Wie mensch sich gegenüber Sanitäter und Gefängnisärzt innen verhält

Aus Gefangenenratgeber

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18.1. Wie man sich gegenüber Sanitäter und Gefängnisarzt verhält

Hast du Beschwerden, mit denen du nicht allein fertig wirst, so bist du auf die Gefängnismedizin angewiesen. Du kannst dich jedoch nicht darauf verlassen, daß du automatisch die notwendige Behandlung bekommst. Es sind schon einige Anstrengungen nötig, um überhaupt ernstgenommen zu werden. Wir beschreiben zunächst, wie man sich allgemein gegenüber der Gefängnismedizin verhalten kann. Anschließend zeigen wir an einem konkreten Beispiel, wie man sich gegen die Gleichgültigkeit des_der Gefäng­nisarztes_ärztin durchsetzen kann.

Wie man an den_die Arzt_Ärztin rankommt

Wenn man wegen eines normalen Krankheitsfalls - und nicht wegen eines Notfalls - zum_r Arzt_Ärztin will, geht das so vonstatten, dass man dem_der Stationsbeamten_in bei der Frühstücksausgabe dieses meldet. Vergisst man es in der Hektik der Essensausgabe, muss man bis zum nächsten Tag warten. Der_Die Stationsbeamte trägt einen ohne irgendwelche Rückfragen nach Art der Erkrankung in eine Liste ein, die er_sie sodann dem_der Sanitäter_in gibt. Diese_r sucht einen dann in der Regel ziemlich bald - bei Strafgefan­genen noch vor Arbeitsbeginn - auf und fragt, was anliegt. Nun kommt es darauf an, ihm_ihr glaubhaft zu versichern, dass es sich um eine ernsthafte Sache handelt, nämlich eine solche, die er_sie nicht selbst behandeln kann und die einem den Arbeitsantritt verunmöglicht. Was der_die Sani mit ein paar Pillen selbst behandeln zu können glaubt, sind insbesondere Grippe, Verdauungstörungen, Kopfschmerzen und kleine äußerliche Verletzungen. Andere Erkrankungen - wie Kreislaufprobleme - wird er_sie mittels seines Blutdruckmessers einer Vorkontrolle unterziehen. Was ihm_ihr gemeinhin wirklich imponiert, sind - abgesehen von deutlich sichtbaren Symptomen - all jene Schmerzen, die in den internistischen Bereich fallen, also die inneren Organe, wie Magen, Lunge, Leber etc. Natürlich nur dann, wenn einem nicht gerade zuvor röntgenologisch, labortechnisch oder sonstwie „notorisches Simulantentum" nachgewie­sen wurde.

Bei Zahnschmerzen

Mit Zahnschmerzen muss man sich bei der Frühstücksausgabe vom Stationsbeamten in die Zahnarztliste eintragen lassen und wird dann ohne weitere Rückfragen seitens des Sanitäters zur Behandlung vorge­führt. Da der_die Zahnarzt_ärztin im allgemeinen jedoch nur ein - oder zweimal in der Woche die Anstalt besucht, muss man meistens dennoch recht lange warten, ehe etwas passiert. In der Zwischenzeit kann man sich von dem_der Sanitäter_in relativ problemlos mit Schmerztabletten versorgen lassen. Handelt es sich, wie bei einer Wurzelvereiterung, um wirklich unerträgli­che Schmerzen, die praktisch nicht vorgetäuscht werden können, kann man „Glück" haben und in die Zahnklinik ausgeführt werden. Das allerdings erst dann, wenn man vor Schmerzen eine ganze Nacht lang getobt und um Schmerztabletten gebettelt hat.

Die Vorführung bei dem_r Arzt_Ärztin

Hat man die Klippe Sanitäter_in erfolgreich umschifft, wird man erforderli­chenfalls vom Arbeitsantritt freigestellt und hat darauf zu warten, dass man dem_der Arzt_Ärztin vorgeführt wird. Zu Gehunfähigen kommt der_die Arzt_Ärztin im Laufe des Tages auf die Zelle. Die Vorführung vollzieht sich stations­weise. D.h., der_die Stationsbeamte, sucht sich zu einem bestimmten Zeit­punkt diejenigen Gefangenen seiner Station zusammen, die der_die Sanitäterin in die Arztliste eingetragen hat. Er_Sie stellt sie am Zwischengitter bereit. Dort werden sie von einem_r Verfügungsbeamten übernommen. Diese_r geleitet sie zum Revier, der Krankenabteilung, wo sie ein_e Sanitäter_in empfängt und ins Wartezimmer bringt. Da man die Stationen zur Ver­meidung von Leerzeiten im allgemeinen viel zu früh abruft, beginnt nun eine sehr lange Wartezeit, die allerdings zum Gespräch mit Gefangenen von anderen Stationen genutzt werden kann. Das Wartezimmer des_der Arztes_Ärztin wird dadurch zu einer Art interstationärer Knastnachrichten­börse. Der_Die Arzt_Ärztin trägt die vorgetragenen Beschwerden stichwortartig in die Krankenakte ein und weist den_die dabeisitzenden Sanitäter_in an, dem_der Gefangenen künftig bestimmte Medikamente zu verabreichen. Die Medika­mente werden morgens in Tagesrationen ausgegeben. Bei diesen Medi­kamenten handelt es sich - zumal wenn der_die Gefangene zum erstenmal beim Arzt aufkreuzt - gemeinhin um Schmerz- oder Beruhigungsmittel, mit denen man im Knast recht großzügig operiert. Chancen auf eine ernsthafte Untersuchung oder gar Überweisung an eine_n Facharzt_ärztin hat der_die Gefangene nur bei sichtbar akuten schweren Erkrankungen oder nach seinem x-ten Vorstelligwerden wegen derselben Beschwerde. (Wer laufend mit anderen Krankheiten erscheint, gilt eh als Simulant.)

