Die medizinischen Gutachten

Aus Gefangenenratgeber

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18.2. Der_Die medizinische Gutachter_in

Medizinische Gutachten werden im Knast im wesentlichen zu folgenden drei Themenbereichen angefertigt: Schuldfähigkeit, Verhandlungsfähigkeit, Haftfähigkeit. Auf den_die psychiatrische_n Gutachter_in wird weiter unten noch genauer eingegangen (siehe Kapitel 19).

Schuldunfähigkeit

Beim Komplex der Schuldfähigkeit gibt es die Möglichkeit der Schuldunfähigkeit zur Tatzeit (Alkohol- oder Drogeneinfluss, Schockzustand etc.), sowie die der generellen Schuldunfähigkeit (Schizophrenie etc.). Falls einem eine verminderte oder völlige Schuldunfähigkeit zur Tatzeit zugestanden wird, kann man unter Umständen Glück haben und einer Einsperrung entgehen, im zweiten Fall wird man zumindest auf Dauer in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen, was oft noch zerstörerischer ist als der Knast und außerdem eine vorangehende Gefängnishaft keineswegs ausschließen muss.

Verhandlungsunfahigkeit

Bei der Frage der Verhandlungsfähigkeit gibt es die Möglichkeit der selbstverschul­deten und der unverschuldeten Verhandlungsunfähigkeit. Im ersten Fall (Selbstverstümmelung, Hungerstreik etc.) kann das Gericht den_die Angeklagte_n von der Verhandlung ausschließen und den Prozess ohne ihn_sie veranstalten. Im zweiten Fall (schwerwiegende Konzentrations-, Kreislauf- oder Organstörungen) wird die Verhandlung entweder verschoben, oder die Dauer der Verhandlungstage wird geküret, z. B. auf nur zwei Stunden täglich, mit Einlegung von Pausen, ständige Anwesenheit eines_r oder mehrerer.Ärzte_innen, Bereitstellung einer Bahre, von der aus der_die Angeklagte den Prozess verfolgen „darf" etc. Wenn die Verhandlung verschoben wird, bedeutet dies für den_die Angeklagte_n gemeinhin keine Haftunterbrechung, sondern seine zwischenzeitliche Verschubung in ein Gefängniskrankenhaus.

Haftunfähigkeit

Haftunfähig ist schließlich der_diejenige Gefangene, bei dem_der die Haft eine nachhaltige und bleibende gesundheitliche Schädigung bewirkt. Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass diese gesundheitliche Schädigung in direktem Zusammenhang mit der Haft steht. Tatsächlich anerkannt wird aber in der Regel nur akute Lebensgefahr.

Wann und von wem wird ein Gutachten angefertigt?

Ob und von wem ein Gutachten angefertigt wird, kann nur vom zuständigen Gericht entschieden werden. Beantragt werden muss das Gutachten jedoch in der Regel von der_dem Anwalt_in des_r Angeklagten, da das Gericht selbst nur höchst selten von sich aus eine_n Gutachter_in hinzuzieht. Der_Die Anwalt_in muss dabei in seinem Antrag begründen, warum er_sie ein solches Gutachten für erforderlich hält. Diesen Antrag legt das Gericht sodann dem_r Gefängnisarzt_ärztin zur Stellungnahme vor - jedenfalls wenn es sich um die Frage der Haft- bzw. Verhandlungsunfähigkeit handelt. Von der Stellungnahme des_r Gefängnisarztes_ärztin hängt es im wesentlichen ab, ob das Gericht eine_n gutachtende_n Facharzt_ärztin hinzuzieht: Psychiater_in, Psychoso­matiker_in, Neurologe_in, Internist_in oder dergleichen. Für den_die Gefangene_n kommt es also darauf an, ein Krankheitsbild aufzuweisen, das sich der Beurteilungsfähigkeit des_r Gefängnisarztes_ärztin - eines_r Allgemeinmediziners_in -entzieht. Das heißt: Schon der_die Anwalt_in sollte seinen Antrag auf eine eindeutige medizinische Argumentation stützen und deswegen frühzeitig mit Ärzten_innen draußen zusammenarbeiten. Wenn das Gericht dem Antrag auf ein fachärztliches Gutachten stattgibt und dieses negativ für den_die Gefangenen ausgeht, hat er die Möglichkeit ein zweites Gutachten von einem_r anderen Arzt_Ärztin zu beantragen. Hierzu ist es allerdings erforderlich, dass er_sie bzw. sein_e Anwalt_in nachweisen, dass die Forschungsmittel des_der zweiten vorgeschlagenen Gutachters_in denen des_r ersten überlegen sind. Als Beispiel hierzu möge ein Sexualdelikt dienen, wo das Gericht zur Untersuchung der Frage der Schuldfähigkeit eine_n Psychiater_in hinzuzog, während die Verteidigung einen Sexualwissen­schaftler einschalten wollte.

