Gefangene- Beziehungen untereinander

Aus Gefangenenratgeber

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6.1. Gefangene. Beziehungen untereinander

Die erste Zeit

Wenn du in den Knast eingeliefert worden bist, alle Aufnahmeprozedu­ren hinter dir und "deine" Zelle zugeteilt bekommen hast, bist du erst mal allein. Viele erleben das mit Panik. Es sieht aus wie ein endgültiges Verschlossensein, abgeschnitten von allen die dir lieb sind, von allem woraus das bisherige Leben bestand, vielleicht sind sogar Kinder drau­ßen geblieben und du weißt nicht was aus ihnen wird. - Übrigens ist es so, dass das Jugendamt die Kinder in ein Heim einweisen wird; um das zu verhindern, müsstest du Verwandte oder Bekannte haben, die sich der Kinder annehmen (näheres dazu steht im Abschnitt 2.4.). Als ich mich einige Monate später an die erste Zeit im Knast erinnert habe, war ich erstaunt über meine Vorstellungen von Einsamkeit im Knast. Abgeschnitten ja, eingeschlossen ja, aber nach und nach hat sich eine neue Art von Leben entwickelt, ein Knastleben. Ganz allein, aber auch umgekehrt, ganz für mich. Für eine Mutter mit ein paar Kindern, für fast jede Frau eine ganz neue Situation. Ganz und gar ohne Verant­wortung für irgendjemand, nur für sich selber. Von früher her, bevor ich mit meinem Mann lebte, kenne ich das Gefühl. Es ist also möglich, ohne ihn zu leben, fast vergessen hätte ich das. In der ersten Zeit ist es wichtig, sich im Alleinsein nicht schwimmen zu lassen. Nimm dir irgendetwas vor, vielleicht etwas zu lernen, eine Spra­che zum Beispiel. Oder zu malen oder schreiben. Wenn ich aufgeschrie­ben habe, wie ich mich gerade fühle und was mir alles durch den Kopf geht, bin ich wacher geworden mir selber gegenüber und auch heiter manchmal. Als ich längere Zeit niemanden gesehen hab außer Schließern, hat mich manchmal ein fast überschwängliches Gefühl zu mir selber überfallen. Ich hab meinen Arm gesehen und gedacht: — mein Arm. Ich bin das, ich. - Und war stolz auf mich, ohne besonderen Grund, den ich werweißwem gegenüber zu rechtfertigen hätte, nein einfach so. Allein in der Zelle wirst du dich viel mit deinem Körper beschäftigen und vielleicht lernen, ihn nicht so achtlos zu behandeln wie sonst. Außer dich mit dir selber zu beschäftigen, ist es natürlich wichtig, alles mögliche zu versuchen, um mit anderen Frauen in Kontakt zu kommen. Im Normalfall wirst du sie beim Hofgang sehen. Einige kennen sich schon, einige sind sich fremd. Es sind vor allem die Frauen von der Zugangsstation, die im Hof laufen. Die ändern arbeiten oder sind Strafgefangene und laufen deshalb sowieso getrennt. Die du triffst, sind also in derselben Situation wie du. Wenn niemand auf dich zugeht, gehst du eben auf jemand zu. Die schon,länger da sind, werden dir sagen, wie du das und jenes machst: zum Arzt gehn, Wäsche tauschen, Bücher bekommen usw. Was in der U-Haft immer und immer wieder erzählt wird, sind die Geschichten über die Verhaftung, über den "Fall", über die Aussichten bei der Verhandlung. Manchmal kann man's schon nicht mehr hören. Aber es ist eben für jede die neu ankommt wichtig, das loszuwerden beim Reden. Wenn du nach einigen Wochen auf die normale Station für Untersuchungsgefangene verlegt wirst, gerätst du ins eigentliche "Knastleben". Du bist zwar verwaltet und dein Tag ist vorbestimmt, aber du bist durchaus dabei noch Handelnde. Wenn du nicht genau hinschaust und alles mitmachst, was scheinbar so sein muss und ist, wirst du vor lauter Anpassung verblöden. Auch dabei bist du Handelnde. Unter den Gefan­genen wirst du einen bestimmten Platz einnehmen, der nicht von der Zellennummer und Station, von der Länge der bestraften Zeit abhängig ist, sondern auch davon, wer du bist. Zuerst mal wirst du in die Rangordnung unter den Gefangenen reingeschoben.

Rangordnungen

Besteht die Hierarchie unter den Gefangenen darin, wer das größte Mundwerk hat? Oder darin, wer sich am besten durchsetzen kann gegenüber den Beamtinnen? Oder darin, wer am meisten Ansehen hat, durch irgendwelche Merkmale wie Schönheit, Klugheit, Reichtum oder ihr Delikt? Dass eine Hierarchie besteht, ist offensichtlich. Aber sie ist nicht sehr streng, verändert sich von Gelegenheit zu Gelegenheit und von Zeit zu Zeit. Es gibt immer einige Gefangene, die ein Riesenmund­werk haben und eine ganze Station in Schach halten. Sie werden respektiert, gefürchtet, bewundert. Denn es sind meistens auch die, die sich sonst nichts gefallen lassen. Sie haben zwar grundsätzlich nichts gegen den Knast - Knast, das ist eben Schicksal - aber sie machen ununterbro­chen "Palaver", und die Schließerinnen gehen sehr vorsichtig mit ihnen um, eben um kein Palaver zu haben. Will so eine Gefangene etwas und setzt sie merklich zu einem größeren Geschrei an, wird die Schließerin alles tun, um die Sache gedämpft abzuwickeln. Gibts Geschrei, dann heißt es von der Zentrale: was für ein Geschrei ist auf Ihrer Station?! Bringen Sie's nicht fertig, die Sache zu klären, muss es gleich wieder offizielle Ausmaße annehmen! Deshalb: soviel Geschrei wie möglich, aber möglichst keine Streitereien untereinander, die offizielles Ausmaß annehmen. Meistens ist es nämlich so, dass die Schreihälse auch jeden Konflikt lauthals und über die Schließerinnen austragen. Dabei werden dann Dinge gesagt, die besser nicht gesagt werden sollten, weil sie immer Tratsch und Verrat gleichkommen. Was untereinander an Streit aufkommt, das kann ganz gut auch untereinander geklärt werden, ohne gleich die "Mami" bzw. die "Polizei" zu Hilfe zu holen. Unter den Frauen die wegen BTM (Betäubungsmittelgesetz) im Knast sitzen und die sich oft untereinander kennen, weil sie aus einer "Szene" sind, haben meistens diejenigen am meisten Ansehen, die die größten Händler waren oder am längsten in der Szene aufgetreten sind. Die Rangordnung von draußen wird im Knast fortgeführt. So ist es am Anfang. Draußen treten die Frauen aber zusammen mit ihren Freunden auf, als Pärchen, als Geschäftspartner. Im Knast müssen sie sich alleine behaupten, und je mehr alle sich kennenlernen und gemeinsam Erfah­rungen im Knast machen, desto mehr verliert sich das alte Schema von mehr oder weniger Ansehen, Einfluss Man fängt an, sich als Menschen zu sehen, als Frauen. Wenn du in den Knast kommst, orientier dich in keinem Fall an den "Rangordnungen", wie sie grade bestehen. Sondern versuch alles mit deinen eigenen Augen zu sehen und deine eigenen Auseinandersetzungen zu haben. Vielleicht ist es so, dass du die freie Frechheit der Großmäuler tatsächlich respektieren lernst, aber das ist dann deine eigene Erfahrung.

