen.

III.

Aus den dargelegten Gründen ist eine Hinzuziehung des Dr. .... als Spezialist_in in meinem Fall unbedingt notwendig. Ich bitte zur Vermeidung bleibender Gesundheitsschäden beschleunigt zu entscheiden.

Unterschrift [rechtsbündig]


Strafhaft:

Name: Datum:[rechtsbündig]

z. Zt. JVA ....


An den Leiter

der JVA....

Herrn...


[mittig] Ich beantrage:

zur Behandlung meiner Krankheit Herrn_Frau Dr....., Adresse, Telefonnr. als beratende_n und gegebenfalls behandelnde_n Spezialist_in hinzuzuziehen.

Die Untersuchung und Behandlung soll im Wege der Ausführung in der Praxis des_r Dr.... durchgeführt werden.


Begründung:

I.

Ich befinde mich seit dem ... in Strathaft in der JVA ...

(jetzt genau die Entwicklung der Krankheit schildern und die mangelhafte Behandlung durch den_die Arzt_Ärztin darstellen. Am besten dazu den Brief an den_die externe_n Arzt_Ärztin als Vorlage benutzen.)

II.

Aus den dargelegten Gründen ist eine ausreichende Behandlung meiner Krankheit durch den_die Anstaltsarzt_ärztin, Herrn_Frau Dr..... nicht mehr gegeben. Herr_Frau Dr.....(Anstaltsarzt_ärztin) ist durch die Komplexität meiner Krankheit sowohl zeitlich als auch fachlich überfordert.

Dazu kommt erschwerend hinzu, dass Herr_Frau Dr.... (Anstaltsarzt_ärztin) wegen seiner_ihrer oberflächlichen und wirkungslosen Behandlung meiner Krankheit nicht mehr mein Vertrauen besitzt, das ich als Patient_in einem_r Arzt_Ärztin zur Durchführung einer positiven Behandlung notwendigerweise entgegen­bringen können muss. Daher halte ich die Hinzuziehung des_r Herrn_Frau Dr.... als Arzt_Ärztin meines Vertrauens und als Spezialisten_in für solche Krankheiten für unbedingt notwendig.

Hilfsweise beantrage ich, die Untersuchung und Behandlung in der JVA durchzuführen.

Ich bitte zur Vermeidung bleibender Gesundheitsschäden diesen Antrag beschleunigt zu entscheiden.

Unterschrift [rechtsbündig]

Die ärztliche Schweigepflicht

Die Anstalt verlangt meistens, dass du vor einer Untersuchung durch eine_n Arzt_Ärztin von draußen diese_n sowie den_die Anstaltsarzt_ärztin von der Schweigepflicht untereinander entbindest. Das heißt, dass der_die Anstaltsarzt_ärztin das Ergebnis der Untersuchung erfahren soll. Andererseits kann nur so der_die Arzt_ärztin von draußen deine Krankenakte bekommen, deren Inhalt sicher auch für dich nicht uninteressant ist. Es ist unter Umständen sinnvoll, auch noch den_die Rechtsanwalt_anwältin in die Schweigepflicht-Entbindung miteinzubeziehen, wenn er_sie sich um die Durchsetzung deiner medizinischen Betreuung kümmert. Die Schweige­pflicht-Entbindungserklärung kann aber jederzeit widerrufen werden, etwa wenn du nach der Untersuchung durch den_die Arzt_Ärztin von draußen aus irgendwelchen Gründen nicht willst, dass der_die Anstaltssarzt_ärztin darüber informiert wird. Händige die Schweigepflicht-Entbindungserklärungen den jeweiligen Leuten aus, die sie betreffen, oder schicke sie einfach deinem_r Anwalt_Anwältin, der_die kann sie dann verteilen.

- an den_die Anstaltsarzt_ärztin:

Schweigepflichtsentbindungserklärung [mittig]

Hiermit entbinde ich alle Ärzte_innen und Anstalten, die mich behandelt haben und behandein werden, gegenüber meinem_r Rechtsanwalt_anwältin und gegenüber meinem_r beratenden Arzt_Ärztin Herrn_Frau Dr... von der ärztlichen Schweige­pflicht. Zugleich erkläre ich mich damit einverstanden, dass meine Arztbriefe und Originalunterlagen der Anstalten an meine_n beratende_n Arzt_Ärztin vorübergehend zur Einsicht ausgehändigt werden.

