Presseerklärungen aus dem Knast

Aus Gefangenenratgeber

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10.7. Presseerklärungen aus dem Knast


Für die bürgerliche Presse existieren die Probleme der Gefangenen nicht. Man wird daher als Gefangener in dieser Presse kaum zu Wort kommen. Versuchen kann man es trotzdem: in der Form von Pressemitteilungen und Leserbriefen. Bei beiden braucht man viel Glück. Man kann aber die Chance durchzudringen erhöhen, wenn man gewisse Regeln beachtet. Dabei gibt es zwischen Presseerklärungen und Leserbriefen prinzipielle Unterschiede: Die Presseerklärung soll dazu führen, daß das Geschriebene in einem Artikel zitiert oder- erwähnt, wird oder sogar Gegenstand eines Artikels wird.

Der Anlaß und der Zeitpunkt

Der unmittelbare Anlaß, eine Presseerklärung zu schreiben wird in der Regel ein bestimmter Vorfall sein. Dabei ist der Zeitpunkt entscheidend. Man wird feststellen: es gibt Zeiten, da können dutzendweise Gefangene mißhandelt werden, ohne daß sich die Presse dafür interessiert. Dann plötzlich überhäufen sich die Nachrichten mit „skandalfähigen" Informationen, obwohl es um einen Zustand geht, der im Knast Alltag ist. Was begünstigt nun den Zeitpunkt? Da spielt zunächst eine wichtige Rolle die sogenannte „Saure-Gurken-Zeit", das ist die Sommerzeit, in der die großen Politikerin Urlaub sind und folglich weniger Politik machen, und in der überhaupt sehr viele wichtige Sachen ruhen, mit denen die Presse sonst ihre Seiten füllen kann. Es ist also kein Zufall, daß Gefängnisskandale in der Regel im Sommer stattfinden — so auch Mannheimer Gefängnisskandal im Juli 1974! Ein weiteres wichtiges Moment können aktuelle öffentliche Auseinander­setzungen sein, zwischen den Parceien etwa in einem Landtag eines Bundeslandes. Das spielt vor allen Dingen dann eine Rolle, wenn der Wahlkampf bevorsteht oder im Gange ist. Das ist der Zeitpunkt, in dem „oppositionelle" Blätter versuchen werden, ihren Parteien in den Sattel zu helfen. In einer solchen Zeit kann es passieren, daß sich ein Abgeordneter plötzlich für den Strafvollzug interessiert und durch Anfragen im sehens Mißstände anprangern wird. In dem augenblicklichen politischen Klima ist das allerdings eine Sache, auf die man sich weniger verlassen kann. Denn im Augenblick richten sich die sogenannten „Gefängnisskandale" gegen die Gefangenen. Das heißt, als skandaifähiges Thema sind zur Zeit weniger die häufigen Mißhandlungen, sondern vielmehr die seltenen Ent­weichungen von Gefangenen opportun. Ein weiterer begünstigender Zeitpunkt liegt dann vor, wenn bereits ein sogenannter öffentlicher Skandal tobt und ein Sog entsteht, der weitere Informationen hochspülen kann. Auch hierzu ist der Mannheimer Gefängnisskandal ein treffendes Beispiel. Damals sind plötzlich die verschiedensten Berichte über Vorfälle aus vielen Anstalten an die Öffentlichkeit geraten, nach denen sonst kein Hahn gekräht hätte. Der Zeitpunkt des beschriebenen Vorfalls darf nicht allzuweit hinter dem Zeitpunkt der Presseerklärung zurückliegen. Die Presse kümmert sich nur um aktuelle Fälle. Wenn die Aktualität verfallen ist, d.h. ein Vorfall schon zwei, drei Wochen zurückliegt, was im Gefängnis oft schon durch die Zensur bedingt wird — dann kümmert sich die Presse schon allein deshalb nicht mehr darum.