Versuche eine_n Facharzt_ärztin zubekommen

Wenn der_die Arzt_Ärztin bereit ist, das Leiden überhaupt ernst zu nehmen, kommt es nicht darauf an, eine Untersuchung oder Behandlung bei ihm zu erreichen, sondern zu einem Facharzt_ärztin zu kommen. Knastärzte_innen sind meistens nicht nur restlos gleichgültig, sondern auch noch total unfähig: oft sind sie ehemalige Militär- oder gescheiterte Privatärzte_innen. Hier empfiehlt sich jedoch eine andere Vorgehensweise als bei dem_der Sanitäter_in: während man versuchen kann, letzteren mit einer sicher vorgetragenen Selbstdiagnose zu verunsichern, würde man den_die Arzt_Ärztin damit nur gegen sich aufbringen. Er_Sie ist der_die Arzt_Ärztin, und er_sie will diagnostizie­ren. Er_Sie lässt sich von einem_r gefangenen Patienten_in nicht vorschreiben, was er_sie zu tun hat. Wenn du sagst: Ich habe Magengeschwüre, wird er_sie dir am Magen herumdrücken' und herablassend lächelnd irgendetwas gegen Magenschmerzen verschreiben. Wenn du hingegen die Symptome von Magengeschwüren schilderst und ihn_sie erwartungsvoll anschaust, wird er_sie dir mit sorgenvoller Miene eröffnen, dass du vielleicht Magengeschwüre hast. Dann musst du ihn_sie fragen, ob es denn unbedingt erforderlich ist, geröntgt zu werden - ob er_sie das nicht auch so mit Pillen behandeln könne. Er_Sie wird dir sagen, dass es doch schon sicherer ist, den Magen zu röntgen... Auf diese Weise lässt sich mit einiger Energie und taktischem Geschick eine Ausführung zu einem_r Facharzt_ärztin erreichen. Natürlich klappt das nicht bei jedem_r Arzt_Ärztin. Manche_r gibt erst nach, wenn man ihn_sie massiv damit bedrängt, dass man sich an Mediziner draußen oder an die Presse wendet und dass man notfalls auch bereit ist, ihn_sie wegen unterlassener Hilfelei­stung anzuzeigen.

Schmerzen am,"arztfreien" Tag oder nachts

Wenn man an einem arztfreien Tag oder nachts von Schmerzen überfallen wird, muss man die "klappe" (die in jeder Zelle befindliche Notrufgegensprechanlage oder den Notrufknopf) betätigen. Man schildert dann dem_der Beamten_in, den_die man über die Sprechanlage erreicht oder der_die kommt, was einem fehlt. Der_Die verspricht dann, „gleich" eine_n Sanitäter_in vorbeizu­schicken. Das kann jedoch Stunden dauern. Wenn man wirklich akute Schmerzen hat, empfiehlt es sich, sich nicht von unwirschen Zurechtwei­sungen und Versprechungen von seiten des_r diensttuenden Beamten_in abschrecken zu lassen, sondern immer wieder (zumindest alle Viertel­stunde) die Klappe zu drücken und am besten auch noch gegen die Tür zu trommeln, so dass auch die Gefangenen in den Nachbarzellen sich beschweren. Nur so hat man einige Gewähr, dass in absehbarer Zeit tatsächlich ein_e Sanitäter_in erscheint. Im folgenden zeigen wir an einem konkreten Beispiel, wie man sich mit seiner Krankheit und dem_der Gefängnisarzt_ärztin auseinandersetzen kann:

Du spürst etwas

Jede Krankheit beginnt irgendwann einmal. Es kann sein, dass du lange ihre ersten Anzeichen übersehen hast, bis die Signale eines Tages unüberhörbar werden, die dir dein Körper schickt. Hier soll jetzt beschrieben werden, was ein_e Gefangene_r im Knast tun kann, wenn er_sie solche Symptome, die nicht gleich, wie bei den akuten Notfällen, unüber­sehbar sind, an sich bemerkt. Dazu nehmen wir ein Beispiel: Gesetzt den Fall, du bemerkst eines Tages, dass deine beiden Kniegelenke bei Kniebeugen knacken und ziemlich deutlich knirschen. Irgendetwas ist damit nicht in Ordnung. Aber du hast keine Schmerzen. Es hört sich so an, als ob in deinem Kniegelenk die „Schmiere" fehlt. Du meldest dich zum_r Arzt_Ärztin. Am besten machst du das schriftlich. Der normale Weg ist zwar, sich beim Sanitäter in die Liste eintragen zu lassen - aber zweckmäßiger ist es für dich, du schreibst dem_r Arzt_Ärztin gleich ausführlich, welche Symptome du bemerkt hast. Diesen Brief muss er_sie in die Krankenakte ablegen und dazu seinen Kommentar abgeben, und allein das Vorhandensein dieses Briefs in der Akte kann bedeuten, dass er dich überhaupt gründlich untersucht - soweit er dazu fähig ist und Geräte hat. Du könntest schreiben: „Die beiden Kniegelenke knacken und knirschen, wenn sie wie bei Kniebeugen in einem größeren Winkel bewegt werden. Schmerzen spüre ich keine. Manchmal spüre ich bei Bewegungen im Gelenk eine geringe, kaum wahrnehmbare Hem­mung. Das Symptom habe ich vor meiner Inhaftierung noch nicht bemerkt. Es kann auf den ständigen Bewegungsmangel und die damit verbundene mangelnde Durchblutung zurückzuführen sein."

