Lebensbedrohliche Erscheinungsbilder

Aus Gefangenenratgeber

Wechseln zu: Navigation, Suche

zum Inhaltsverzeichnis

17.1. Lebensbedrohliche Erscheinungsbilder

Du musst beim Lesen dieses Kapitels sehr gut aufpassen, dass die Einsamkeit und die Ängste im Knast dich nicht glauben machen, du wür­dest schon an einer dieser sehr seltenen Krankheiten leiden. Wenn du etwas über deinen Körper wissen willst, dann lies zuerst Kapitel 15. (Häufige Gesundheitsbeschwerden) und vor allem Kapitel 13. (Wie man im Knast gesund bleiben kann). Gerade im Knast äußern sich auch leichtere Beschwerden oft dramatischer als draußen. Auch wenn beim Durchlesen dieses Kapitels anfangs die Angst vor dem, was auch bei zuerst leichteren Krankheiten im Knast alles passieren kann, verstärkt wird — jede und jeder Gefangene kennt diese Angst und fühlt sich mit ihr alleingelassen. Wir wollen deswegen versuchen, Möglichkeiten der Selbsthilfe und der Kontrolle von Ärzten_Innen und Sanis aufzeigen.

Herz- und Kreislaufstillstand

Die Ursachen von Atem-, Herz- und Kreislaufstillstand sind äußerst vielfältig. Oft ist kein direkter Zusammenhang zu einem äußeren Ereignis festzustellen. Umso wichtiger ist die Fähigkeit, den plötzlichen Tod von ähnlichen Zuständen wie Be­wußtlosigkeit, Schock und Krampfanfällen unterscheiden zu können. Denn davon hängt es ab, ob sofort Maßnahmen zu einer möglichen Wiederherstellung des Lebens einzusetzen sind.

Anzeichen: Auf der Gemeinschatszelle plötzlicher, oft lautloser Zusammenbruch. Pulsfühlen: kein Puls mehr. Brust entblößen und Ohr auf die Herzgegend legen: kein Herzschlag mehr. Augen: Pupillen starr, oft weit (nicht immer). Mund: keine Atmung mehr. (Eventuell Spiegel vorhalten: beschlägt nicht mehr!) Auf Nachbar­zellen der Abteilung: manchmal durchdringende Schreie, dumpfer Körperaufschlag.

Hiife durch Mitgefangene: Mögliche äußere Ursachen beseitigen: Bei der_dem Erhängten Strick abschneiden, Körper dabei festhaken und langsam auf den Boden gleiten lassen; beim Elektrounfall aus dem Stromkreis nehmen (vorher Strom abschalten!). Auf harte Unterlage legen (nie Bett oder Matratze, sondern Fußboden). Oberkörper von Bekleidung freimachen. Kopf nach hinten biegen, Mund öffnen und mit Taschentuch freimachen (Zahnprothese, Schaum, auf Fremdkörper achten). Mit einer Hand die Nasenlöcher schließen, tief einatmen, Mund auf den Mund des_der Zusammengebrochenen legen und in ihn_sie hinein ausatmen, dann eigenen Mund weg­nehmen und fünf Sekunden warten. Währenddessen hat sich der zweite Lebens­retter von der anderen Seite über den entblößten Körper gebeugt, die Hände werden rechtwinklig zueinander unten auf das Brustbein gelegt und in fünf Sekunden rhyth­misch auf den Brustkorb gedrückt. Nach fünf Brustkorbstößen wird dann wieder eine Mund-zu-Mund-Beatmung vorgenommen. Lange durchhalten, nicht schon nach einer Viertelstunde aufhören! Nach den Sanis und dem_der Arzt_Ärztin schreien! Ihnen aber nicht das Feld überlassen, sie haben meistens keine Lust und keine Ahnung. Weitermachen bis der_die Notarzt_Notärztin kommt, dann unter seinem_ihrem Kommando weiter­arbeiten. Fordert Erste-Hilfe-Kurse für euch und eine optimale Ausrüstung der Sani-Station (vergleiche auch den Abschnitt 17.13. „Lebensrettende Maßnahmen").

Todesangst

Fast jede_r, der_die länger inhaftiert ist, kennt sie. Deshalb sollte jede_r zu ihr stehen. Sie darf nicht einfach als Feigheit abgetan werden, sondern muss solidarisch aufge­arbeitet werden. Merke: wenn die Todesangst in ständige Angstzustände übergeht, entstehen daraus schwere Krankheitsbilder, die vor allem den Langstrafer über kurz oder lang geistig-körperlich zerstören können. Die Todesangst immer im Wechsel von Ursachen und Auswirkungen begreifen und gegen sie ankämpfen!