Der Presseapparat

Die Presse ist eine große Industrie, die ununterbrochen Nachrichten produziert. Die Nachrichten werden an die Zeitungen durch große Nachrichtenlieferanten, durch „Großhändler von Nachrichten", die Nachrichtenagenturen, geliefen. Die Nachrichtenagenturen, weil sie die Nachrichcen nicht selber an das Publikum verbreiten, übermittein viel mehr Nachrichten, als die Zeitungen schließlich drucken. Sie speisen sie in die Fernschreiber ein, und die Fernschreiber verbreiten sie im ganzen Bundesgebiet. Den Zeitungen ist es dann überlassen, welche Nachrichten sie für wichtig halten und auf.wetche Art sie sie bringen. Allerdings kümmern sich die meisten Zeitungen schon aus Zeitmangel wenig um die Qualität dieser Nachrichten. Nur die größten Zeitungen können es sich leisten, die Nachrichten aus den eigenen Quellen, d.h. durch die eigenen Korrespondenten zu beschaffen. Oft wird nur der Lokaiteii von der Zeitung selbst recherchiert. Für den überregionalen Teil wird größtenteils Material der großen Nachrichtengroßhändler, der Nachrichtenagenturen übernommen. Es ist für uns deswegen überlegenswert, ob wir an die Nachrichtenagenturen unsere Presseeklärung verschicken oder an die Zeitungen. Es kann für einen größeren Vorfall in einem Knast günstiger sein, wenn er an die Nachrichtenagenturen berichtet wird, weil die Nachrichtenagenturen praktisch alle Zeitungen erreichen — und auch die Presseerklärung etwa so wiedergeben, wie man sie selber gemacht hat. Die Nachrichtenagenturen arbeiten ' nicht wie die einzelnen Zeitungen; die von ihren Redakteuren Artikel verfassen lassen, sondern sie übernehmen größtenteils den Text, den man ihnen schickt in der sachlichen Form und verbreiten ihn dann über Fernschreiber weiter. Deswegen bestehen eher Chancen bei Nachrichtenagenturen, den Vorfall so weiterberichten £U könnncn, wie man ihn selbst schildere als bei Zeitungen, wo es üblich l'sc, daß Journalisten aufgru nd des M aterials, das sie aus verschiedenen Quellen haben, eigene Amkelverfassen. Aus dieser Struktur des Zeitungswesens ergibt sich, daß du nicht mit einer Anteilnahme eines solchen Presseapparats schlechthin rechnen kannst und daß du dir auch dann keine Illusionen über die Presse machen solltest, wenn sie mal tatsächlich etwas aufgreift.

Der Journalist

Der Journalist ist oft jemand, der durchaus engagiert ist, aber man sollte dabei nicht übersehen, unter welchen Zwängen er selbst steht — daß es weniger auf ihn ankommt, als auf die Zeitung, an die er seine Nachrichten und Artikel, d.h. seine Arbeic verkauft. Sein Interesse an den von dir beschaff ten Inf ormationen gilt daher nicht dir oder den Haftbedingungen, sondern nur der von ihm auszufüllenden Zeitungsseitc. Schon einen Tag später interessiert er sich nur noch für die Reformversprechungen des Justizministers oder für die Hunde, die die städtischen Bürgersteige verunreinigen. Die Sachen, über die er schreibt, sind von ihm praktisch nicht zu bestimmen. Er schreibt über alles. Die Journalisten, die über Knastvorfälle schreiben, sind meistens Lokalreporter, die ununterbrochen umherhetzen, um Neuigkeiten für den Lokalteil einer Zeitung einzufangen und denen es schon aus ihrer täglichen Routine mit der Zeit egal wird, was sie schreiben.

