Die Umstellung auf das Leben im Gefängnis

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2.6. Die Umstellung auf das Leben im Gefängnis

Eingesperrt zu sein, ist für die meisten eine völlig neue Situation, an die sie sich nur mit Mühe und nur sehr langsam anpassen können. Es ist zunächst ungeheuer schmerzhaft, wie nach einer Operation. Es bedeutet, von allem angeschnitten zu sein, wovon man früher gelebt hat, nämlich von einer bestimmten Gemeinschaft mit anderen. Die Ängste und Schwierigkeiten der ersten Zeit rühren vor allen Dingen daher. Jeder Mensch lebt von den Gefühlen anderer Menschen. Die erste Zeit bedeutet also eine Umstellung, die nach dem völligen Bruch mit dem „Draußen" notwendig geworden ist. Für eine solche Umstellung gibt es wohl je nach Charakter, eigener Vergangenheit und je nach Temperament verschiedene Wege. Dass man daran scheitert, ist ebenso möglich wie dass man sich behauptet. Nach einiger Zeit wird man bei sich beobachten, dass die früheren Beziehungen, die man draußen gehabt hat, immer mehr in den Hinter­grund rücken und sich zu neutralisieren beginnen. Sie werden schwächer. Was man da beobachtet, ist ein Hinweis darauf, dass man sich innerhalb . der neuen Situation zurechtzufinden begonnen hat, dass man sich in ihr eingerichtet hat. Diese Veränderung, die man an sich bemerkt, ist etwas sehr beeindruckendes. Sie bedeutet eine Anpassungsfähigkeit, die man so beschreiben könnte: Man ist fähig, sich in einer Situation, in der einem alles genommen ist, mit neuen Gefühls-,,besetzungen" einigermaßen über die erste Zeit zu helfen. Welche Wege diese neuen Gefühle, aus denen ein Gefangener leben muss, nach lang dauernder Haft nehmen, darüber ist hier allerdings nichts gesagt. Die Gefühlsentwicklung eines für sein eigenes Leben wird sie immer normal bleiben, weil es nichts anderes gibt, woran sie sich halten könnte. Das „Obersetzen" in diese Gefühlswelt der Gefangenen ist deshalb kein Verstoß gegen die Normalität, wie es manchen scheint, die zu sehr ihre eigenen Maßstäbe von sozialem Leben an das Dasein im Gefängnis anlegen. Sicher ist, dass man mit dem Festhalten an solchen Normen im Knast nicht überleben kann. Was draußen als gestört gilt, kann einem Gefangenen helfen, sich geistig, seelisch und körperlich ungestört zu fühlen. Beispielsweise gilt draußen die extreme Konzentration auf sich selbst als gestört, im Gefängnis ist sie unvermeidbar, und wer .gesellig' bleibt, wird zum Kranken seiner Geselligkeit. Er hält es in der Zeile allein nicht aus. Die auf den eigenen Körper gerichtete Sexualität gilt draußen als „mindere" Form der Sexualität - im Gefängnis ist sie die Normalform, und wer sie hier weiter als „verarmte" Sexualität sieht, begeht aus Mitleid ihre unvermeidliche Diskriminierung.