Wer sind die Gutachter_innen?

Wer sind nun diese Gutachter_innen, von deren Urteil die Existenz oder Vernichtung eines_r Gefangenen abhängt, was für ein Interesse haben sie, wessen Interesse vertreten sie? Gutachter_innen sind fast ausnahmslos Professoren_innen von gerichtsmedizinischen oder anderen Instituten der nächstliegenden Universität, und das bedeutet zweierlei: einerseits sind sie Beamte_innen, die vom Staat dafür bezahlt werden, dass sie sein Funktionieren und mithin auch das möglichst reibungslose Über-die-Bühne-gehen seiner Prozesse garantieren, andererseits sind sie Wissenschaftler_innen die "objektiv" sein wollen. Der_Die Gutachter_in interessiert sich meist lediglich für sich selbst, für seine_ihre Objektivität, für seinen_ihren gut bezahlten Auftrag, für seinen_ihren guten Ruf - nicht aber für deinen Lebensweg und deine Leidensgeschichte. Trotzdem wird er_sie sich um dein Vertrauen bemühen, denn ohne deine Angaben kann er_sie keine vollständige Beurteilung abgeben. Denke immer daran, daß der_die Gutachter_in deine Krankheit selbst entdecken will. Sage ihm_ihr, dass du bestimmte Gefühle, Mißempfindungen und Beschwerden nicht richtig beschreiben kannst. Schildere dabei nichts, was du nicht selbst schon ansatzweise erlebt, gefühlt oder genau durchdacht hast, um glaubwürdig zu klingen. Vor allem die Psychiater_innen sind so weit wissenschaftlich geschult, dass sie dir alles zum Nachteil auslegen können!

Die Untersuchung durch den_die Gutachter_in

Man erwartet von dem_der Gutachter_in, dass diese_r sich - wie der_die Gefängnisarzt_ärztin - zynisch verhält und den_die Gefangenen von vorherein für eine_n Simulanten_in hält. Wenn der_die Gutachter_in nun aber zu dir freundlich ist, den Anschein des Mitgefühls erweckt und sich durch ein Späßchen über die bornierte Bürokratie auch noch auf deine Seite zu stellen scheint, wirst du leicht vertrauensselig und meinst, mit dem_der über den Vorurteilen und Institutionen schwebenden Herrn_Frauu Professor_in ein offenes Wort reden zu können. Genau das ist es, was der_die Gutachter_in erreichen will: er_sie inszeniert - vor Beginn der eigentlichen Untersuchung - ein kleines lockeres Schwätzchen mit dem_der Gefangenen. Diese_r freut sich, dass er_sie endlich mal mit jemandem reden kann, dass ihm_ihr endlich mal jemand zuhört, dass endlich mal jemand Verständnis für ihn_sie aufbringt, und er_sie blüht auf, präsentiere sich meistens entgegen seinem wirklichen Befinden, immer aber entgegen seiner Absicht - als ganz gesunder Mensch. Nun erst beginnt die eigentliche Untersuchung. Allerdings nur für den_die Gefangene_n, denn der_die Professor_in hat sein_ihr Gutachten bereits fertig: der_die Mann_Frau ist schuld-, haft- und verhandlungsfähig. Das sagt er_sie dem_r Gefangenen aber nicht, vielmehr läßt er_sie ihn_sie jetzt von seinen Leiden erzählen, veranstaltet Tests und nimmt Messungen vor (Blutdruck, Reflexe etc.). Der_Die Gefangene erschrickt und entsinnt sich wieder seines wirklichen Befindens oder desjenigen, das er_sie vorspielen wollte: er_sie setzt eine Leidensmiene auf, fängt an zu stottern, erzählt von ständigem Schwindeigefühl und Schmerzen, taumelt bei Gleichgewichtsüberprüfungen und verkorkst die Tests. Dies alles beeindruckt den_die Professor_in jedoch herzlich wenig; im Gegenteil, es bestärkt und bestätigt ihn_sie lediglich in seiner_ihrer Verachtung für dieses „jämmerliche Subjekt", das nicht bereit ist, die Verantwortung (Strafe) für seine_ihre Untaten zu tragen, und überdies noch die Frechheit besitzt, ihn_sie, den_die Professor_in, übertölpeln zu wollen. Der_Die Gefangene erscheint ihm_ihr also als dumm, feige und verschlagen und entsprechend fällt auch sein „objektives" Gutachten aus - meistens sehr zum Erstaunen des_der Gefangenen, der_die nichts von alledem gemerkt hat.