Wie schreibt man eine Presseerklärung

Die folgenden Regeln sollten unbedingt beachtet werden: — Schicke keine unübersichtlichen Dokumentationen an die Presse, sondern einen kurzen, klaren Text. Material in Form von Beschlüssen oder anderen Dokumenten solltest du höchstens anbieten oder als deutlich getrennte Anlage mitschicken. Wenn die Anlage mehrere Dokumente enthält, ist eine Inhaltsangabe zweckmäßig, mit einer stichwortartigen Erläuterung der Bedeutung dieser Schriftstücke. Versuche dich in die Situation des Journalisten reinzudenken, in die Situation, wenig Zeit und Interesse zu haben, um für einen Artikel einen großen Arbeitsaufwand einzusetzen. Man sollte also die Presseerklärung so abfassen, daß der Journalist sie ohne Schwierigkeiten in einen Artikel umsetzen kann und nicht den ganzen Text neu schreiben muß. — Für die Vorbereitung einer Presseerklärung kann es sinnvoll sein, die Artikel über ähnliche Fälle in den Zeitungen, an die du deine Erklärung richten willst, mal genauer anzuschauen. Sehr oft werden Sätze der Presseerklärung aus dem Zusammenhang gerissen. Die Konsequenz daraus muß sein: Jeder Satz der Presseerklärung sollte so formuliert sein, daß er für sich allein schon einen Sinn ergibt. Um die Presseerklärung „interessanter" zu machen, ist es sinnvoll, „Folgen" anzukündigen, zum Beispiel: Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen des Vorfalls oder des Zustandes, gegen den man sich wendet.oder sonstige Rechtsmittel (Verfas­sungsbeschwerden, Menschenrechtsbeschwerden) oder auch Streikaktionen im Knast. Unter Umständen sollte man sich orakelhafter Formulierungen bedienen, wie zum Beispiel: „Wir würden uns nicht wundern, wenn ..." Jeder „sorgfältige" Journalist a-ird, bevor er etwas schreibt, auch die andere Seite anhören. Daraus folgt: Überlege dir, was der Anstaltsleiter oder der justizmiiisster des Landes dazu sagen (lügen) wird, und versuche von vornherein darauf einzugehen also dem zuvorzukommen. Etwa in der Art: „Wenn nun, wie zu erwarten ist, der Justizminister behaupten wird, daß ..."

Die Nachrichtenwürdigkeit

Die Journalisten haben einen bestimmten Stil, etwas als Nachricht zu bringen. Diejenigen, die als Nachrichten in Zeitungen erscheinen, sind entweder Institutionen, Politiker oder bekannte Persönlichkeiten. Ais Gefangener ist man so ziemlich das Letzte, was nächrichtenwürdig ist. Um mit einer Nachricht durchzudringen, reicht es nicht aus, daß einem einzelnem Gefangenen Unrecht passiert, sondern er muß auch nachrichtenwürdig sein, und das wird er erst entweder als Gaippe von Ge­fangenen, die zum Beispiel eine Petition, eine Anzeige, eine Presseerklä­rung verfassen usw. oder in einer gemeinsamen Aktion ihren Protest zum Ausdruck bringen. Die größte Chance hast du wohl, wenn sich.eine nachrichtenwürdige Persönlichkeit deiner annimmt und gegenüber der Presse etwas anstelle von dir selbst erklärt. Das wird die Presse dann mit größerer Wahrscheinlichkeit bringen. Es ist allerdings dann meistens auch etwas anderes als du sagen würdest. Für den einzelnen Unbekannten gibt es oft nur eine Möglichkeit, nachrich­tenwürdig zu sein: indem er seine Nachrichtenwürdigkeit durch eine spektakuläre Aktion erzwingt.

Wie kommt die Presseerklärung an den Adressaten?