Stationsleben - Cliquen und schwarze Schafe

Auf jeder Station gibt es Cliquen. Einerseits ganz gut, ein paar Leute, die fest zusammenhalten, gegenseitig nichts auf sich kommen lassen, sich zusammen durchsetzen. Die andere Seite ist die Cliquenwirtschaft. Die eine Clique bekämpft die andre, reden nicht miteinander, haben fast instinktmäßig was gegen die Frauen von der ändern Clique. Und es tauchen seltsame Gefühle und Verhaltensweisen auf, die eigentlich im Verhalten jeder Gruppe charakteristisch sind: ein Opfer wird gefunden und bekriegt. Eine Gefangene bekommt die Rolle des Sündenbocks. Geht irgendetwas schief, oder ist Streit, dann ist immer sie die Schuldige. Und alle entwickeln dieselben Gefühle ihr gegenüber. Es reißt richtig mit, wenn sich so was mal hergestellt hat. Du kannst die Frau dann nicht mehr unvoreingenommen sehen, du wirst immer Schlechtes von ihr vermuten, noch bevor sie den Mund aufgemacht hat. Und sie wird dann ihre ausgestoßene Rolle auch spielen, wird an die Schließerinnen weiter­tratschen und allen auf der Station was reinwürgen wollen. Es ist sehr schwer, sich dem zu entziehen. Manchmal klärt sich so was, wenn sich die ganze Station zusammensetzt und darüber redet. Und wenn der Sünden­bock auch was dazu zu sagen hat.

Gruppenabende

Die meisten "Gruppenabende", an denen sich eine ganze Station zusam­mensetzt, laufen in Form von Kaffeeklatsch ab. Die Sozialarbeiterin hört sich brav die Beschwerden der Gefangenen an, und es sind eben Dinge,an denen "ist nichts zu machen", erstens weil sie wenig Einfluss hat, zweitens weil sich die meisten dieser Fürsorger nicht die Finger verbren­nen wollen, sondern ihre guten Dienste in der Beruhigung beider Seiten sehen, die Gefangenen zu beschwichtigen oder das Unumgänglichste zu tun, um mit der Anstaltsleitung nicht zusammenzurasseln und eine brave Station vorweisen zu können. Die einzige Möglichkeit, diese sogenannten Gruppenabende Gespräche ein bisschen interessanter zu machen, ist, sie allein zu machen, eben nicht unbedingt freitags-oder donnerstags­weise, sondern dann wenn eine Sache da ist, die alle etwas angeht. Wenn eine ganze Station zusammen etwas plant und unternimmt, das bedeutet schon sehr viel für alle. Aber was ist im Knast schon zu unternehmen? Nicht viel, das stimmt, aber schon das Wenige lohnt sich, trotz aller zermürbenden Rückschläge. Schon eine halbe Stunde länger Hofgang lohnt sich, eine halbe Stunde länger idiotisches Laufen im Kreis. Eine Schließerin von der Station zu vertreiben, die link ist.

Frauen und schuldige Frauen

Draußen sitzt jede in ihrer eigenen Umgebung, in ihrer eignen Woh­nung, mit ihrem eignen Hausrat, mit ihrem eignen Mann. So eigen, dass es manchmal schon tödlich langweilig ist. Das alles zu verlieren ist trotzdem schwer. Und schwer auch, umzulernen in einer neuen Situa­tion, zusammen in derselben Lage mit ändern Frauen. Aus den Heimen kennen das viele, oder Kindheit, Jugendfreundinnen. Viel Vergessenes kommt wieder hoch. Aber dieses Abgrenzen gegen andre. Fremde sitzt sehr tief. Die Dope (Drogen)-Leute gegen die ändern, die ändern gegen die Dope-Leute, die Alten gegen die Jungen, die Betrügerinnen gegen die "Primitiven", wie sie sagen. Von den Dope-Leuten sagen die ändern, das sind ja Verrückte, machen dauernd Geschrei, haben nichts im Kopf als Dope und Negermusik. Von den ändern sagen die Dope—Leute, das sind langweilige Spießer, haben Mann und Kinder und weiter nichts, wollen den ganzen Tag vor dem Fernsehkasten hocken und machen keinen Piep. Erst wenn wir aufhören, uns gleich unter so einem Schema zu betrachten, stellt sich ein anderes Bild her. Daß'der Mensch so ist und der so. Eine Frau sitzt im Knast wegen Kindestötung. Sie hat alle gegen sich, sich selber eingeschlossen. Nach außen hin sagt sie vielleicht, dass alles gar nicht wahr ist oder dass sie nichts dafür kann. Aber wenn sie allein ist, steckt sie voller Selbstvorwürfe und Schuldgefühle. Und alle Gefange­nen, denen sie begegnet, werden dasselbe sagen: dass das eine Schweinerei ist, was sie getan hat und überhaupt das Letzte. Grade die Frauen sind darin besonders streng. Auch die. die ihr eigenes Kind ihr Leben lang nicht gesehn haben, die das Kind ins Heim gegeben haben oder an Pflegeeltern. Auch die. die ihre Kinder jeden Tag geprügelt haben und alle Sorgen und Bitterkeit an ihnen ausgelassen haben. Eigentlich müsste das Verständnis sehr naheliegen. Die meisten Gefangenen haben Kinder und sie kennen die Gefühle, die liebevollen und eben auch die gehässi­gen, wenn alles schiefgeht und es keine Aussichten gibt und dann hängt einem dieses Kind wie ein Klotz am Bein. Aber grade, dass die meisten Frauen dieses Gefühl kennen, das macht sie so streng gegenüber einer Frau, die außer sich geraten ist. Grade die Schuldgefühle dem eigenen Kind gegenüber lassen die ändern Frauen Schuld auf diese eine Frau werfen. Es war aber für einen selber wichtig, das nicht alles abzuschieben auf die eine, sondern sich seiner eigenen Gefühle bewusst zu werden, um dadurch besser mit ihnen umgehn zu können. Versuch dir vorzustellen, wie du selber in Situationen warst, wo du ein Gefühl in dir hattest, dass du jemand hättest umbringen können.