Anzeichen: Meistens drei Entwicklungsschritte: Alarmstadium— Anpassungssta­dium — Zerstörungsstadium. Alarmstadium: akut ausgelöst durch unerwartete Langstrafe, Überfall durch die Grünen, erstes Erleben der B-Zelle mit wechselnder Heißluft-Kaltluft-Mißhand­lung usw. Zeichen: Plötzliche panische und aussichtslose Fluchtversuche, Kopf-gegen-die-Wand-Schlagen, Schreikrampf, Muskelzittern, Speichelfluß, unwillkürliches Urinieren und Einkoten, Durchfälle, Pupillenerweiterung, Atmen wie bei Asthma. Beim Übergang in Dauerzustand Pulsbeschleunigung, Kopfschmerzen durch er­höhten Blutdruck, vermehrter Schweiß, Waden- und Zehenkrämpfe. Anpassungsstadium: chronische Folgekrankheiten durch ständig erhöhten Blut­druck, Magen- und Darmgeschwüre, Asthmaanfälle, Schluckbeschwerden. Die im Knast vorkommenden Magendurchbrüche, Darmblutungen, Darmkrebse, Schlag­anfälle sind zum Beispiel die lebensgefährlichen Erscheinungen dieses Stadiums von Angst. Zerstörungsstadium: Totale Appetitlosigkeit, Erbrechen beim Essen, Durchfall sofort nach dem Essen, Abmagern zum Skelett, Kreislaufschwäche und ständig ernie­drigter Blutdruck, völliges Abstumpfen, Gleichgültigkeit gegenüber Schikanen, aber auch bei lange ersehnten Besuchen. Das ist das sogenannte Muselman-Syndrom der KZ-Ärzte_Innen, an dem inzwischen wieder einmal mehr und mehr Gefangene leiden.

Hilfe durch Mitgefangene: Den_Die Mitgefangene_n um jeden Preis von der Todesangst befreien. Ihn_Sie in den Arm nehmen, streicheln. Ihm_Ihr jede Art von Zuwendung zu­kommen lassen: Tabak, Kaffee sammeln, für ihn pendeln usw. Falls die Grünen nicht loslassen: Bambule auf der Abteilung, Sprechchor gegen die Grünen, Hungestreik, Anwälte_Innen einschalten, Anzeigen schreiben. Wichtig: Das auslösende Ereignis, Namen der Grünen und Ablauf genau festhalten, aufschreiben, Zeugen_Innen sammeln. Die Todesangst muss aber vorallem langfristig verarbeitet werden! Isolation: Es ist sehr schwer etwas gegen die Angst und Isolation zu unternehmen. Auf den ersten Blick hören sich einige Tips sehr einfach an, und doch sind sie ungeheuer wichtig. Atemübungen, den Körper mit harter Bürste von Armen und Beinen aus zur Körpermitte massieren, Autogenestraining ausprobieren, alle Träume aufschreiben und mit Verwandten und Freunden darüber sprechen und in Briefen davon erzählen. Bei Besuchen immer wieder über die Angstsituation sprechen. Du musst dich überhaupt in Wort und Schrift in Selbstkontrolle üben: Selbstgespräche offen führen, in Zweiergespräche umwandeln und beide Rollen sprechen; aber auch die angstauslösenden Ereignisse aufschreiben, daraus Texte machen, sie zu Theaterstücken umarbeiten und sie so spielen, dass deine Misshandler bestraft werden. Nicht um die Wut zu besänftigen, sondern damit dich die Angst nicht so hilflos und krank macht! Aktionen in Kleingruppe und in Gemeinschaftsveranstaltungen: Realistische Gegenmaßnahmen vorbereiten, Gruppengespräche über die Auswirkungen der Angst führen, die angstauslösenden Ereignisse als Theater spielen, die Träume gemeinsam durchsprechen. Auf jeden Fall gegen die Selbst-Isolierung der betroffenen Gefangenen angehen.

"Durchdrehen"

Jede_r, der den Knast von innen kennt, weiß welche Folgen das "Durchdrehen" gewöhnlich nach sich zieht: Alamierung der Abteilungsgrünen, gewaltsamer Abtransport in die B-Zelle mit Mißhandlungen. Dann vielleicht nach Stunden oder Tagen ein Arzt. Diese immer wiederkehrende Erfahrung macht jedes "Durchdrehen" so gefährlich, außer wenn der_die Gefangene_r die Bambule kühl als Mittel des Widerstandes gewählt hat, und in der Lage ist, in allen Phasen, die dann kommen, einen klaren Kopf zu bewahren. Meistens geht das "Durchdrehen" aber auf akute Erkrankungen zurück, um den sich die Rollkomandos sogar in den Knastkliniken einen Dreck schweren. Die Frage, ob der_die betroffene Mitgefangene durchkommt, hängt also von den anderen Gefangenen ab.