Du gehst zum Arzt

Du wirst dann an einem der nächsten Tage von einem Grünen zum_r Arzt_Ärztin geführt. Möglicherweise kommt er_sie auch zu dir auf die Zelle. Er_Sie wird deinen Brief durchlesen und dann dein Gelenk untersuchen. Du wirst ihm_ihr vorführen, wie das Geräusch entsteht, und wenn er_sie nicht schwerhö­rig ist, wird er_sie es auch hören. Er_Sie wird das Gelenk an beiden Beinen betasten und es hin- und herbewegen, wird mit seinem Reflexhammer drauf klopfen und dann sagen, dass er_sie nichts feststellen kann. Damit wärst du normalerweise abgefertigt, wenn nicht dein Brief in der Krankenakte wäre. Der_Die Arzt_Ärztin schickt dich zum Röntgen. Von deinen beiden Gelenken werden je zwei Aufnahmen gemacht. Du sollst in einer Woche wieder­kommen. Du wartest, und nach einer Woche meldest du dich wieder zum_r Arzt_Ärztin. Er_Sie sagt dir, die Röntgenaufnahmen sind fertig, und er_sie geht schnell nach nebenan, um sie sich anzusehen. Dann kommt er_sie wieder und sagt, er_sie könne darauf nichts erkennen, aber er_sie würde sie zum_r Röntgenologen_in schicken. Nach einiger Zeit ist auch der Bescheid des_r Röntgenologen_in da. Er_Sie konnte keine krankhafte Veränderung im Gelenk feststellen. - Hier darfst du nicht den Fehler machen, diese Auskunft einfach hinzunehmen. Lass dir den Befund des_der Röntgenologen_in zeigen, lies genau was draufsteht, lass es dir erklären. Nachdem man dir also gesagt hat, dass nichts krankhaftes an deinen Gelenken festzustellen ist - obwohl es kein gesundes Gelenk gibt, das knirscht - bist du nahe dran aufzugeben. Das wäre aber ein Fehler. Denn die ersten, oft harmlos wirkenden Anzeichen von Krankheiten sind meistens von praktischen Ärzten_innen und erst recht von den Knastärzten überhaupt nicht zu erkennen. Auch Röntgenaufnahmen sagen oft nur dem_der Facharzt_ärztin etwas, und selbst die Spezialärzte_innen können sich über solche Anzeichen auf Röntgenaufnahmen uneins sein, ebenso wie über die Deutung geringfügiger Symptome, die sich noch nicht endgültig zu einer eindeutigen Krankheit ausgewachsen haben. Außerdem: manche Krankheiten können nur im Frühstadium geheilt werden. Obwohl der_die Arzt_Ärztin offenbar nicht weiß, was mit deinem Gelenk los ist, verschreibt er_sie dir eine Salbe, die du dreimal am Tag draufschmieren sollst. Sie besteht aus verdünntem Bienengift und soll die Durchblutung anregen. Du kannst die Salbe verwenden, weil du ihre Zusammenset­zung und ihre Wirkung kennst. Bei Medikamenten, die dir unklar sind: Vorsicht! Und erst recht dann, wenn offensichtlich noch nicht einmal klar ist, was du eigentlich hast. In diesem Fall: nimm lieber diese Medikamente nicht. Bestehe immer darauf, den Namen des Medika­ments genannt zu bekommen. Merke ihn dir, schreibe ihn auf. Erkundige dich bei Freunden und Ärzten_innen draußen. Im Kapitel 21 „Medikamente" findest du die Beschreibung einiger Arzneimittel.

Arzt und Patient

Immer wenn man mit Ärzten_innen zu tun hat, befällt einen ein leichter Wahn - der Wahn des Respekts und der Wahn der eigenen völligen Ohnmacht. Das geht soweit, dass man erstarrt. Man fühlt sich so, als wäre man „weggetreten". Im Umgang mit anderen Menschen benimmt man sich einigermaßen lebendig - im Umgang mit Ärzten_innen wirkt man wie eine Leiche: starr, sagt nichts, lässt alles mit sich machen. Ich glaube, die meisten Patienten_innen ließen sich sogar ohne Widerspruch umbringen, wenn es dabei nur recht „medizinisch" zugeht. Aus demselben Grund werden „falsche Ärzte_innen" oft erst nach vielen Jahren entlarvt. Es umgibt die Ärzte_innen ein heiliger Schein.

