Sexuelle Beziehungen im Männerknast

Aus Gefangenenratgeber

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3.10. Sexuelle Beziehungen im Männerknast

Wir haben zu diesem Thema drei sehr unterschiedliche Beiträge zu­sammengestellt: Im ersten Beitrag beschreibt ein Gefangener wie er die Unterdrückung der Sexualität erlebt und wie er darauf reagiert („Das Gemeinste am ganzen Knastsystem"). Danach lassen wir — wie es sich bei diesem Thema gehört — auch einen Pfarrer zu Wort kommen, der längere Zeit als Anstaltspfarrer tätig war. Seine Arbeitskreise wurden von den Gefangenen zu Gesprächen über dieses Thema genutzt. Auf das, was dort an Fragen und Problemen zur Sprache kam, geht dieser Beitrag ein („Sex im Knast"). Im letzten, etwas abstrakteren Beitrag setzt sich ein ehemaliger Gefangener damit auseinander, wie sich die Sexualität unter den Bedingungen des Eingesperrtseins verändern kann. • Die Sexualität im Gefängnis existiert in den Beschreibungen der kriminologischen Fachbücher und Zeitschriften nur in Gewalttätigkeiten, Vergewaltigungen, Prostitution, Perversion. In dem Beitrag wird dies als „Sexualität der Justiz" erkannt, der eine Sexualität der Gefangenen entge­gengesetzt wird, die auch die Verteidigung, den Widerstand gegen ein lebensfeindliches Prinzip enthält („Die Veränderung der Sexualität"). Im ganzen Abschnitt ist nur von Männern die Rede; Erfahrungen von Frauen mit der „Liebe im Knast" sind im Frauenteil unter Abschnitt 6.1. zu finden. Das Thema Sexualität im Knast war ursprünglich überhaupt nicht vorge­sehen, denn das — so schien es uns — gehört nun wirklich nicht in einen „Ratgeber". Kein Abschnitt dieses Buches war.unter uns so umstritten, wie dieser: Es sei eine Verhöhnung der sexuellen Einsamkeit und eine Verharmlosung der sexuellen Gewalttätigkeit im Knast wenn hier gepredigt werde, die Selbstbefriedigung zu genießen und die Berührungsängste gegenüber Mit­gefangenen abzubauen. Dies fanden vor allem diejenigen u nter uns, die den Knast nur von außen kennen. Es waren aber gerade die Knasterfahrenen, die darauf drängten, dieses Thema nicht auszuklammern und die sich von den vorliegenden Beiträgen eine entkrampfende, die Verdammnis um dieses Thema etwas lüftende Wirkung versprechen.

Das Gemeinste am ganzen Knastsystem

Au Backe, ja, Sexualität. Die Unterdrückung derselben ist wohl das Ge­meinste am ganzen Knastsystem. Ein unheimlicher Horror, diese völlige Vernichtung der Intimsphäre; schlimmer noch als das Alleinsein, absolut tödlich über einen längeren Zeitraum hinweg —bleibt einem nix weiter als das Wixen. Darüber groß zu jammern wäre falsch. Du m u ß t halt so zu­rechtkommen — und dabei noch versuchen, nicht kaputtzugehen. Allgemeine Regeln fürs sexuelle Überleben lassen sich wohl kaum aufstellen. Ich will versuchen, anhand meiner Figur e i n Beispiel aufzei­gen; wie ich also versuche, damit fertigzuwerden; was ich gegen den Verfall unternehme, Nach fünfzehn Monaten wird die Stimulierung zum Problem. Die Phantasie, die keinerlei Anregungen mehr erfährt, läßt nach. Du stellst auf einmal fest, daß es nicht mehr reicht, an eine bestimmte Braut zu denken, um einen hochzukriegen. Stellt sich also konkret die Frage nach Wixvorlagen. Hast du einen gewissen Bewußtseinsstand bezüglich der sexuellen Unterdrückung in diesem verpissten System erreicht; hast du gar schon versucht, das Wissen um bestimmte Beziehungen zwischen beispielsweise Sex und Aggression oder zwischen Erotik und Werbung etc. in die Praxis umzusetzen — so bedeutet das nun ganz konkret einen Rück­schritt, einen Zurückfall in deine individuelle sexuelle Steinzeit. Du darfst also erotische Stimulierungen nicht mehr aus der Wirklichkeit, von wirklichen Menschen beziehen, sondern nur noch von einer vorgegaukelten Scheinrealität auf Hochglanzpapier, mehr oder weniger ästhetisch abgelichtet. Das ist finster, sehr finster. Klar, selbst der schlechteste Porno macht dich an, aktiviert deine Triebe — dagegen bist du eigentlich wehrlos. Ich bin über ein Jahr ohne ausgekommen, zehrte noch so lange von meiner Phantasie. Wenn du aber dann feststellst, daß dir deine ganze schöne Phantasie den Schwanz kaum noch bewegt- und dich das geringste Geräusch an der Tür zwingt, wieder von vorne anzufangen — dann muß einfach was geschehen. Dann hast du einen Punkt erreicht, wo du entweder was für dein Überleben tun mußt oder dein Sex geht zum Teufel. Davon abgesehen, daß das stumpfsinnige Onanieren mit halbschlaffem Schwanz sogar zu physischen Defekten führen kann, frustriert ungemein. Es verschafft kein Gefühl der Befriedigung sondern der Verzweiflung, der Trauer. Es macht deine Sehnsucht nach lebendigen Menschen so unendlich groß, daß du davon verrückt werden kannst. Ich bin nach wie vor erbitterter Porno-Gegner, Nachdem ich mich damit Erotik zu erhalten. Das heißt bevor ich auch nur einmal so'n Drecksporno, der von Frauenfeindlichkeit und Erniedrigung nur so stinkt, in die Hand nehme, verzichte ich lieber zwei Tage auf die gewohnte Intim-Gymnastik. Glücklicherweise gibt es aber auch erotische Darstellungen, die gut und schön sind; die Sexualität nicht von Erotik trennen. Dazu zählen z.B. gewisse Comix (womit ich nicht den kaputten Frauenhasser Crumb meine) oder Tantra-Darsteliungen. Naja, erotische Romane gibts dann schließlich auch noch. Was mir noch aufgefallen ist; Daß man hier drinnen viel intensiver über den ganzen Komplex der Sexualität nachdenkt, als dies jemals draußen der Fall war. Und daß das ganz enorme Erkenntnisse mit sich bringt — wenn gezielt und . offen nachgedacht wird. Mir sind jedenfalls schon etliche, hundertmal längst durchgegrübelte Geschichten plötzlich wie nagelneue Seifensieder aufgegangen. Auch über Homosexualität denkt man auf einmal viel intensiver nach. Der kleine schwule Bursche in dir wird nicht länger verdrängt, sondern du bist auf einmal gezwungen, dich mit ihm zu beschäftigen. Und dann fragst sich auch der eingefleischteste Hetero, ob das Bisherige nun wirklich das Gelbe vom Ei war und wovor er eigentlich immer Angst hatte . . . Soweit ich das bis jetzt übersehe, bedeutet der Knast alles andere als ein sexuelles Eldorado für unsere warmen Brüder. Kaum ein Schwuler zeigt bzw. wagt es, seine Vorliebe für Männer zu zeigen, Schwule im Knast werden oft ähnlich wie Ausländer oder „Kinderficker" behandelt. Mit einem Schwulen unterhalte ich mich seit einiger Zeit darüber. Ich frage ihn Locher in den Bauch und lerne Etliches — auch über mich selbst, d.h. er stimmuliert mich, über mich nachzudenken.