Anzeichen: Das Durchdrehen hörst du immer, wenn es in deinem Trakt passiert. Sofort Kontakt mit dem_der Nachbarn_Nachbarin aufnehmen. Klopfzeichen für die wichtigsten Informationsfragen und -antworten vereinbaren. Das Vorgehen sofort abstimmen. Auf der ganzen Abteilung keine Ruhe geben, bis der Fall geklärt ist. Genaue Informationen über den Zellenrundfunk verlangen. Erst mit den gemeinsamen Aktionen aufhören, wenn die Versorgung des_der Mitgefangenen sicher gestellt ist! Nicht auf die Sanis verlassen, die sehen vor allem nachts grundsätzlich nichts, was ihnen Scherereien machen könnte (Notarzt holen, Krankentransport veranlassen). Ihr müsst vorallem folgende mögliche Ursachen ausschließen - und dabei auch an solche Geschichten denken, die nur bei frisch Eingelieferten auftreten können. Immer erst fragen, wie lang ist er_sie schon hier?

Alkoholentzug: Spricht wirr, wird immer fahriger, macht nestelnde Bewegungen mit den Händen, Hände und Füße zittern immer grober, gedunsene Haut mit geplatzten Äderchen, Bindehautentzündung in den Augen.

Alkoholvergiftung: Gesicht und Bindehaut gerötet, erregt, schlägt plötzlich grundlos um sich, oft Alkoholgeruch, findet die richtigen Worte nicht, weiß nicht, wo er_sie ist.

Arterienverkalkung: Der_Die Mitgefangene ist älter wirkt vorzeitig gealtert, dreht vor allem abends oder nachts durch, weiß dann nicht wo er_sie ist.

Anfallsleiden: Oft besondere Empfindungen vor dem Zusammenbruch, eventuell Hinstürzen mit Schrei, sekundenlange Starre mit Atemstillstand, dann wiederkehrende Zuckungenen mit unterschiedlicher Ausdehnung über den Körper, Schaumaustritt vor dem Mund, Zungenbiss, Urinabgang. Nach einigen Minuten längerdauernde Verwirrtheit.

Angstzustände: Wurden im vorigen Abschnitt besprochen.

Drogenentzug: Verwirrt, redet nur vom nächsten Schuss, Angstzustände, schwitzt, hat Jerzjagen, weite Pupillen, Tränenfluss, allgemeines Schmerzgefühl, Brechreiz.

Schwere Schmerzzustände: Praktisch bei allen Notfällen möglich, die hier geschuldert werden. Besonders wichtig bei Ausländern, die sich nicht verständigen können und oft erstmal vom Rollkomando zusammengedonnert werden!

Schädel-Hirnverletzungen: Besonder wichtig, denn oft ist diese_r Mitgefangene voher von Grünen, schwer mißhandelt worden. Die haben dann ein besonderes Interesse an einer Fehldiagnose. Merke: Manche Schädel_Hirnverletzte wirken so, als ob die schwer Betrunken wären. Vor allem bei neu eingelieferten Gefangenen aufpassen: Die Polizeibeamten pflegen manchmal gerade Betrunkene bei der Festnahme zusammenzuschlagen. Dann kann eine lebensgefährliche Schädel-Hirn-Verletzung vorliegen, und das bei Alkoholgeruch, wo dann alles dem Alkohol zugeschoben wird.

Zusammenbruch mit Kreislaufkrise: Der_Die Mitgefangene ist schwer gestürzt, stellt fest, dass er stark blutet, als er das Bewusstsein wiedererlangt. Er_Sie versucht den Sani zu rufen. Da meistens so schnell kein Grüner kommt, gerät er_sie in eine akute Angstsituation. Er_Sie trommelt an die Zellentür und schreit, um Hilfe zu bekommen. Die Antwort ist dann vielleicht ein Rollkommando. Dieser Ablauf ist mir mehrfach und glaubhaft von Mitgefangenen berichtet worden. Also nie den Grünen glauben, sondern auf eigene Faust die Gründe des Durchdrehens untersuchen.

