Gefangene- Schliesserinnen

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6.2. Gefangene - Schließerinnen

Was wir über die weiblichen Gefängnisaufseher sagen können, ist das, was einzelne von uns im Lauf der Zeit beobachtet und erlebt haben. Jede Gefangene braucht eine Menge Zeit, um sich in dem komplizierten - und so einfach starren - System von Zuständigkeiten, Abhängigkeiten und Beziehungen innerhalb der Knastverwaltung zurechtzufinden. Und jede erlebt das anders, und wird anders damit umgehn. Wir geben hier unsre Erfahrungen und Einschätzungen weiter, das ist alles. Eingeliefert wurde ich um Mitternacht rum. Der Transportbus hielt im Hof, an der Eingangstür stand eine jüngere Schließerin. "Das ist für heute die letzte Ladung", meinten die Transportbeamten, "na hoffentlich", die Schließerin. Dieser Knast war also kein Laden, in dem ein- und ausgehende Ware mit Vergnügen betrachtet wird. Was ich in den nächsten Tagen spüren und hören konnte, war von derselben Art. Der schroffe, befehlshaberische Ton klang zwar danach, als würde hier mit sehr viel Entschlossenheit kommandiert werden, aber nicht grad mit viel Überzeugung.

Woher sie kommen

Woher diese Gefängniswärterinnen kommen, welche Berufe sie vorher hatten, wie sie leben — darüber haben wir in allgemeinen soziologischen Untersuchungen nichts gefunden. Wie überall, sind auch hier die Frauen anscheinend vergessen worden. Es gibt eine Menge Literatur über männliche Schließer. Die meisten waren früher Handwerker, einige Angestellte, einige Berufssoldaten. Unter den Wärterinnen, die wir kennen, haben wir gefunden: Angestellte im öffentlichen Dienst. Frauen deren Ehemänner schon Gefängniswärter waren, ältere Hausfrauen, die ihre Kinder großgezogen und danach eine Beschäftigung ohne Berufs­ausbildung gesucht haben, Verkäuferinnen, Von der Klassenlage her, aus der sie stammen, sind sie von den Gefangenen nicht grundsätzlich verschieden. Ihre Familienverhältnisse sind vielleicht oft stabiler. In Frankfurt wohnen viele Aufseherinnen in der städtischen Siedlung direkt neben dem Gefängnis. Sozialer Wohnungsbau, Betonklötze mit Stück Rasen. Auch einige Gefangene haben dort gewohnt. Das erklärt viel­leicht etwas die überzeugte Strenge und Verständnislosigkeit, mit der viele Beamtinnen die Gefangenen behandeln. Von ihrer Klassenlage her hätte es ihnen durchaus passieren können, in der Rolle als Gefangene vorzukommen. Mit umso größerer Abwehr begegnen sie deshalb denen, die "das Böse" verkörpern. Andere zu bestrafen dient ihnen als Sicherung gegen ihre eignen, bewussten oder unbewussten, Wünsche. Wenn du die Schließerinnen fragst, warum sie gerade diesen Job machen , hörst du: "ich möchte lieber mit Menschen zu tun haben, naja vorgestellt hab ich mirs anders, aber es ist besser als in einem Büro zu sitzen" - "ich möchte am liebsten weg hier, aber ich brauch noch sechs Jahre um meine Pension zu bekommen, das halt ich auch noch durch" - "ich glaube dass ich hier eine Aufgabe habe, ändern Menschen zu helfen. . .". Das sagen die Schließerinnen, mit denen du überhaupt über so was reden kannst. Dazu ist noch zu sagen, dass sie alle aus dem Reformknast Preungesheim stammen, und es war dort lange Zeit üblich, nur solche Leute einzustel­len, die ein "soziales Motiv" hatten. Und so haben sich die Anwärterinnen geradezu darin überboten, ihren betreuerischen Eifer darzustellen. Diese Tradition wirkt noch einige Zeit fort.