Erarbeitung der neuen Umwelt

Dass man sich immer an die neue Umgebung anpassen wird, bedeutet nicht, dass man diese Anpassung nicht durch eine genauere Selbstbeob­achtung und durch gezielte Versuche beschleunigen und verbessern müsste. Die Anpassung kann leicht dazu führen, dass einer seine sozialen Beziehungen Stück für Stück aufgibt - auch im Knast. Ein Mittel der aktiven Anpassung — gemeint ist hier das Überleben und nicht Unterord­nung — wäre zum Beispiel, dass man seine Umgebung genauer beobach­tet. Durch aktive Beschäftigung damit, kann einem zunächst die Angst genommen werden, die man vor der fremden neuen Umwelt hat. Die neuen Kenntnisse über die Situation machen sie schließlich so bekannt, dass man sich in ihr sicher bewegen kann. Das alles bedeutet eine Aneignung der Umgebung durch „Arbeit". Auch in jeder Beziehung, die intensiv genug ist, ist so etwas wie Arbeit, Tätigkeit, Bewältigung enthalten. Die Arbeit an der neuen Umgebung kann bedeuten, dass man sich zunächst einmal ausreichend Kenntnisse über sie verschafft - Kenntnisse über die Menschen, über die Vorgänge und Funktionen, über den ganzen Betrieb des Knasts, und Kenntnisse über andere Gefangene. Man nimmt das alles nicht einfach auf, sondern je intensiver dieses Forschen ist, umso mehr benötigt es das Schreiben, mit dem man Beobachtungen und Einschätzungen festhalten kann. Durch Schreiben kann man sich am ehesten seine neue Situation aneig­nen. Sie wird dadurch zu Gedanken und durch Gedanken zu etwas, was im eigenen Leben die wichtigste Rolle spielt: die eigene Absicht und Vernunft.Die Qual der Trennung von seiner früheren Umgebung lässt sich vermin­dern, wenn man versucht, durch die Bearbeitung dessen, was um einen herum ist, neue Probleme zu finden, die sich lösen lassen. Das sind die neuen Probleme von Beziehungen zu andern, mit denen man sprechen kann, mit denen man tagtäglich zu tun hat. Das sind Notwendigkeiten, die unmittelbar auf der Hand liegen. Die Gefahr ist dabei, dass man die draußen zurückgelassenen Beziehun­gen, die sich weit entfernt haben, tatsächlich so bewältigt, dass man sie vergisst. Man wird versuchen, diese Beziehungen durch Briefe und Besuche festzuhalten - ob man es über lange Zeit tatsächlich kann, wird an der geistigen Intensität dieser Beziehungen liegen. Nur sie ist stärker als die Mauern.

Auch im Knast lebt man

Schmerzhaft an der neuen Situation sind vor allem die Übergänge und bestimmte Arten der Bewältigung des Übergangs von der alten in die neue Situation - und natürlich gibt es gescheiterte Formen der Anpas­sung, die mit Passivität, Beschränktheit auf sich selbst zu tun haben. Grundsätzlich kann sich der Mensch selbst an extreme Situationen anpassen. Es ist natürlich nicht möglich, sich an dauerndes Hungern, dauerndes Frieren usw. anzupassen, aber innerhalb einer physisch ertragbaren Umgebung ist die Anpassungsfähigkeit sehr groß. Diese Anpassungsfähigkeit wird also in der neuen Umgebung auch Vorzüge herausfinden und neue Möglichkeiten, die sie bedingt ertragbar machen. Es entstehen neue Gefühle, die nur mit dieser und keiner anderen Umgebung zu tun haben. Diese Überlebenschancen des Eingesperrtseins müssen also gefunden werden.'Das bedeutet nicht, dass das Eingesperrtsein oder das Gefängnis irgendwelche Vorzüge hat, sondern lediglich den Zwang, unter dem man selbst steht, sich eine einigermaßen ertragbare Lage zu schaffen. Und Widerstand kann nur leisten, wer sich eine solche ertragbare Lage schafft, zumindest eine solche, die er seelisch verkraften kann. Aus einer absolut unerträglichen Lage wird niemand Widerstand leisten können, weil sie auch das Denken und die Gefühle unerträglich macht und damit alle Handlungen konfus werden.

