Über die Professur am Lehrstuhl „Informatik in Bildung und Gesellschaft“ der HU-Berlin

Der Lehrstuhl Informatik in Bildung und Gesellschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin ist nach Ende der diesbezüglichen Aktivitäten an FU und TU die letzte Anlaufstelle zu diesen Themen im Umkreis. Kurz „IuG“ genannt und als Fachbereich 8 der Gesellschaft für Informatik leider viel zu wenig bekannt, geht dieser Teilbereich der Informatik weit über Technikfolgenabschätzung und Techniksoziologie hinaus und gewinnt gerade mit der schneller voranschreitenden Allgegenwart von Computern steigende Relevanz für die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen und Entwicklungen.

Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Wissenschaften mag das breite Themenspektrum der I&G ein gewisses Misstrauen hervorrufen. Es stellt sich jedoch heraus, dass man immer mehr über immer weniger weiß, in der Konsequenz nimmt der erkenntnisproduktive Streit ab und das Augenmaß für das Sinnvolle und Richtige geht verloren. Daher sind das ganzheitliche, differenzierte und kritische Denken gleichermaßen wichtig. Eine fundierte Lehre und Forschung im Bereich I&G beinhaltet die Verbindung von Technik- und Geisteswissenschaften, die sich unter anderem in  folgenden Themengebieten niederschlägt: die Rolle der Informatik in der Informationsgesellschaft (und damit verbunden gesellschaftstheoretische Grundlagen aus den Bereichen Politik, Recht und Wirtschaft), Recht und Informatik (z. B. technischer und nichttechnischer Datenschutz), Geschichte der Informatik, Informatik als Wissenschaft, Wissensordnung in der digitalen Welt, Digitale Medien, Digitale Langzeitarchivierung, Ethik des Technikers, gesellschaftliche Implikationen von Technik, Begriffsklärung informatischer Begriffe.

Im akademischen Bereich ist die Tendenz zu betrachten, dass IuG aus den Hochschulen zurückgedrängt wird, während soziale Bewegungen  sich in Initiativen und Vereinen vermehrt damit auseinandersetzen. Nach dem Weggang von Prof. Wolfgang Coy soll der Lehrstuhl an der HU neu besetzt werden. Auch wenn es schwierig ist, einen gleichwertigen Ersatz zu finden, lassen sich dennoch – wenn der Wille da ist – Personen finden, die die kritische Ausrichtung und interdisziplinäre Forschung weiter fortführen können. Doch meist werden rein formale Kriterien wie Publikationszahl oder Drittmittelstärke herangezogen. Anstatt das Profil zu verlieren und an extern geförderte Institute mit eigenen Intressen auszulagern (siehe Google-Institut), sollte sich gerade die Humboldt-Universität die Zeit nehmen, eine passende Besetzung zu finden.

[Hier wurden einige Sätze zum aktuellen Stand des Berufungsverfahrens und den favorisierten Personen entfernt.]

Zur Geschichte der IuG:
In Deutschland etablierte sich das Fachgebiet „Informatik und Gesellschaft“ in den 1980er und 90er Jahren, aufbauend auf einer stärker werdenden Kritik an den Rationalisierungsprozessen der Fabrik- und Büroautomation, der Wirksamkeit von datenverarbeitenden Systemen in der öffentlichen Verwaltung oder dem Einsatz von Kontroll- und Überwachungstechnik im Militär. Während zuvor die Diskussion um die soziale Wirksamkeit der Technik eher als eine politische Geste innerhalb der Informatik wahrgenommen und von ihren Protagonisten als eine solche teilweise auch begriffen wurde, begann nun die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen Technik und Gesellschaft in die wissenschaftlichen Diskurse der Informatik überzugehen. Diese Fragestellung gewann entlang der gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen durch die PC-Revolution, der Vernetzung oder des Mobile und Embedded Computing ein immer stärkeres Erkenntnisinteresse. Letztlich dienen diese Erkenntnisse direkt der Gesellschaft und finden ihre Anwendung z.B. in der Beratung von Enquêtekommissionen des Bundestages, des Bundesverfassungsgerichtes, von Gesetzgebungsprozessen oder allgemein-informatischer Bildung in der Schule.