Hilfe durch Mitgefangene: In allen Fällen ist ärztliche Behandlung und Klinikeinweisung erforderlich, auch bei Alkohol- und Drogenentzug. Unbedingt durchsetzen! Die Gefangenen landen dann meist in Haftkliniken. In allen Fällen sind sie den Sanis und Knastärzten_Innen gegenüber besonders hilflos. Gerade sie brauchen deine Unterstützung. Bei schweren Erkrankungen für Haftverschonung kämpfen. Im Fall der Entzugsbehandlung aufpassen, dass die Betroffenen von den Weißkitteln nicht als Abschaum behandelt werden, wie es leider die Regel ist. Sie gelten als Abschaum und kriegen gerade noch Distraneurin oder Aponal in den Rachen geschmissen. Gerade diese Gefangenen brauchen jedoch mehr: Kontakt mit dir und Verständnis von deiner Seite. Nicht zulassen, dass sie in Einzelhaft kommen. Sie sind in großer Gefahr sich selbst zu töten, und sie tun es häufig.

Selbsttötung

Wir sprechen hier über die Selbsttötung in der Absicht, Leben zu retten. Wir machen also als Mitgefangene eine Entscheidung rückgängig, die der betroffene Gefangene für sich getroffen hat. Jede_r, der schon gesessen hat, weiß, wie schwer das in manchen Situationen fallen kann. Aber wir wissen, es ist nie der_die Mitgefangene, der Hand an sich legt, sondern es sind die unmenschlichen Bedingungen des Knasts, die ihn_sie umbringen: Er_Sie zieht nur die letzte Konsequenz aus einem menschenunwürdigen Zustand. Dennoch handeln wir immer, denn wir können als Gefangene insgesamt diesen Entschluss nicht anerkennen. Die Gefangenenbewegung kämpft nur für eine Situation, in der der Knast die Menschen nicht zerstört, sie kämpft überhaupt für eine Gesellschaft, in der es keine Knaste mehr gibt. Jede Selbsttötung, die geklappt hat, ist eine Niederlage für unseren Lebenswillen. Die Wiederbelebung führt freilich zu einer schwerwiegenden Verpflichtung. Wir dürfen den_die Gefangene_n, der_die überlebt hat, danach nicht sich selbst und den Knastpsychiatern überlassen. Wir müssen ihn_sie in unsere Gesellschaft hineinnehmen, uns ihm_ihr besonders zuwenden. Ihm_ihr Hoffnung machen, indem wir ihm_ihr zeigen, dass der Kampf fürs Leben möglich ist. Nur unter dieser Voraussetzung sind wir legiti­miert, die Entscheidung des Bruders und der Schwester, Schluss zu machen, zurück­zunehmen! Hilfe durch Mitgefangene: Wenn du keinen Fensterkontakt hast, nimmst du meistens nicht wahr, welches Drama sich in der Nachbarzelle abspielt. Du hörst allenfalls einen dumpfen klatschenden Schlag, wenn der_die Mitgefangene sich am Fensterkreuz aufhängt. Aber du weißt besser als die Grünen, wer in Gefahr ist, sich selbst zu töten. In diesem Fall musst du den Mut haben, für einen falschen Alarm geradezustehen.

Erhängen: So schnell wie möglich die Schnur durchschneiden, vorher den_die Mitge­fangene_n umfassen und langsam auf den Boden gleiten lassen. Das klingt selbstver­ständlich, ist es aber in der Aufregung nicht. (In der Knastklinik haben Kalfaktoren eine verzweifelten Bruder einmal zehn Minuten hängen lassen, denn sie waren der Situation nicht gewachsen). Danach sofort mit Wiederbelebung anfangen.

Ersticken: Manche Gefangene töten sich, indem sie sich eine Plastiktüte über den Kopf stülpen und über dem Hals zuschnüren. Tüten herunterreißen und sofort mit der Wiederbelebung anfangen. Sofort Notarzt und Krankentransport verlangen.

Vergiftung: Meistens mit Schlafmitteln oder chemischen Reinigungsmitteln. Reste aus dem Mund entfernen, Wiederbelebung und sofort den Notarzt verlangen, genaueres in Abschnitt 17. 4..

Elektrounfall: Hier nur der Vollständigkeit wegen nochmal erwähnt. Sofort Strom abstellen und den Mitgefangenen aus dem Stromkreis ziehen. Sonst Wiederbele­bung, Schockbekämpfung, Behandlung der Verbrennungen und Krankenhausein­weisung.

Schlucken: Sofort Entfernung des Fremdkörpers. Nur wenn es ohne Verletzung geht, sonst wie oben und Krankenhauseinweisung.