Datum: Unterschrift: [rechtsbündig]

- an den externen Arzt:

Hiermit entbinde ich meine_n beratende_n Arzt_Ärztin, Herrn_Frau Dr. ... gegenüber meinem_r Rechtsanwalt_anwältin und gegenüber den Ärzten_innen der JVA von der ärztlichen Schweigepflicht, soweit dies zur ordnungsgemäßen Durchführung der Heilbehandlung erforderlich ist.

Datum: Unterschrift: [rechtsbündig]

- an den Rechtsanwalt:

Hiermit entbinde ich Herrn_Frau Rechtsanwalt_in ... gegenüber den mich behandelnden Ärzten_innen von der anwaltlichen Schweigepflicht bezüglich der ihm_ihr bekannten und bekanntwerdenden Tatsachen meiner Krankheit und der damit zusammenhängenden weiteren Tatsachen.

Datum: Unterschrift: [rechtsbündig]

Antrag auf Durchführung der Genehmigung (U-Haft)

Wenn bei der U-Haft der Haftrichter_in deinen Antrag auf eine_n externe_n Arzt_Ärztin genehmigt hat, dann musst du noch zusätzlich bei der Anstalt die Durchführung dieser Genehmigung beantragen. Ein kurzes „Anliegen" reicht dazu aus.

Der Antrag kann dann so aussehen:

Name Datum [rechtsbündig]

z. Zt. JVA ...


An den Leiter der JVA ...


Ich beantrage

meine Ausführung zu dem_r beratenden und ggfs. behandelnden Arzt_Ärztin, Dr. ..., Adresse, Telefon in dessen_deren Praxisräumen durchzuführen.

Eine richterliche Prüfung und Genehmigung liegt mit Schreiben des_der zuständigen Haftrichters_in, Herrn_Frau ... vom ... vor - Geschäftsnummer ... -. Der_Die beantragte Arzt_Ärztin wird von mir der ärztlichen Schweigepflicht enthoben, eine Schweigepfüchtsentbindungserklärung meinerseits wird nachgereicht. Ich bitte darum, die Arztgeschäftsstelle zu einer Terminabsprache des Ausführungstermins - ggfs. telefonisch - mit dem_der externen Arzt_Ärztin zu veranlassen.

Unterschrift [rechtsbündig]

Hat der_die Haftrichter_in keine Ausführung, sondern nur die Untersuchung durch den_die externe_n Arzt_Ärztin innerhalb der Anstalt genehmigt, dann beginnt der Antrag so:

Ich beantrage, den_die Arzt_Ärztin Dr. ..., Adresse, Telefon als beratende_n und ggfs. behandelnde_n Arzt_Ärztin für eine Untersuchung innerhalb der Anstalt zuzulassen. Eine richterliche Prüfung und Genehmigung ....(usw. wie oben).

Bei Verzögerung oder Ablehnung deines Antrags

Setze alle dir zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ein bzw. hilf deinem_r kranken Mitgefangenen dabei. Du kannst dabei nach dem weiter unten Kapitel 22 ff. zusammengestellten „Rechtsmittelteil" vorgehen. Du kannst für die Begründungen der Rechtsmittel im Prinzip die gleichen Argumente verwenden, die du bereits in deinem Antrag auf Hinzuziehung eines_r externen Arztes_Ärztin vorgebracht hast und dich dabei an den oben abgedruckten Musterbeispielen orientieren.

Antrag auf einstweilige Anordnung (Strafhaft)

Wenn du sehr starke Schmerzen hast, gegen die du keine Schmerzmittel bekommst oder irgendeine andere sinnvolle Behandlung vorgenommen wird, kannst du auch noch dazu einen Antrag auf einstweilige Anordnung an die zuständige Strafvollstreckungskammer gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 Strafvollzugsgesetz stellen. Dieser Antrag muss von der Strafvoll­streckungskammer sofort entschieden werden und bedeutet für dich die einzige juristische Möglichkeit, vor Abschluss des „Instanzenweges" — d.h. also relativ schnell — an eine_n externe_n Arzt_Ärztin zu kommen. Ein Beispiel für einen solchen Antrag:

Name JVA ... Datum [rechtsbündig]

An das Landgericht in...

Strafvollstreckungskammer EILANTRAG [rechtsbündig]

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Ich beantrage im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 Strafvollzugsgesetz zu verfügen, dass mir die Untersuchung durch den_die externe_n Arzt_Ärztin Dr. ... gestattet und die Durchführung umgehend ermöglicht wird. Außerdem beantrage ich die Gewährung einer Prozesskostenhilfe (Armenrecht) gemäß § 114 ff. ZPO (Zivilprozeß­ordnung). Ich befinde mich seit dem ... in der JVA .... in Strafhaft.