Die einfachste Möglichkeit: man schickt sie direkt an die Zeitung oder die Zeitungen, von denen man sich erhofft, daß sie etwas dazu schreiben. Dabei empfiehlt es sich, einen bestimmten Journalisten anzuschreiben, also auf dem Briefumschlag zu vermerken: zu Händen Herrn Sowieso. Man wird dabei den Namen eines solchen Journalisten nennen, von dem man weiß, daß er bisher schon engagierte Berichte geschrieben hat — möglichst auch über den Knast. Wenn man den Namen des Journalisten nicht kennt, vermerkt man einfach das Kürzel, das am Ende seines Artikels steht. Die Mitteilung wird dann schon den Richtigen erreichen. Der direkte Versand an die Zeitung bringt natürlich eine Gefahr mit sich: die Anstaltsleitungen reagieren sehr empfindlich auf den Versuch, Öffent­lichkeit herzustellen, und es besteht die Gefahr, daß ein Brief an die Presse eher angehalten wird, oder aber daß der Anstaltsleiter einen Begleitbrief dazulegc, in dem er deine Vorwürfe als Lügengeschichten diffamiert. Deswegen kann es sich empfehlen , die Presseerklärung über andere Leute draußen leicen zu lassen. Man schreibt also diese Presseerklärung als Brief „getarnt" an Freunde, die sie dann an die Presse weitergeben, Oder man be­auftragt einen Rechtsanwalt, sich an die Presse zu wenden. Eine Presseerklärung hat dann eine größere Chance, ihren Adressaten zu erreichen und nicht im Papierkorb zu landen, wenn du von draußen Unter­stützung erhältst. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Effektiv ist die Einschaltung von bekannten engagierten Leuten und Verbänden, die zum Beispiel deine Presseerklärung kommenderen oder eigene Presse­erklärungen abgeben, oder aber ihre oft guten Beziehungen zur Presse für dich in Anspruch nehmen. Eine andere Hilfe von außen kann etwa durch Freunde geschehen, die als interessierte HÖrer oder Leser die betreffende Rundfunkanstalt oder Zeitung mit Telefonantufen bombardieren und sich dorr scheinheilig nach dem von dir beschriebenen Vorfall erkundigen. Die nachfragen, warum darüber bisher nicht berichtet wurde. Das kann'dann wirksam sein, wenn es mehrere, verschiedene Leute tun oder zumindest Leute, die mit verschie­denen Namen, auftreten. Wenn man wegen der Zensur seine Presseerklärungnicht schreiben will, so kann man dem Journalisten auch mitteilen, daß man wichtige Informatio­nen hat und ihm vorschlagen, daß er dich im Knast besucht. Unter Um­ständen macht man das auch wieder auf Umwegen über Freunde draußen oder über den Rechtsanwalt. Man kann dem Reporter dann im Besuchsraum genauer erklären, worum es geht.

An welche Zeitungen lohnt es sich, Presseerklärungen zu schicken?

Natürlich gibt es eine Reihe von Zeitungen, bei denen man es gar nicht erst zu versuchen braucht. Die schreiben lieber, daß es den Gefangenen noch viel zu gut geht. Du findest im Adressenteil im Anhang einige Zeitungen und Zeitschriften, bei denen es sich eher lohnt, einen Versuch zu starten.

Was kann eine Presseerklärung bewirken?

Auf keinen Fall sollte man erwarten, daß man durch die Presse tatsächlich die Zustände einschneidend ändern kann. Man wird es auch selten dazu bringen können, daß bestimmte Beamte abgesetzt werden. Selbst einfache Beamte werden in der Regel nicht entlassen, höchstens von einer Station auf eine andere oder von einem Gefängnis ins andere versetzt. Alle diese Ergebnisse bleiben also im Rahmen einer psychologischen, momentanen Klimaveränderung. Wie die Anstaltsleitung und das Justizministerium auf Presseartikel reagieren, das kennt man von einigen typischen Fällen in der Vergangenheit. Die Anstaltsleiter reagieren normalerweise sehr empfind­lich auf Veröffentlichungen. Sie bestreiten die Tatsachen bis zum letzten Moment, bis es nichts mehr zu bestreiten gibt, und versuchen ihre Veröffentlichung vorher durch Zensur, Begleitbriefe und Einschüchterung zu verhindern. Diese Reaktion hat ihre Ursache hauptsächlich in der Furcht der Anstaltsleiter und anderer Beamter, ihren Posten zu verlieren. Diese Angst, den Posten zu verlieren oder degradiert zu werden, ist immerhin so groß, daß bereits bei harmlosen Fällen, die normalerweise gar nichts bewirken, Anstaltsleiter eine hysterische Überreaktion zeigen und unter Umständen durch diese Überreaktion genau das erst auslösen, was sie verhindern wollen. Alles in allem kann man sagen, daß man sich von PresseverÖffentlichungen nicht mehr versprechen sollte als eine psychologische Klimaveränderung innerhalb des Knasts, die natürlich schon etwas bewirkt: zum Beispiel eine solidarische Stimmung unter den Gefangenen, einen momentanen Auftrieb und ein Interesse der Gefangenen an solchen Interventionen überhaupt. Presseartikel haben häufig einen ganzen Schwang von Beschwerden und weitere Berichte an die Presse zur Folge, zu denen sie die Gefangenen ermutigt haben. Auch deswegen schon lohnt es sich, Nachrichten über die Zustände im Gefängnis systematisch zu sammeln und bei einer geeigneten Gelegenheit über die Presse einzusetzen.