Sex im Knast

Eigentlich lassen sich ja zu diesem Thema noch weniger als zu anderen konkrete Ratschläge geben. Wir haben aber in Diskussionen im Knast ge­merkt, wie viele zum Teil völlig blödsinnige oder vorsintflutliche Vorur­teile und Ängste sich mit dem Thema auch heute noch verbinden und von Eltern, Lehrern, Ärzten, aber auch in Büchern und Zeitschriften verbraten werden. Und nicht jeder, der bei dem „Thema Nr. .1" das Maul weit auf­reißt, ist tatsächlich der große Sachkenner. Wir meinen aber, daß es möglich sein müßte, auch über Sexualität und was einem dabei zu schaffen macht, ganz vernünftig miteinander zu reden, ohne gleich ins Blödeln 2u verfallen. Ich erinnere mich an ein paar Gruppendiskussionen in einem Ar­beitskreis im Knast, die waren wirklich Spitze. Versuch das auch einmal, wenn du ein paar Leute hast, mit denen man vernünftig reden kann. Blende dieses Thema nicht aus, weil's zu „heiß" oder zu „doof" ist. Und wenn je­mand unbedingt seine Wit2-Show abziehen muß: laß ihm den Spaß, lach besonders herzlich, denn er hat's bestimmt nötig!

Was man sich so unter Sexualität vorstellt

Es gibt einen Kinderreim, der ganz gut beschreibt, was „man" sich so unter Sexualität, unter „normaler" Sexualität, vorstellt: „Licht aus, Licht aus' Mutter zieht sich nackt aus, Vater holt den Dicken raus, einmal rein, einmal raus, fertig ist der kleine Klaus." Nun kann man sich das ja noch ein bißchen ausführlicher und lustvoller ausmalen, was hier so kurz und treffend mit „einmal rein, einmal raus" um­schrieben wird. Und fast alle Sexfilme, Sexbücher und -witze leben von die­sem einen, unerschöpflichen Thema: die normale Sexualität, das ist der Beischlaf. Der Mann steckt seinen steifen Schwanz in die Mose einer Frau, dann bewegt man sich ein paar Minuten auf- und untereinander, bis es bei einem oder bei beiden Partnern zum Orgasmus kommt. Da gibt es dann noch die verschiedensten Stellungen, ganze Bibliotheken sind schon darüber geschrieben worden. Im Knast ist diese Form von sexueller Betätigung so gut wie ausgeschlossen — jedenfalls in-der U-Haft und im geschlossenen Vollzug. „Die Unter­drückung der Sexualität ist wohl die gemeinste am ganzen Knastsystem" schreibt ein Gefangener, „ein unheimlicher Horror, diese völlige Vernich­tung der Intimsphäre; schlimmer noch als das Alleinsein, absolut tödlich über einen längeren Zeitraum hinweg — bleibt einem nix weiter als das Wixen". Was er hier beschreibt, ist klar: Sexualität könne sich im Knast nur in einer entwürdigenden Ersatz-Form äußern, die eigentlich für jeden „normalen" Mann unzumutbar sei: ungenießbar wie Ersatzkaffee. Nicht zufällig ist „du Wichser!" eines der schlimmsten Schimpfwörter im Knast. Wichsen, Selbstbefriedigung, Onanie, Masturbation, Sich-einen-runterhoien usw. usw. — viele Wörter für eine eigentlich sehr natürliche und selbstverständ­liche Sache. Aber die meisten von uns sind von klein auf drauf gedrillt worden: das tut man nicht, das ist bäbä — oder ganz schlicht und besonders wirkungsvoll ein Klaps auf die Finger, wenn sie sich mal unter die Gürtellinie verirrten; zumindest aber ein strafender Blick und die Erklärung, dass man „dafür“ denn doch schon zu alt sei...So fing das bei uns schon im zarten Kindesalter an, ging weiter in der Schulzeit – bis wir schliesslich selbst davon überzeugt waren: sich selbst geschlechtliche Befriedigung zu verschaffen ist Murks, Pfuscherei. Wir tun es, gelegentlich, wenn wir nix besseres finden, und dann hastig, unter der Bettdecke, auf dem Klo. Mit Lust hat das wenig zu tun, man bringt's halt hinter sich wie Zähneputzen. „In gewisser Weise wirst du während vieler Formen der Selbstbefriedigung durch deine Hände vergewaltigt, und da du der Vergewaltigende bist, richtet sich dein Ärger gegen dich selbst". Wer hat das im Knast noch nicht erlebt, was J.JL Rosenberg da herausgefunden hat: Selbstbefriedigung kann zur Selbstbestrafung, Selbstvergewaltigung werden. Viele flüchten sich dann in immer aggressivere Phantasien hinein, und ohne das können sie gar nicht mehr zum Orgasmus kommen.

Sich selbst entdecken

Dagegen möchte ich einen anderen Weg vorschlagen: Lerne es, die Selbst­befriedigung zu genießen! Das geht auch im Knast. Wichtig ist, daß du einigermaßen sicher sein kannst, nicht gestört zu werden. Die Zeiten, in denen kaum ein Grüner unterwegs ist, bekommst du schnell heraus. Und wenn du deine Zelle mit jemand teilen mußt, ist es besser, ihr sprecht über eure Art, mit Sexualität umzugehen, als daß es jeder „heimlich" unter der Bettdecke macht. Viele benutzen irgendwelche Wixvorlagen, um sich in Stimmung zu bringen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich in die eigene Phantasie zu vertiefen, statt sich mit den langweiligen Illustrierten-Girls anzutörnen. Entdecke deine Phantasie! Erlaube dir, mit deinen Phantasien mitzugehen! Es ist erstaunlich, wohin unsere Phantasie führt, wenn wir uns ihr überlassen. Und genauso gilt: entdecke deinen Körper! Dazu findest du Anregungen in anderen Abschnitten des „Knastratgebers", bei den Atmungs- und gymnastischen Übungen. Denke daran, daß deine ganze Haut, nicht nur dein Schwanz, sexuell erregbar ist. Streichele dich an allen möglichen Stellen und lerne dabei, wo du besonders lustvolle Empfindungen hast. Manche können das besser mit Gleitmitteln, mit Öl oder Vaseline oder mit Körperlotions (ohne Alkohol).' Weitere Anregungen findest du in den Büchern „Der selbstbefriedigte Mensch" von V.E. Pilgrim und „Orgasmus" von J.L. Rosenberg (siehe Bücherliste am Schluß). Wichtiger als eine raffinierte Onaniertechnik ist aber allemal, daß du lernst, nett zu dir selbst zu sein — und das in einer Umgebung, in der kaum einer nett zum anderen ist..

Berührungsängste

Es sieht so aus, als wäre das Problem der Geringschätzung von Homosexu­alität in manchen Frauenknästen schon sehr viel fortschrittlicher, freier er­kannt und diskutiert, als wären schon mehr Lösungsmöglichkeiten erprobt. Zumindest sieht man in Frauenknästen öfter Frauen, die Arm in Arm gehen, sich um den Hals fallen, küssen. Das alles ist in den Männerknästen (noch?) tabu. Es gilt eben als unmännlich, schwul. Dabei wäre zu­mindest das ein guter Weg, aus der totalen Isolierung und Verkümmerung herauszukommen. Wem nützt denn diese Berührungsangst? Gewiß, wir werden anfälliger für den Schmerz und die Trauer bei Verlegungen und sonstige Trennungen, wenn wir intensive, auch körperliche Beziehungen und Berührungen eingehen und zulassen. Aber dieser justizförmige Irr­sinn, daß die Gefangenen selbst alle Zärtlichkeiten unter Gefangenen ver­folgen, lächerlich machen, mit Strafe belegen — der muß irgendwann einmal verschwinden!