(Hier jetzt genau deine Schmerzen schildern, wie in dem Brief an den_die Arzt_Ärztin, die unzureichende Behandlung durch den_die Knastarzt_ärztin, die Verweigerung der Hinzuziehung eines_r externen Arztes_Ärztin durch den_die Anstaltsleiter_in, deinen momentanen Zustand. Beschreib das ruhig etwas drastisch. Benenne Mitgefangene als Zeugen_innen. Lege schriftliche Zeugenaussagen am besten als „eidesstattliche Versicherungen" dazu, die die Beobachtungen von Mitgefangenen oder Besuchern_innen wiedergeben).

Mein oben dargelegter kritischer Gesundheitszustand bedarf dringend sofortiger fachärztlicher Behandlung, die mir von der Anstaltsleitung rechtswidrig verweigert wird. Der Antrag ist wegen seiner außerordentlichen Eilbedürftigkeit und zur Vermeidung bleibender und irreperabler gesundheitlicher Schäden hinsichtlich des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz begründet. Die angefochtene Ablehnungsverfügung der Anstaltsleitung vom ... verletzt die Bestimmungen der §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 2, 56 Abs. 1, 58, 59 Strafvollzugsgesetz sowie der Art. 1 Abs. 1,1 Abs. 3,2 Abs. 2,19 Abs. 1, 19 Abs. 2 und 104 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.

(Weitere Ausführungen wie im Antrag an die Anstaltsleitung)

Unterschrift [rechtsbündig]

Versprich dir aber nicht zu viel von solch einem Antrag, denn meistens glauben die Richter_innen den Behauptungen des_r Anstaltsleiters_in und des_r Gefän­gnisarztes_ärztin, aber wenn es dir wirklich sehr dreckig geht, versuche, so einen Antrag noch zusammenzukriegen. Lass dir dabei am besten von einem_r anderen Gefangenen helfen. Eigentlich sollte es ein_e Anwalt_in übernehmen.

Das Beweissicherungsverfahren

Noch ein besonderer „Trick" vor allem für die Rechtsspezialisten_innen unter den Gefangenen oder für die Anwälte_innen: Das Beweissicherungsverfahren. Es ist nicht einfach und bisher auch kaum ausprobiert worden, so daß es auch kaum Erfahrungen damit gibt. Es kann aber ein sinnvoller letzter Versuch sein, doch noch an eine_n Arzt_Ärztin von draußen ranzukommen, wenn der normale Rechtsweg erfolglos war. Mit Hilfe des Beweissicherungsverfahrens kann eine (angeblich) verfolgte Schadensersatzklage (Schmerzensgeld) als Vehikel benutzt werden, um von einem_r gescheiten Arzt_Ärztin wenigstens mal gründlich untersucht zu werden. Allerdings auf deine eigenen Kosten, die unter Umständen ans Gericht vorgeleistet werden müssen. Beantrage eine Prozesskostenhilfe (Armenrecht) und lies dazu Näheres in Kapitel 25. nach. Das Beweissicherungsverfahren kann man in Zusammenhang mit einer Schadener­satzklage gegen das jeweilige Bundesland wegen Körperschäden etc. beantragen. Es dient dazu, deinen Gesundheitszustand als „Beweis" festzustellen, damit du später für diese Schadenersatzklage nachweisen kannst, dass dein Gesundheitsschaden auf schlechter ärztlicher Behandlung im Gefängnis basiert. Eine solche Schadensersatzklage kommt natürlich selten oder nie durch, jedoch muss man erstmal behaupten, eine solche machen zu wollen, damit überhaupt ein Beweissicherung*verfahren möglich ist.

Wie läuft das?

Gemäß § 485 Zivilprozessordnung kann auf deinen Antrag ein Beweissicherungsverfahren vom Gericht angeordnet werden. Der Antrag muss ausführlich begründet werden mit den Behauptungen: Dein Körperschaden, weswegen du klagen willst, sei natürlich veränderlich und deshalb müsste der momentane Zustand festgestellt werden, da du wegen der jetzigen Versagung der ärztlichen Versorgung im Moment große Schmerzen hättest und zumindest Schmerzensgeld einklagen wolltest. Du hast ein „rechtliches Interesse" an der fachärztlichen Feststellung deines Gesundheitszustandes, da diese Feststellung für dich das einzige Beweismittel in einem Schadensersatzprozess gegen das betreffende Bundesland ist. Für Schadensersatzklagen gegen den Staat, sogenannte Amtshaftungsprozesse, ist zwar immer das Landgericht zuständig. Für den Antrag auf ein Beweissicherungsverfahren vor Erhebung der eigentlichen Klage ist jedoch immer das Amtsgericht zuständig. Und zwar das Amtsgericht in dessen Bezirk der_die Arzt_ärztin arbeitet.