So ist es dir bei dem_r Arzt_Ärztin ergangen, und nachher ärgerst du dich drüber

Du ärgerst dich vor allem, weil du nichts gefragt hast. Das lag nicht nur daran, dass es zu schnell ging, sondern dass du wie erstarrt warst. Du hättest fragen sollen, worauf ein solches Symptom wie das Knacken im Gelenk hinweisen kann, woher es kommen kann. Du hättest sagen müssen, daß ein_e Facharzt_ärztin (in diesem Fall ein_e Orthopäde_in) das Gelenk untersuchen soll, dass du zu dem Zweck eine Ausführung beantragst. Du hättest dir auch die Röntgenbilder zeigen lassen sollen. Schließlich sind das deine Beine, und du hast ein Recht, selber zu sehen, was damit ist - noch dazu sind Röntgenaufnahmen wegen der damit verbundenen Strah­lenbelastung des Körpers nicht ohne Risiko, also müssen sie für dich auch einen Wert haben, und den haben sie nur, wenn du sie auch betrachten kannst. Du hättest fragen sollen, warum der_die Arzt_Ärztin dir eine Bienengiftsalbe verschreibt, wozu die gut sein soll, was sie an deinem Gelenk ändern soll. Du hättest fragen müssen, ob der Schaden am Gelenk auf mangelnde Bewegung zurückzuführen ist, und falls der_die Arzt_Ärztin dem zustimmte, hättest du darüber ein schriftliches Attest verlangen sollen. Alles das hast du nicht getan, weil du dich, sobald du bei dem_der Arzt_Ärztin eingetreten bist, in eine_n bescheuerten „Patienten_in" verwandelt hast. Beim nächsten Hofgang redest du mit einem_r Mitgefangenen über die Sache. Du erfährst, dass es ihm_ihr genauso gegangen ist. Und dass man von diesem_r Arzt_Ärztin immer nur hört, was man nicht hat, nie aber was man hat. Wenn eine_r Schmerzen im Magen spürt, sind es „Muskelschmerzen". Es sind aber auch „Muskelschmerzen", wenn er_sie sie woanders spürt. Die Knastärzte_innen scheinen sich, jeder für sich, irgendwie auf bestimmte Krank­heiten spezialisiert zu haben. Diese_r hier hat sich auf Muskelschmerzen spezialisiert. Er_Sie findet sie bei jedem_r zweiten, schließlich sind Muskeln überall. Und gegen Muskelschmerzen braucht es keine Therapie, weil sie von selber wieder vergehen. So wie die Schmerzen, die er_sie feststellt, immer dieselben sind, sind auch die Medikamente oft dieselben. Sie scheinen überall zu wirken: am Kopf, am Fuß, genauso im Bauch, am Rücken - es sind immer dieselben Pillen. Nachdem dir klargeworden ist, dass du nie erfahren wirst, was du hast, wenn du dich auf diese_n Arzt_Ärztin verläßt, stellst du einen Antrag auf Untersuchung bei einem_r Facharzt_ärztin. Dazu brauchst du die Zustimmung des_r Anstaitsarztes_ärztin. Da er_sie sie ungern geben wird, ist es zweckmäßiger, ihm_ihr wieder einen Brief zu schicken, den er_sie wieder in seine Krahkenakte einheften muss (überhaupt solltest du immer dafür sorgen, dass in ihren Akten hauptsächlich deine Angaben sind und nicht ihre!). Du beschreibst in dem Brief, dass du über die Symptome, die du bemerkst, beunruhigt bist, weil sie möglicherweise auf eine später nicht mehr heilbare Gelenkerkrankung hinweisen. Ist der_die Arzt_Ärztin ein_e besonders sturer Bock_Ziege, kannst du noch hinzufügen: Eine Verweigerung der fachärztlichen Untersuchung müßtest du als vorsätzliche Körperverletzung betrachten, da aus einer später nicht mehr heilbaren Gelenkerkrankung für dich eine lebenslange Invalidität erwachsen kann. Wenn es dir möglich ist, besorgst du dir jetzt von draußen oder wenig­stens aus der Anstaltsbücherei Bücher über Krankheiten. Vielleicht findest du irgendwo einen Hinweis auf speziellere Bücher, oder du lässt dir ein spezielles Buch über Gelenkkrankheiten von draußen besorgen. Eine Liste von Büchern, die für die Suche nach Antworten brauchbar sind, findest du im Anhang.

Du beginnst dein Symptom zu studieren

Dazu ist allerdings zu sagen, dass man sich dabei leicht auch verirren kann. Jede_r von uns kennt den Effekt, dass man glaubt man hat Krebs, wenn man nur ein Buch über Krebs gelesen hat. Und man glaubt man hat Schizophrenie, wenn man nur ein Buch über Schizophrenie gelesen hat. Man sollte sich also ruhig etwas Zeit lassen und nicht immer glauben, man hätte schon das, was man gerade gelesen hat. Außerdem sind nicht nur eine Vielzahl von Krankheiten bei einem solchen Symptom möglich, sondern jede Krankheit, die eine_r hat, hat auch ihre Individualität, das heißt: sie ist nicht einfach „die" Krankheit, wie sie im Buch steht, sondern es ist „deine" Krankheit. Sie ist so typisch wie dein Körper typisch für das Menschengeschlecht ist, aber auch so untypisch wie dein eigenes Leben im Verhältnis zum Leben aller übrigen Men­schen. Es könnte auch sein, daß die Krankheit viel mehr mit deinem ganzen Leben als mit deinen Knochen oder anderen Organen zu tun hat - und dass dein Körper nur der Resonanzboden für einen seelischen, depressiven Grundton ist, der von deinem Denken und Fühlen ausgeht.