Schwule

Als Schwuler wird man im Knast nicht nur durch die Beamten, sondern auch von einem Teil der Gefangenen diskriminiert. Entweder du wirst geschnitten oder — was noch häufiger ist — gehänselt und verspottet. Da gibt es natürlich den Weg, das Schwulsein zu verbergen und zu hoffen, daß es keiner merkt. Es sind aber immer mehr Schwule im Knast auf den Trichter gekommen, daß mit ihrer Unterdrückung oder gar Ausbeutung nur durch ein offensives Schwulsein Schluß gemacht werden kann — sowie dies auch draußen immer mehr Schwule erkennen. Das kann so aussehen, daß du dich mit anderen Schwulen -—natürlich auch Nichtschwulen — zu­sammentust und ihr gemeinsam auf die Spötteleien von Mitgefangenen während der Arbeit oder während des Hofgangs reagiert — selbstsicher reagiert. Die Beamten verhalten sich meist dann gegenüber den schwulen Gefange­nen zurückhaltend, wenn ihnen klar wird, daß es sonst Ärger auf der. Station gibt. Ihr könnt die Situation der Schwulen im Knast auch mal zum Thema eines kirchlichen Arbeitskreises, einer Gesprächsgruppe oder einer anderen Gemeinschaftsveranstaltung machen, in die vorher möglichst viele Schwule reingegangen sind. Vielleicht läßt sich auch die Einrichtung einer Nehmt Kontakt zur Schwulenbewegung draußen auf. Im Kontaktadressenteil findet ihr dazu einige Adressen. Bei dem Kapitel „Sexualität" wird die Grenze des Knastratgebers besonders deutlich: Wir können eigentlich nur Anregungen geben, das Thema in die ernsthaften Gespräche und Diskussionen im Knast mit einzubeziehen, Leute von draußen einzuladen, die dazu was sagen können, Kontakt mit Gruppen draußen aufzunehmen — und jedenfalls nicht bei der resignierten Feststellung stehenzubleiben, daß die Unterdrückung der Sexualität „wohl das gemeinste am ganzen Knastsystem" ist.

Die Veränderung der Sexualität

Die Inhaftierung bedeutet auch, daß man von Sexualität abgeschnitten wird, und das bedeutet nicht einfach nur von anderen Menschen abge­schnitten zu werden, zu denen man eine sexuelle Beziehung hat, sondern daß man in einen Zustand versetzt wird, der von vornherein künstlich ist — wie überhaupt der Knast einen Menschen in einen künstlichen Zustand versetzt, nämlich der Isolation von sozialen Beziehungen, der versuchten Aushungerung der emotionalen Beziehungen zu andern. Die Verhaftung bedeutet also vordergründig zunächst einen Verzicht auf Sexualität. Aber gerade das ist nicht der Fall. Denn Sexualität ist etwas so elementarisches, lebensnotwendiges, daß auch die im Knast versuchte Iso­lation sie nicht unterbrechen kann. Der Knast kann sexuelles Bedürfnis vielleicht verbiegen, aber nicht unterbrechen. Das Bedürfnis ändert sich und paßt sich an die veränderte Situation an. Die Situation ist das Einge­sperrtsein. Das heißt, daß man allein gelassen wird mit einem Bedürfnis, das sich auf andere richtet. Dieses Bedürfnis wird sich dann, weil es einfach nicht zu unterbinden ist, auf einen selbst richten. Man ist also konfrontiert mit einem Bedürfnis, das keinen anderen Ausweg mehr laßt, als sich selber an sich selber zu befriedigen. Die Ängste, die damit verbunden sind, sind ein Teil der Unterdrückung, die ein Gefangener erfährt. Weniger als in anderen Teilen des Ratgebers kann auf dem Gebiet der Sexualität eine Norm angegeben werden, wie man sich am „zweckmäßig­sten" verhält. Trotzdem ist es vielleicht eine gewisse Hilfe für den ein­zelnen, wenn ich hier die Situation, wie ich sie erlebt und beobachtet habe, zu beschreiben und in der Beschreibung Lösungsmöglichkeiten aufzuzei­gen versuche. Dabei geht es vor allem darum, Ängste abzubauen und die Sexualität im Knast, also die Sexualität des Einzelnen und die Sexualität die sich auf die Männer richtet, angstfrei zu beschreiben. Denn: Wie man sich verhält und unter welchen Ängsten man leidet, ist auch abhängig davon, wieweit man in der Lage ist, diese Ängste auszudrücken und im Gespräch mit anderen zu klären.

Die Isolation

Das Abschneiden eines Menschen von seiner Gesellschaftlichkeit soll ihn zu dem Zweck der Justiz zur Verfügung stellen. Er soll sich gefügig machen lassen. Das wird versucht mit einer Isolierung — Isolierung von allen seinen bisherigen Lebenselementen. Und wenn ein solcher aus seinen bis­herigen Lebenselementen herausgenommener Mensch in das völlig künst­liche Lebenselement der Justiz versetzt wird, dann bedeutet das erzwunge­ner Verzicht auf einen Teil seiner selbst. Dieser Verzicht wird auch auf sexuellem Gebiet versucht. Doch ein selbst vollzogener Verzicht auf Sexualität bedeutet eine Gefügigkeit auch auf anderen Gebieten. Niemand kann auf ein elementares Bedürfnis verzichten, ohne daß sich sein ganzes Ich verzerrt. Das immer wiederkehrende Bedürfnis, das sich nicht mehr ausdrücken kann, wird sich dann andere Wege zur Befriedigung suchen — in einer scheinbar nicht sexuellen Sphäre, vielleicht auch in der Krankheit.

Die Sexualität der Justiz

Welche Zerstörung die Justiz auf diesem Gebiet mit Menschen anrichtet, kann man auch bei vielen Beamten beobachten, die eine perverse Form der Sexualität, den Sadismus, ausleben. Dafür gibt es erlaubte Gelegenheiten und Riten der Erniedrigung von Gefangenen: die Entkleidung zum Bei­spiel beim Zugang oder die Entkleidung in der Beruhigungszelle. Die per­verse Form der Intimität, die hier geschaffen wird, ist angefüllt mit der unterschwellig sexuellen Vorstellung und Sprache der Beamten. Diese Form der sadistischen Perversion der Beamten ist von der Institution des Knasts in hohem Maße toleriert. Gegen sie gibt es keine Rechtsmittel, sie ist ausdruckslos, und es würde bereits ein Delikt — „Beamtenbeleidigung" —- bedeuten, sich dagegen in Worten und mit Anzeigen zu wehren. Auf der anderen Seite versucht die Institution Justiz, die Sexualität der Gefangenen zu unterbinden, weil sie die künstliche Vereinzelung durch den Schmutz. Dem Vorbild der Perversion der Beamten steht die versuchte emotionale Verarmung und Verschuldung der Sexualität der Gefangenen gegenüber. Damit wird versucht, die Gefangenen sexuell zu pervertieren, das heißt auf solche „anständigen" Ersatzbefriedigungen — auf eine unterschwellige Sexualität, die sich nicht sexuell äußern darf, abzudrängen und dadurch einen Menschen in seinen Ausdrucksmöglichkeiten aufs Äußerste zu be­schränken. Wer sich darauf einschränken läßt, wird sich vielleicht auf anderen Ge­bieten ebenso gefügig machen lassen. Die geforderte Unterwerfung bedeutet nicht nur die Unterwerfung eines einzelnen Bedürfnisses, son­dern eines Bedürfnisses, das grundlegend für alle andern Bedürfnisse ist.