Der "weibliche" Tauschhandel

Was im Männerknast sehr stark die Beziehungen untereinander bestimmt, ist der Tauschhandel. Im Frauenknast läuft er zwar auch dauernd, aber nebenbei. Er hat weichere Formen. Es gibt keine festen Preise, sondern man tauscht was man braucht. Du bekommst oft etwas umsonst, vor allem unter denen die sich länger kennen. Von Station zu Station sind auch andere Bräuche, zum Teil dadurch, dass es einfach "arme" Stationen gibt, zum Beispiel die Kurzstrafen, zum Teil aber auch je nach der Art wie eine Station zusammenhält. Oft braucht nur jemand den Anfang machen, auch mal was zu verschenken an eine die nichts hat - und mit der Zeit ändert sich das kleinliche Klima, wo jede das zusammenrafft und versteckt was sie hat. Sicher ist es so, dass die am großzügigsten sein können, die das meiste haben, die werden dann auch sehr höflich und schmeichelhaft behandelt, mit denen will's niemand verderben, denn die braucht man vielleicht noch. Und ob sie was hergeben und an der Art, wie sie was hergeben, wirst du sie kennenler­nen. Der Tauschhandel ist eben nicht ein Selbstbedienungsladen, wo an der Kasse gezahlt wird, sondern da stecken die Menschen bis über den Kopf weg drin. Das Schenken und das Tauschen und Zurückfordern ist in dem Moment dieser Mensch, und die ganze Beziehung zwischen zwei solchen Handelspartnern drückt sich drin aus. Niemand soll sich einbil­den, das sei ihr Verdienst und ihr Recht, den größten Einkauf zu haben. Das hängt einfach davon ab, welche Beziehungen sie hat nach draußen oder welche Arbeit sie als Strafgefangene zugewiesen bekommen hat. Es sollte fast so was wie eine Verpflichtung sein, den ändern was abzugeben.

Die Liebe

Manchmal sind zwei Frauen im Knast, kennen sich vielleicht schon längere Zeit. Aber eines Tages, ich weiß nicht wodurch, sehen sie sich auf einmal Sie verlieben sich ineinander und ein anderes Leben beginnt. So als würde mit einmal in einem Winkel von diesem grauen Gemäuer etwas anfangen zu blühen, die Gitter und die Eisentüren sind nur noch Kulisse. Der Tag ist nicht mehr eingeteilt durch die verschiedenen Klingelzeichen zum Wecken, Duschen, Arbeiten, Hofgang, sondern dadurch, wieviel Zeit dazwischen liegt, bis sie sich wieder sehen können. Die Zeit wird kostbar. Jede Minute, die sie Zusammensein können, ist eine Woche Knast wert. Die beiden gehen in dieselben Freizeitgruppen, gehen am Sonntag in die Kirche. Versuchen, auf denselben Arbeitsplatz zu kommen. Wenn sie auf verschiedenen Stationen liegen, müssen sie über die Gitter klettern, um zusammenzukommen, oder darauf lauern bis eine Schließerin mal das Stationsgitter nicht hinter ihnen abschließt. So wie früher die Liebhaber heimlich ihre Liebsten besucht haben, so treffen sie sich. Die Liebe hat im Knast etwas Atemloses und Gewaltiges, alle Gefühle ballen sich zu einem einzigen, ohne durch irgendetwas abgelenkt zu sein, durch die verschiedenen Leben, die man draußen so führt. Auch die Eifersucht ballt sich. Es kommt öfter vor, dass sich eine Frau den Arm aufschneidet aus so einem Grund. Damit so was möglichst gar nicht eintritt, schließen sich die beiden ganz eng zusammen, abge­schottet gegen alle ändern. Trotzdem taucht natürlich oft die Eifersucht auf, gerade deswegen, weil überhaupt keine Auseinandersetzung mit den ändern Gefangenen mehr möglich ist. Weil die beiden sich ineinander verkrallen, sich schützen wollen gegen das Gerede der ändern, gegen den Knast. Sie wollen sich eine Insel schaffen, wo sie nichts mehr berührt. Für die ändern ist das oft sehr enttäuschend. Früher konnte man zusam­men reden und aufeinander zählen, und mit einem mal ist es so, als würden die beiden, die nur noch als Paar auftreten, überhaupt nicht mehr existieren. Das ist so wie draußen, wenn deine Freundin einen Mann kennenlernt, dann ist sie erstmal für einige Zeit abwesend. Sehr vieles ist so wie draußen. Altbekannte Rollen werden einfach übernommen, weil wir unser Leben lang dran gewöhnt sind, alles Neue braucht soviel Kraft und Phantasie.