10.7. Presseerklärungen aus dem Knast


Für die bürgerliche Presse existieren die Probleme der Gefangenen nicht. Man wird daher als Gefangener in dieser Presse kaum zu Wort kommen. Versuchen kann man es trotzdem: in der Form von Pressemitteilungen und Leserbriefen. Bei beiden braucht man viel Glück. Man kann aber die Chance durchzudringen erhöhen, wenn man gewisse Regeln beachtet. Dabei gibt es zwischen Presseerklärungen und Leserbriefen prinzipielle Unterschiede: Die Presseerklärung soll dazu führen, daß das Geschriebene in einem Artikel zitiert oder- erwähnt, wird oder sogar Gegenstand eines Artikels wird.

Der Anlaß und der Zeitpunkt

Der unmittelbare Anlaß, eine Presseerklärung zu schreiben wird in der Regel ein bestimmter Vorfall sein. Dabei ist der Zeitpunkt entscheidend. Man wird feststellen: es gibt Zeiten, da können dutzendweise Gefangene mißhandelt werden, ohne daß sich die Presse dafür interessiert. Dann plötzlich überhäufen sich die Nachrichten mit „skandalfähigen" Informationen, obwohl es um einen Zustand geht, der im Knast Alltag ist. Was begünstigt nun den Zeitpunkt? Da spielt zunächst eine wichtige Rolle die sogenannte „Saure-Gurken-Zeit", das ist die Sommerzeit, in der die großen Politikerin Urlaub sind und folglich weniger Politik machen, und in der überhaupt sehr viele wichtige Sachen ruhen, mit denen die Presse sonst ihre Seiten füllen kann. Es ist also kein Zufall, daß Gefängnisskandale in der Regel im Sommer stattfinden — so auch Mannheimer Gefängnisskandal im Juli 1974! Ein weiteres wichtiges Moment können aktuelle öffentliche Auseinander­setzungen sein, zwischen den Parceien etwa in einem Landtag eines Bundeslandes. Das spielt vor allen Dingen dann eine Rolle, wenn der Wahlkampf bevorsteht oder im Gange ist. Das ist der Zeitpunkt, in dem „oppositionelle" Blätter versuchen werden, ihren Parteien in den Sattel zu helfen. In einer solchen Zeit kann es passieren, daß sich ein Abgeordneter plötzlich für den Strafvollzug interessiert und durch Anfragen im sehens Mißstände anprangern wird. In dem augenblicklichen politischen Klima ist das allerdings eine Sache, auf die man sich weniger verlassen kann. Denn im Augenblick richten sich die sogenannten „Gefängnisskandale" gegen die Gefangenen. Das heißt, als skandaifähiges Thema sind zur Zeit weniger die häufigen Mißhandlungen, sondern vielmehr die seltenen Ent­weichungen von Gefangenen opportun. Ein weiterer begünstigender Zeitpunkt liegt dann vor, wenn bereits ein sogenannter öffentlicher Skandal tobt und ein Sog entsteht, der weitere Informationen hochspülen kann. Auch hierzu ist der Mannheimer Gefängnisskandal ein treffendes Beispiel. Damals sind plötzlich die verschiedensten Berichte über Vorfälle aus vielen Anstalten an die Öffentlichkeit geraten, nach denen sonst kein Hahn gekräht hätte. Der Zeitpunkt des beschriebenen Vorfalls darf nicht allzuweit hinter dem Zeitpunkt der Presseerklärung zurückliegen. Die Presse kümmert sich nur um aktuelle Fälle. Wenn die Aktualität verfallen ist, d.h. ein Vorfall schon zwei, drei Wochen zurückliegt, was im Gefängnis oft schon durch die Zensur bedingt wird — dann kümmert sich die Presse schon allein deshalb nicht mehr darum.