Phantasie und Sexualität des Einzelnen

Sexualität ist etwas, was sehr viel mit Phantasie zu tun hat, mit Vor­stellung, Erinnerung. In der Isolation bedeutet die Phantasie etwas, was das Leben draußen ersetzen muß, sie bedeutet einen Ersat2 für das Nicht-leben draußen, einen Ersatz für wirkliche Personen, einen Ersatz für Ge­sellschaft. Ohne Phantasie kann Sexualität sich nicht entfalten. Phantasie versucht, sich den andern vorzustellen, sich in den andern hineinzuver­setzen, und sie bedeutet damit einen wesentlichen Teil des Umgangs mit andern. Denn auch draußen ist es so, daß nicht nur die Körper miteinander umgehen, sondern auch die Phantasien. Die Phantasie kann sich auf den einzelnen selbst richten, und sie kann sich auf andere richten. Sie kann andere als Figuren oder Objekte der eigenen Wünsche erscheinen lassen. Man sollte nicht versuchen, diese Phantasie, weil sie Ängste hervorruft, einzudämmen. Man sollte im Gegenteil ver­suchen., diese Phantasien auszudehnen, sie zu dramatisieren, die Vor­stellung der Nichtvorhandenen und einer nicht vorhandenen Gelegenheit des Umgangs mit ihnen auszubauen, sie zu „inszenieren". Phantasie ist eines der wenigen Mittel, die einem Gefangenen übrig bleiben, um seine Isolation zu durchbrechen. Es ist zugleich das Mittel, durch das sich seine Sexualität erneuern kann. Es gibt ja nicht nur die Sexualität zwischen Mann und Frau und zwischen Männern, Sondern wenn man davon ausgeht, daß die Sexualität ein Bedürfnis ist, das nicht ohne die Zer­störung eines Menschen zu unterbrechen ist, wie Hunger und Durst, muß man auch die Sexualität des Einzelnen als etwas anerkennen, was unter der Bedingung der Isolation mindestens den gleichen Rang hat wie die Sexuali­tät zwischen Mann und Frau und die Homosexualität. Die Sexualität des Einzelnen ist auch nicht zu verkürzen auf den Begriff Onanie, Selbstbe­friedigung, weil dadurch die ganze Dimension der Phantasie wegfallen würde. In der sexuellen Beziehung mit andern ist der einzelne ebenso einzeln.. Nur durch seine Phantasie ist er mit anderen verbunden. In weicher Weise er durch Phantasie mit anderen verbunden ist, bestimmt wesentlich die Art seiner Sexualität. Man kann also annehmen, daß die Sexuaiität des Einzelnen eine Art Beziehung zu anderen ist, die sich zwar von allen anderen sexuellen Beziehungen unterscheidet, aber trotzdem immer noch eine sexuelle Beziehung ist — und damit gleichrangig mit anderen Formen der Sexuaiität — die sich ja auch nicht beschränken lassen auf Heterosexualität und Homosexualität.

Das sexuelle Bild und die sexuelle Vorstellung

Wie notwendig die Phantasie bei Sexualität ist, zeigt sich darin, daß es auch für sie einen Ersatz gibt: das sexuelle Biid. Es bedeutet eine Verhinderung der. eigenen Phantasie und damit eine Verhinderung der Individualität, wenn etwas so Persönliches wie die eigene Sexualität durch etwas Fremdes wie ein Bild stimuliert wird. Vielleicht ist das der Grund, warum solche stimulierenden Bilder an den Wänden der Zellen von der Institution geduldet werden. In der sexuellen Vorstellung wird dagegen eine Situation geschaffen, die persönlichen Charakter hat und sich der Kontrolle durch die Institution entzieht.. Die sexuelle Vorstellung hat die Tendenz in sich, sich auszuweiten und zu dramatisieren. Sie ist nicht nur eine Vorstellung vom andern, sondern eine Vorstellung von einem andern Leben mit andern dem die üblichen sexu­ellen Rollen aufgehoben sein können. Dieser Phantasie sich hinzugeben bedeutet nicht einfach einen Ersatz für Nichtvorhandenes, sondern eine Möglichkeit der eigenen Verwirklichung. Denn je mehr man mit ihr umgeht, desto mehr wird sie sich vernünftig machen, d.h. zum Gedanken über ein verändertes Leben mit andern werden. Die Phantasie hat die Tendenz, sich einem körperlichen Akt zu widersetzen, sie verzögert unmittelbare Befriedigung und Entspannung durch das Interesse, das sie erzeugt. Auch der Umgang mit Phantasien braucht eine gewisse Übung und Überlegung, und man muß wissen, wie man sich auf Phantasien konzentrieren kann, um sie deutlich wahrzuneh­men. Wie beim Denken bedeutet auch bei der Phantasie Konzentration deutliches Wahrnehmen. Die vorgestellte Szenerie wird dadurch intensiv und wirklich. Die Beschäf­tigung mit ihr enthält eine eigene Form der Befriedigung, die weit lustvoller ist, als die sexuelle Entlastung ohne Vorstellung.

Die Träume

Die Phantasie, die von der gewöhnlichen Angst im Umgang mit andern ständig gehemmt wird, setzt sich schließlich durch in den Träumen. In den Träumen erscheinen die durch ein unbewußtes Gewissen nur noch gestör­ten Wünsche. Damit erscheint aber auch die Institution, der ein Gefange­ner ausgeliefert ist, in ihrer ganzen Brutalität und Widersinnigkeit. Die Träume nehmen radikal Partei für den einzelnen. Unter Umständen sind sie der einzige Verteidiger, den einer hat. Die Träume sind auch wirk­licher als Gedachtes, Gesprochenes, weil sie ihre eigene optische Wahrneh­mung haben. Sie erscheinen in Bildern und Szenen, in einer eigenen Reali­tät. Diese Realität, die sie hervorbringen, ist vor allem das Bild des Gefäng­nisses, des Gefangenseins. Die Träume zeichnen dieses Bild so, wie es zur Verteidigung des Gefangenen notwendig ist: als Grausamkeit und Gewalttätigkeit gegenüber einem hilflosen, verängstigten Wesen, einem Kind ... Wie die Träume die Realität parteilich verzerren, damit aber nur die Ohnmacht des einzelnen ausdrücken können, so versuchen sie auch, dem einzelnen zu Macht zu verhelfen, je gewalttätiger und grausamer der Zustand ist, den sie widerspiegeln, desto gewalttätiger wird auch die Verteidigung sein, die die Träume vorstellen. Damit aber erscheint die Gefahr, daß sich die unbewußte Phantasie als Antwort auf die Gewalt, die einem Individuum angetan wird, mit Gewalt­tätigkeit erfüllt und auch die sexuellen Vorstellungen von dieser Gewalt­tätigkeit beeinflußt werden. Die Gewalttätigkeit, die man in sich spürt, er­zeugt dann Schuldgefühle und den Versuch, die aufkommenden Phantasien zu verdrängen und auf diese. Weise loszuwerden. Das Ver­drängte erscheint dann wieder in den Träumen, und damit ist der Kreis ge­schlossen. Für diese typische Situation des Unbewußten eines Gefangenen eine Lö­sung zu finden, kann hier natürlich nicht versucht werden. Doch gibt es in jedem Fall die Möglichkeit und auch Notwendigkeit, mit den eigenen Träumen umzugehen. Das ist im Gefängnis vielleicht noch viel notwen­diger als draußen, denn gerade unter extremen Zuständen entstehen extreme Verschiebungen des Gefühlslebens.