Gefängniswärterin, ein Beruf

Die Gefängniswärterinnen stehen im Angestellten- oder Beamtenver­hältnis. Meistens sagt das auch etwas über das Maß ihrer Identifizierung mit dem Knast. Manche rücken im Lauf ihrer Tätigkeit zu Beamtinnen auf. Sie verschwinden für einige Zeit zu sog. Beamtenlehrgängen und wenn sie zurückkommen, sind sie einige Grad forscher, selbstbewusster und kleinlicher. Die Ausbildung der Angestellten besteht aus einem Schnellkursus. Um darüber hinaus zu Beamtinnen zu werden, machen sie nach einer Einfüh­rungszeit eine "theoriebezogene praktische Ausbildung in besonderen Anstalten", das heißt, sie werden in verschiedenen Anstalten herum geschickt um die unterschiedlichen "Vollzugsarten" kennenzulernen. Dann kommt ein Abschlusslehrgang von 4 Monaten. Er besteht zu 60(f aus Rechts- und Verwaltungskunde und 25-r praktisch-psychologischen Allgemeinheiten. Von der Anzahl der Stunden stehen in Rheinland-Pfalz z.B. Frühsport, Vollzugskunde und Rechtskunde an oberster Stelle, übrigens sind laut Umfrage die Hälfte der Beamten, vor allem die jüngeren, mit ihrer Ausbildung unzufrieden. Die Knasthierarchie sieht folgendermaßen aus: den Grundstein bilden die Gestalten, die sich Angestellte, Beamtenanwärter und Beamtinnen nennen, auch Aufseher, Schließer genannt. Besonderes Kennzeichen ist ihr stereotyper Antwortbeantworter: "die Vollzugsordnung/Vorschrift Anordnung von oben" je nachdem, aber die sitzt fest verankert in ihrem Kleinhirn oder Kitteltasche. Der "Unbelehrbare" wird sofort belehrt. Nun kommt eine Spezialgruppe: die Oberaufseher. Dazu gehören die Bereichsbeamten (sie überwachen also buchstäblich ihre eigenen Artge­nossen, trauen sich gegenseitig nicht) und die Zentralbeamten. Die dies alles noch einmal beaufsichtigen, sind die Aufsichtsdienstleiter. Die beiden letzten in diesem Gefüge sind bei weitem die unberechenbarsten, das liegt allein schon an ihrer so wichtigen Position, nämlich sich sozusa­gen selber zu beaufsichtigen, eine Aufgabe, die meistens schwere psychi­sche Begleiterscheinungen zur Folge hat, von plötzlichen Wutanfällen, idiotischen Anordnungen bis zu infantilem Charakter. Die Spitze dieser Knastpyramide ist die Anstaltsleitung mitsamt ihren Stellvertretern. Zur Vervollständigung muss noch erwähnt werden, dass in dieser Rangord­nung auch Werksbeamte und Verwaltungsbeamte ihre Hände mit im Spiel haben. Sie mischen sich aber in den anstaltsinternen Kram weniger ein. Die Gefangene, die etwas erreichen will, allein oder zusammen mit ändern, wird sich, so oder so, an dieser Hierarchie orientieren. Der normale Weg ist der von unten nach oben, angefangen bei der Stations­beamtin, dann Zentrale, dann Aufsichtsdienst und als letzte die Anstalts­leitung, wobei die nur mittels Rapportschein zu erreichen ist. Da das der eigentlich übliche Weg ist, ist auch die Wartezeit, die Zeit in der die Gefangene Antwort erhält oder persönlich "vorgeführt" wird, entspre­chend lang. Darum lohnt es sich in manchen Fällen, den umgekehrten Weg einzuschlagen, also direktes Vorrücken ins Büro der Anstaltslei­tung. Normalerweise wird man in dieses Königreich nur in Begleitung einer Beamtin vorgelassen, aber es geht auch anders. Hier ein Beispiel: die Gefangene stellt sich bei der Essensausgabe vor die verschlossene Verwaltungstür, macht das unschuldigste Gesicht der Welt und bittet ganz brav und artig eine der an ihr vorbei hastenden Stationsbeamtinnen, sie durchzuschließen, weil Frau Soundso in der Verwaltung sie dringend sprechen will, z.B. die Kasse, dort gibt es immer irgendwelche unvorher­gesehenen Schwierigkeiten durch falsch verbuchte Geldüberweisungen. Klappt die Sache nicht, bleibt man weiterhin auf dem Posten und wartet auf eine Sozialhelferin, die eigentlich ununterbrochen durch diese Tür ein- und ausgehen, auf- und zuschließen, also hier hat man vielleicht Glück. Ist man endlich im Verwaltungsgebäude, dann nichts wie rein ins Büro der Anstaltsleitung, loslegen, sich nicht abwimmeln lassen. Ob es dann hier zu einem Ergebnis kommt, ist ungewiss, es gibt ja auch noch höhere Stellen, oder die Angelegenheit muss erst geprüft werden, oder... Aber man weiß dann vielleicht, was zu erwarten ist.