Möglichkeiten der Bewältigung

Man wird sich mit sich selber viel mehr beschäftigen müssen als draußen. Man lernt sich besser kennen. Diesen Vorteil sollte man nicht einfach hinnehmen, sondern als Gelegenheit benutzen, mit sich selber besser umzugehen zu lernen. Es könnte bedeuten, dass man sich eine bestimmte Art dieser Bewältigung, dieser Verarbeitung seiner Probleme aneignet, z.B. Traumaufzeichnungen, Aufzeichnung dessen, woran man denkt, woran man sich erinnert, Notierung der eigenen Phantasien -Überlegung und Erinnerung der eigenen, persönlichen Geschichte. Dass man dabei vor plötzlichen Zellendurchsuchungen geschützt sein muss, ist' selbstverständlich. Was belastend sein kann, schreibt man nicht auf. Eine weitere Möglichkeit, die hinzukommt und die genauso notwendig ist, wäre, sich auf seine Mitgefangenen besser einzustellen und sie nicht von vornherein als „Schmock" oder Untermenschen anzusehen. Denn damit tut man genau das, was die Justiz mit einem selber macht. Unter deinen Mitgefangenen wirst du bestimmt einige finden, mit denen du dich gut verstehst, und du wirst umso weniger der Einbildung verfallen, dass die anderen - nur du nicht - zu Recht hier hingehören, je mehr du dich mit anderen abgibst und ihre Geschichte kennenlernst. Du wirst Überraschungen erleben. Wer dir vorgekommen ist als einer, mit dem du absolut nichts gemeinsam hast, kann dein bester Freund werden. Eine dritte Gelegenheit, die die neue Situation zulässt, ist die geistige Arbeit, die Aneignung von neuem Wissen. Man kann die Stille der Zelle dazu benutzen, um zu lesen; sich Notizen machen, eigene Überlegungen aufschreiben. Damit kann man sich bis zu einem gewissen Grad über den Zustand der Bewegungslosigkeit, zu dem man verdammt ist, hinweghel­fen. Man kann sich sogar vorstellen, dass geistige Arbeit die körperliche Beschränkung, das Eingesperrtsein im eigenen Körper, der Bedürfnisse hat, und im Knast, der alle Bedürfnisse erstickt, bis zu einem gewissen Grad ausschalten kann. Körperliche Bedürfnisse, das dauernde Bedürf­nis nach Freiheit, Bewegung, Sexualität zu unterdrücken, ist sicher falsch, aber es ist nicht unmöglich, seine Bedürfnisse in Phantasien auszuleben, die die weggenommene Freiheit auf eine subversive Weise wieder einfangen. Die Phantasie kann Wege gehen, die aus der Gesell­schaft herausführen und nie mehr zu ihr zurückkehren - Irrwege der Entfernung oder der Anpassung - aber als Drang sich zu befreien sind sie - ganz gleich, was aus ihrer Vorwegnahme eines Tuns später folgt -all notwendiger Ausdruck eines Lebens und deshalb legitim. Sie würden einen großen Teil ihres Schreckens für andere einbüßen, wenn man nicht auch die Phantasie weit der Gefangenen, als Äußerung ihres autonomen Schicksals, ihrer Ungebrochenheit und ihrer eigenen Kultur, mit Tabus und Strafen, Sprechängsten belegen würde. Erst das Unausgesprochene, am Aussprechen Gehinderte wird grausam - in der Form der Grausam­keit, die letzter verzweifelter und scheiternder Versuch ist, Zuneigung von andern zu erhalten. Deshalb ist es notwendig, seine Phantasien nicht nur zu träumen, sondern sie auch zu leben und auszusprechen, zu agieren. Dies alles sind Möglichkeiten, das Eingesperrtsein zu bewältigen -eine Verfeinerung eigenen Fühlens, Denkens und Handelns zu erreichen, die der äußeren Gewalt besser angepasst ist als eine gewaltsame Härte gegen sich und andere, „Abhärtung", „dicke Haut". Die Form des größtmögli­chen Widerstands im Knast ist die, die den eigenen Widerstand verfei­nert, das heißt fein verteilt handhaben kann, weil er sonst zerschlagen wird und nur blindes Anrennen, blinde Rebellion bedeutet, sinnlose Rebellion. Wir bilden uns nicht ein, damit irgendetwas Endgültiges gesagt zu haben. Das ist vielmehr nur ein erster, vielleicht gescheiterter, vielleicht aufge­blasener Versuch, zu diesem Thema doch etwas zu sagen, obwohl es schwer genug ist. Es ist auch eine Anregung, ein Stoff für kritisches Überlegen, mehr nicht. Außerdem ist es ein Erfahrungsbericht, also nicht ganz so ausgedacht wie es vielleicht scheint.