Wie verhält man sich einem_r Gutachter_in gegenüber richtig?

Zuerst sollte man bedenken, dass die Untersuchung mit der Begrüßung anfangt und mit der Verabschiedung aufhört. Alles, was dazwischen liegt, jede Gefühlsäußerung, jedes Wort, jede Bewegung wird beobachtet und begutachtet. Man darf, wenn der Blutdruck einen abnormen Wert aufweist, kein befriedigtes Lächeln zeigen, sondern muss bestürzt dreinblicken. Man darf nicht konzentriert über seine Konzentrationsstörungen reden, man sollte lieber überhaupt nichts von Konzentrationsstörungen sagen, wenn man welche hat oder vorspielen will, sondern soll dem_der Professor_in ihre Existenz demonstrieren, so dass er_sie sie selbst diagnostiziert. Man sollte die angebotene Coca Cola mit dem Hinweis auf ständiges Sodbrennen ablehnen und nicht erst genüßlich die Cola trinken und dann mit gequältem Gesichtsausdruck von notorischen Magenschmerzen berichten. Über­haupt sollte man nie versuchen, eine_m Arzt_Ärztin eine Selbstdiagnose zu unterbreiten - jedenfalls dann nicht, wenn deine Symptome nicht so eindeutig sind, dass kein_e Arzt_Ärztin daran vorbeigehen kann. Sag nicht „Kreislaufstörungen" oder gar „vegetative Dysregulationen", sondern beschreib mit besorgtem Gesichtsausdruck die Symptome, denn du darfst nicht krank sein wollen (um einer Strafe zu entgehen), du darfst dir lediglich Sorgen um deine Gesundheit machen. Wenn du auf Verhandlungsunfähigkeit abzielst, musst du dem_r Gutachter_in klarmachen, dass du den Prozess nicht wegen seines Ausganges fürchtest - denn entweder bist du unschuldig und hast eh nichts zu befürchten, oder du bist selbstverständlich gewillt, die Folgen deines Tuns voll und ganz zu tragen -, sondern dass du lediglich denkst, dass du dich hier und jetzt aufgrund deines schlechten Gesundheitszustandes nicht hinreichend verteidigen kannst und deshalb den Prozess verschoben haben willst.

Nun noch ein Wort zu dem, was untersucht wird und was für eine eventuelle Haftverschonung oder wenigstens Prozessverschiebung von Belang sein kann. Falls keine manifest organischen Krankheiten wie Magengeschwüre oder dergleichen feststellbar sind (röntnologisch oder labortechnisch), kommen nur Kreislauf- und schwerwiegende psychische Störungen in Betracht, wobei die einen ohne die anderen gemeinhin nicht sehr überzeugend wirken. Außerdem müssen beide messbar sein, sich also in abnormen Blutdruckwerten und schlechten Testergebnissen niederschlagen. Beides ist mit viel Training und Selbstdisziplin für eine_n Gefangene_n, der_die ohnehin allein aufgrund der Situation fast immer diese Krankheitsbilder zumindest im Ansatz aufweist, herstellbar und eskalierbar. Hierzu empfiehlt sich die intensive Lektüre eines Handbuches psychosomatischer Erkrankungen.