Frauenknast

Das ist so das Typische im Knast: ein zäher Trott nach Vorschrift. Und das bestimmt auch im Normalfall das Verhältnis zwischen Schließerinnen und Gefangenen. Es ist ein Zwangsverhältnis und in keiner Weise frei. In den Frauenknästen ist soviel Tünche drübergeschmiert, dass das in manchen Momenten kaum zu erkennen ist. Ich glaube nicht, dass das nur an der reformierten Gewalt liegt, nur daran, dass die Gefangenen nicht mehr im Militärdrill durch den Knast gejagt werden. Sondern es hat sicher etwas damit zu tun, dass die Gefangenen Frauen sind und die Bewacher auch. Sie haben eine Erfahrung gemeinsam: eine Frau zu sein und damit für weniger wert geschätzt zu werden als der andre Teil der Menschheit. Manchmal taucht diese Gemeinsamkeit im guten Sinn auf. Eine Gefangene wird in den Männerknast gebracht um ihren Mann zu besuchen, ein oder zwei Schließerinnen als Begleitung. Beim Besuch sitzt die Schließerin und ein Wärter aus dem Männerknast zur Überwachung. Dabei kommt oft so was hoch: sich nichts gefallen lassen von dem Wärter, der so tut als habe er hier das große Kommando. Und aufständi­sche Bemerkungen zu der Gefangenen. Verunsichert hält sich die Schließerin an die gefangene Frau. Manchmal gehn sie lachend und spöttelnd raus. Aber meistens taucht die Weiblichkeit andersherum auf. Schon in der Hausordnung kannst du's lesen: "Dies ist ein Haus für Frauen. Das sollte man jedem Raum anmerken. Halten sie Ihre Zelle nicht nur sauber, sondern schmücken sie sie. . ." Nicht nur Gefangene bist du, sondern auch in diese artige Rolle von Frau sollst du reinkriechen. Die Schließerinnen spielen dabei die Mütter dieser heranwachsenden jungen Mäd­chen. Wenn das Kind brav ist, wird es belohnt, wenn es böse ist, bestraft. Und du kannst eine 25jährige Schließerin sehn, wie sie eine 50jährige Gefangene mit "husch husch" und "na na" vom Flur scheucht als wärs ein kleines Sabbelkind. Die Stationsbeamtinnen sprechen von "ihren" Frauen von der Station. Und wenn du dich weigerst, dich bei der Durchsuchung nackt auszuziehn, hörst du: "Aber wir sind doch alles Frauen ..." Nicht alle Gefängniswärterinnen setzen ihre Frauenrolle so bewusst ein, dass sie, ganz vertraulich, zu dir "von Frau zu Frau" sprechen und an deine weibliche Vernunft und Einsicht appellieren. Die naivsten und gutmütigsten werden dich mit ihrer Mütterlichkeit beruhigen und trö­sten, aber sie werden dir auch deinen Zorn vergessen machen und deinen berechtigten Protest ersticken.

Die weiblichen Vollzugsbediensteten

Uniformiert. Dunkelblaue Hose über dickem Arsch, dunkelblaues Jackett. Sie läuft im Stechschritt vor dir her, der Schlüsselbund am Riemen schlägt im Takt. Kommandeuse ohne Lederstiefel. Mit allen Hilfsmitteln die sie hat, verbreitet sie gewalttätig-perverse Luft. Sie weicht keinen Zentimeter zurück, aber wenn du ihr genau in die Augen siehst, flackert ein winziges Lichtchen an Unsicherheit, manchmal Angst. Ihre Kollegin tippelt im hellblauen Schürzelkittel durch den Knast und wirft ängstliche Blicke um sich, meistens nach oben, zur Zentrale hin. Sie wird mit flehendem Gesicht die Tür zum Gruppenraum aufmachen: „Kinder, jetzt geht doch bitte endlich in eure Zellen, sonst krieg ich Ärger. Das seht ihr doch ein, oder nicht? Wenn ich könnte, wie ich wollte. . . aber es geht doch nicht!'1 Sie ist nicht eine dieser Schleimscheißerinnen, die dir ins Gesicht lächeln und dich hinter deinem Rücken an die Zentrale verpfeifen. - Die gibt es auch, massenhaft. - Aber die von der ich jetzt spreche, meint es durchaus ernst. Sie möchte, aber sie kann nicht. Denn sie ist Schließerin. Sie hat einen Arbeitgeber, das ist die Justiz, und sie hat eine Aufgabe: das inhaftierte Menschenmaterial nach bestem Wissen und Gewissen und nach genau umrissener und beeideter Anordnung zu verwalten. Das haben sie notwendig alle gemeinsam. Diejenige, die freundlich ist und verständig und dich im nächsten Augenblick anschreit, als wäre sie am Durchdrehn. Und die, die nie ihre Fassung verlieren wird und alle Raffinessen einsetzt, um dich zu irgendwas zu überreden, zu überzeugen, anzuflehen, zu drohen. Und auch die, die nie genau weiß, was sie eigentlich tun soll oder darf, die sich immer auf die noch höheren Stellen beruft, und die meistens magenkrank ist, eine sehr verbreitete Krankheit unter dem Gefängnispersonal. Das ist jedenfalls etwas, was du nie aus den Augen lassen darfst: du bist Gefangene, sie sind Aufseherin­nen und haben die Macht über dich. Lächerlich, das so zu sagen, das ist die klarste Sache im Knast. Aber überhaupt nicht lächerlich, wenn du dich oder andre dabei beobachtest, wie tief sie sich versenken in ihre Rolle als Machtlose gegenüber der Macht. Da wird gebettelt und gefleht, geheult, gekrochen, verraten. Aber das ist das Wichtigste: dass du, als Gefangene, niemals deine Würde verlierst. Du kannst ihnen alles mögliche an Theater vorspielen, sie austricksen und belügen, aber du darfst niemals ihr Spiel so perfekt mitspielen, dass du dich dabei vergisst, dass du zu der Rolle wirst, die du eigentlich nur gespielt hast. Der Knast ist ein Apparat, der dich nieder­drücken soll, der dir in allem beweisen soll, dass du falsch bist, die falschen Sachen gemacht hast, die falschen Gefühle hast, die falsche Erziehung hast, dass du nichts wert bist. Aber du darfst dich nicht niederdrücken lassen, weil du dann umkommst. Die Schließerinnen sind die untersten Verwalter dieses Gefängnissy­stems. Du bist tagtäglich mit ihnen in Berührung. Sie sind Menschen, widerliche, langweilige und manchmal liebenswerte. Die letzteren halten meistens nicht allzu lang in ihrem Job durch. Entweder gehen sie nach der Probezeit freiwillig, weil sie's nicht ertragen als Aufseher und gleichzeitig Menschen, oder sie fliegen, weil sie sich zu gut mit den Gefangenen verstehen. Sogenannte private Kontakte sind strengstens verboten. Lie­besbeziehungen - so was gibt es auch - sind mehr als verboten. Schließe­rinnen sollen nicht vorrangig Menschen sein, sondern eben Justizbeamte. Außerdem sind sie auch Frauen. Das dürfen sie zu strafvollzugsdienli­chen Zwecken durchaus sein. Das amtliche Vollzugsbedienstetenideal liegt vermutlich bei: resolut mit mütterlichem Image.