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18.1. Wie man sich gegenüber Sanitäter und Gefängnisarzt verhält

Hast du Beschwerden, mit denen du nicht allein fertig wirst, so bist du auf die Gefängnismedizin angewiesen. Du kannst dich jedoch nicht darauf verlassen, daß du automatisch die notwendige Behandlung bekommst. Es sind schon einige Anstrengungen nötig, um überhaupt ernstgenommen zu werden. Wir beschreiben zunächst, wie man sich allgemein gegenüber der Gefängnismedizin verhalten kann. Anschließend zeigen wir an einem konkreten Beispiel, wie man sich gegen die Gleichgültigkeit des_der Gefäng­nisarztes_ärztin durchsetzen kann.

Wie man an den_die Arzt_Ärztin rankommt

Wenn man wegen eines normalen Krankheitsfalls - und nicht wegen eines Notfalls - zum_r Arzt_Ärztin will, geht das so vonstatten, dass man dem_der Stationsbeamten_in bei der Frühstücksausgabe dieses meldet. Vergisst man es in der Hektik der Essensausgabe, muss man bis zum nächsten Tag warten. Der_Die Stationsbeamte trägt einen ohne irgendwelche Rückfragen nach Art der Erkrankung in eine Liste ein, die er_sie sodann dem_der Sanitäter_in gibt. Diese_r sucht einen dann in der Regel ziemlich bald - bei Strafgefan­genen noch vor Arbeitsbeginn - auf und fragt, was anliegt. Nun kommt es darauf an, ihm_ihr glaubhaft zu versichern, dass es sich um eine ernsthafte Sache handelt, nämlich eine solche, die er_sie nicht selbst behandeln kann und die einem den Arbeitsantritt verunmöglicht. Was der_die Sani mit ein paar Pillen selbst behandeln zu können glaubt, sind insbesondere Grippe, Verdauungstörungen, Kopfschmerzen und kleine äußerliche Verletzungen. Andere Erkrankungen - wie Kreislaufprobleme - wird er_sie mittels seines Blutdruckmessers einer Vorkontrolle unterziehen. Was ihm_ihr gemeinhin wirklich imponiert, sind - abgesehen von deutlich sichtbaren Symptomen - all jene Schmerzen, die in den internistischen Bereich fallen, also die inneren Organe, wie Magen, Lunge, Leber etc. Natürlich nur dann, wenn einem nicht gerade zuvor röntgenologisch, labortechnisch oder sonstwie „notorisches Simulantentum" nachgewie­sen wurde.

Bei Zahnschmerzen

Mit Zahnschmerzen muss man sich bei der Frühstücksausgabe vom Stationsbeamten in die Zahnarztliste eintragen lassen und wird dann ohne weitere Rückfragen seitens des Sanitäters zur Behandlung vorge­führt. Da der_die Zahnarzt_ärztin im allgemeinen jedoch nur ein - oder zweimal in der Woche die Anstalt besucht, muss man meistens dennoch recht lange warten, ehe etwas passiert. In der Zwischenzeit kann man sich von dem_der Sanitäter_in relativ problemlos mit Schmerztabletten versorgen lassen. Handelt es sich, wie bei einer Wurzelvereiterung, um wirklich unerträgli­che Schmerzen, die praktisch nicht vorgetäuscht werden können, kann man „Glück" haben und in die Zahnklinik ausgeführt werden. Das allerdings erst dann, wenn man vor Schmerzen eine ganze Nacht lang getobt und um Schmerztabletten gebettelt hat.

Die Vorführung bei dem_r Arzt_Ärztin

Hat man die Klippe Sanitäter_in erfolgreich umschifft, wird man erforderli­chenfalls vom Arbeitsantritt freigestellt und hat darauf zu warten, dass man dem_der Arzt_Ärztin vorgeführt wird. Zu Gehunfähigen kommt der_die Arzt_Ärztin im Laufe des Tages auf die Zelle. Die Vorführung vollzieht sich stations­weise. D.h., der_die Stationsbeamte, sucht sich zu einem bestimmten Zeit­punkt diejenigen Gefangenen seiner Station zusammen, die der_die Sanitäterin in die Arztliste eingetragen hat. Er_Sie stellt sie am Zwischengitter bereit. Dort werden sie von einem_r Verfügungsbeamten übernommen. Diese_r geleitet sie zum Revier, der Krankenabteilung, wo sie ein_e Sanitäter_in empfängt und ins Wartezimmer bringt. Da man die Stationen zur Ver­meidung von Leerzeiten im allgemeinen viel zu früh abruft, beginnt nun eine sehr lange Wartezeit, die allerdings zum Gespräch mit Gefangenen von anderen Stationen genutzt werden kann. Das Wartezimmer des_der Arztes_Ärztin wird dadurch zu einer Art interstationärer Knastnachrichten­börse. Der_Die Arzt_Ärztin trägt die vorgetragenen Beschwerden stichwortartig in die Krankenakte ein und weist den_die dabeisitzenden Sanitäter_in an, dem_der Gefangenen künftig bestimmte Medikamente zu verabreichen. Die Medika­mente werden morgens in Tagesrationen ausgegeben. Bei diesen Medi­kamenten handelt es sich - zumal wenn der_die Gefangene zum erstenmal beim Arzt aufkreuzt - gemeinhin um Schmerz- oder Beruhigungsmittel, mit denen man im Knast recht großzügig operiert. Chancen auf eine ernsthafte Untersuchung oder gar Überweisung an eine_n Facharzt_ärztin hat der_die Gefangene nur bei sichtbar akuten schweren Erkrankungen oder nach seinem x-ten Vorstelligwerden wegen derselben Beschwerde. (Wer laufend mit anderen Krankheiten erscheint, gilt eh als Simulant.)