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18.2. Der_Die medizinische Gutachter_in

Medizinische Gutachten werden im Knast im wesentlichen zu folgenden drei Themenbereichen angefertigt: Schuldfähigkeit, Verhandlungsfähigkeit, Haftfähigkeit. Auf den_die psychiatrische_n Gutachter_in wird weiter unten noch genauer eingegangen (siehe Kapitel 19).

Schuldunfähigkeit

Beim Komplex der Schuldfähigkeit gibt es die Möglichkeit der Schuldunfähigkeit zur Tatzeit (Alkohol- oder Drogeneinfluss, Schockzustand etc.), sowie die der generellen Schuldunfähigkeit (Schizophrenie etc.). Falls einem eine verminderte oder völlige Schuldunfähigkeit zur Tatzeit zugestanden wird, kann man unter Umständen Glück haben und einer Einsperrung entgehen, im zweiten Fall wird man zumindest auf Dauer in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen, was oft noch zerstörerischer ist als der Knast und außerdem eine vorangehende Gefängnishaft keineswegs ausschließen muss.

Verhandlungsunfahigkeit

Bei der Frage der Verhandlungsfähigkeit gibt es die Möglichkeit der selbstverschul­deten und der unverschuldeten Verhandlungsunfähigkeit. Im ersten Fall (Selbstverstümmelung, Hungerstreik etc.) kann das Gericht den_die Angeklagte_n von der Verhandlung ausschließen und den Prozess ohne ihn_sie veranstalten. Im zweiten Fall (schwerwiegende Konzentrations-, Kreislauf- oder Organstörungen) wird die Verhandlung entweder verschoben, oder die Dauer der Verhandlungstage wird geküret, z. B. auf nur zwei Stunden täglich, mit Einlegung von Pausen, ständige Anwesenheit eines_r oder mehrerer.Ärzte_innen, Bereitstellung einer Bahre, von der aus der_die Angeklagte den Prozess verfolgen „darf" etc. Wenn die Verhandlung verschoben wird, bedeutet dies für den_die Angeklagte_n gemeinhin keine Haftunterbrechung, sondern seine zwischenzeitliche Verschubung in ein Gefängniskrankenhaus.

Haftunfähigkeit

Haftunfähig ist schließlich der_diejenige Gefangene, bei dem_der die Haft eine nachhaltige und bleibende gesundheitliche Schädigung bewirkt. Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass diese gesundheitliche Schädigung in direktem Zusammenhang mit der Haft steht. Tatsächlich anerkannt wird aber in der Regel nur akute Lebensgefahr.

Wann und von wem wird ein Gutachten angefertigt?

Ob und von wem ein Gutachten angefertigt wird, kann nur vom zuständigen Gericht entschieden werden. Beantragt werden muss das Gutachten jedoch in der Regel von der_dem Anwalt_in des_r Angeklagten, da das Gericht selbst nur höchst selten von sich aus eine_n Gutachter_in hinzuzieht. Der_Die Anwalt_in muss dabei in seinem Antrag begründen, warum er_sie ein solches Gutachten für erforderlich hält. Diesen Antrag legt das Gericht sodann dem_r Gefängnisarzt_ärztin zur Stellungnahme vor - jedenfalls wenn es sich um die Frage der Haft- bzw. Verhandlungsunfähigkeit handelt. Von der Stellungnahme des_r Gefängnisarztes_ärztin hängt es im wesentlichen ab, ob das Gericht eine_n gutachtende_n Facharzt_ärztin hinzuzieht: Psychiater_in, Psychoso­matiker_in, Neurologe_in, Internist_in oder dergleichen. Für den_die Gefangene_n kommt es also darauf an, ein Krankheitsbild aufzuweisen, das sich der Beurteilungsfähigkeit des_r Gefängnisarztes_ärztin - eines_r Allgemeinmediziners_in -entzieht. Das heißt: Schon der_die Anwalt_in sollte seinen Antrag auf eine eindeutige medizinische Argumentation stützen und deswegen frühzeitig mit Ärzten_innen draußen zusammenarbeiten. Wenn das Gericht dem Antrag auf ein fachärztliches Gutachten stattgibt und dieses negativ für den_die Gefangenen ausgeht, hat er die Möglichkeit ein zweites Gutachten von einem_r anderen Arzt_Ärztin zu beantragen. Hierzu ist es allerdings erforderlich, dass er_sie bzw. sein_e Anwalt_in nachweisen, dass die Forschungsmittel des_der zweiten vorgeschlagenen Gutachters_in denen des_r ersten überlegen sind. Als Beispiel hierzu möge ein Sexualdelikt dienen, wo das Gericht zur Untersuchung der Frage der Schuldfähigkeit eine_n Psychiater_in hinzuzog, während die Verteidigung einen Sexualwissen­schaftler einschalten wollte.

