Gemeinschaftlicher Alltag

Aus Gefangenenratgeber

Wechseln zu: Navigation, Suche

zum Inhaltsverzeichnis


3.2. Gemeinschaftlicher Alltag

Das,,Betriebsklima" des Knasts

Es gibt in jedem Knast ein bestimmtes „Betriebsklima". Und es gibt eine Art von Solidarität, auch wenn sie immer sehr zwiespältig ist. Einerseits ist da eine sehr beeindruckende Solidarität zwischen den Gefangenen, die viel größer sein kann als die Solidarität zwischen Menschen außer­halb eines Gefängnisses. Das ist die spontane Solidarität zwischen denen, die in einer gemeinsamen üblen Lage sind. Und das sind die Gefangenen alle. Diese gemeinsame Lage schafft ein ganz spontanes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Man kann sie ebenso in der Untersuchungshaft wie in der Strafhaft finden, allerdings ebenso ihr Fehlen an manchen" Stellen, in manchen Situationen, bei einzelnen oder Gruppen von Gefan­genen. In der U-Haft kann für ein solidarisches Klima eine gewisse Ungebrochenheit und Widerstandsfähigkeit, kurz nach der Verhaftung, auch ein besserer Gesundheitszustand, ausschlaggebend sein. Anderer­seits herrscht hier auch eine gewisse Unverbindlichkeit wegen des ständigen Kommens und Gehens, das die Solidarität erschweren kann. Und bei der Strafhaft kann man sagen: auf der einen Seite als positiver Faktor für das Entstehen von Solidarität die gemeinsame Perspektive durch länge­res Zusammenleben und bessere gegenseitige Bekanntschaft; auf der andern Seite aber ist in Strafhaft die Gefahr des Gebrochenwerdens gerade wegen dieser Aussicht auf eine längere Strafe und der damit verbundenen Hoffnung auf vorzeitige Entlassung (Zweidrittel, Halb­strafe) größer als in U-Haft. Das Klima der Solidarität ist deshalb weniger eine Frage des Knasts als eine Sache bewusster Aktivität, des Willens und der Persönlichkeit derer, die im günstigsten (oder ungünstig­sten) Fall auf einer Station oder in einem Flügel aufeinander treffen. Es ist jedenfalls sicher, dass einige wenige Gefangene, wenn die Bedingun­gen günstig sind, das Klima der Solidarität auf ihrer Station sehr verbes­sern können - ein Grund für die Anstaltsverwaltung, sie zu trennen.