Versuche eine_n Facharzt_ärztin zubekommen

Wenn der_die Arzt_Ärztin bereit ist, das Leiden überhaupt ernst zu nehmen, kommt es nicht darauf an, eine Untersuchung oder Behandlung bei ihm zu erreichen, sondern zu einem Facharzt_ärztin zu kommen. Knastärzte_innen sind meistens nicht nur restlos gleichgültig, sondern auch noch total unfähig: oft sind sie ehemalige Militär- oder gescheiterte Privatärzte_innen. Hier empfiehlt sich jedoch eine andere Vorgehensweise als bei dem_der Sanitäter_in: während man versuchen kann, letzteren mit einer sicher vorgetragenen Selbstdiagnose zu verunsichern, würde man den_die Arzt_Ärztin damit nur gegen sich aufbringen. Er_Sie ist der_die Arzt_Ärztin, und er_sie will diagnostizie­ren. Er_Sie lässt sich von einem_r gefangenen Patienten_in nicht vorschreiben, was er_sie zu tun hat. Wenn du sagst: Ich habe Magengeschwüre, wird er_sie dir am Magen herumdrücken' und herablassend lächelnd irgendetwas gegen Magenschmerzen verschreiben. Wenn du hingegen die Symptome von Magengeschwüren schilderst und ihn_sie erwartungsvoll anschaust, wird er_sie dir mit sorgenvoller Miene eröffnen, dass du vielleicht Magengeschwüre hast. Dann musst du ihn_sie fragen, ob es denn unbedingt erforderlich ist, geröntgt zu werden - ob er_sie das nicht auch so mit Pillen behandeln könne. Er_Sie wird dir sagen, dass es doch schon sicherer ist, den Magen zu röntgen... Auf diese Weise lässt sich mit einiger Energie und taktischem Geschick eine Ausführung zu einem_r Facharzt_ärztin erreichen. Natürlich klappt das nicht bei jedem_r Arzt_Ärztin. Manche_r gibt erst nach, wenn man ihn_sie massiv damit bedrängt, dass man sich an Mediziner draußen oder an die Presse wendet und dass man notfalls auch bereit ist, ihn_sie wegen unterlassener Hilfelei­stung anzuzeigen.

Schmerzen am,"arztfreien" Tag oder nachts

Wenn man an einem arztfreien Tag oder nachts von Schmerzen überfallen wird, muss man die "klappe" (die in jeder Zelle befindliche Notrufgegensprechanlage oder den Notrufknopf) betätigen. Man schildert dann dem_der Beamten_in, den_die man über die Sprechanlage erreicht oder der_die kommt, was einem fehlt. Der_Die verspricht dann, „gleich" eine_n Sanitäter_in vorbeizu­schicken. Das kann jedoch Stunden dauern. Wenn man wirklich akute Schmerzen hat, empfiehlt es sich, sich nicht von unwirschen Zurechtwei­sungen und Versprechungen von seiten des_r diensttuenden Beamten_in abschrecken zu lassen, sondern immer wieder (zumindest alle Viertel­stunde) die Klappe zu drücken und am besten auch noch gegen die Tür zu trommeln, so dass auch die Gefangenen in den Nachbarzellen sich beschweren. Nur so hat man einige Gewähr, dass in absehbarer Zeit tatsächlich ein_e Sanitäter_in erscheint. Im folgenden zeigen wir an einem konkreten Beispiel, wie man sich mit seiner Krankheit und dem_der Gefängnisarzt_ärztin auseinandersetzen kann:

Du spürst etwas

Jede Krankheit beginnt irgendwann einmal. Es kann sein, dass du lange ihre ersten Anzeichen übersehen hast, bis die Signale eines Tages unüberhörbar werden, die dir dein Körper schickt. Hier soll jetzt beschrieben werden, was ein_e Gefangene_r im Knast tun kann, wenn er_sie solche Symptome, die nicht gleich, wie bei den akuten Notfällen, unüber­sehbar sind, an sich bemerkt. Dazu nehmen wir ein Beispiel: Gesetzt den Fall, du bemerkst eines Tages, dass deine beiden Kniegelenke bei Kniebeugen knacken und ziemlich deutlich knirschen. Irgendetwas ist damit nicht in Ordnung. Aber du hast keine Schmerzen. Es hört sich so an, als ob in deinem Kniegelenk die „Schmiere" fehlt. Du meldest dich zum_r Arzt_Ärztin. Am besten machst du das schriftlich. Der normale Weg ist zwar, sich beim Sanitäter in die Liste eintragen zu lassen - aber zweckmäßiger ist es für dich, du schreibst dem_r Arzt_Ärztin gleich ausführlich, welche Symptome du bemerkt hast. Diesen Brief muss er_sie in die Krankenakte ablegen und dazu seinen Kommentar abgeben, und allein das Vorhandensein dieses Briefs in der Akte kann bedeuten, dass er dich überhaupt gründlich untersucht - soweit er dazu fähig ist und Geräte hat. Du könntest schreiben: „Die beiden Kniegelenke knacken und knirschen, wenn sie wie bei Kniebeugen in einem größeren Winkel bewegt werden. Schmerzen spüre ich keine. Manchmal spüre ich bei Bewegungen im Gelenk eine geringe, kaum wahrnehmbare Hem­mung. Das Symptom habe ich vor meiner Inhaftierung noch nicht bemerkt. Es kann auf den ständigen Bewegungsmangel und die damit verbundene mangelnde Durchblutung zurückzuführen sein."