3.10. Sexuelle Beziehungen im Männerknast

Wir haben zu diesem Thema drei sehr unterschiedliche Beiträge zu­sammengestellt: Im ersten Beitrag beschreibt ein Gefangener wie er die Unterdrückung der Sexualität erlebt und wie er darauf reagiert („Das Gemeinste am ganzen Knastsystem"). Danach lassen wir — wie es sich bei diesem Thema gehört — auch einen Pfarrer zu Wort kommen, der längere Zeit als Anstaltspfarrer tätig war. Seine Arbeitskreise wurden von den Gefangenen zu Gesprächen über dieses Thema genutzt. Auf das, was dort an Fragen und Problemen zur Sprache kam, geht dieser Beitrag ein („Sex im Knast"). Im letzten, etwas abstrakteren Beitrag setzt sich ein ehemaliger Gefangener damit auseinander, wie sich die Sexualität unter den Bedingungen des Eingesperrtseins verändern kann. • Die Sexualität im Gefängnis existiert in den Beschreibungen der kriminologischen Fachbücher und Zeitschriften nur in Gewalttätigkeiten, Vergewaltigungen, Prostitution, Perversion. In dem Beitrag wird dies als „Sexualität der Justiz" erkannt, der eine Sexualität der Gefangenen entge­gengesetzt wird, die auch die Verteidigung, den Widerstand gegen ein lebensfeindliches Prinzip enthält („Die Veränderung der Sexualität"). Im ganzen Abschnitt ist nur von Männern die Rede; Erfahrungen von Frauen mit der „Liebe im Knast" sind im Frauenteil unter Abschnitt 6.1. zu finden. Das Thema Sexualität im Knast war ursprünglich überhaupt nicht vorge­sehen, denn das — so schien es uns — gehört nun wirklich nicht in einen „Ratgeber". Kein Abschnitt dieses Buches war.unter uns so umstritten, wie dieser: Es sei eine Verhöhnung der sexuellen Einsamkeit und eine Verharmlosung der sexuellen Gewalttätigkeit im Knast wenn hier gepredigt werde, die Selbstbefriedigung zu genießen und die Berührungsängste gegenüber Mit­gefangenen abzubauen. Dies fanden vor allem diejenigen u nter uns, die den Knast nur von außen kennen. Es waren aber gerade die Knasterfahrenen, die darauf drängten, dieses Thema nicht auszuklammern und die sich von den vorliegenden Beiträgen eine entkrampfende, die Verdammnis um dieses Thema etwas lüftende Wirkung versprechen.

Das Gemeinste am ganzen Knastsystem

Au Backe, ja, Sexualität. Die Unterdrückung derselben ist wohl das Ge­meinste am ganzen Knastsystem. Ein unheimlicher Horror, diese völlige Vernichtung der Intimsphäre; schlimmer noch als das Alleinsein, absolut tödlich über einen längeren Zeitraum hinweg —bleibt einem nix weiter als das Wixen. Darüber groß zu jammern wäre falsch. Du m u ß t halt so zu­rechtkommen — und dabei noch versuchen, nicht kaputtzugehen. Allgemeine Regeln fürs sexuelle Überleben lassen sich wohl kaum aufstellen. Ich will versuchen, anhand meiner Figur e i n Beispiel aufzei­gen; wie ich also versuche, damit fertigzuwerden; was ich gegen den Verfall unternehme, Nach fünfzehn Monaten wird die Stimulierung zum Problem. Die Phantasie, die keinerlei Anregungen mehr erfährt, läßt nach. Du stellst auf einmal fest, daß es nicht mehr reicht, an eine bestimmte Braut zu denken, um einen hochzukriegen. Stellt sich also konkret die Frage nach Wixvorlagen. Hast du einen gewissen Bewußtseinsstand bezüglich der sexuellen Unterdrückung in diesem verpissten System erreicht; hast du gar schon versucht, das Wissen um bestimmte Beziehungen zwischen beispielsweise Sex und Aggression oder zwischen Erotik und Werbung etc. in die Praxis umzusetzen — so bedeutet das nun ganz konkret einen Rück­schritt, einen Zurückfall in deine individuelle sexuelle Steinzeit. Du darfst also erotische Stimulierungen nicht mehr aus der Wirklichkeit, von wirklichen Menschen beziehen, sondern nur noch von einer vorgegaukelten Scheinrealität auf Hochglanzpapier, mehr oder weniger ästhetisch abgelichtet. Das ist finster, sehr finster. Klar, selbst der schlechteste Porno macht dich an, aktiviert deine Triebe — dagegen bist du eigentlich wehrlos. Ich bin über ein Jahr ohne ausgekommen, zehrte noch so lange von meiner Phantasie. Wenn du aber dann feststellst, daß dir deine ganze schöne Phantasie den Schwanz kaum noch bewegt- und dich das geringste Geräusch an der Tür zwingt, wieder von vorne anzufangen — dann muß einfach was geschehen. Dann hast du einen Punkt erreicht, wo du entweder was für dein Überleben tun mußt oder dein Sex geht zum Teufel. Davon abgesehen, daß das stumpfsinnige Onanieren mit halbschlaffem Schwanz sogar zu physischen Defekten führen kann, frustriert ungemein. Es verschafft kein Gefühl der Befriedigung sondern der Verzweiflung, der Trauer. Es macht deine Sehnsucht nach lebendigen Menschen so unendlich groß, daß du davon verrückt werden kannst. Ich bin nach wie vor erbitterter Porno-Gegner, Nachdem ich mich damit Erotik zu erhalten. Das heißt bevor ich auch nur einmal so'n Drecksporno, der von Frauenfeindlichkeit und Erniedrigung nur so stinkt, in die Hand nehme, verzichte ich lieber zwei Tage auf die gewohnte Intim-Gymnastik. Glücklicherweise gibt es aber auch erotische Darstellungen, die gut und schön sind; die Sexualität nicht von Erotik trennen. Dazu zählen z.B. gewisse Comix (womit ich nicht den kaputten Frauenhasser Crumb meine) oder Tantra-Darsteliungen. Naja, erotische Romane gibts dann schließlich auch noch. Was mir noch aufgefallen ist; Daß man hier drinnen viel intensiver über den ganzen Komplex der Sexualität nachdenkt, als dies jemals draußen der Fall war. Und daß das ganz enorme Erkenntnisse mit sich bringt — wenn gezielt und . offen nachgedacht wird. Mir sind jedenfalls schon etliche, hundertmal längst durchgegrübelte Geschichten plötzlich wie nagelneue Seifensieder aufgegangen. Auch über Homosexualität denkt man auf einmal viel intensiver nach. Der kleine schwule Bursche in dir wird nicht länger verdrängt, sondern du bist auf einmal gezwungen, dich mit ihm zu beschäftigen. Und dann fragst sich auch der eingefleischteste Hetero, ob das Bisherige nun wirklich das Gelbe vom Ei war und wovor er eigentlich immer Angst hatte . . . Soweit ich das bis jetzt übersehe, bedeutet der Knast alles andere als ein sexuelles Eldorado für unsere warmen Brüder. Kaum ein Schwuler zeigt bzw. wagt es, seine Vorliebe für Männer zu zeigen, Schwule im Knast werden oft ähnlich wie Ausländer oder „Kinderficker" behandelt. Mit einem Schwulen unterhalte ich mich seit einiger Zeit darüber. Ich frage ihn Locher in den Bauch und lerne Etliches — auch über mich selbst, d.h. er stimmuliert mich, über mich nachzudenken.