==

zum Inhaltsverzeichnis

17.1. Lebensbedrohliche Erscheinungsbilder

Du musst beim Lesen dieses Kapitels sehr gut aufpassen, dass die Einsamkeit und die Ängste im Knast dich nicht glauben machen, du wür­dest schon an einer dieser sehr seltenen Krankheiten leiden. Wenn du etwas über deinen Körper wissen willst, dann lies zuerst Kapitel 15. (Häufige Gesundheitsbeschwerden) und vor allem Kapitel 13. (Wie man im Knast gesund bleiben kann). Gerade im Knast äußern sich auch leichtere Beschwerden oft dramatischer als draußen. Auch wenn beim Durchlesen dieses Kapitels anfangs die Angst vor dem, was auch bei zuerst leichteren Krankheiten im Knast alles passieren kann, verstärkt wird — jede und jeder Gefangene kennt diese Angst und fühlt sich mit ihr alleingelassen. Wir wollen deswegen versuchen, Möglichkeiten der Selbsthilfe und der Kontrolle von Ärzten_Innen und Sanis aufzeigen.

Herz- und Kreislaufstillstand

Die Ursachen von Atem-, Herz- und Kreislaufstillstand sind äußerst vielfältig. Oft ist kein direkter Zusammenhang zu einem äußeren Ereignis festzustellen. Umso wichtiger ist die Fähigkeit, den plötzlichen Tod von ähnlichen Zuständen wie Be­wußtlosigkeit, Schock und Krampfanfällen unterscheiden zu können. Denn davon hängt es ab, ob sofort Maßnahmen zu einer möglichen Wiederherstellung des Lebens einzusetzen sind.

Anzeichen: Auf der Gemeinschatszelle plötzlicher, oft lautloser Zusammenbruch. Pulsfühlen: kein Puls mehr. Brust entblößen und Ohr auf die Herzgegend legen: kein Herzschlag mehr. Augen: Pupillen starr, oft weit (nicht immer). Mund: keine Atmung mehr. (Eventuell Spiegel vorhalten: beschlägt nicht mehr!) Auf Nachbar­zellen der Abteilung: manchmal durchdringende Schreie, dumpfer Körperaufschlag.

Hiife durch Mitgefangene: Mögliche äußere Ursachen beseitigen: Bei der_dem Erhängten Strick abschneiden, Körper dabei festhaken und langsam auf den Boden gleiten lassen; beim Elektrounfall aus dem Stromkreis nehmen (vorher Strom abschalten!). Auf harte Unterlage legen (nie Bett oder Matratze, sondern Fußboden). Oberkörper von Bekleidung freimachen. Kopf nach hinten biegen, Mund öffnen und mit Taschentuch freimachen (Zahnprothese, Schaum, auf Fremdkörper achten). Mit einer Hand die Nasenlöcher schließen, tief einatmen, Mund auf den Mund des_der Zusammengebrochenen legen und in ihn_sie hinein ausatmen, dann eigenen Mund weg­nehmen und fünf Sekunden warten. Währenddessen hat sich der zweite Lebens­retter von der anderen Seite über den entblößten Körper gebeugt, die Hände werden rechtwinklig zueinander unten auf das Brustbein gelegt und in fünf Sekunden rhyth­misch auf den Brustkorb gedrückt. Nach fünf Brustkorbstößen wird dann wieder eine Mund-zu-Mund-Beatmung vorgenommen. Lange durchhalten, nicht schon nach einer Viertelstunde aufhören! Nach den Sanis und dem_der Arzt_Ärztin schreien! Ihnen aber nicht das Feld überlassen, sie haben meistens keine Lust und keine Ahnung. Weitermachen bis der_die Notarzt_Notärztin kommt, dann unter seinem_ihrem Kommando weiter­arbeiten. Fordert Erste-Hilfe-Kurse für euch und eine optimale Ausrüstung der Sani-Station (vergleiche auch den Abschnitt 17.13. „Lebensrettende Maßnahmen").

Todesangst

Fast jede_r, der_die länger inhaftiert ist, kennt sie. Deshalb sollte jede_r zu ihr stehen. Sie darf nicht einfach als Feigheit abgetan werden, sondern muss solidarisch aufge­arbeitet werden. Merke: wenn die Todesangst in ständige Angstzustände übergeht, entstehen daraus schwere Krankheitsbilder, die vor allem den Langstrafer über kurz oder lang geistig-körperlich zerstören können. Die Todesangst immer im Wechsel von Ursachen und Auswirkungen begreifen und gegen sie ankämpfen!