Du gehst zum Arzt

Du wirst dann an einem der nächsten Tage von einem Grünen zum_r Arzt_Ärztin geführt. Möglicherweise kommt er_sie auch zu dir auf die Zelle. Er_Sie wird deinen Brief durchlesen und dann dein Gelenk untersuchen. Du wirst ihm_ihr vorführen, wie das Geräusch entsteht, und wenn er_sie nicht schwerhö­rig ist, wird er_sie es auch hören. Er_Sie wird das Gelenk an beiden Beinen betasten und es hin- und herbewegen, wird mit seinem Reflexhammer drauf klopfen und dann sagen, dass er_sie nichts feststellen kann. Damit wärst du normalerweise abgefertigt, wenn nicht dein Brief in der Krankenakte wäre. Der_Die Arzt_Ärztin schickt dich zum Röntgen. Von deinen beiden Gelenken werden je zwei Aufnahmen gemacht. Du sollst in einer Woche wieder­kommen. Du wartest, und nach einer Woche meldest du dich wieder zum_r Arzt_Ärztin. Er_Sie sagt dir, die Röntgenaufnahmen sind fertig, und er_sie geht schnell nach nebenan, um sie sich anzusehen. Dann kommt er_sie wieder und sagt, er_sie könne darauf nichts erkennen, aber er_sie würde sie zum_r Röntgenologen_in schicken. Nach einiger Zeit ist auch der Bescheid des_r Röntgenologen_in da. Er_Sie konnte keine krankhafte Veränderung im Gelenk feststellen. - Hier darfst du nicht den Fehler machen, diese Auskunft einfach hinzunehmen. Lass dir den Befund des_der Röntgenologen_in zeigen, lies genau was draufsteht, lass es dir erklären. Nachdem man dir also gesagt hat, dass nichts krankhaftes an deinen Gelenken festzustellen ist - obwohl es kein gesundes Gelenk gibt, das knirscht - bist du nahe dran aufzugeben. Das wäre aber ein Fehler. Denn die ersten, oft harmlos wirkenden Anzeichen von Krankheiten sind meistens von praktischen Ärzten_innen und erst recht von den Knastärzten überhaupt nicht zu erkennen. Auch Röntgenaufnahmen sagen oft nur dem_der Facharzt_ärztin etwas, und selbst die Spezialärzte_innen können sich über solche Anzeichen auf Röntgenaufnahmen uneins sein, ebenso wie über die Deutung geringfügiger Symptome, die sich noch nicht endgültig zu einer eindeutigen Krankheit ausgewachsen haben. Außerdem: manche Krankheiten können nur im Frühstadium geheilt werden. Obwohl der_die Arzt_Ärztin offenbar nicht weiß, was mit deinem Gelenk los ist, verschreibt er_sie dir eine Salbe, die du dreimal am Tag draufschmieren sollst. Sie besteht aus verdünntem Bienengift und soll die Durchblutung anregen. Du kannst die Salbe verwenden, weil du ihre Zusammenset­zung und ihre Wirkung kennst. Bei Medikamenten, die dir unklar sind: Vorsicht! Und erst recht dann, wenn offensichtlich noch nicht einmal klar ist, was du eigentlich hast. In diesem Fall: nimm lieber diese Medikamente nicht. Bestehe immer darauf, den Namen des Medika­ments genannt zu bekommen. Merke ihn dir, schreibe ihn auf. Erkundige dich bei Freunden und Ärzten_innen draußen. Im Kapitel 21 „Medikamente" findest du die Beschreibung einiger Arzneimittel.

Arzt und Patient

Immer wenn man mit Ärzten_innen zu tun hat, befällt einen ein leichter Wahn - der Wahn des Respekts und der Wahn der eigenen völligen Ohnmacht. Das geht soweit, dass man erstarrt. Man fühlt sich so, als wäre man „weggetreten". Im Umgang mit anderen Menschen benimmt man sich einigermaßen lebendig - im Umgang mit Ärzten_innen wirkt man wie eine Leiche: starr, sagt nichts, lässt alles mit sich machen. Ich glaube, die meisten Patienten_innen ließen sich sogar ohne Widerspruch umbringen, wenn es dabei nur recht „medizinisch" zugeht. Aus demselben Grund werden „falsche Ärzte_innen" oft erst nach vielen Jahren entlarvt. Es umgibt die Ärzte_innen ein heiliger Schein.