Konflikte

In immer derselben Situation hab ich erlebt, wie diese ausgenutzte Mütterlichkeit und frauliche Gemeinsamkeit an ihren richtigen Platz gerückt ist, nämlich in die Ferne. Das ist, wenn sich eine ganze Station weigert, in die Zellen zu gehn, bevor nicht eine bestimmte Forderung erfüllt ist. Alle ändern Gefangenen werden noch schnell in die Zellen eingeschlossen und die ganze Heerschar der Schließerinnen taucht auf der "Krisenstation" auf. Fast halten sie sich an ihrem Schlüsselbund fest. Die Mutigen kommen in die Nähe, die Aufgeschreckten und auch die, die insgeheim den Gefangenen Beifall klatschen, bleiben in ein paar Meter Entfernung und staunen. Es ist nichts weiter passiert, als dass da eine Gruppe von Frauen sitzt und Nein sagt. Aber es ist geradeso als wäre ein stiller Alarmknopf in den Köpfen der Beamten losgegangen. Während die höheren und noch höheren Stellen benachrichtigt werden, stehen die Schließerinnen mit großen oder bösen Augen herum und schweigen. Man sieht sie denken. Sie schauen die Gefangenen an, zählen ab, notieren die Namen. Kaum ein Überredungsversuch, denn jetzt ist alles hochoffiziell. Es gibt nur noch Aufseherinnen und Gefangene.

Beobachten, einschätzen

Wenn du in den Knast kommst und nicht in Isolation, sondern in den sog. Normalvollzug, bekommst du sehr bald Informationen, wie du an die und jene Sache herankommst. Wo du eher was erreichst, wo du's gar nicht versuchen brauchst. Du hörst alle möglichen Geschichten über die Schließerinnen, dass die eine säuft, die andre lesbisch ist, die dritte die dunkle Brille deshalb trägt, weil ihr eine Gefangene mal ein Auge ausgeschlagen hat. Du hörst auch sehr unterschiedliche Meinungen: "Mit der X kann man reden" — "Mit der X kann man allerdings reden. Sie ist dafür von der Anstaltsleitung sehr geschätzt, denn sie tratscht alles weiter was sie hört." Es gibt nur sehr wenige Beamtinnen, über die es keine Diskussionen gibt, weil sie schon von weitem erkennbar sind und gera­dezu nach Knast riechen. Alle ändern schillern in allen möglichen Farbtönen. Übereinstimmung unter den Gefangenen herrscht vielleicht über die Grundfarbe. Nicht nur deswegen weil die Gefangenen sie so unterschiedlich sehn, sondern auch, weil die Schließerinnen oft tatsäch­lich schillernde Figuren sind. Naivität und Hinterhältigkeit sind manchmal so verblüffend gemischt, dass du dich als Gefangene am besten in gebührendem Abstand hältst. Beauftragt mit dem Ausüben von Gewalt und Zwang, haben sie unmit­telbar mit den gefangenen Menschen zu tun. Sie kriegen den Druck von oben und den von unten, dazwischen hängen sie. Und entwickeln fast verrückte Züge dabei. Aber egal, was du über diese und jene Beamtin hörst, egal, was sie, dieses einmalig auftretende Lebewesen für ein Mensch ist: für dich ist sie zuerstmal in ihrer Funktion als Schließerin zuständig, und das heißt, du kannst kein Vertrauen zu ihr haben. Wenn du das immer im Kopf behältst, kannst du weitersehn. Dir alles anhören, beobachten, einschätzen, handeln. Jede wird das, nach ihren eignen Gefühlen und Gedanken tun: Der Widerstandskraft, sich nicht niederdrücken zu lassen. Dem menschlichen Stolz, den man sich nicht nehmen lassen sollte. Der Einsicht, dass es nicht darum geht, deine eignen Vorteile rauszuschlagen, weil du eine Ratte wirst dabei. Es gibt dir sehr viel Stärke, als Gefangene zusammenzuhalten. Zwar eingesperrt, aber nicht kleingekriegt.