2.6. Die Umstellung auf das Leben im Gefängnis

Eingesperrt zu sein, ist für die meisten eine völlig neue Situation, an die sie sich nur mit Mühe und nur sehr langsam anpassen können. Es ist zunächst ungeheuer schmerzhaft, wie nach einer Operation. Es bedeutet, von allem angeschnitten zu sein, wovon man früher gelebt hat, nämlich von einer bestimmten Gemeinschaft mit anderen. Die Ängste und Schwierigkeiten der ersten Zeit rühren vor allen Dingen daher. Jeder Mensch lebt von den Gefühlen anderer Menschen. Die erste Zeit bedeutet also eine Umstellung, die nach dem völligen Bruch mit dem „Draußen" notwendig geworden ist. Für eine solche Umstellung gibt es wohl je nach Charakter, eigener Vergangenheit und je nach Temperament verschiedene Wege. Dass man daran scheitert, ist ebenso möglich wie dass man sich behauptet. Nach einiger Zeit wird man bei sich beobachten, dass die früheren Beziehungen, die man draußen gehabt hat, immer mehr in den Hinter­grund rücken und sich zu neutralisieren beginnen. Sie werden schwächer. Was man da beobachtet, ist ein Hinweis darauf, dass man sich innerhalb . der neuen Situation zurechtzufinden begonnen hat, dass man sich in ihr eingerichtet hat. Diese Veränderung, die man an sich bemerkt, ist etwas sehr beeindruckendes. Sie bedeutet eine Anpassungsfähigkeit, die man so beschreiben könnte: Man ist fähig, sich in einer Situation, in der einem alles genommen ist, mit neuen Gefühls-,,besetzungen" einigermaßen über die erste Zeit zu helfen. Welche Wege diese neuen Gefühle, aus denen ein Gefangener leben muss, nach lang dauernder Haft nehmen, darüber ist hier allerdings nichts gesagt. Die Gefühlsentwicklung eines für sein eigenes Leben wird sie immer normal bleiben, weil es nichts anderes gibt, woran sie sich halten könnte. Das „Obersetzen" in diese Gefühlswelt der Gefangenen ist deshalb kein Verstoß gegen die Normalität, wie es manchen scheint, die zu sehr ihre eigenen Maßstäbe von sozialem Leben an das Dasein im Gefängnis anlegen. Sicher ist, dass man mit dem Festhalten an solchen Normen im Knast nicht überleben kann. Was draußen als gestört gilt, kann einem Gefangenen helfen, sich geistig, seelisch und körperlich ungestört zu fühlen. Beispielsweise gilt draußen die extreme Konzentration auf sich selbst als gestört, im Gefängnis ist sie unvermeidbar, und wer .gesellig' bleibt, wird zum Kranken seiner Geselligkeit. Er hält es in der Zeile allein nicht aus. Die auf den eigenen Körper gerichtete Sexualität gilt draußen als „mindere" Form der Sexualität - im Gefängnis ist sie die Normalform, und wer sie hier weiter als „verarmte" Sexualität sieht, begeht aus Mitleid ihre unvermeidliche Diskriminierung.