Die Abhängigkeit von Männern

Wenn unter den extremen Bedingungen des Knastes eine Frau spürt, dass sie Gefühle für andere Frauen entwickelt, gerät sie unter Umständen in wilde Panik - wenn sie diese Erfahrung vorher noch nicht gemacht hat. Eine ganz normale verheiratete Frau würde draußen diese Erfahrung gar nicht mit sich selber machen - während andere, die vielleicht eh mit der Ehe nichts am Hut haben, auch draußen diese Erfahrung sehr wohl machen können. Was also durch die Situation des Knastes bedingt ist, ist andererseits nichts "Unnormales". Dieselben Erfahrungen, die die Frauen im Knast mit sich machen, könnten sie und andere Frauen auch außerhalb des Knastes machen - wenn sie wollten. Aber die meisten von ihnen kommen gar nicht auf den Gedanken. Es kann eine Chance sein, auf diese Weise - durch die erzwungene Abwesenheit von Männern - über die eigene Sexualität etwas zu erfahren. Zum Beispiel wird einem klar, wie abhängig man vorher von einem bestimmten Mann gewesen ist. Einem Mann gegenüber hast du deine Abhängigkeit immer akzeptiert - gegenüber einer Frau würdest du das vielleicht nicht, denn du siehst sie auf der gleichen Stufe mit dir. Deine Beziehungen zu Männern sind weit weg im Knast. Du hast das Gefühl, dass du erst mal ganz allein bist und damit für dich selbst verantwortlich. Du bist nicht mehr so abhängig wie früher. Es bringt dir auch nichts, abhängig zu sein. Das Gefühl allein zu sein kann also auch ein gutes Gefühl bedeuten. Du fängst an, über dich nachzudenken und ganz allein dich zu sehen, wer du bist, was du eigentlich willst, als einmalige Person. Und das ist eigentlich doch eine gute Erfahrung. Du denkst mehr über dich nach, und du denkst anders als früher über dich. Allerdings kann dir dieselbe Abhängigkeit, die du gegenüber einem Mann hattest, auch gegenüber einer anderen Frau entstehen. Das ist die Gefahr einer solchen Beziehung: dass sich in ihr wiederholt, was deine Beziehung zu Männern ausgemacht hat. Die meisten Frauen bemerken ihre Abhängigkeit von Männern sowenig, weil sie sie für völlig normal halten und weil sie um sich herum gar nichts anderes sehen. In der Beziehung zu einer Frau ist das nicht so, weil diese Beziehung nicht akzeptiert ist. Sie hat noch keine solchen allgemein akzeptierten, festgelegten Rollen wie die Beziehung zwischen Mann und Frau. Es ist also darin alles möglich, nicht nur die gewöhnliche Abhängigkeit. Ich finde es schade, wenn manche Frauen in einer solchen Beziehung glauben, sie müssten die aggressive Rolle des Mannes nachahmen, und wenn sich die andere Frau darauf einlässt Im Grunde ist das aber nicht notwendig, es könnte durchaus auch anders sein, wenn man über die eigene Rolle etwas besser nachdenken würde.Frauen können viel offener zeigen als Männer, dass sie eine sexuelle Beziehung zueinander haben wollen. Bei Männern gilt das als Schwäche, und sehr wenige können sich dazu überwinden. Frauen gelingt das leichter, weil sie nicht so auf eine Pseudo-"Stärke" festgelegt sind. Es sind weniger Sperren, die sie davon abhalten. Deshalb können sie über ihre Beziehungen auch viel offener reden, weil dazu sehr viel "Schwä­che" gehört, die man es sich leisten kann zu zeigen, ohne gleich das Gefühl zu haben, alles ist verloren.

Die alten Rollen

Es sind die von Mann und Frau. Die eine Frau spielt also den Mann und die andere die Ehe-, Haus- und so weiter-Frau. Mit allen lächerlichen Verzierungen. Der Mann ruft seine Frau "Mausi" und tätschelt ihr den Po. Die Mausi kocht den Kaffee und serviert ihn in der Zelle. Der Mann geht auch "fremd" und spielt den großen Charmeur in der Mittagspause zwischen der Pappkartonarbeit. Der Mann ist schrecklich eifersüchtig, die Mausi auch. Nicht dass aus dieser Nachäfferei die ganze Beziehung bestünde. Je länger sich zwei Frauen kennen, desto tiefer ist meistens die Beziehung. Aber nach außen hin, den ändern Gefangenen gegenüber, gehen sie so miteinander um als gebe es keine andre Möglichkeit, das irgendwie auszudrücken, dass sie was miteinander zu tun haben. Aber das Äußerliche bleibt eben nicht einfach das Äußere. Das was an Gefühlen und Beziehungen entstehen könnte, wird gleich abgemurkst, indem eine über die andere zu herrschen versucht. Im schlimmsten Fall nutzt man sich gegenseitig aus. Freundschaften werden geschlossen, solange eine jede Woche Einkauf hat. Aber das ist der Knast. Alles ist knapp wie in Kriegszeiten, und je mehr Gefühle eine Gefangene für die andre hat, desto mehr wird sie ihr auch geben wollen. Da bricht dann manchmal die Gier durch und der Kaffee und die Liebe sind nicht mehr unterschieden.

Die Reaktionen der anderen

Die Liebe unter Frauen: Von allen (den meisten) verspöttelt und herbeigesehnt. Die ganz großen Schreier sagen: "Ihr schwulen Säue".Aber auch für sie ist es so; Männer sind keine da. Unsre ganze Erziehung, die uns beigebracht hat, alle Gefühle auf den Mann zu richten und auf nichts sonst, bekommt einen Knacks. Manche Frauen glauben, der Knacks sei in ihnen selber. Sie merken, dass sie ihre Gefühle ebensogut auf eine Frau richten können, und es macht Angst, weil es ungewohnt ist. "Ob ich, wenn ich draußen bin, jemals wieder mir einem Mann schlafen kann?" oder "Ich fühl mich so als sei ich "am andern Ufer" und würde nie mehr zurückfinden". Alle Vorstellungen und Gewohnheiten, die eine Frau draußen hatte, gehen zu Bruch. Wir haben nicht gelernt. Liebe zwischen Frauen für ebenso möglich und natürlich zu erleben wie die Liebe zwischen Mann und Frau. Wir hören Geschichten aus vergangenen Zeiten, wo es Kulturen gegeben haben soll, wo das ganz natürlich war. Aber das ist ein sehr fernes und verschwommenes Bild. Wir sehen erklärte Lcsben mit Männerhaarschnitt. Männerhosen und Rockermanieren. Alle lachen über diese gewaltsamen Versuche, sich vom "Weibchen" zu befreien, also lachen wir auch. Was man uns beigebracht hat, Röcke zu tragen, den Mund zu halten und dem Mann ein Schmuckstück zu sein, das ist vielleicht nicht der Traum des Lebens, aber es ist das Übliche und scheinbar einzig Mögliche und fängt manche Sehnsüchte ein. Nur im Knast nicht. Hier war es möglich, alte Vorurteile loszuwerden und genauer auf seine Gefühle zu horchen. Ohne sich beirren zu lassen von denen, die verächtlich über "Lesbenpack" schreien. Auch die schreien nur. Das auffallendste an ihnen ist, dass gerade sie sich am meisten sehnen und auf der Suche sind nach einer Frau. Irgendwann hören sie dann auch auf zu schreien.