6.2. Gefangene - Schließerinnen

Was wir über die weiblichen Gefängnisaufseher sagen können, ist das, was einzelne von uns im Lauf der Zeit beobachtet und erlebt haben. Jede Gefangene braucht eine Menge Zeit, um sich in dem komplizierten - und so einfach starren - System von Zuständigkeiten, Abhängigkeiten und Beziehungen innerhalb der Knastverwaltung zurechtzufinden. Und jede erlebt das anders, und wird anders damit umgehn. Wir geben hier unsre Erfahrungen und Einschätzungen weiter, das ist alles. Eingeliefert wurde ich um Mitternacht rum. Der Transportbus hielt im Hof, an der Eingangstür stand eine jüngere Schließerin. "Das ist für heute die letzte Ladung", meinten die Transportbeamten, "na hoffentlich", die Schließerin. Dieser Knast war also kein Laden, in dem ein- und ausgehende Ware mit Vergnügen betrachtet wird. Was ich in den nächsten Tagen spüren und hören konnte, war von derselben Art. Der schroffe, befehlshaberische Ton klang zwar danach, als würde hier mit sehr viel Entschlossenheit kommandiert werden, aber nicht grad mit viel Überzeugung.

Woher sie kommen

Woher diese Gefängniswärterinnen kommen, welche Berufe sie vorher hatten, wie sie leben — darüber haben wir in allgemeinen soziologischen Untersuchungen nichts gefunden. Wie überall, sind auch hier die Frauen anscheinend vergessen worden. Es gibt eine Menge Literatur über männliche Schließer. Die meisten waren früher Handwerker, einige Angestellte, einige Berufssoldaten. Unter den Wärterinnen, die wir kennen, haben wir gefunden: Angestellte im öffentlichen Dienst. Frauen deren Ehemänner schon Gefängniswärter waren, ältere Hausfrauen, die ihre Kinder großgezogen und danach eine Beschäftigung ohne Berufs­ausbildung gesucht haben, Verkäuferinnen, Von der Klassenlage her, aus der sie stammen, sind sie von den Gefangenen nicht grundsätzlich verschieden. Ihre Familienverhältnisse sind vielleicht oft stabiler. In Frankfurt wohnen viele Aufseherinnen in der städtischen Siedlung direkt neben dem Gefängnis. Sozialer Wohnungsbau, Betonklötze mit Stück Rasen. Auch einige Gefangene haben dort gewohnt. Das erklärt viel­leicht etwas die überzeugte Strenge und Verständnislosigkeit, mit der viele Beamtinnen die Gefangenen behandeln. Von ihrer Klassenlage her hätte es ihnen durchaus passieren können, in der Rolle als Gefangene vorzukommen. Mit umso größerer Abwehr begegnen sie deshalb denen, die "das Böse" verkörpern. Andere zu bestrafen dient ihnen als Sicherung gegen ihre eignen, bewussten oder unbewussten, Wünsche. Wenn du die Schließerinnen fragst, warum sie gerade diesen Job machen , hörst du: "ich möchte lieber mit Menschen zu tun haben, naja vorgestellt hab ich mirs anders, aber es ist besser als in einem Büro zu sitzen" - "ich möchte am liebsten weg hier, aber ich brauch noch sechs Jahre um meine Pension zu bekommen, das halt ich auch noch durch" - "ich glaube dass ich hier eine Aufgabe habe, ändern Menschen zu helfen. . .". Das sagen die Schließerinnen, mit denen du überhaupt über so was reden kannst. Dazu ist noch zu sagen, dass sie alle aus dem Reformknast Preungesheim stammen, und es war dort lange Zeit üblich, nur solche Leute einzustel­len, die ein "soziales Motiv" hatten. Und so haben sich die Anwärterinnen geradezu darin überboten, ihren betreuerischen Eifer darzustellen. Diese Tradition wirkt noch einige Zeit fort.