Sex im Knast

Eigentlich lassen sich ja zu diesem Thema noch weniger als zu anderen konkrete Ratschläge geben. Wir haben aber in Diskussionen im Knast ge­merkt, wie viele zum Teil völlig blödsinnige oder vorsintflutliche Vorur­teile und Ängste sich mit dem Thema auch heute noch verbinden und von Eltern, Lehrern, Ärzten, aber auch in Büchern und Zeitschriften verbraten werden. Und nicht jeder, der bei dem „Thema Nr. .1" das Maul weit auf­reißt, ist tatsächlich der große Sachkenner. Wir meinen aber, daß es möglich sein müßte, auch über Sexualität und was einem dabei zu schaffen macht, ganz vernünftig miteinander zu reden, ohne gleich ins Blödeln 2u verfallen. Ich erinnere mich an ein paar Gruppendiskussionen in einem Ar­beitskreis im Knast, die waren wirklich Spitze. Versuch das auch einmal, wenn du ein paar Leute hast, mit denen man vernünftig reden kann. Blende dieses Thema nicht aus, weil's zu „heiß" oder zu „doof" ist. Und wenn je­mand unbedingt seine Wit2-Show abziehen muß: laß ihm den Spaß, lach besonders herzlich, denn er hat's bestimmt nötig!

Was man sich so unter Sexualität vorstellt

Es gibt einen Kinderreim, der ganz gut beschreibt, was „man" sich so unter Sexualität, unter „normaler" Sexualität, vorstellt: „Licht aus, Licht aus' Mutter zieht sich nackt aus, Vater holt den Dicken raus, einmal rein, einmal raus, fertig ist der kleine Klaus." Nun kann man sich das ja noch ein bißchen ausführlicher und lustvoller ausmalen, was hier so kurz und treffend mit „einmal rein, einmal raus" um­schrieben wird. Und fast alle Sexfilme, Sexbücher und -witze leben von die­sem einen, unerschöpflichen Thema: die normale Sexualität, das ist der Beischlaf. Der Mann steckt seinen steifen Schwanz in die Mose einer Frau, dann bewegt man sich ein paar Minuten auf- und untereinander, bis es bei einem oder bei beiden Partnern zum Orgasmus kommt. Da gibt es dann noch die verschiedensten Stellungen, ganze Bibliotheken sind schon darüber geschrieben worden. Im Knast ist diese Form von sexueller Betätigung so gut wie ausgeschlossen — jedenfalls in-der U-Haft und im geschlossenen Vollzug. „Die Unter­drückung der Sexualität ist wohl die gemeinste am ganzen Knastsystem" schreibt ein Gefangener, „ein unheimlicher Horror, diese völlige Vernich­tung der Intimsphäre; schlimmer noch als das Alleinsein, absolut tödlich über einen längeren Zeitraum hinweg — bleibt einem nix weiter als das Wixen". Was er hier beschreibt, ist klar: Sexualität könne sich im Knast nur in einer entwürdigenden Ersatz-Form äußern, die eigentlich für jeden „normalen" Mann unzumutbar sei: ungenießbar wie Ersatzkaffee. Nicht zufällig ist „du Wichser!" eines der schlimmsten Schimpfwörter im Knast. Wichsen, Selbstbefriedigung, Onanie, Masturbation, Sich-einen-runterhoien usw. usw. — viele Wörter für eine eigentlich sehr natürliche und selbstverständ­liche Sache. Aber die meisten von uns sind von klein auf drauf gedrillt worden: das tut man nicht, das ist bäbä — oder ganz schlicht und besonders wirkungsvoll ein Klaps auf die Finger, wenn sie sich mal unter die Gürtellinie verirrten; zumindest aber ein strafender Blick und die Erklärung, dass man „dafür“ denn doch schon zu alt sei...So fing das bei uns schon im zarten Kindesalter an, ging weiter in der Schulzeit – bis wir schliesslich selbst davon überzeugt waren: sich selbst geschlechtliche Befriedigung zu verschaffen ist Murks, Pfuscherei. Wir tun es, gelegentlich, wenn wir nix besseres finden, und dann hastig, unter der Bettdecke, auf dem Klo. Mit Lust hat das wenig zu tun, man bringt's halt hinter sich wie Zähneputzen. „In gewisser Weise wirst du während vieler Formen der Selbstbefriedigung durch deine Hände vergewaltigt, und da du der Vergewaltigende bist, richtet sich dein Ärger gegen dich selbst". Wer hat das im Knast noch nicht erlebt, was J.JL Rosenberg da herausgefunden hat: Selbstbefriedigung kann zur Selbstbestrafung, Selbstvergewaltigung werden. Viele flüchten sich dann in immer aggressivere Phantasien hinein, und ohne das können sie gar nicht mehr zum Orgasmus kommen.

Sich selbst entdecken

Dagegen möchte ich einen anderen Weg vorschlagen: Lerne es, die Selbst­befriedigung zu genießen! Das geht auch im Knast. Wichtig ist, daß du einigermaßen sicher sein kannst, nicht gestört zu werden. Die Zeiten, in denen kaum ein Grüner unterwegs ist, bekommst du schnell heraus. Und wenn du deine Zelle mit jemand teilen mußt, ist es besser, ihr sprecht über eure Art, mit Sexualität umzugehen, als daß es jeder „heimlich" unter der Bettdecke macht. Viele benutzen irgendwelche Wixvorlagen, um sich in Stimmung zu bringen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich in die eigene Phantasie zu vertiefen, statt sich mit den langweiligen Illustrierten-Girls anzutörnen. Entdecke deine Phantasie! Erlaube dir, mit deinen Phantasien mitzugehen! Es ist erstaunlich, wohin unsere Phantasie führt, wenn wir uns ihr überlassen. Und genauso gilt: entdecke deinen Körper! Dazu findest du Anregungen in anderen Abschnitten des „Knastratgebers", bei den Atmungs- und gymnastischen Übungen. Denke daran, daß deine ganze Haut, nicht nur dein Schwanz, sexuell erregbar ist. Streichele dich an allen möglichen Stellen und lerne dabei, wo du besonders lustvolle Empfindungen hast. Manche können das besser mit Gleitmitteln, mit Öl oder Vaseline oder mit Körperlotions (ohne Alkohol).' Weitere Anregungen findest du in den Büchern „Der selbstbefriedigte Mensch" von V.E. Pilgrim und „Orgasmus" von J.L. Rosenberg (siehe Bücherliste am Schluß). Wichtiger als eine raffinierte Onaniertechnik ist aber allemal, daß du lernst, nett zu dir selbst zu sein — und das in einer Umgebung, in der kaum einer nett zum anderen ist..

Berührungsängste

Es sieht so aus, als wäre das Problem der Geringschätzung von Homosexu­alität in manchen Frauenknästen schon sehr viel fortschrittlicher, freier er­kannt und diskutiert, als wären schon mehr Lösungsmöglichkeiten erprobt. Zumindest sieht man in Frauenknästen öfter Frauen, die Arm in Arm gehen, sich um den Hals fallen, küssen. Das alles ist in den Männerknästen (noch?) tabu. Es gilt eben als unmännlich, schwul. Dabei wäre zu­mindest das ein guter Weg, aus der totalen Isolierung und Verkümmerung herauszukommen. Wem nützt denn diese Berührungsangst? Gewiß, wir werden anfälliger für den Schmerz und die Trauer bei Verlegungen und sonstige Trennungen, wenn wir intensive, auch körperliche Beziehungen und Berührungen eingehen und zulassen. Aber dieser justizförmige Irr­sinn, daß die Gefangenen selbst alle Zärtlichkeiten unter Gefangenen ver­folgen, lächerlich machen, mit Strafe belegen — der muß irgendwann einmal verschwinden!