Solidarität und Unsolidarität

Für uns ist zunächst wichtig, wie man dieses „Betriebsklima" überhaupt erkennt, wie man es einschätzen kann - durch welche Beobachtungen. Und vor allem, wie man auf dieses Klima selber in seiner unmittelbaren Umgebung Einfluss nehmen kann. Dafür gibt es zunächst einen Maßstab der Beobachtung: die Tauschge­schäfte. In jedem Knast sind sie üblich. In der Art, wie sie üblich sind, ob sie etwas sind, was man dauernd um sich beobachtet oder ob sie mehr im Hintergrund vorgehen, ob das ganze Klima von einer egoistischen Tauschhaltung, von Geschäftemacherei bestimmt ist, oder ob das Klima von einer freundschaftlicheren Art ist - daran kann man ablesen, wie es beschaffen ist. Die Tauschgeschäfte sind die unterste Stufe dieser Soli­darität, wo Solidarität übergeht in Unsolidarität, Eigensucht. Auch diese Tauschgeschäfte können verschiedenen Charakter haben. Sie können gegenseitige Ausbeutung sein, sie können auch gegenseitige Hilfe sein. Und im günstigsten Fall sind sie uneigennützige gegenseitige' Hilfe und verlieren dadurch völlig den Charakter eines Geschäfts. Das Tauschver­halten im Knast sollte man deshalb nicht grundsätzlich ablehnen. Um zu verhindern, dass man hereingelegt wird, sollte man sich bei andern Gefangenen nach den Preisen erkundigen. Es gibt im Knast eine „Wäh­rung" - die Tabakwährung. Was etwas kostet, wird am Wert eines „Koffers" (Päckchen) Tabak gemessen. Das ist aber nicht der Einkaufs­wert des Tabaks, sondern der Wert, den er auf dem „schwarzen Markt" des Knasts hat. Es gibt allerdings auch die konkrete und alltägliche Unsolidarität, eine alltägliche fürchterliche Gleichgültigkeit für alles, was andere angeht-gebracht, sie bestimmt die ganze gewöhnliche Sprache, den Umgangston. Was andere angeht, ob die in den Bunker kommen, ob die keinen Tabak haben, ob sie eine hohe Strafe verpasst bekommen - wie man das ausdrückt, wie man miteinander darüber redet, das wird bestimmt von einer furchtbaren Vereinzelung, die im Knast gleichzeitig herrschen kann. Tatsächlich ist das Klima in den einzelnen Knästen, Abteilungen und von Zeit zu Zeit innerhalb dieser Knäste und der Abteilungen immer ein verschiedenes. Es fällt und steigt wie die Temperatur. Es ist also beeinflusst durch das Verhalten von einzelnen und von Gruppen. Die Solidarität ist etwas sehr zwiespältiges und oft verborgenes, eine Schicht der Knastgemeinschaft, die nicht immer oben ist, sondern unter­halb einer ganz anderen Art, miteinander umzugehen. Dieses innere Klima eines Knasts ist auch etwas sehr flexibles. Es lässt sich verändern. Die Beamten, die Administratoren, aber hauptsächlich die Gefangenen selbst stellen es. her, und es ist damit, ein Prozess mit einer bestimmten Gesetzmäßigkeit, die man zu durchschauen versuchen sollte, um Einfluss zu nehmen. Man sollte jedenfalls nicht in den Fehler verfallen, dieses Klima der alltäglichen Unsolidarität, wie man es zunächst bemerken wird, als Beweis zu nehmen, dass es im Gefängnis überhaupt keine Solidarität gäbe.


3.2. Gemeinschaftlicher Alltag

Das,,Betriebsklima" des Knasts

Es gibt in jedem Knast ein bestimmtes „Betriebsklima". Und es gibt eine Art von Solidarität, auch wenn sie immer sehr zwiespältig ist. Einerseits ist da eine sehr beeindruckende Solidarität zwischen den Gefangenen, die viel größer sein kann als die Solidarität zwischen Menschen außer­halb eines Gefängnisses. Das ist die spontane Solidarität zwischen denen, die in einer gemeinsamen üblen Lage sind. Und das sind die Gefangenen alle. Diese gemeinsame Lage schafft ein ganz spontanes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Man kann sie ebenso in der Untersuchungshaft wie in der Strafhaft finden, allerdings ebenso ihr Fehlen an manchen" Stellen, in manchen Situationen, bei einzelnen oder Gruppen von Gefan­genen. In der U-Haft kann für ein solidarisches Klima eine gewisse Ungebrochenheit und Widerstandsfähigkeit, kurz nach der Verhaftung, auch ein besserer Gesundheitszustand, ausschlaggebend sein. Anderer­seits herrscht hier auch eine gewisse Unverbindlichkeit wegen des ständigen Kommens und Gehens, das die Solidarität erschweren kann. Und bei der Strafhaft kann man sagen: auf der einen Seite als positiver Faktor für das Entstehen von Solidarität die gemeinsame Perspektive durch länge­res Zusammenleben und bessere gegenseitige Bekanntschaft; auf der andern Seite aber ist in Strafhaft die Gefahr des Gebrochenwerdens gerade wegen dieser Aussicht auf eine längere Strafe und der damit verbundenen Hoffnung auf vorzeitige Entlassung (Zweidrittel, Halb­strafe) größer als in U-Haft. Das Klima der Solidarität ist deshalb weniger eine Frage des Knasts als eine Sache bewusster Aktivität, des Willens und der Persönlichkeit derer, die im günstigsten (oder ungünstig­sten) Fall auf einer Station oder in einem Flügel aufeinander treffen. Es ist jedenfalls sicher, dass einige wenige Gefangene, wenn die Bedingun­gen günstig sind, das Klima der Solidarität auf ihrer Station sehr verbes­sern können - ein Grund für die Anstaltsverwaltung, sie zu trennen.