Der Presseapparat

Die Presse ist eine große Industrie, die ununterbrochen Nachrichten produziert. Die Nachrichten werden an die Zeitungen durch große Nachrichtenlieferanten, durch „Großhändler von Nachrichten", die Nachrichtenagenturen, geliefen. Die Nachrichtenagenturen, weil sie die Nachrichcen nicht selber an das Publikum verbreiten, übermittein viel mehr Nachrichten, als die Zeitungen schließlich drucken. Sie speisen sie in die Fernschreiber ein, und die Fernschreiber verbreiten sie im ganzen Bundesgebiet. Den Zeitungen ist es dann überlassen, welche Nachrichten sie für wichtig halten und auf.wetche Art sie sie bringen. Allerdings kümmern sich die meisten Zeitungen schon aus Zeitmangel wenig um die Qualität dieser Nachrichten. Nur die größten Zeitungen können es sich leisten, die Nachrichten aus den eigenen Quellen, d.h. durch die eigenen Korrespondenten zu beschaffen. Oft wird nur der Lokaiteii von der Zeitung selbst recherchiert. Für den überregionalen Teil wird größtenteils Material der großen Nachrichtengroßhändler, der Nachrichtenagenturen übernommen. Es ist für uns deswegen überlegenswert, ob wir an die Nachrichtenagenturen unsere Presseeklärung verschicken oder an die Zeitungen. Es kann für einen größeren Vorfall in einem Knast günstiger sein, wenn er an die Nachrichtenagenturen berichtet wird, weil die Nachrichtenagenturen praktisch alle Zeitungen erreichen — und auch die Presseerklärung etwa so wiedergeben, wie man sie selber gemacht hat. Die Nachrichtenagenturen arbeiten ' nicht wie die einzelnen Zeitungen; die von ihren Redakteuren Artikel verfassen lassen, sondern sie übernehmen größtenteils den Text, den man ihnen schickt in der sachlichen Form und verbreiten ihn dann über Fernschreiber weiter. Deswegen bestehen eher Chancen bei Nachrichtenagenturen, den Vorfall so weiterberichten £U könnncn, wie man ihn selbst schildere als bei Zeitungen, wo es üblich l'sc, daß Journalisten aufgru nd des M aterials, das sie aus verschiedenen Quellen haben, eigene Amkelverfassen. Aus dieser Struktur des Zeitungswesens ergibt sich, daß du nicht mit einer Anteilnahme eines solchen Presseapparats schlechthin rechnen kannst und daß du dir auch dann keine Illusionen über die Presse machen solltest, wenn sie mal tatsächlich etwas aufgreift.

Der Journalist

Der Journalist ist oft jemand, der durchaus engagiert ist, aber man sollte dabei nicht übersehen, unter welchen Zwängen er selbst steht — daß es weniger auf ihn ankommt, als auf die Zeitung, an die er seine Nachrichten und Artikel, d.h. seine Arbeic verkauft. Sein Interesse an den von dir beschaff ten Inf ormationen gilt daher nicht dir oder den Haftbedingungen, sondern nur der von ihm auszufüllenden Zeitungsseitc. Schon einen Tag später interessiert er sich nur noch für die Reformversprechungen des Justizministers oder für die Hunde, die die städtischen Bürgersteige verunreinigen. Die Sachen, über die er schreibt, sind von ihm praktisch nicht zu bestimmen. Er schreibt über alles. Die Journalisten, die über Knastvorfälle schreiben, sind meistens Lokalreporter, die ununterbrochen umherhetzen, um Neuigkeiten für den Lokalteil einer Zeitung einzufangen und denen es schon aus ihrer täglichen Routine mit der Zeit egal wird, was sie schreiben.