Gefängniswärterin, ein Beruf

Die Gefängniswärterinnen stehen im Angestellten- oder Beamtenver­hältnis. Meistens sagt das auch etwas über das Maß ihrer Identifizierung mit dem Knast. Manche rücken im Lauf ihrer Tätigkeit zu Beamtinnen auf. Sie verschwinden für einige Zeit zu sog. Beamtenlehrgängen und wenn sie zurückkommen, sind sie einige Grad forscher, selbstbewusster und kleinlicher. Die Ausbildung der Angestellten besteht aus einem Schnellkursus. Um darüber hinaus zu Beamtinnen zu werden, machen sie nach einer Einfüh­rungszeit eine "theoriebezogene praktische Ausbildung in besonderen Anstalten", das heißt, sie werden in verschiedenen Anstalten herum geschickt um die unterschiedlichen "Vollzugsarten" kennenzulernen. Dann kommt ein Abschlusslehrgang von 4 Monaten. Er besteht zu 60(f aus Rechts- und Verwaltungskunde und 25-r praktisch-psychologischen Allgemeinheiten. Von der Anzahl der Stunden stehen in Rheinland-Pfalz z.B. Frühsport, Vollzugskunde und Rechtskunde an oberster Stelle, übrigens sind laut Umfrage die Hälfte der Beamten, vor allem die jüngeren, mit ihrer Ausbildung unzufrieden. Die Knasthierarchie sieht folgendermaßen aus: den Grundstein bilden die Gestalten, die sich Angestellte, Beamtenanwärter und Beamtinnen nennen, auch Aufseher, Schließer genannt. Besonderes Kennzeichen ist ihr stereotyper Antwortbeantworter: "die Vollzugsordnung/Vorschrift Anordnung von oben" je nachdem, aber die sitzt fest verankert in ihrem Kleinhirn oder Kitteltasche. Der "Unbelehrbare" wird sofort belehrt. Nun kommt eine Spezialgruppe: die Oberaufseher. Dazu gehören die Bereichsbeamten (sie überwachen also buchstäblich ihre eigenen Artge­nossen, trauen sich gegenseitig nicht) und die Zentralbeamten. Die dies alles noch einmal beaufsichtigen, sind die Aufsichtsdienstleiter. Die beiden letzten in diesem Gefüge sind bei weitem die unberechenbarsten, das liegt allein schon an ihrer so wichtigen Position, nämlich sich sozusa­gen selber zu beaufsichtigen, eine Aufgabe, die meistens schwere psychi­sche Begleiterscheinungen zur Folge hat, von plötzlichen Wutanfällen, idiotischen Anordnungen bis zu infantilem Charakter. Die Spitze dieser Knastpyramide ist die Anstaltsleitung mitsamt ihren Stellvertretern. Zur Vervollständigung muss noch erwähnt werden, dass in dieser Rangord­nung auch Werksbeamte und Verwaltungsbeamte ihre Hände mit im Spiel haben. Sie mischen sich aber in den anstaltsinternen Kram weniger ein. Die Gefangene, die etwas erreichen will, allein oder zusammen mit ändern, wird sich, so oder so, an dieser Hierarchie orientieren. Der normale Weg ist der von unten nach oben, angefangen bei der Stations­beamtin, dann Zentrale, dann Aufsichtsdienst und als letzte die Anstalts­leitung, wobei die nur mittels Rapportschein zu erreichen ist. Da das der eigentlich übliche Weg ist, ist auch die Wartezeit, die Zeit in der die Gefangene Antwort erhält oder persönlich "vorgeführt" wird, entspre­chend lang. Darum lohnt es sich in manchen Fällen, den umgekehrten Weg einzuschlagen, also direktes Vorrücken ins Büro der Anstaltslei­tung. Normalerweise wird man in dieses Königreich nur in Begleitung einer Beamtin vorgelassen, aber es geht auch anders. Hier ein Beispiel: die Gefangene stellt sich bei der Essensausgabe vor die verschlossene Verwaltungstür, macht das unschuldigste Gesicht der Welt und bittet ganz brav und artig eine der an ihr vorbei hastenden Stationsbeamtinnen, sie durchzuschließen, weil Frau Soundso in der Verwaltung sie dringend sprechen will, z.B. die Kasse, dort gibt es immer irgendwelche unvorher­gesehenen Schwierigkeiten durch falsch verbuchte Geldüberweisungen. Klappt die Sache nicht, bleibt man weiterhin auf dem Posten und wartet auf eine Sozialhelferin, die eigentlich ununterbrochen durch diese Tür ein- und ausgehen, auf- und zuschließen, also hier hat man vielleicht Glück. Ist man endlich im Verwaltungsgebäude, dann nichts wie rein ins Büro der Anstaltsleitung, loslegen, sich nicht abwimmeln lassen. Ob es dann hier zu einem Ergebnis kommt, ist ungewiss, es gibt ja auch noch höhere Stellen, oder die Angelegenheit muss erst geprüft werden, oder... Aber man weiß dann vielleicht, was zu erwarten ist.