Schwule

Als Schwuler wird man im Knast nicht nur durch die Beamten, sondern auch von einem Teil der Gefangenen diskriminiert. Entweder du wirst geschnitten oder — was noch häufiger ist — gehänselt und verspottet. Da gibt es natürlich den Weg, das Schwulsein zu verbergen und zu hoffen, daß es keiner merkt. Es sind aber immer mehr Schwule im Knast auf den Trichter gekommen, daß mit ihrer Unterdrückung oder gar Ausbeutung nur durch ein offensives Schwulsein Schluß gemacht werden kann — sowie dies auch draußen immer mehr Schwule erkennen. Das kann so aussehen, daß du dich mit anderen Schwulen -—natürlich auch Nichtschwulen — zu­sammentust und ihr gemeinsam auf die Spötteleien von Mitgefangenen während der Arbeit oder während des Hofgangs reagiert — selbstsicher reagiert. Die Beamten verhalten sich meist dann gegenüber den schwulen Gefange­nen zurückhaltend, wenn ihnen klar wird, daß es sonst Ärger auf der. Station gibt. Ihr könnt die Situation der Schwulen im Knast auch mal zum Thema eines kirchlichen Arbeitskreises, einer Gesprächsgruppe oder einer anderen Gemeinschaftsveranstaltung machen, in die vorher möglichst viele Schwule reingegangen sind. Vielleicht läßt sich auch die Einrichtung einer Nehmt Kontakt zur Schwulenbewegung draußen auf. Im Kontaktadressenteil findet ihr dazu einige Adressen. Bei dem Kapitel „Sexualität" wird die Grenze des Knastratgebers besonders deutlich: Wir können eigentlich nur Anregungen geben, das Thema in die ernsthaften Gespräche und Diskussionen im Knast mit einzubeziehen, Leute von draußen einzuladen, die dazu was sagen können, Kontakt mit Gruppen draußen aufzunehmen — und jedenfalls nicht bei der resignierten Feststellung stehenzubleiben, daß die Unterdrückung der Sexualität „wohl das gemeinste am ganzen Knastsystem" ist.

Die Veränderung der Sexualität

Die Inhaftierung bedeutet auch, daß man von Sexualität abgeschnitten wird, und das bedeutet nicht einfach nur von anderen Menschen abge­schnitten zu werden, zu denen man eine sexuelle Beziehung hat, sondern daß man in einen Zustand versetzt wird, der von vornherein künstlich ist — wie überhaupt der Knast einen Menschen in einen künstlichen Zustand versetzt, nämlich der Isolation von sozialen Beziehungen, der versuchten Aushungerung der emotionalen Beziehungen zu andern. Die Verhaftung bedeutet also vordergründig zunächst einen Verzicht auf Sexualität. Aber gerade das ist nicht der Fall. Denn Sexualität ist etwas so elementarisches, lebensnotwendiges, daß auch die im Knast versuchte Iso­lation sie nicht unterbrechen kann. Der Knast kann sexuelles Bedürfnis vielleicht verbiegen, aber nicht unterbrechen. Das Bedürfnis ändert sich und paßt sich an die veränderte Situation an. Die Situation ist das Einge­sperrtsein. Das heißt, daß man allein gelassen wird mit einem Bedürfnis, das sich auf andere richtet. Dieses Bedürfnis wird sich dann, weil es einfach nicht zu unterbinden ist, auf einen selbst richten. Man ist also konfrontiert mit einem Bedürfnis, das keinen anderen Ausweg mehr laßt, als sich selber an sich selber zu befriedigen. Die Ängste, die damit verbunden sind, sind ein Teil der Unterdrückung, die ein Gefangener erfährt. Weniger als in anderen Teilen des Ratgebers kann auf dem Gebiet der Sexualität eine Norm angegeben werden, wie man sich am „zweckmäßig­sten" verhält. Trotzdem ist es vielleicht eine gewisse Hilfe für den ein­zelnen, wenn ich hier die Situation, wie ich sie erlebt und beobachtet habe, zu beschreiben und in der Beschreibung Lösungsmöglichkeiten aufzuzei­gen versuche. Dabei geht es vor allem darum, Ängste abzubauen und die Sexualität im Knast, also die Sexualität des Einzelnen und die Sexualität die sich auf die Männer richtet, angstfrei zu beschreiben. Denn: Wie man sich verhält und unter welchen Ängsten man leidet, ist auch abhängig davon, wieweit man in der Lage ist, diese Ängste auszudrücken und im Gespräch mit anderen zu klären.

Die Isolation

Das Abschneiden eines Menschen von seiner Gesellschaftlichkeit soll ihn zu dem Zweck der Justiz zur Verfügung stellen. Er soll sich gefügig machen lassen. Das wird versucht mit einer Isolierung — Isolierung von allen seinen bisherigen Lebenselementen. Und wenn ein solcher aus seinen bis­herigen Lebenselementen herausgenommener Mensch in das völlig künst­liche Lebenselement der Justiz versetzt wird, dann bedeutet das erzwunge­ner Verzicht auf einen Teil seiner selbst. Dieser Verzicht wird auch auf sexuellem Gebiet versucht. Doch ein selbst vollzogener Verzicht auf Sexualität bedeutet eine Gefügigkeit auch auf anderen Gebieten. Niemand kann auf ein elementares Bedürfnis verzichten, ohne daß sich sein ganzes Ich verzerrt. Das immer wiederkehrende Bedürfnis, das sich nicht mehr ausdrücken kann, wird sich dann andere Wege zur Befriedigung suchen — in einer scheinbar nicht sexuellen Sphäre, vielleicht auch in der Krankheit.

Die Sexualität der Justiz

Welche Zerstörung die Justiz auf diesem Gebiet mit Menschen anrichtet, kann man auch bei vielen Beamten beobachten, die eine perverse Form der Sexualität, den Sadismus, ausleben. Dafür gibt es erlaubte Gelegenheiten und Riten der Erniedrigung von Gefangenen: die Entkleidung zum Bei­spiel beim Zugang oder die Entkleidung in der Beruhigungszelle. Die per­verse Form der Intimität, die hier geschaffen wird, ist angefüllt mit der unterschwellig sexuellen Vorstellung und Sprache der Beamten. Diese Form der sadistischen Perversion der Beamten ist von der Institution des Knasts in hohem Maße toleriert. Gegen sie gibt es keine Rechtsmittel, sie ist ausdruckslos, und es würde bereits ein Delikt — „Beamtenbeleidigung" —- bedeuten, sich dagegen in Worten und mit Anzeigen zu wehren. Auf der anderen Seite versucht die Institution Justiz, die Sexualität der Gefangenen zu unterbinden, weil sie die künstliche Vereinzelung durch den Schmutz. Dem Vorbild der Perversion der Beamten steht die versuchte emotionale Verarmung und Verschuldung der Sexualität der Gefangenen gegenüber. Damit wird versucht, die Gefangenen sexuell zu pervertieren, das heißt auf solche „anständigen" Ersatzbefriedigungen — auf eine unterschwellige Sexualität, die sich nicht sexuell äußern darf, abzudrängen und dadurch einen Menschen in seinen Ausdrucksmöglichkeiten aufs Äußerste zu be­schränken. Wer sich darauf einschränken läßt, wird sich vielleicht auf anderen Ge­bieten ebenso gefügig machen lassen. Die geforderte Unterwerfung bedeutet nicht nur die Unterwerfung eines einzelnen Bedürfnisses, son­dern eines Bedürfnisses, das grundlegend für alle andern Bedürfnisse ist.