Wie schreibt man eine Presseerklärung

Die folgenden Regeln sollten unbedingt beachtet werden: — Schicke keine unübersichtlichen Dokumentationen an die Presse, sondern einen kurzen, klaren Text. Material in Form von Beschlüssen oder anderen Dokumenten solltest du höchstens anbieten oder als deutlich getrennte Anlage mitschicken. Wenn die Anlage mehrere Dokumente enthält, ist eine Inhaltsangabe zweckmäßig, mit einer stichwortartigen Erläuterung der Bedeutung dieser Schriftstücke. Versuche dich in die Situation des Journalisten reinzudenken, in die Situation, wenig Zeit und Interesse zu haben, um für einen Artikel einen großen Arbeitsaufwand einzusetzen. Man sollte also die Presseerklärung so abfassen, daß der Journalist sie ohne Schwierigkeiten in einen Artikel umsetzen kann und nicht den ganzen Text neu schreiben muß. — Für die Vorbereitung einer Presseerklärung kann es sinnvoll sein, die Artikel über ähnliche Fälle in den Zeitungen, an die du deine Erklärung richten willst, mal genauer anzuschauen. Sehr oft werden Sätze der Presseerklärung aus dem Zusammenhang gerissen. Die Konsequenz daraus muß sein: Jeder Satz der Presseerklärung sollte so formuliert sein, daß er für sich allein schon einen Sinn ergibt. Um die Presseerklärung „interessanter" zu machen, ist es sinnvoll, „Folgen" anzukündigen, zum Beispiel: Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen des Vorfalls oder des Zustandes, gegen den man sich wendet.oder sonstige Rechtsmittel (Verfas­sungsbeschwerden, Menschenrechtsbeschwerden) oder auch Streikaktionen im Knast. Unter Umständen sollte man sich orakelhafter Formulierungen bedienen, wie zum Beispiel: „Wir würden uns nicht wundern, wenn ..." Jeder „sorgfältige" Journalist a-ird, bevor er etwas schreibt, auch die andere Seite anhören. Daraus folgt: Überlege dir, was der Anstaltsleiter oder der justizmiiisster des Landes dazu sagen (lügen) wird, und versuche von vornherein darauf einzugehen also dem zuvorzukommen. Etwa in der Art: „Wenn nun, wie zu erwarten ist, der Justizminister behaupten wird, daß ..."

Die Nachrichtenwürdigkeit

Die Journalisten haben einen bestimmten Stil, etwas als Nachricht zu bringen. Diejenigen, die als Nachrichten in Zeitungen erscheinen, sind entweder Institutionen, Politiker oder bekannte Persönlichkeiten. Ais Gefangener ist man so ziemlich das Letzte, was nächrichtenwürdig ist. Um mit einer Nachricht durchzudringen, reicht es nicht aus, daß einem einzelnem Gefangenen Unrecht passiert, sondern er muß auch nachrichtenwürdig sein, und das wird er erst entweder als Gaippe von Ge­fangenen, die zum Beispiel eine Petition, eine Anzeige, eine Presseerklä­rung verfassen usw. oder in einer gemeinsamen Aktion ihren Protest zum Ausdruck bringen. Die größte Chance hast du wohl, wenn sich.eine nachrichtenwürdige Persönlichkeit deiner annimmt und gegenüber der Presse etwas anstelle von dir selbst erklärt. Das wird die Presse dann mit größerer Wahrscheinlichkeit bringen. Es ist allerdings dann meistens auch etwas anderes als du sagen würdest. Für den einzelnen Unbekannten gibt es oft nur eine Möglichkeit, nachrich­tenwürdig zu sein: indem er seine Nachrichtenwürdigkeit durch eine spektakuläre Aktion erzwingt.

Wie kommt die Presseerklärung an den Adressaten?