Frauenknast

Das ist so das Typische im Knast: ein zäher Trott nach Vorschrift. Und das bestimmt auch im Normalfall das Verhältnis zwischen Schließerinnen und Gefangenen. Es ist ein Zwangsverhältnis und in keiner Weise frei. In den Frauenknästen ist soviel Tünche drübergeschmiert, dass das in manchen Momenten kaum zu erkennen ist. Ich glaube nicht, dass das nur an der reformierten Gewalt liegt, nur daran, dass die Gefangenen nicht mehr im Militärdrill durch den Knast gejagt werden. Sondern es hat sicher etwas damit zu tun, dass die Gefangenen Frauen sind und die Bewacher auch. Sie haben eine Erfahrung gemeinsam: eine Frau zu sein und damit für weniger wert geschätzt zu werden als der andre Teil der Menschheit. Manchmal taucht diese Gemeinsamkeit im guten Sinn auf. Eine Gefangene wird in den Männerknast gebracht um ihren Mann zu besuchen, ein oder zwei Schließerinnen als Begleitung. Beim Besuch sitzt die Schließerin und ein Wärter aus dem Männerknast zur Überwachung. Dabei kommt oft so was hoch: sich nichts gefallen lassen von dem Wärter, der so tut als habe er hier das große Kommando. Und aufständi­sche Bemerkungen zu der Gefangenen. Verunsichert hält sich die Schließerin an die gefangene Frau. Manchmal gehn sie lachend und spöttelnd raus. Aber meistens taucht die Weiblichkeit andersherum auf. Schon in der Hausordnung kannst du's lesen: "Dies ist ein Haus für Frauen. Das sollte man jedem Raum anmerken. Halten sie Ihre Zelle nicht nur sauber, sondern schmücken sie sie. . ." Nicht nur Gefangene bist du, sondern auch in diese artige Rolle von Frau sollst du reinkriechen. Die Schließerinnen spielen dabei die Mütter dieser heranwachsenden jungen Mäd­chen. Wenn das Kind brav ist, wird es belohnt, wenn es böse ist, bestraft. Und du kannst eine 25jährige Schließerin sehn, wie sie eine 50jährige Gefangene mit "husch husch" und "na na" vom Flur scheucht als wärs ein kleines Sabbelkind. Die Stationsbeamtinnen sprechen von "ihren" Frauen von der Station. Und wenn du dich weigerst, dich bei der Durchsuchung nackt auszuziehn, hörst du: "Aber wir sind doch alles Frauen ..." Nicht alle Gefängniswärterinnen setzen ihre Frauenrolle so bewusst ein, dass sie, ganz vertraulich, zu dir "von Frau zu Frau" sprechen und an deine weibliche Vernunft und Einsicht appellieren. Die naivsten und gutmütigsten werden dich mit ihrer Mütterlichkeit beruhigen und trö­sten, aber sie werden dir auch deinen Zorn vergessen machen und deinen berechtigten Protest ersticken.

Die weiblichen Vollzugsbediensteten

Uniformiert. Dunkelblaue Hose über dickem Arsch, dunkelblaues Jackett. Sie läuft im Stechschritt vor dir her, der Schlüsselbund am Riemen schlägt im Takt. Kommandeuse ohne Lederstiefel. Mit allen Hilfsmitteln die sie hat, verbreitet sie gewalttätig-perverse Luft. Sie weicht keinen Zentimeter zurück, aber wenn du ihr genau in die Augen siehst, flackert ein winziges Lichtchen an Unsicherheit, manchmal Angst. Ihre Kollegin tippelt im hellblauen Schürzelkittel durch den Knast und wirft ängstliche Blicke um sich, meistens nach oben, zur Zentrale hin. Sie wird mit flehendem Gesicht die Tür zum Gruppenraum aufmachen: „Kinder, jetzt geht doch bitte endlich in eure Zellen, sonst krieg ich Ärger. Das seht ihr doch ein, oder nicht? Wenn ich könnte, wie ich wollte. . . aber es geht doch nicht!'1 Sie ist nicht eine dieser Schleimscheißerinnen, die dir ins Gesicht lächeln und dich hinter deinem Rücken an die Zentrale verpfeifen. - Die gibt es auch, massenhaft. - Aber die von der ich jetzt spreche, meint es durchaus ernst. Sie möchte, aber sie kann nicht. Denn sie ist Schließerin. Sie hat einen Arbeitgeber, das ist die Justiz, und sie hat eine Aufgabe: das inhaftierte Menschenmaterial nach bestem Wissen und Gewissen und nach genau umrissener und beeideter Anordnung zu verwalten. Das haben sie notwendig alle gemeinsam. Diejenige, die freundlich ist und verständig und dich im nächsten Augenblick anschreit, als wäre sie am Durchdrehn. Und die, die nie ihre Fassung verlieren wird und alle Raffinessen einsetzt, um dich zu irgendwas zu überreden, zu überzeugen, anzuflehen, zu drohen. Und auch die, die nie genau weiß, was sie eigentlich tun soll oder darf, die sich immer auf die noch höheren Stellen beruft, und die meistens magenkrank ist, eine sehr verbreitete Krankheit unter dem Gefängnispersonal. Das ist jedenfalls etwas, was du nie aus den Augen lassen darfst: du bist Gefangene, sie sind Aufseherin­nen und haben die Macht über dich. Lächerlich, das so zu sagen, das ist die klarste Sache im Knast. Aber überhaupt nicht lächerlich, wenn du dich oder andre dabei beobachtest, wie tief sie sich versenken in ihre Rolle als Machtlose gegenüber der Macht. Da wird gebettelt und gefleht, geheult, gekrochen, verraten. Aber das ist das Wichtigste: dass du, als Gefangene, niemals deine Würde verlierst. Du kannst ihnen alles mögliche an Theater vorspielen, sie austricksen und belügen, aber du darfst niemals ihr Spiel so perfekt mitspielen, dass du dich dabei vergisst, dass du zu der Rolle wirst, die du eigentlich nur gespielt hast. Der Knast ist ein Apparat, der dich nieder­drücken soll, der dir in allem beweisen soll, dass du falsch bist, die falschen Sachen gemacht hast, die falschen Gefühle hast, die falsche Erziehung hast, dass du nichts wert bist. Aber du darfst dich nicht niederdrücken lassen, weil du dann umkommst. Die Schließerinnen sind die untersten Verwalter dieses Gefängnissy­stems. Du bist tagtäglich mit ihnen in Berührung. Sie sind Menschen, widerliche, langweilige und manchmal liebenswerte. Die letzteren halten meistens nicht allzu lang in ihrem Job durch. Entweder gehen sie nach der Probezeit freiwillig, weil sie's nicht ertragen als Aufseher und gleichzeitig Menschen, oder sie fliegen, weil sie sich zu gut mit den Gefangenen verstehen. Sogenannte private Kontakte sind strengstens verboten. Lie­besbeziehungen - so was gibt es auch - sind mehr als verboten. Schließe­rinnen sollen nicht vorrangig Menschen sein, sondern eben Justizbeamte. Außerdem sind sie auch Frauen. Das dürfen sie zu strafvollzugsdienli­chen Zwecken durchaus sein. Das amtliche Vollzugsbedienstetenideal liegt vermutlich bei: resolut mit mütterlichem Image.