6.1. Gefangene. Beziehungen untereinander

Die erste Zeit

Wenn du in den Knast eingeliefert worden bist, alle Aufnahmeprozedu­ren hinter dir und "deine" Zelle zugeteilt bekommen hast, bist du erst mal allein. Viele erleben das mit Panik. Es sieht aus wie ein endgültiges Verschlossensein, abgeschnitten von allen die dir lieb sind, von allem woraus das bisherige Leben bestand, vielleicht sind sogar Kinder drau­ßen geblieben und du weißt nicht was aus ihnen wird. - Übrigens ist es so, dass das Jugendamt die Kinder in ein Heim einweisen wird; um das zu verhindern, müsstest du Verwandte oder Bekannte haben, die sich der Kinder annehmen (näheres dazu steht im Abschnitt 2.4.). Als ich mich einige Monate später an die erste Zeit im Knast erinnert habe, war ich erstaunt über meine Vorstellungen von Einsamkeit im Knast. Abgeschnitten ja, eingeschlossen ja, aber nach und nach hat sich eine neue Art von Leben entwickelt, ein Knastleben. Ganz allein, aber auch umgekehrt, ganz für mich. Für eine Mutter mit ein paar Kindern, für fast jede Frau eine ganz neue Situation. Ganz und gar ohne Verant­wortung für irgendjemand, nur für sich selber. Von früher her, bevor ich mit meinem Mann lebte, kenne ich das Gefühl. Es ist also möglich, ohne ihn zu leben, fast vergessen hätte ich das. In der ersten Zeit ist es wichtig, sich im Alleinsein nicht schwimmen zu lassen. Nimm dir irgendetwas vor, vielleicht etwas zu lernen, eine Spra­che zum Beispiel. Oder zu malen oder schreiben. Wenn ich aufgeschrie­ben habe, wie ich mich gerade fühle und was mir alles durch den Kopf geht, bin ich wacher geworden mir selber gegenüber und auch heiter manchmal. Als ich längere Zeit niemanden gesehen hab außer Schließern, hat mich manchmal ein fast überschwängliches Gefühl zu mir selber überfallen. Ich hab meinen Arm gesehen und gedacht: — mein Arm. Ich bin das, ich. - Und war stolz auf mich, ohne besonderen Grund, den ich werweißwem gegenüber zu rechtfertigen hätte, nein einfach so. Allein in der Zelle wirst du dich viel mit deinem Körper beschäftigen und vielleicht lernen, ihn nicht so achtlos zu behandeln wie sonst. Außer dich mit dir selber zu beschäftigen, ist es natürlich wichtig, alles mögliche zu versuchen, um mit anderen Frauen in Kontakt zu kommen. Im Normalfall wirst du sie beim Hofgang sehen. Einige kennen sich schon, einige sind sich fremd. Es sind vor allem die Frauen von der Zugangsstation, die im Hof laufen. Die ändern arbeiten oder sind Strafgefangene und laufen deshalb sowieso getrennt. Die du triffst, sind also in derselben Situation wie du. Wenn niemand auf dich zugeht, gehst du eben auf jemand zu. Die schon,länger da sind, werden dir sagen, wie du das und jenes machst: zum Arzt gehn, Wäsche tauschen, Bücher bekommen usw. Was in der U-Haft immer und immer wieder erzählt wird, sind die Geschichten über die Verhaftung, über den "Fall", über die Aussichten bei der Verhandlung. Manchmal kann man's schon nicht mehr hören. Aber es ist eben für jede die neu ankommt wichtig, das loszuwerden beim Reden. Wenn du nach einigen Wochen auf die normale Station für Untersuchungsgefangene verlegt wirst, gerätst du ins eigentliche "Knastleben". Du bist zwar verwaltet und dein Tag ist vorbestimmt, aber du bist durchaus dabei noch Handelnde. Wenn du nicht genau hinschaust und alles mitmachst, was scheinbar so sein muss und ist, wirst du vor lauter Anpassung verblöden. Auch dabei bist du Handelnde. Unter den Gefan­genen wirst du einen bestimmten Platz einnehmen, der nicht von der Zellennummer und Station, von der Länge der bestraften Zeit abhängig ist, sondern auch davon, wer du bist. Zuerst mal wirst du in die Rangordnung unter den Gefangenen reingeschoben.

Rangordnungen

Besteht die Hierarchie unter den Gefangenen darin, wer das größte Mundwerk hat? Oder darin, wer sich am besten durchsetzen kann gegenüber den Beamtinnen? Oder darin, wer am meisten Ansehen hat, durch irgendwelche Merkmale wie Schönheit, Klugheit, Reichtum oder ihr Delikt? Dass eine Hierarchie besteht, ist offensichtlich. Aber sie ist nicht sehr streng, verändert sich von Gelegenheit zu Gelegenheit und von Zeit zu Zeit. Es gibt immer einige Gefangene, die ein Riesenmund­werk haben und eine ganze Station in Schach halten. Sie werden respektiert, gefürchtet, bewundert. Denn es sind meistens auch die, die sich sonst nichts gefallen lassen. Sie haben zwar grundsätzlich nichts gegen den Knast - Knast, das ist eben Schicksal - aber sie machen ununterbro­chen "Palaver", und die Schließerinnen gehen sehr vorsichtig mit ihnen um, eben um kein Palaver zu haben. Will so eine Gefangene etwas und setzt sie merklich zu einem größeren Geschrei an, wird die Schließerin alles tun, um die Sache gedämpft abzuwickeln. Gibts Geschrei, dann heißt es von der Zentrale: was für ein Geschrei ist auf Ihrer Station?! Bringen Sie's nicht fertig, die Sache zu klären, muss es gleich wieder offizielle Ausmaße annehmen! Deshalb: soviel Geschrei wie möglich, aber möglichst keine Streitereien untereinander, die offizielles Ausmaß annehmen. Meistens ist es nämlich so, dass die Schreihälse auch jeden Konflikt lauthals und über die Schließerinnen austragen. Dabei werden dann Dinge gesagt, die besser nicht gesagt werden sollten, weil sie immer Tratsch und Verrat gleichkommen. Was untereinander an Streit aufkommt, das kann ganz gut auch untereinander geklärt werden, ohne gleich die "Mami" bzw. die "Polizei" zu Hilfe zu holen. Unter den Frauen die wegen BTM (Betäubungsmittelgesetz) im Knast sitzen und die sich oft untereinander kennen, weil sie aus einer "Szene" sind, haben meistens diejenigen am meisten Ansehen, die die größten Händler waren oder am längsten in der Szene aufgetreten sind. Die Rangordnung von draußen wird im Knast fortgeführt. So ist es am Anfang. Draußen treten die Frauen aber zusammen mit ihren Freunden auf, als Pärchen, als Geschäftspartner. Im Knast müssen sie sich alleine behaupten, und je mehr alle sich kennenlernen und gemeinsam Erfah­rungen im Knast machen, desto mehr verliert sich das alte Schema von mehr oder weniger Ansehen, Einfluss Man fängt an, sich als Menschen zu sehen, als Frauen. Wenn du in den Knast kommst, orientier dich in keinem Fall an den "Rangordnungen", wie sie grade bestehen. Sondern versuch alles mit deinen eigenen Augen zu sehen und deine eigenen Auseinandersetzungen zu haben. Vielleicht ist es so, dass du die freie Frechheit der Großmäuler tatsächlich respektieren lernst, aber das ist dann deine eigene Erfahrung.