Solidarität und Unsolidarität

Für uns ist zunächst wichtig, wie man dieses „Betriebsklima" überhaupt erkennt, wie man es einschätzen kann - durch welche Beobachtungen. Und vor allem, wie man auf dieses Klima selber in seiner unmittelbaren Umgebung Einfluss nehmen kann. Dafür gibt es zunächst einen Maßstab der Beobachtung: die Tauschge­schäfte. In jedem Knast sind sie üblich. In der Art, wie sie üblich sind, ob sie etwas sind, was man dauernd um sich beobachtet oder ob sie mehr im Hintergrund vorgehen, ob das ganze Klima von einer egoistischen Tauschhaltung, von Geschäftemacherei bestimmt ist, oder ob das Klima von einer freundschaftlicheren Art ist - daran kann man ablesen, wie es beschaffen ist. Die Tauschgeschäfte sind die unterste Stufe dieser Soli­darität, wo Solidarität übergeht in Unsolidarität, Eigensucht. Auch diese Tauschgeschäfte können verschiedenen Charakter haben. Sie können gegenseitige Ausbeutung sein, sie können auch gegenseitige Hilfe sein. Und im günstigsten Fall sind sie uneigennützige gegenseitige' Hilfe und verlieren dadurch völlig den Charakter eines Geschäfts. Das Tauschver­halten im Knast sollte man deshalb nicht grundsätzlich ablehnen. Um zu verhindern, dass man hereingelegt wird, sollte man sich bei andern Gefangenen nach den Preisen erkundigen. Es gibt im Knast eine „Wäh­rung" - die Tabakwährung. Was etwas kostet, wird am Wert eines „Koffers" (Päckchen) Tabak gemessen. Das ist aber nicht der Einkaufs­wert des Tabaks, sondern der Wert, den er auf dem „schwarzen Markt" des Knasts hat. Es gibt allerdings auch die konkrete und alltägliche Unsolidarität, eine alltägliche fürchterliche Gleichgültigkeit für alles, was andere angeht-gebracht, sie bestimmt die ganze gewöhnliche Sprache, den Umgangston. Was andere angeht, ob die in den Bunker kommen, ob die keinen Tabak haben, ob sie eine hohe Strafe verpasst bekommen - wie man das ausdrückt, wie man miteinander darüber redet, das wird bestimmt von einer furchtbaren Vereinzelung, die im Knast gleichzeitig herrschen kann. Tatsächlich ist das Klima in den einzelnen Knästen, Abteilungen und von Zeit zu Zeit innerhalb dieser Knäste und der Abteilungen immer ein verschiedenes. Es fällt und steigt wie die Temperatur. Es ist also beeinflusst durch das Verhalten von einzelnen und von Gruppen. Die Solidarität ist etwas sehr zwiespältiges und oft verborgenes, eine Schicht der Knastgemeinschaft, die nicht immer oben ist, sondern unter­halb einer ganz anderen Art, miteinander umzugehen. Dieses innere Klima eines Knasts ist auch etwas sehr flexibles. Es lässt sich verändern. Die Beamten, die Administratoren, aber hauptsächlich die Gefangenen selbst stellen es. her, und es ist damit, ein Prozess mit einer bestimmten Gesetzmäßigkeit, die man zu durchschauen versuchen sollte, um Einfluss zu nehmen. Man sollte jedenfalls nicht in den Fehler verfallen, dieses Klima der alltäglichen Unsolidarität, wie man es zunächst bemerken wird, als Beweis zu nehmen, dass es im Gefängnis überhaupt keine Solidarität gäbe.

zum Inhaltsverzeichnis