Phantasie und Sexualität des Einzelnen

Sexualität ist etwas, was sehr viel mit Phantasie zu tun hat, mit Vor­stellung, Erinnerung. In der Isolation bedeutet die Phantasie etwas, was das Leben draußen ersetzen muß, sie bedeutet einen Ersat2 für das Nicht-leben draußen, einen Ersatz für wirkliche Personen, einen Ersatz für Ge­sellschaft. Ohne Phantasie kann Sexualität sich nicht entfalten. Phantasie versucht, sich den andern vorzustellen, sich in den andern hineinzuver­setzen, und sie bedeutet damit einen wesentlichen Teil des Umgangs mit andern. Denn auch draußen ist es so, daß nicht nur die Körper miteinander umgehen, sondern auch die Phantasien. Die Phantasie kann sich auf den einzelnen selbst richten, und sie kann sich auf andere richten. Sie kann andere als Figuren oder Objekte der eigenen Wünsche erscheinen lassen. Man sollte nicht versuchen, diese Phantasie, weil sie Ängste hervorruft, einzudämmen. Man sollte im Gegenteil ver­suchen., diese Phantasien auszudehnen, sie zu dramatisieren, die Vor­stellung der Nichtvorhandenen und einer nicht vorhandenen Gelegenheit des Umgangs mit ihnen auszubauen, sie zu „inszenieren". Phantasie ist eines der wenigen Mittel, die einem Gefangenen übrig bleiben, um seine Isolation zu durchbrechen. Es ist zugleich das Mittel, durch das sich seine Sexualität erneuern kann. Es gibt ja nicht nur die Sexualität zwischen Mann und Frau und zwischen Männern, Sondern wenn man davon ausgeht, daß die Sexualität ein Bedürfnis ist, das nicht ohne die Zer­störung eines Menschen zu unterbrechen ist, wie Hunger und Durst, muß man auch die Sexualität des Einzelnen als etwas anerkennen, was unter der Bedingung der Isolation mindestens den gleichen Rang hat wie die Sexuali­tät zwischen Mann und Frau und die Homosexualität. Die Sexualität des Einzelnen ist auch nicht zu verkürzen auf den Begriff Onanie, Selbstbe­friedigung, weil dadurch die ganze Dimension der Phantasie wegfallen würde. In der sexuellen Beziehung mit andern ist der einzelne ebenso einzeln.. Nur durch seine Phantasie ist er mit anderen verbunden. In weicher Weise er durch Phantasie mit anderen verbunden ist, bestimmt wesentlich die Art seiner Sexualität. Man kann also annehmen, daß die Sexuaiität des Einzelnen eine Art Beziehung zu anderen ist, die sich zwar von allen anderen sexuellen Beziehungen unterscheidet, aber trotzdem immer noch eine sexuelle Beziehung ist — und damit gleichrangig mit anderen Formen der Sexuaiität — die sich ja auch nicht beschränken lassen auf Heterosexualität und Homosexualität.

Das sexuelle Bild und die sexuelle Vorstellung

Wie notwendig die Phantasie bei Sexualität ist, zeigt sich darin, daß es auch für sie einen Ersatz gibt: das sexuelle Biid. Es bedeutet eine Verhinderung der. eigenen Phantasie und damit eine Verhinderung der Individualität, wenn etwas so Persönliches wie die eigene Sexualität durch etwas Fremdes wie ein Bild stimuliert wird. Vielleicht ist das der Grund, warum solche stimulierenden Bilder an den Wänden der Zellen von der Institution geduldet werden. In der sexuellen Vorstellung wird dagegen eine Situation geschaffen, die persönlichen Charakter hat und sich der Kontrolle durch die Institution entzieht.. Die sexuelle Vorstellung hat die Tendenz in sich, sich auszuweiten und zu dramatisieren. Sie ist nicht nur eine Vorstellung vom andern, sondern eine Vorstellung von einem andern Leben mit andern dem die üblichen sexu­ellen Rollen aufgehoben sein können. Dieser Phantasie sich hinzugeben bedeutet nicht einfach einen Ersatz für Nichtvorhandenes, sondern eine Möglichkeit der eigenen Verwirklichung. Denn je mehr man mit ihr umgeht, desto mehr wird sie sich vernünftig machen, d.h. zum Gedanken über ein verändertes Leben mit andern werden. Die Phantasie hat die Tendenz, sich einem körperlichen Akt zu widersetzen, sie verzögert unmittelbare Befriedigung und Entspannung durch das Interesse, das sie erzeugt. Auch der Umgang mit Phantasien braucht eine gewisse Übung und Überlegung, und man muß wissen, wie man sich auf Phantasien konzentrieren kann, um sie deutlich wahrzuneh­men. Wie beim Denken bedeutet auch bei der Phantasie Konzentration deutliches Wahrnehmen. Die vorgestellte Szenerie wird dadurch intensiv und wirklich. Die Beschäf­tigung mit ihr enthält eine eigene Form der Befriedigung, die weit lustvoller ist, als die sexuelle Entlastung ohne Vorstellung.

Die Träume

Die Phantasie, die von der gewöhnlichen Angst im Umgang mit andern ständig gehemmt wird, setzt sich schließlich durch in den Träumen. In den Träumen erscheinen die durch ein unbewußtes Gewissen nur noch gestör­ten Wünsche. Damit erscheint aber auch die Institution, der ein Gefange­ner ausgeliefert ist, in ihrer ganzen Brutalität und Widersinnigkeit. Die Träume nehmen radikal Partei für den einzelnen. Unter Umständen sind sie der einzige Verteidiger, den einer hat. Die Träume sind auch wirk­licher als Gedachtes, Gesprochenes, weil sie ihre eigene optische Wahrneh­mung haben. Sie erscheinen in Bildern und Szenen, in einer eigenen Reali­tät. Diese Realität, die sie hervorbringen, ist vor allem das Bild des Gefäng­nisses, des Gefangenseins. Die Träume zeichnen dieses Bild so, wie es zur Verteidigung des Gefangenen notwendig ist: als Grausamkeit und Gewalttätigkeit gegenüber einem hilflosen, verängstigten Wesen, einem Kind ... Wie die Träume die Realität parteilich verzerren, damit aber nur die Ohnmacht des einzelnen ausdrücken können, so versuchen sie auch, dem einzelnen zu Macht zu verhelfen, je gewalttätiger und grausamer der Zustand ist, den sie widerspiegeln, desto gewalttätiger wird auch die Verteidigung sein, die die Träume vorstellen. Damit aber erscheint die Gefahr, daß sich die unbewußte Phantasie als Antwort auf die Gewalt, die einem Individuum angetan wird, mit Gewalt­tätigkeit erfüllt und auch die sexuellen Vorstellungen von dieser Gewalt­tätigkeit beeinflußt werden. Die Gewalttätigkeit, die man in sich spürt, er­zeugt dann Schuldgefühle und den Versuch, die aufkommenden Phantasien zu verdrängen und auf diese. Weise loszuwerden. Das Ver­drängte erscheint dann wieder in den Träumen, und damit ist der Kreis ge­schlossen. Für diese typische Situation des Unbewußten eines Gefangenen eine Lö­sung zu finden, kann hier natürlich nicht versucht werden. Doch gibt es in jedem Fall die Möglichkeit und auch Notwendigkeit, mit den eigenen Träumen umzugehen. Das ist im Gefängnis vielleicht noch viel notwen­diger als draußen, denn gerade unter extremen Zuständen entstehen extreme Verschiebungen des Gefühlslebens.


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