Die einfachste Möglichkeit: man schickt sie direkt an die Zeitung oder die Zeitungen, von denen man sich erhofft, daß sie etwas dazu schreiben. Dabei empfiehlt es sich, einen bestimmten Journalisten anzuschreiben, also auf dem Briefumschlag zu vermerken: zu Händen Herrn Sowieso. Man wird dabei den Namen eines solchen Journalisten nennen, von dem man weiß, daß er bisher schon engagierte Berichte geschrieben hat — möglichst auch über den Knast. Wenn man den Namen des Journalisten nicht kennt, vermerkt man einfach das Kürzel, das am Ende seines Artikels steht. Die Mitteilung wird dann schon den Richtigen erreichen. Der direkte Versand an die Zeitung bringt natürlich eine Gefahr mit sich: die Anstaltsleitungen reagieren sehr empfindlich auf den Versuch, Öffent­lichkeit herzustellen, und es besteht die Gefahr, daß ein Brief an die Presse eher angehalten wird, oder aber daß der Anstaltsleiter einen Begleitbrief dazulegc, in dem er deine Vorwürfe als Lügengeschichten diffamiert. Deswegen kann es sich empfehlen , die Presseerklärung über andere Leute draußen leicen zu lassen. Man schreibt also diese Presseerklärung als Brief „getarnt" an Freunde, die sie dann an die Presse weitergeben, Oder man be­auftragt einen Rechtsanwalt, sich an die Presse zu wenden. Eine Presseerklärung hat dann eine größere Chance, ihren Adressaten zu erreichen und nicht im Papierkorb zu landen, wenn du von draußen Unter­stützung erhältst. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Effektiv ist die Einschaltung von bekannten engagierten Leuten und Verbänden, die zum Beispiel deine Presseerklärung kommenderen oder eigene Presse­erklärungen abgeben, oder aber ihre oft guten Beziehungen zur Presse für dich in Anspruch nehmen. Eine andere Hilfe von außen kann etwa durch Freunde geschehen, die als interessierte HÖrer oder Leser die betreffende Rundfunkanstalt oder Zeitung mit Telefonantufen bombardieren und sich dorr scheinheilig nach dem von dir beschriebenen Vorfall erkundigen. Die nachfragen, warum darüber bisher nicht berichtet wurde. Das kann'dann wirksam sein, wenn es mehrere, verschiedene Leute tun oder zumindest Leute, die mit verschie­denen Namen, auftreten. Wenn man wegen der Zensur seine Presseerklärungnicht schreiben will, so kann man dem Journalisten auch mitteilen, daß man wichtige Informatio­nen hat und ihm vorschlagen, daß er dich im Knast besucht. Unter Um­ständen macht man das auch wieder auf Umwegen über Freunde draußen oder über den Rechtsanwalt. Man kann dem Reporter dann im Besuchsraum genauer erklären, worum es geht.

An welche Zeitungen lohnt es sich, Presseerklärungen zu schicken?


Natürlich gibt es eine Reihe von Zeitungen, bei denen man es gar nicht erst zu versuchen braucht. Die schreiben lieber, daß es den Gefangenen noch viel zu gut geht. Du findest im Adressenteil im Anhang einige Zeitungen und Zeitschriften, bei denen es sich eher lohnt, einen Versuch zu starten.

Was kann eine Presseerklärung bewirken?

Auf keinen Fall sollte man erwarten, daß man durch die Presse tatsächlich die Zustände einschneidend ändern kann. Man wird es auch selten dazu bringen können, daß bestimmte Beamte abgesetzt werden. Selbst einfache Beamte werden in der Regel nicht entlassen, höchstens von einer Station auf eine andere oder von einem Gefängnis ins andere versetzt. Alle diese Ergebnisse bleiben also im Rahmen einer psychologischen, momentanen Klimaveränderung. Wie die Anstaltsleitung und das Justizministerium auf Presseartikel reagieren, das kennt man von einigen typischen Fällen in der Vergangenheit. Die Anstaltsleiter reagieren normalerweise sehr empfind­lich auf Veröffentlichungen. Sie bestreiten die Tatsachen bis zum letzten Moment, bis es nichts mehr zu bestreiten gibt, und versuchen ihre Veröffentlichung vorher durch Zensur, Begleitbriefe und Einschüchterung zu verhindern. Diese Reaktion hat ihre Ursache hauptsächlich in der Furcht der Anstaltsleiter und anderer Beamter, ihren Posten zu verlieren. Diese Angst, den Posten zu verlieren oder degradiert zu werden, ist immerhin so groß, daß bereits bei harmlosen Fällen, die normalerweise gar nichts bewirken, Anstaltsleiter eine hysterische Überreaktion zeigen und unter Umständen durch diese Überreaktion genau das erst auslösen, was sie verhindern wollen. Alles in allem kann man sagen, daß man sich von PresseverÖffentlichungen nicht mehr versprechen sollte als eine psychologische Klimaveränderung innerhalb des Knasts, die natürlich schon etwas bewirkt: zum Beispiel eine solidarische Stimmung unter den Gefangenen, einen momentanen Auftrieb und ein Interesse der Gefangenen an solchen Interventionen überhaupt. Presseartikel haben häufig einen ganzen Schwang von Beschwerden und weitere Berichte an die Presse zur Folge, zu denen sie die Gefangenen ermutigt haben. Auch deswegen schon lohnt es sich, Nachrichten über die Zustände im Gefängnis systematisch zu sammeln und bei einer geeigneten Gelegenheit über die Presse einzusetzen.


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