So ist es dir bei dem_r Arzt_Ärztin ergangen, und nachher ärgerst du dich drüber

Du ärgerst dich vor allem, weil du nichts gefragt hast. Das lag nicht nur daran, dass es zu schnell ging, sondern dass du wie erstarrt warst. Du hättest fragen sollen, worauf ein solches Symptom wie das Knacken im Gelenk hinweisen kann, woher es kommen kann. Du hättest sagen müssen, daß ein_e Facharzt_ärztin (in diesem Fall ein_e Orthopäde_in) das Gelenk untersuchen soll, dass du zu dem Zweck eine Ausführung beantragst. Du hättest dir auch die Röntgenbilder zeigen lassen sollen. Schließlich sind das deine Beine, und du hast ein Recht, selber zu sehen, was damit ist - noch dazu sind Röntgenaufnahmen wegen der damit verbundenen Strah­lenbelastung des Körpers nicht ohne Risiko, also müssen sie für dich auch einen Wert haben, und den haben sie nur, wenn du sie auch betrachten kannst. Du hättest fragen sollen, warum der_die Arzt_Ärztin dir eine Bienengiftsalbe verschreibt, wozu die gut sein soll, was sie an deinem Gelenk ändern soll. Du hättest fragen müssen, ob der Schaden am Gelenk auf mangelnde Bewegung zurückzuführen ist, und falls der_die Arzt_Ärztin dem zustimmte, hättest du darüber ein schriftliches Attest verlangen sollen. Alles das hast du nicht getan, weil du dich, sobald du bei dem_der Arzt_Ärztin eingetreten bist, in eine_n bescheuerten „Patienten_in" verwandelt hast. Beim nächsten Hofgang redest du mit einem_r Mitgefangenen über die Sache. Du erfährst, dass es ihm_ihr genauso gegangen ist. Und dass man von diesem_r Arzt_Ärztin immer nur hört, was man nicht hat, nie aber was man hat. Wenn eine_r Schmerzen im Magen spürt, sind es „Muskelschmerzen". Es sind aber auch „Muskelschmerzen", wenn er_sie sie woanders spürt. Die Knastärzte_innen scheinen sich, jeder für sich, irgendwie auf bestimmte Krank­heiten spezialisiert zu haben. Diese_r hier hat sich auf Muskelschmerzen spezialisiert. Er_Sie findet sie bei jedem_r zweiten, schließlich sind Muskeln überall. Und gegen Muskelschmerzen braucht es keine Therapie, weil sie von selber wieder vergehen. So wie die Schmerzen, die er_sie feststellt, immer dieselben sind, sind auch die Medikamente oft dieselben. Sie scheinen überall zu wirken: am Kopf, am Fuß, genauso im Bauch, am Rücken - es sind immer dieselben Pillen. Nachdem dir klargeworden ist, dass du nie erfahren wirst, was du hast, wenn du dich auf diese_n Arzt_Ärztin verläßt, stellst du einen Antrag auf Untersuchung bei einem_r Facharzt_ärztin. Dazu brauchst du die Zustimmung des_r Anstaitsarztes_ärztin. Da er_sie sie ungern geben wird, ist es zweckmäßiger, ihm_ihr wieder einen Brief zu schicken, den er_sie wieder in seine Krahkenakte einheften muss (überhaupt solltest du immer dafür sorgen, dass in ihren Akten hauptsächlich deine Angaben sind und nicht ihre!). Du beschreibst in dem Brief, dass du über die Symptome, die du bemerkst, beunruhigt bist, weil sie möglicherweise auf eine später nicht mehr heilbare Gelenkerkrankung hinweisen. Ist der_die Arzt_Ärztin ein_e besonders sturer Bock_Ziege, kannst du noch hinzufügen: Eine Verweigerung der fachärztlichen Untersuchung müßtest du als vorsätzliche Körperverletzung betrachten, da aus einer später nicht mehr heilbaren Gelenkerkrankung für dich eine lebenslange Invalidität erwachsen kann. Wenn es dir möglich ist, besorgst du dir jetzt von draußen oder wenig­stens aus der Anstaltsbücherei Bücher über Krankheiten. Vielleicht findest du irgendwo einen Hinweis auf speziellere Bücher, oder du lässt dir ein spezielles Buch über Gelenkkrankheiten von draußen besorgen. Eine Liste von Büchern, die für die Suche nach Antworten brauchbar sind, findest du im Anhang.

Du beginnst dein Symptom zu studieren

Dazu ist allerdings zu sagen, dass man sich dabei leicht auch verirren kann. Jede_r von uns kennt den Effekt, dass man glaubt man hat Krebs, wenn man nur ein Buch über Krebs gelesen hat. Und man glaubt man hat Schizophrenie, wenn man nur ein Buch über Schizophrenie gelesen hat. Man sollte sich also ruhig etwas Zeit lassen und nicht immer glauben, man hätte schon das, was man gerade gelesen hat. Außerdem sind nicht nur eine Vielzahl von Krankheiten bei einem solchen Symptom möglich, sondern jede Krankheit, die eine_r hat, hat auch ihre Individualität, das heißt: sie ist nicht einfach „die" Krankheit, wie sie im Buch steht, sondern es ist „deine" Krankheit. Sie ist so typisch wie dein Körper typisch für das Menschengeschlecht ist, aber auch so untypisch wie dein eigenes Leben im Verhältnis zum Leben aller übrigen Men­schen. Es könnte auch sein, daß die Krankheit viel mehr mit deinem ganzen Leben als mit deinen Knochen oder anderen Organen zu tun hat - und dass dein Körper nur der Resonanzboden für einen seelischen, depressiven Grundton ist, der von deinem Denken und Fühlen ausgeht.