Stationsleben - Cliquen und schwarze Schafe

Auf jeder Station gibt es Cliquen. Einerseits ganz gut, ein paar Leute, die fest zusammenhalten, gegenseitig nichts auf sich kommen lassen, sich zusammen durchsetzen. Die andere Seite ist die Cliquenwirtschaft. Die eine Clique bekämpft die andre, reden nicht miteinander, haben fast instinktmäßig was gegen die Frauen von der ändern Clique. Und es tauchen seltsame Gefühle und Verhaltensweisen auf, die eigentlich im Verhalten jeder Gruppe charakteristisch sind: ein Opfer wird gefunden und bekriegt. Eine Gefangene bekommt die Rolle des Sündenbocks. Geht irgendetwas schief, oder ist Streit, dann ist immer sie die Schuldige. Und alle entwickeln dieselben Gefühle ihr gegenüber. Es reißt richtig mit, wenn sich so was mal hergestellt hat. Du kannst die Frau dann nicht mehr unvoreingenommen sehen, du wirst immer Schlechtes von ihr vermuten, noch bevor sie den Mund aufgemacht hat. Und sie wird dann ihre ausgestoßene Rolle auch spielen, wird an die Schließerinnen weiter­tratschen und allen auf der Station was reinwürgen wollen. Es ist sehr schwer, sich dem zu entziehen. Manchmal klärt sich so was, wenn sich die ganze Station zusammensetzt und darüber redet. Und wenn der Sünden­bock auch was dazu zu sagen hat.

Gruppenabende

Die meisten "Gruppenabende", an denen sich eine ganze Station zusam­mensetzt, laufen in Form von Kaffeeklatsch ab. Die Sozialarbeiterin hört sich brav die Beschwerden der Gefangenen an, und es sind eben Dinge,an denen "ist nichts zu machen", erstens weil sie wenig Einfluss hat, zweitens weil sich die meisten dieser Fürsorger nicht die Finger verbren­nen wollen, sondern ihre guten Dienste in der Beruhigung beider Seiten sehen, die Gefangenen zu beschwichtigen oder das Unumgänglichste zu tun, um mit der Anstaltsleitung nicht zusammenzurasseln und eine brave Station vorweisen zu können. Die einzige Möglichkeit, diese sogenannten Gruppenabende Gespräche ein bisschen interessanter zu machen, ist, sie allein zu machen, eben nicht unbedingt freitags-oder donnerstags­weise, sondern dann wenn eine Sache da ist, die alle etwas angeht. Wenn eine ganze Station zusammen etwas plant und unternimmt, das bedeutet schon sehr viel für alle. Aber was ist im Knast schon zu unternehmen? Nicht viel, das stimmt, aber schon das Wenige lohnt sich, trotz aller zermürbenden Rückschläge. Schon eine halbe Stunde länger Hofgang lohnt sich, eine halbe Stunde länger idiotisches Laufen im Kreis. Eine Schließerin von der Station zu vertreiben, die link ist.

Frauen und schuldige Frauen

Draußen sitzt jede in ihrer eigenen Umgebung, in ihrer eignen Woh­nung, mit ihrem eignen Hausrat, mit ihrem eignen Mann. So eigen, dass es manchmal schon tödlich langweilig ist. Das alles zu verlieren ist trotzdem schwer. Und schwer auch, umzulernen in einer neuen Situa­tion, zusammen in derselben Lage mit ändern Frauen. Aus den Heimen kennen das viele, oder Kindheit, Jugendfreundinnen. Viel Vergessenes kommt wieder hoch. Aber dieses Abgrenzen gegen andre. Fremde sitzt sehr tief. Die Dope (Drogen)-Leute gegen die ändern, die ändern gegen die Dope-Leute, die Alten gegen die Jungen, die Betrügerinnen gegen die "Primitiven", wie sie sagen. Von den Dope-Leuten sagen die ändern, das sind ja Verrückte, machen dauernd Geschrei, haben nichts im Kopf als Dope und Negermusik. Von den ändern sagen die Dope—Leute, das sind langweilige Spießer, haben Mann und Kinder und weiter nichts, wollen den ganzen Tag vor dem Fernsehkasten hocken und machen keinen Piep. Erst wenn wir aufhören, uns gleich unter so einem Schema zu betrachten, stellt sich ein anderes Bild her. Daß'der Mensch so ist und der so. Eine Frau sitzt im Knast wegen Kindestötung. Sie hat alle gegen sich, sich selber eingeschlossen. Nach außen hin sagt sie vielleicht, dass alles gar nicht wahr ist oder dass sie nichts dafür kann. Aber wenn sie allein ist, steckt sie voller Selbstvorwürfe und Schuldgefühle. Und alle Gefange­nen, denen sie begegnet, werden dasselbe sagen: dass das eine Schweinerei ist, was sie getan hat und überhaupt das Letzte. Grade die Frauen sind darin besonders streng. Auch die. die ihr eigenes Kind ihr Leben lang nicht gesehn haben, die das Kind ins Heim gegeben haben oder an Pflegeeltern. Auch die. die ihre Kinder jeden Tag geprügelt haben und alle Sorgen und Bitterkeit an ihnen ausgelassen haben. Eigentlich müsste das Verständnis sehr naheliegen. Die meisten Gefangenen haben Kinder und sie kennen die Gefühle, die liebevollen und eben auch die gehässi­gen, wenn alles schiefgeht und es keine Aussichten gibt und dann hängt einem dieses Kind wie ein Klotz am Bein. Aber grade, dass die meisten Frauen dieses Gefühl kennen, das macht sie so streng gegenüber einer Frau, die außer sich geraten ist. Grade die Schuldgefühle dem eigenen Kind gegenüber lassen die ändern Frauen Schuld auf diese eine Frau werfen. Es war aber für einen selber wichtig, das nicht alles abzuschieben auf die eine, sondern sich seiner eigenen Gefühle bewusst zu werden, um dadurch besser mit ihnen umgehn zu können. Versuch dir vorzustellen, wie du selber in Situationen warst, wo du ein Gefühl in dir hattest, dass du jemand hättest umbringen können.