Anzeichen: Meistens drei Entwicklungsschritte: Alarmstadium— Anpassungssta­dium — Zerstörungsstadium. Alarmstadium: akut ausgelöst durch unerwartete Langstrafe, Überfall durch die Grünen, erstes Erleben der B-Zelle mit wechselnder Heißluft-Kaltluft-Mißhand­lung usw. Zeichen: Plötzliche panische und aussichtslose Fluchtversuche, Kopf-gegen-die-Wand-Schlagen, Schreikrampf, Muskelzittern, Speichelfluß, unwillkürliches Urinieren und Einkoten, Durchfälle, Pupillenerweiterung, Atmen wie bei Asthma. Beim Übergang in Dauerzustand Pulsbeschleunigung, Kopfschmerzen durch er­höhten Blutdruck, vermehrter Schweiß, Waden- und Zehenkrämpfe. Anpassungsstadium: chronische Folgekrankheiten durch ständig erhöhten Blut­druck, Magen- und Darmgeschwüre, Asthmaanfälle, Schluckbeschwerden. Die im Knast vorkommenden Magendurchbrüche, Darmblutungen, Darmkrebse, Schlag­anfälle sind zum Beispiel die lebensgefährlichen Erscheinungen dieses Stadiums von Angst. Zerstörungsstadium: Totale Appetitlosigkeit, Erbrechen beim Essen, Durchfall sofort nach dem Essen, Abmagern zum Skelett, Kreislaufschwäche und ständig ernie­drigter Blutdruck, völliges Abstumpfen, Gleichgültigkeit gegenüber Schikanen, aber auch bei lange ersehnten Besuchen. Das ist das sogenannte Muselman-Syndrom der KZ-Ärzte_Innen, an dem inzwischen wieder einmal mehr und mehr Gefangene leiden.

Hilfe durch Mitgefangene: Den_Die Mitgefangene_n um jeden Preis von der Todesangst befreien. Ihn_Sie in den Arm nehmen, streicheln. Ihm_Ihr jede Art von Zuwendung zu­kommen lassen: Tabak, Kaffee sammeln, für ihn pendeln usw. Falls die Grünen nicht loslassen: Bambule auf der Abteilung, Sprechchor gegen die Grünen, Hungestreik, Anwälte_Innen einschalten, Anzeigen schreiben. Wichtig: Das auslösende Ereignis, Namen der Grünen und Ablauf genau festhalten, aufschreiben, Zeugen_Innen sammeln. Die Todesangst muss aber vorallem langfristig verarbeitet werden! Isolation: Es ist sehr schwer etwas gegen die Angst und Isolation zu unternehmen. Auf den ersten Blick hören sich einige Tips sehr einfach an, und doch sind sie ungeheuer wichtig. Atemübungen, den Körper mit harter Bürste von Armen und Beinen aus zur Körpermitte massieren, Autogenestraining ausprobieren, alle Träume aufschreiben und mit Verwandten und Freunden darüber sprechen und in Briefen davon erzählen. Bei Besuchen immer wieder über die Angstsituation sprechen. Du musst dich überhaupt in Wort und Schrift in Selbstkontrolle üben: Selbstgespräche offen führen, in Zweiergespräche umwandeln und beide Rollen sprechen; aber auch die angstauslösenden Ereignisse aufschreiben, daraus Texte machen, sie zu Theaterstücken umarbeiten und sie so spielen, dass deine Misshandler bestraft werden. Nicht um die Wut zu besänftigen, sondern damit dich die Angst nicht so hilflos und krank macht! Aktionen in Kleingruppe und in Gemeinschaftsveranstaltungen: Realistische Gegenmaßnahmen vorbereiten, Gruppengespräche über die Auswirkungen der Angst führen, die angstauslösenden Ereignisse als Theater spielen, die Träume gemeinsam durchsprechen. Auf jeden Fall gegen die Selbst-Isolierung der betroffenen Gefangenen angehen.

"Durchdrehen"

Jede_r, der den Knast von innen kennt, weiß welche Folgen das "Durchdrehen" gewöhnlich nach sich zieht: Alamierung der Abteilungsgrünen, gewaltsamer Abtransport in die B-Zelle mit Mißhandlungen. Dann vielleicht nach Stunden oder Tagen ein Arzt. Diese immer wiederkehrende Erfahrung macht jedes "Durchdrehen" so gefährlich, außer wenn der_die Gefangene_r die Bambule kühl als Mittel des Widerstandes gewählt hat, und in der Lage ist, in allen Phasen, die dann kommen, einen klaren Kopf zu bewahren. Meistens geht das "Durchdrehen" aber auf akute Erkrankungen zurück, um den sich die Rollkomandos sogar in den Knastkliniken einen Dreck schweren. Die Frage, ob der_die betroffene Mitgefangene durchkommt, hängt also von den anderen Gefangenen ab.