Konflikte

In immer derselben Situation hab ich erlebt, wie diese ausgenutzte Mütterlichkeit und frauliche Gemeinsamkeit an ihren richtigen Platz gerückt ist, nämlich in die Ferne. Das ist, wenn sich eine ganze Station weigert, in die Zellen zu gehn, bevor nicht eine bestimmte Forderung erfüllt ist. Alle ändern Gefangenen werden noch schnell in die Zellen eingeschlossen und die ganze Heerschar der Schließerinnen taucht auf der "Krisenstation" auf. Fast halten sie sich an ihrem Schlüsselbund fest. Die Mutigen kommen in die Nähe, die Aufgeschreckten und auch die, die insgeheim den Gefangenen Beifall klatschen, bleiben in ein paar Meter Entfernung und staunen. Es ist nichts weiter passiert, als dass da eine Gruppe von Frauen sitzt und Nein sagt. Aber es ist geradeso als wäre ein stiller Alarmknopf in den Köpfen der Beamten losgegangen. Während die höheren und noch höheren Stellen benachrichtigt werden, stehen die Schließerinnen mit großen oder bösen Augen herum und schweigen. Man sieht sie denken. Sie schauen die Gefangenen an, zählen ab, notieren die Namen. Kaum ein Überredungsversuch, denn jetzt ist alles hochoffiziell. Es gibt nur noch Aufseherinnen und Gefangene.

Beobachten, einschätzen

Wenn du in den Knast kommst und nicht in Isolation, sondern in den sog. Normalvollzug, bekommst du sehr bald Informationen, wie du an die und jene Sache herankommst. Wo du eher was erreichst, wo du's gar nicht versuchen brauchst. Du hörst alle möglichen Geschichten über die Schließerinnen, dass die eine säuft, die andre lesbisch ist, die dritte die dunkle Brille deshalb trägt, weil ihr eine Gefangene mal ein Auge ausgeschlagen hat. Du hörst auch sehr unterschiedliche Meinungen: "Mit der X kann man reden" — "Mit der X kann man allerdings reden. Sie ist dafür von der Anstaltsleitung sehr geschätzt, denn sie tratscht alles weiter was sie hört." Es gibt nur sehr wenige Beamtinnen, über die es keine Diskussionen gibt, weil sie schon von weitem erkennbar sind und gera­dezu nach Knast riechen. Alle ändern schillern in allen möglichen Farbtönen. Übereinstimmung unter den Gefangenen herrscht vielleicht über die Grundfarbe. Nicht nur deswegen weil die Gefangenen sie so unterschiedlich sehn, sondern auch, weil die Schließerinnen oft tatsäch­lich schillernde Figuren sind. Naivität und Hinterhältigkeit sind manchmal so verblüffend gemischt, dass du dich als Gefangene am besten in gebührendem Abstand hältst. Beauftragt mit dem Ausüben von Gewalt und Zwang, haben sie unmit­telbar mit den gefangenen Menschen zu tun. Sie kriegen den Druck von oben und den von unten, dazwischen hängen sie. Und entwickeln fast verrückte Züge dabei. Aber egal, was du über diese und jene Beamtin hörst, egal, was sie, dieses einmalig auftretende Lebewesen für ein Mensch ist: für dich ist sie zuerstmal in ihrer Funktion als Schließerin zuständig, und das heißt, du kannst kein Vertrauen zu ihr haben. Wenn du das immer im Kopf behältst, kannst du weitersehn. Dir alles anhören, beobachten, einschätzen, handeln. Jede wird das, nach ihren eignen Gefühlen und Gedanken tun: Der Widerstandskraft, sich nicht niederdrücken zu lassen. Dem menschlichen Stolz, den man sich nicht nehmen lassen sollte. Der Einsicht, dass es nicht darum geht, deine eignen Vorteile rauszuschlagen, weil du eine Ratte wirst dabei. Es gibt dir sehr viel Stärke, als Gefangene zusammenzuhalten. Zwar eingesperrt, aber nicht kleingekriegt.

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