Der "weibliche" Tauschhandel

Was im Männerknast sehr stark die Beziehungen untereinander bestimmt, ist der Tauschhandel. Im Frauenknast läuft er zwar auch dauernd, aber nebenbei. Er hat weichere Formen. Es gibt keine festen Preise, sondern man tauscht was man braucht. Du bekommst oft etwas umsonst, vor allem unter denen die sich länger kennen. Von Station zu Station sind auch andere Bräuche, zum Teil dadurch, dass es einfach "arme" Stationen gibt, zum Beispiel die Kurzstrafen, zum Teil aber auch je nach der Art wie eine Station zusammenhält. Oft braucht nur jemand den Anfang machen, auch mal was zu verschenken an eine die nichts hat - und mit der Zeit ändert sich das kleinliche Klima, wo jede das zusammenrafft und versteckt was sie hat. Sicher ist es so, dass die am großzügigsten sein können, die das meiste haben, die werden dann auch sehr höflich und schmeichelhaft behandelt, mit denen will's niemand verderben, denn die braucht man vielleicht noch. Und ob sie was hergeben und an der Art, wie sie was hergeben, wirst du sie kennenler­nen. Der Tauschhandel ist eben nicht ein Selbstbedienungsladen, wo an der Kasse gezahlt wird, sondern da stecken die Menschen bis über den Kopf weg drin. Das Schenken und das Tauschen und Zurückfordern ist in dem Moment dieser Mensch, und die ganze Beziehung zwischen zwei solchen Handelspartnern drückt sich drin aus. Niemand soll sich einbil­den, das sei ihr Verdienst und ihr Recht, den größten Einkauf zu haben. Das hängt einfach davon ab, welche Beziehungen sie hat nach draußen oder welche Arbeit sie als Strafgefangene zugewiesen bekommen hat. Es sollte fast so was wie eine Verpflichtung sein, den ändern was abzugeben.

Die Liebe

Manchmal sind zwei Frauen im Knast, kennen sich vielleicht schon längere Zeit. Aber eines Tages, ich weiß nicht wodurch, sehen sie sich auf einmal Sie verlieben sich ineinander und ein anderes Leben beginnt. So als würde mit einmal in einem Winkel von diesem grauen Gemäuer etwas anfangen zu blühen, die Gitter und die Eisentüren sind nur noch Kulisse. Der Tag ist nicht mehr eingeteilt durch die verschiedenen Klingelzeichen zum Wecken, Duschen, Arbeiten, Hofgang, sondern dadurch, wieviel Zeit dazwischen liegt, bis sie sich wieder sehen können. Die Zeit wird kostbar. Jede Minute, die sie Zusammensein können, ist eine Woche Knast wert. Die beiden gehen in dieselben Freizeitgruppen, gehen am Sonntag in die Kirche. Versuchen, auf denselben Arbeitsplatz zu kommen. Wenn sie auf verschiedenen Stationen liegen, müssen sie über die Gitter klettern, um zusammenzukommen, oder darauf lauern bis eine Schließerin mal das Stationsgitter nicht hinter ihnen abschließt. So wie früher die Liebhaber heimlich ihre Liebsten besucht haben, so treffen sie sich. Die Liebe hat im Knast etwas Atemloses und Gewaltiges, alle Gefühle ballen sich zu einem einzigen, ohne durch irgendetwas abgelenkt zu sein, durch die verschiedenen Leben, die man draußen so führt. Auch die Eifersucht ballt sich. Es kommt öfter vor, dass sich eine Frau den Arm aufschneidet aus so einem Grund. Damit so was möglichst gar nicht eintritt, schließen sich die beiden ganz eng zusammen, abge­schottet gegen alle ändern. Trotzdem taucht natürlich oft die Eifersucht auf, gerade deswegen, weil überhaupt keine Auseinandersetzung mit den ändern Gefangenen mehr möglich ist. Weil die beiden sich ineinander verkrallen, sich schützen wollen gegen das Gerede der ändern, gegen den Knast. Sie wollen sich eine Insel schaffen, wo sie nichts mehr berührt. Für die ändern ist das oft sehr enttäuschend. Früher konnte man zusam­men reden und aufeinander zählen, und mit einem mal ist es so, als würden die beiden, die nur noch als Paar auftreten, überhaupt nicht mehr existieren. Das ist so wie draußen, wenn deine Freundin einen Mann kennenlernt, dann ist sie erstmal für einige Zeit abwesend. Sehr vieles ist so wie draußen. Altbekannte Rollen werden einfach übernommen, weil wir unser Leben lang dran gewöhnt sind, alles Neue braucht soviel Kraft und Phantasie.