Der Antrag für ein solches Beweissicherungsverfahren kann etwa so aussehen:

An das

Amtsgericht in ... (Datum)[rechtsbündig]


Im Rahmen der Verfolgung meiner

Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung

gegen

das Land Hessen (Bayern etc.), vertreten durch den_die Ministerpräsidenten_in,

Wiesbaden (München ecc.)


beantrage ich

im Wege der Beweissicherung — ohne mündliche Verhandlung das (fach-)ärztliche Gutachten des_der Sachverständigen

Herrn_Frau Dr. med. ... (Name, Adresse)

über folgende Fragen einzuholen:

1. Liegen bei dem_der Antragsteller_in ernsthafte Gesundheitsschäden vor und welcher Art sind diese Erkrankungen?

2. Welche diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sind bei den vorliegenden Erkrankungen erforderlich?

3. Ist die in der JVA durchgeführte Behandlung aus­reichend und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend?

4. Ist eine mangelhafte oder unterbliebene ärztliche Untersuchung und Behandlung für die Schwere bzw. das fortgeschrittene Stadium der Erkrankung verantwortlich?

Ferner beantrage ich, anzuordnen, dass die JVA .... die Voraussetzungen für die Durchführung der gutachterlichen Untersuchung in der Praxis des_der benannten Gutachters_in (oder in der JVA) schaffe und dem_der benannten Gutachter_in die mich betreffende Krankenakte zur Verfügung stelle.

Da ich meinen gegenwärtigen Gesundheitszustand zum Gegenstand einer Schadenersatzklage machen will und da sich dieser Zustand in Kürze verändern kann, ist ein Beweissicherungsverfahren für meine Beweisführung dringend erforderlich; Die Hinauszögerung einer gutachterlichen Unter­suchung würde insbesondere die Feststellung und den Nachweis, dass mein Gesundheitsschaden durch eine Pflichtwidrigkeit seitens der Anstaltsleitung und des_der Anstaltsarztes_in verursacht wurde, erheblich erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.

Eine außergerichtliche Beweissicherung war nicht möglich, da die Anstaitsleitung die Untersuchung durch eine_n unabhängige_n Sach­verständige_n nicht zugelassen hat. Im übrigen wird der Sachverhalt, den ich zum Gegenstand einer Schadensersatzklage machen werde, von dem_der Antragsgegner_in bzw. von Anstaltsleitung und Anstaltsarzt_ärztin als Beamte_innen des Antragsgegners bestritten.


In der Regel wird das Gericht von dir zuerst die Kosten für den_die Sachverständige_n verlangen, bevor es die Untersuchung anordnet. Das beste ist natürlich, jemand von draußen zahlt das Geld gleich ans Gericht, um Zeit zu sparen. Oder aber du fügst deinem Antrag eine Erklärung des_der Arztes_Ärztin bei, wonach er_sie - zumindest für die Dauer der Haft - auf die Gutachterkosten verzichtet. Der Antrag ist mit einer Abschrift bzw. einem Durchschlag an das Gericht zu senden.

Die Untersuchung durch den externen Arzt

Wenn du Glück hast, kommt der_die beantragte Arzt_Ärztin irgendwann und kann dich erstmal genau untersuchen. Dabei machen die Anstalten auch sehr oft noch Ärger durch Verweigerung der Krankenakte und anderes mehr. Am besten, du besprichst Reaktionen darauf mit dem_der Arzt_Ärztin — der ja davon dann auch betroffen ist — und deinem_r Rechtsanwalt_anwältin. Die Untersuchung durch den_die externe_n Arzt_Ärztin sollte immer ohne Knastarzt_ärztin, Sanitäter_in und dergleichen erfolgen. Man muss da auf das Vertrauensver­hältnis zwischen Arzt_Ärztin und Patienten_innen hinweisen, das nur entstehen kann, wenn nicht noch andere Personen bei der Untersuchung anwesend sind. Außerdem gebietet es die ärztliche Schweigepflicht des_r externen Arztes_Ärztin, dass du mit ihm_ihr allein bist. Die Entbindung von der Schweigepflicht (s.o.) wirkt ja nicht gegenüber den Sanitätsbeamten_innen. Das beste ist, der_die Arzt_Ärztin macht sich dafür stark, dass die Untersuchung ohne „Zuschauer_innen" erfolgt, da man auf ihn_sie wesentlich mehr und eher hört, als auf dich. Versuche also am besten vorher dem_der Arzt_Ärztin die Situation zu beschreiben, in die er_sie im Knast kommen wird und mit welchen Schikanen und Hindernissen er_sie zu rechnen hat. Dasselbe gilt für die ewige Auseinandersetzung um die Krankenakte, die die Knastärzte_innen nur sehr ungern — und dann oft frisiert — rausgeben. Bereite den_die externe_n Arzt_Ärztin am besten auch auf diese Auseinandersetzung vor. Am besten, dein_e Anwalt_Anwältin informiert den_die Arzt_Ärztin über seine Rechte als bera­tende_r und eventuell behandelnde_r Arzt_Ärztin im Knast, damit der_die sich nicht so schnell einmachen lässt.