Wer sind die Gutachter_innen?

Wer sind nun diese Gutachter_innen, von deren Urteil die Existenz oder Vernichtung eines_r Gefangenen abhängt, was für ein Interesse haben sie, wessen Interesse vertreten sie? Gutachter_innen sind fast ausnahmslos Professoren_innen von gerichtsmedizinischen oder anderen Instituten der nächstliegenden Universität, und das bedeutet zweierlei: einerseits sind sie Beamte_innen, die vom Staat dafür bezahlt werden, dass sie sein Funktionieren und mithin auch das möglichst reibungslose Über-die-Bühne-gehen seiner Prozesse garantieren, andererseits sind sie Wissenschaftler_innen die "objektiv" sein wollen. Der_Die Gutachter_in interessiert sich meist lediglich für sich selbst, für seine_ihre Objektivität, für seinen_ihren gut bezahlten Auftrag, für seinen_ihren guten Ruf - nicht aber für deinen Lebensweg und deine Leidensgeschichte. Trotzdem wird er_sie sich um dein Vertrauen bemühen, denn ohne deine Angaben kann er_sie keine vollständige Beurteilung abgeben. Denke immer daran, daß der_die Gutachter_in deine Krankheit selbst entdecken will. Sage ihm_ihr, dass du bestimmte Gefühle, Mißempfindungen und Beschwerden nicht richtig beschreiben kannst. Schildere dabei nichts, was du nicht selbst schon ansatzweise erlebt, gefühlt oder genau durchdacht hast, um glaubwürdig zu klingen. Vor allem die Psychiater_innen sind so weit wissenschaftlich geschult, dass sie dir alles zum Nachteil auslegen können!

Die Untersuchung durch den_die Gutachter_in

Man erwartet von dem_der Gutachter_in, dass diese_r sich - wie der_die Gefängnisarzt_ärztin - zynisch verhält und den_die Gefangenen von vorherein für eine_n Simulanten_in hält. Wenn der_die Gutachter_in nun aber zu dir freundlich ist, den Anschein des Mitgefühls erweckt und sich durch ein Späßchen über die bornierte Bürokratie auch noch auf deine Seite zu stellen scheint, wirst du leicht vertrauensselig und meinst, mit dem_der über den Vorurteilen und Institutionen schwebenden Herrn_Frauu Professor_in ein offenes Wort reden zu können. Genau das ist es, was der_die Gutachter_in erreichen will: er_sie inszeniert - vor Beginn der eigentlichen Untersuchung - ein kleines lockeres Schwätzchen mit dem_der Gefangenen. Diese_r freut sich, dass er_sie endlich mal mit jemandem reden kann, dass ihm_ihr endlich mal jemand zuhört, dass endlich mal jemand Verständnis für ihn_sie aufbringt, und er_sie blüht auf, präsentiere sich meistens entgegen seinem wirklichen Befinden, immer aber entgegen seiner Absicht - als ganz gesunder Mensch. Nun erst beginnt die eigentliche Untersuchung. Allerdings nur für den_die Gefangene_n, denn der_die Professor_in hat sein_ihr Gutachten bereits fertig: der_die Mann_Frau ist schuld-, haft- und verhandlungsfähig. Das sagt er_sie dem_r Gefangenen aber nicht, vielmehr läßt er_sie ihn_sie jetzt von seinen Leiden erzählen, veranstaltet Tests und nimmt Messungen vor (Blutdruck, Reflexe etc.). Der_Die Gefangene erschrickt und entsinnt sich wieder seines wirklichen Befindens oder desjenigen, das er_sie vorspielen wollte: er_sie setzt eine Leidensmiene auf, fängt an zu stottern, erzählt von ständigem Schwindeigefühl und Schmerzen, taumelt bei Gleichgewichtsüberprüfungen und verkorkst die Tests. Dies alles beeindruckt den_die Professor_in jedoch herzlich wenig; im Gegenteil, es bestärkt und bestätigt ihn_sie lediglich in seiner_ihrer Verachtung für dieses „jämmerliche Subjekt", das nicht bereit ist, die Verantwortung (Strafe) für seine_ihre Untaten zu tragen, und überdies noch die Frechheit besitzt, ihn_sie, den_die Professor_in, übertölpeln zu wollen. Der_Die Gefangene erscheint ihm_ihr also als dumm, feige und verschlagen und entsprechend fällt auch sein „objektives" Gutachten aus - meistens sehr zum Erstaunen des_der Gefangenen, der_die nichts von alledem gemerkt hat.