Die Abhängigkeit von Männern

Wenn unter den extremen Bedingungen des Knastes eine Frau spürt, dass sie Gefühle für andere Frauen entwickelt, gerät sie unter Umständen in wilde Panik - wenn sie diese Erfahrung vorher noch nicht gemacht hat. Eine ganz normale verheiratete Frau würde draußen diese Erfahrung gar nicht mit sich selber machen - während andere, die vielleicht eh mit der Ehe nichts am Hut haben, auch draußen diese Erfahrung sehr wohl machen können. Was also durch die Situation des Knastes bedingt ist, ist andererseits nichts "Unnormales". Dieselben Erfahrungen, die die Frauen im Knast mit sich machen, könnten sie und andere Frauen auch außerhalb des Knastes machen - wenn sie wollten. Aber die meisten von ihnen kommen gar nicht auf den Gedanken. Es kann eine Chance sein, auf diese Weise - durch die erzwungene Abwesenheit von Männern - über die eigene Sexualität etwas zu erfahren. Zum Beispiel wird einem klar, wie abhängig man vorher von einem bestimmten Mann gewesen ist. Einem Mann gegenüber hast du deine Abhängigkeit immer akzeptiert - gegenüber einer Frau würdest du das vielleicht nicht, denn du siehst sie auf der gleichen Stufe mit dir. Deine Beziehungen zu Männern sind weit weg im Knast. Du hast das Gefühl, dass du erst mal ganz allein bist und damit für dich selbst verantwortlich. Du bist nicht mehr so abhängig wie früher. Es bringt dir auch nichts, abhängig zu sein. Das Gefühl allein zu sein kann also auch ein gutes Gefühl bedeuten. Du fängst an, über dich nachzudenken und ganz allein dich zu sehen, wer du bist, was du eigentlich willst, als einmalige Person. Und das ist eigentlich doch eine gute Erfahrung. Du denkst mehr über dich nach, und du denkst anders als früher über dich. Allerdings kann dir dieselbe Abhängigkeit, die du gegenüber einem Mann hattest, auch gegenüber einer anderen Frau entstehen. Das ist die Gefahr einer solchen Beziehung: dass sich in ihr wiederholt, was deine Beziehung zu Männern ausgemacht hat. Die meisten Frauen bemerken ihre Abhängigkeit von Männern sowenig, weil sie sie für völlig normal halten und weil sie um sich herum gar nichts anderes sehen. In der Beziehung zu einer Frau ist das nicht so, weil diese Beziehung nicht akzeptiert ist. Sie hat noch keine solchen allgemein akzeptierten, festgelegten Rollen wie die Beziehung zwischen Mann und Frau. Es ist also darin alles möglich, nicht nur die gewöhnliche Abhängigkeit. Ich finde es schade, wenn manche Frauen in einer solchen Beziehung glauben, sie müssten die aggressive Rolle des Mannes nachahmen, und wenn sich die andere Frau darauf einlässt Im Grunde ist das aber nicht notwendig, es könnte durchaus auch anders sein, wenn man über die eigene Rolle etwas besser nachdenken würde.Frauen können viel offener zeigen als Männer, dass sie eine sexuelle Beziehung zueinander haben wollen. Bei Männern gilt das als Schwäche, und sehr wenige können sich dazu überwinden. Frauen gelingt das leichter, weil sie nicht so auf eine Pseudo-"Stärke" festgelegt sind. Es sind weniger Sperren, die sie davon abhalten. Deshalb können sie über ihre Beziehungen auch viel offener reden, weil dazu sehr viel "Schwä­che" gehört, die man es sich leisten kann zu zeigen, ohne gleich das Gefühl zu haben, alles ist verloren.

Die alten Rollen

Es sind die von Mann und Frau. Die eine Frau spielt also den Mann und die andere die Ehe-, Haus- und so weiter-Frau. Mit allen lächerlichen Verzierungen. Der Mann ruft seine Frau "Mausi" und tätschelt ihr den Po. Die Mausi kocht den Kaffee und serviert ihn in der Zelle. Der Mann geht auch "fremd" und spielt den großen Charmeur in der Mittagspause zwischen der Pappkartonarbeit. Der Mann ist schrecklich eifersüchtig, die Mausi auch. Nicht dass aus dieser Nachäfferei die ganze Beziehung bestünde. Je länger sich zwei Frauen kennen, desto tiefer ist meistens die Beziehung. Aber nach außen hin, den ändern Gefangenen gegenüber, gehen sie so miteinander um als gebe es keine andre Möglichkeit, das irgendwie auszudrücken, dass sie was miteinander zu tun haben. Aber das Äußerliche bleibt eben nicht einfach das Äußere. Das was an Gefühlen und Beziehungen entstehen könnte, wird gleich abgemurkst, indem eine über die andere zu herrschen versucht. Im schlimmsten Fall nutzt man sich gegenseitig aus. Freundschaften werden geschlossen, solange eine jede Woche Einkauf hat. Aber das ist der Knast. Alles ist knapp wie in Kriegszeiten, und je mehr Gefühle eine Gefangene für die andre hat, desto mehr wird sie ihr auch geben wollen. Da bricht dann manchmal die Gier durch und der Kaffee und die Liebe sind nicht mehr unterschieden.

Die Reaktionen der anderen

Die Liebe unter Frauen: Von allen (den meisten) verspöttelt und herbeigesehnt. Die ganz großen Schreier sagen: "Ihr schwulen Säue".Aber auch für sie ist es so; Männer sind keine da. Unsre ganze Erziehung, die uns beigebracht hat, alle Gefühle auf den Mann zu richten und auf nichts sonst, bekommt einen Knacks. Manche Frauen glauben, der Knacks sei in ihnen selber. Sie merken, dass sie ihre Gefühle ebensogut auf eine Frau richten können, und es macht Angst, weil es ungewohnt ist. "Ob ich, wenn ich draußen bin, jemals wieder mir einem Mann schlafen kann?" oder "Ich fühl mich so als sei ich "am andern Ufer" und würde nie mehr zurückfinden". Alle Vorstellungen und Gewohnheiten, die eine Frau draußen hatte, gehen zu Bruch. Wir haben nicht gelernt. Liebe zwischen Frauen für ebenso möglich und natürlich zu erleben wie die Liebe zwischen Mann und Frau. Wir hören Geschichten aus vergangenen Zeiten, wo es Kulturen gegeben haben soll, wo das ganz natürlich war. Aber das ist ein sehr fernes und verschwommenes Bild. Wir sehen erklärte Lcsben mit Männerhaarschnitt. Männerhosen und Rockermanieren. Alle lachen über diese gewaltsamen Versuche, sich vom "Weibchen" zu befreien, also lachen wir auch. Was man uns beigebracht hat, Röcke zu tragen, den Mund zu halten und dem Mann ein Schmuckstück zu sein, das ist vielleicht nicht der Traum des Lebens, aber es ist das Übliche und scheinbar einzig Mögliche und fängt manche Sehnsüchte ein. Nur im Knast nicht. Hier war es möglich, alte Vorurteile loszuwerden und genauer auf seine Gefühle zu horchen. Ohne sich beirren zu lassen von denen, die verächtlich über "Lesbenpack" schreien. Auch die schreien nur. Das auffallendste an ihnen ist, dass gerade sie sich am meisten sehnen und auf der Suche sind nach einer Frau. Irgendwann hören sie dann auch auf zu schreien.

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