Anzeichen: Das Durchdrehen hörst du immer, wenn es in deinem Trakt passiert. Sofort Kontakt mit dem_der Nachbarn_Nachbarin aufnehmen. Klopfzeichen für die wichtigsten Informationsfragen und -antworten vereinbaren. Das Vorgehen sofort abstimmen. Auf der ganzen Abteilung keine Ruhe geben, bis der Fall geklärt ist. Genaue Informationen über den Zellenrundfunk verlangen. Erst mit den gemeinsamen Aktionen aufhören, wenn die Versorgung des_der Mitgefangenen sicher gestellt ist! Nicht auf die Sanis verlassen, die sehen vor allem nachts grundsätzlich nichts, was ihnen Scherereien machen könnte (Notarzt holen, Krankentransport veranlassen). Ihr müsst vorallem folgende mögliche Ursachen ausschließen - und dabei auch an solche Geschichten denken, die nur bei frisch Eingelieferten auftreten können. Immer erst fragen, wie lang ist er_sie schon hier?

Alkoholentzug: Spricht wirr, wird immer fahriger, macht nestelnde Bewegungen mit den Händen, Hände und Füße zittern immer grober, gedunsene Haut mit geplatzten Äderchen, Bindehautentzündung in den Augen.

Alkoholvergiftung: Gesicht und Bindehaut gerötet, erregt, schlägt plötzlich grundlos um sich, oft Alkoholgeruch, findet die richtigen Worte nicht, weiß nicht, wo er_sie ist.

Arterienverkalkung: Der_Die Mitgefangene ist älter wirkt vorzeitig gealtert, dreht vor allem abends oder nachts durch, weiß dann nicht wo er_sie ist.

Anfallsleiden: Oft besondere Empfindungen vor dem Zusammenbruch, eventuell Hinstürzen mit Schrei, sekundenlange Starre mit Atemstillstand, dann wiederkehrende Zuckungenen mit unterschiedlicher Ausdehnung über den Körper, Schaumaustritt vor dem Mund, Zungenbiss, Urinabgang. Nach einigen Minuten längerdauernde Verwirrtheit.

Angstzustände: Wurden im vorigen Abschnitt besprochen.

Drogenentzug: Verwirrt, redet nur vom nächsten Schuss, Angstzustände, schwitzt, hat Jerzjagen, weite Pupillen, Tränenfluss, allgemeines Schmerzgefühl, Brechreiz.

Schwere Schmerzzustände: Praktisch bei allen Notfällen möglich, die hier geschuldert werden. Besonders wichtig bei Ausländern, die sich nicht verständigen können und oft erstmal vom Rollkomando zusammengedonnert werden!

Schädel-Hirnverletzungen: Besonder wichtig, denn oft ist diese_r Mitgefangene voher von Grünen, schwer mißhandelt worden. Die haben dann ein besonderes Interesse an einer Fehldiagnose. Merke: Manche Schädel_Hirnverletzte wirken so, als ob die schwer Betrunken wären. Vor allem bei neu eingelieferten Gefangenen aufpassen: Die Polizeibeamten pflegen manchmal gerade Betrunkene bei der Festnahme zusammenzuschlagen. Dann kann eine lebensgefährliche Schädel-Hirn-Verletzung vorliegen, und das bei Alkoholgeruch, wo dann alles dem Alkohol zugeschoben wird.

Zusammenbruch mit Kreislaufkrise: Der_Die Mitgefangene ist schwer gestürzt, stellt fest, dass er stark blutet, als er das Bewusstsein wiedererlangt. Er_Sie versucht den Sani zu rufen. Da meistens so schnell kein Grüner kommt, gerät er_sie in eine akute Angstsituation. Er_Sie trommelt an die Zellentür und schreit, um Hilfe zu bekommen. Die Antwort ist dann vielleicht ein Rollkommando. Dieser Ablauf ist mir mehrfach und glaubhaft von Mitgefangenen berichtet worden. Also nie den Grünen glauben, sondern auf eigene Faust die Gründe des Durchdrehens untersuchen.