Der_Die Arzt_Ärztin als normaler Besucher

Bei Ablehnung oder langer Verzögerung des beantragten Arztbesuchs kannst du folgenden Notbehelf organisieren; Du lässt den_die externe_n Arzt_Ärztin als normale_n Besucher_in zu dir kommen. Eine richtige ärztliche Untersuchung ist dabei zwar nicht möglich — aber eine Beratung kann dir vorläufig sicher auch weiterhelfen. Bitte den_die besuchende_n Arzt_Ärztin, dir ein Attest auszustellen, in das er seine Diagnose oder zumindest seinen Eindruck von deinen Beschwerden reinschreiben soll und welche Untersuchungen oder Behandlungen er_sie für notwendig hält. Benutze dieses Attest dann dazu, weiter um eine richtige ärztliche Behandlung zu kämpfen.

Wer bezahlt den_die externe_n Arzt_Ärztin

Der Staat muss zwar grundsätzlich die medizinische Versorgung der Gefangenen finanzieren. Nach offizieller Ansicht gehört dazu aber nicht die Behandlung durch eine_n Arzt_Ärztin freier Wahl. Wie jeder weiß, sind Ärzte_innen im allgemeinen teuer. Draußen ist man ja meistens krankenversichert und merkt davon nicht soviel. Im Knast ist das kaum möglich. Die gesetzlichen Krankenkassen nehmen keine Gefangenen auf und die privaten Versicherungen verlangen 200,-DM und mehr, soweit sie überhaupt bereit sind, Gefangene zu versichern. War man vor der Verhaftung noch versichert, so verliert man mit der bisherigen Arbeitsstelle auch den Versicherungsschutz der gesetzlichen Kassen. Es sei denn, man beantragt innnerhalb eines Monats die „freiwillige Weiterversicherung". Bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) kostet dies etwa 170,- DM im Monat, was auf die Dauer nicht aufzutreiben ist. Die Kosten für die freiwillige Weiterversicherung müsste aber dann von der Sozialhilfe übernommen werden, wenn du die allgemeinen Voraussetzung für einen Sozialhilfeanspruch erfüllst. Es wird also meist darauf ankommen, ob du unterhaltspflichtige Angehörige (Ehegatte, Eltern, Kinder etc.)hast, die nach dem Gesetz „genug" verdienen. Im Zweifel fragst du den_die Sozialarbeiter_in, der_die soll dir das genau ausrechnen und den Antrag ans Sozialamt weiterreichen. Es ist gut möglich, dass das Sozialamt sich dagegen sperrt, mit der Begründung, du seist im Knast ja rundum versorgt und kostenlos verarztet. Gegen einen ablehnenden Bescheid sollte man ruhig Wider­spruch einlegen. Man kann auch versuchen, die Arztkosten direkt vom Sozialamt bezahlt zu bekommen.

Ist deine Krankheit auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen, so muss die Unfallversicherung in der du als Gefangene_r automatisch drin bist, die Behandlungskosten übernehmen. In diesem Fall wendest du dich — über den_die Sozialarbeiter_in oder direkt — an die „Ausführungsbehörde für Unfallversicherung" des jeweiligen Bundeslandes; dafür müsste es im Knast ein Formular geben.

Es ist nicht unbedingt nötig, als Gefangene_r krankenversichert zu sein. In den sel­tenen Fällen, in denen man an eine_n Arzt_Ärztin freier Wahl herankommt und demzufolge selbst die Kosten tragen muss, sollte es doch möglich sein mit dem_der Arzt_Ärztin über das Honorar zu reden. Am besten man macht von Anfang an klar, dass man kein Geld hat. Es dürfte für den_die Arzt_Ärztin kein so großes Problem sein, auf eine Bezahlung mal zu warten öder notfalls zu verzichten.

Der "alte" Ratgeber