Wie verhält man sich einem_r Gutachter_in gegenüber richtig?

Zuerst sollte man bedenken, dass die Untersuchung mit der Begrüßung anfangt und mit der Verabschiedung aufhört. Alles, was dazwischen liegt, jede Gefühlsäußerung, jedes Wort, jede Bewegung wird beobachtet und begutachtet. Man darf, wenn der Blutdruck einen abnormen Wert aufweist, kein befriedigtes Lächeln zeigen, sondern muss bestürzt dreinblicken. Man darf nicht konzentriert über seine Konzentrationsstörungen reden, man sollte lieber überhaupt nichts von Konzentrationsstörungen sagen, wenn man welche hat oder vorspielen will, sondern soll dem_der Professor_in ihre Existenz demonstrieren, so dass er_sie sie selbst diagnostiziert. Man sollte die angebotene Coca Cola mit dem Hinweis auf ständiges Sodbrennen ablehnen und nicht erst genüßlich die Cola trinken und dann mit gequältem Gesichtsausdruck von notorischen Magenschmerzen berichten. Über­haupt sollte man nie versuchen, eine_m Arzt_Ärztin eine Selbstdiagnose zu unterbreiten - jedenfalls dann nicht, wenn deine Symptome nicht so eindeutig sind, dass kein_e Arzt_Ärztin daran vorbeigehen kann. Sag nicht „Kreislaufstörungen" oder gar „vegetative Dysregulationen", sondern beschreib mit besorgtem Gesichtsausdruck die Symptome, denn du darfst nicht krank sein wollen (um einer Strafe zu entgehen), du darfst dir lediglich Sorgen um deine Gesundheit machen. Wenn du auf Verhandlungsunfähigkeit abzielst, musst du dem_r Gutachter_in klarmachen, dass du den Prozess nicht wegen seines Ausganges fürchtest - denn entweder bist du unschuldig und hast eh nichts zu befürchten, oder du bist selbstverständlich gewillt, die Folgen deines Tuns voll und ganz zu tragen -, sondern dass du lediglich denkst, dass du dich hier und jetzt aufgrund deines schlechten Gesundheitszustandes nicht hinreichend verteidigen kannst und deshalb den Prozess verschoben haben willst.

Nun noch ein Wort zu dem, was untersucht wird und was für eine eventuelle Haftverschonung oder wenigstens Prozessverschiebung von Belang sein kann. Falls keine manifest organischen Krankheiten wie Magengeschwüre oder dergleichen feststellbar sind (röntnologisch oder labortechnisch), kommen nur Kreislauf- und schwerwiegende psychische Störungen in Betracht, wobei die einen ohne die anderen gemeinhin nicht sehr überzeugend wirken. Außerdem müssen beide messbar sein, sich also in abnormen Blutdruckwerten und schlechten Testergebnissen niederschlagen. Beides ist mit viel Training und Selbstdisziplin für eine_n Gefangene_n, der_die ohnehin allein aufgrund der Situation fast immer diese Krankheitsbilder zumindest im Ansatz aufweist, herstellbar und eskalierbar. Hierzu empfiehlt sich die intensive Lektüre eines Handbuches psychosomatischer Erkrankungen.