Hilfe durch Mitgefangene: In allen Fällen ist ärztliche Behandlung und Klinikeinweisung erforderlich, auch bei Alkohol- und Drogenentzug. Unbedingt durchsetzen! Die Gefangenen landen dann meist in Haftkliniken. In allen Fällen sind sie den Sanis und Knastärzten_Innen gegenüber besonders hilflos. Gerade sie brauchen deine Unterstützung. Bei schweren Erkrankungen für Haftverschonung kämpfen. Im Fall der Entzugsbehandlung aufpassen, dass die Betroffenen von den Weißkitteln nicht als Abschaum behandelt werden, wie es leider die Regel ist. Sie gelten als Abschaum und kriegen gerade noch Distraneurin oder Aponal in den Rachen geschmissen. Gerade diese Gefangenen brauchen jedoch mehr: Kontakt mit dir und Verständnis von deiner Seite. Nicht zulassen, dass sie in Einzelhaft kommen. Sie sind in großer Gefahr sich selbst zu töten, und sie tun es häufig.

Selbsttötung

Wir sprechen hier über die Selbsttötung in der Absicht, Leben zu retten. Wir machen also als Mitgefangene eine Entscheidung rückgängig, die der betroffene Gefangene für sich getroffen hat. Jede_r, der schon gesessen hat, weiß, wie schwer das in manchen Situationen fallen kann. Aber wir wissen, es ist nie der_die Mitgefangene, der Hand an sich legt, sondern es sind die unmenschlichen Bedingungen des Knasts, die ihn_sie umbringen: Er_Sie zieht nur die letzte Konsequenz aus einem menschenunwürdigen Zustand. Dennoch handeln wir immer, denn wir können als Gefangene insgesamt diesen Entschluss nicht anerkennen. Die Gefangenenbewegung kämpft nur für eine Situation, in der der Knast die Menschen nicht zerstört, sie kämpft überhaupt für eine Gesellschaft, in der es keine Knaste mehr gibt. Jede Selbsttötung, die geklappt hat, ist eine Niederlage für unseren Lebenswillen. Die Wiederbelebung führt freilich zu einer schwerwiegenden Verpflichtung. Wir dürfen den_die Gefangene_n, der_die überlebt hat, danach nicht sich selbst und den Knastpsychiatern überlassen. Wir müssen ihn_sie in unsere Gesellschaft hineinnehmen, uns ihm_ihr besonders zuwenden. Ihm_ihr Hoffnung machen, indem wir ihm_ihr zeigen, dass der Kampf fürs Leben möglich ist. Nur unter dieser Voraussetzung sind wir legiti­miert, die Entscheidung des Bruders und der Schwester, Schluss zu machen, zurück­zunehmen! Hilfe durch Mitgefangene: Wenn du keinen Fensterkontakt hast, nimmst du meistens nicht wahr, welches Drama sich in der Nachbarzelle abspielt. Du hörst allenfalls einen dumpfen klatschenden Schlag, wenn der_die Mitgefangene sich am Fensterkreuz aufhängt. Aber du weißt besser als die Grünen, wer in Gefahr ist, sich selbst zu töten. In diesem Fall musst du den Mut haben, für einen falschen Alarm geradezustehen.

Erhängen: So schnell wie möglich die Schnur durchschneiden, vorher den_die Mitge­fangene_n umfassen und langsam auf den Boden gleiten lassen. Das klingt selbstver­ständlich, ist es aber in der Aufregung nicht. (In der Knastklinik haben Kalfaktoren eine verzweifelten Bruder einmal zehn Minuten hängen lassen, denn sie waren der Situation nicht gewachsen). Danach sofort mit Wiederbelebung anfangen.

Ersticken: Manche Gefangene töten sich, indem sie sich eine Plastiktüte über den Kopf stülpen und über dem Hals zuschnüren. Tüten herunterreißen und sofort mit der Wiederbelebung anfangen. Sofort Notarzt und Krankentransport verlangen.

Vergiftung: Meistens mit Schlafmitteln oder chemischen Reinigungsmitteln. Reste aus dem Mund entfernen, Wiederbelebung und sofort den Notarzt verlangen, genaueres in Abschnitt 17. 4..

Elektrounfall: Hier nur der Vollständigkeit wegen nochmal erwähnt. Sofort Strom abstellen und den Mitgefangenen aus dem Stromkreis ziehen. Sonst Wiederbele­bung, Schockbekämpfung, Behandlung der Verbrennungen und Krankenhausein­weisung.

Schlucken: Sofort Entfernung des Fremdkörpers. Nur wenn es ohne Verletzung geht, sonst wie oben und Krankenhauseinweisung.