Erarbeitung der neuen Umwelt

Dass man sich immer an die neue Umgebung anpassen wird, bedeutet nicht, dass man diese Anpassung nicht durch eine genauere Selbstbeob­achtung und durch gezielte Versuche beschleunigen und verbessern müsste. Die Anpassung kann leicht dazu führen, dass einer seine sozialen Beziehungen Stück für Stück aufgibt - auch im Knast. Ein Mittel der aktiven Anpassung — gemeint ist hier das Überleben und nicht Unterord­nung — wäre zum Beispiel, dass man seine Umgebung genauer beobach­tet. Durch aktive Beschäftigung damit, kann einem zunächst die Angst genommen werden, die man vor der fremden neuen Umwelt hat. Die neuen Kenntnisse über die Situation machen sie schließlich so bekannt, dass man sich in ihr sicher bewegen kann. Das alles bedeutet eine Aneignung der Umgebung durch „Arbeit". Auch in jeder Beziehung, die intensiv genug ist, ist so etwas wie Arbeit, Tätigkeit, Bewältigung enthalten. Die Arbeit an der neuen Umgebung kann bedeuten, dass man sich zunächst einmal ausreichend Kenntnisse über sie verschafft - Kenntnisse über die Menschen, über die Vorgänge und Funktionen, über den ganzen Betrieb des Knasts, und Kenntnisse über andere Gefangene. Man nimmt das alles nicht einfach auf, sondern je intensiver dieses Forschen ist, umso mehr benötigt es das Schreiben, mit dem man Beobachtungen und Einschätzungen festhalten kann. Durch Schreiben kann man sich am ehesten seine neue Situation aneig­nen. Sie wird dadurch zu Gedanken und durch Gedanken zu etwas, was im eigenen Leben die wichtigste Rolle spielt: die eigene Absicht und Vernunft.Die Qual der Trennung von seiner früheren Umgebung lässt sich vermin­dern, wenn man versucht, durch die Bearbeitung dessen, was um einen herum ist, neue Probleme zu finden, die sich lösen lassen. Das sind die neuen Probleme von Beziehungen zu andern, mit denen man sprechen kann, mit denen man tagtäglich zu tun hat. Das sind Notwendigkeiten, die unmittelbar auf der Hand liegen. Die Gefahr ist dabei, dass man die draußen zurückgelassenen Beziehun­gen, die sich weit entfernt haben, tatsächlich so bewältigt, dass man sie vergisst. Man wird versuchen, diese Beziehungen durch Briefe und Besuche festzuhalten - ob man es über lange Zeit tatsächlich kann, wird an der geistigen Intensität dieser Beziehungen liegen. Nur sie ist stärker als die Mauern.

Auch im Knast lebt man

Schmerzhaft an der neuen Situation sind vor allem die Übergänge und bestimmte Arten der Bewältigung des Übergangs von der alten in die neue Situation - und natürlich gibt es gescheiterte Formen der Anpas­sung, die mit Passivität, Beschränktheit auf sich selbst zu tun haben. Grundsätzlich kann sich der Mensch selbst an extreme Situationen anpassen. Es ist natürlich nicht möglich, sich an dauerndes Hungern, dauerndes Frieren usw. anzupassen, aber innerhalb einer physisch ertragbaren Umgebung ist die Anpassungsfähigkeit sehr groß. Diese Anpassungsfähigkeit wird also in der neuen Umgebung auch Vorzüge herausfinden und neue Möglichkeiten, die sie bedingt ertragbar machen. Es entstehen neue Gefühle, die nur mit dieser und keiner anderen Umgebung zu tun haben. Diese Überlebenschancen des Eingesperrtseins müssen also gefunden werden.'Das bedeutet nicht, dass das Eingesperrtsein oder das Gefängnis irgendwelche Vorzüge hat, sondern lediglich den Zwang, unter dem man selbst steht, sich eine einigermaßen ertragbare Lage zu schaffen. Und Widerstand kann nur leisten, wer sich eine solche ertragbare Lage schafft, zumindest eine solche, die er seelisch verkraften kann. Aus einer absolut unerträglichen Lage wird niemand Widerstand leisten können, weil sie auch das Denken und die Gefühle unerträglich macht und damit alle Handlungen konfus werden.

Möglichkeiten der Bewältigung

Man wird sich mit sich selber viel mehr beschäftigen müssen als draußen. Man lernt sich besser kennen. Diesen Vorteil sollte man nicht einfach hinnehmen, sondern als Gelegenheit benutzen, mit sich selber besser umzugehen zu lernen. Es könnte bedeuten, dass man sich eine bestimmte Art dieser Bewältigung, dieser Verarbeitung seiner Probleme aneignet, z.B. Traumaufzeichnungen, Aufzeichnung dessen, woran man denkt, woran man sich erinnert, Notierung der eigenen Phantasien -Überlegung und Erinnerung der eigenen, persönlichen Geschichte. Dass man dabei vor plötzlichen Zellendurchsuchungen geschützt sein muss, ist' selbstverständlich. Was belastend sein kann, schreibt man nicht auf. Eine weitere Möglichkeit, die hinzukommt und die genauso notwendig ist, wäre, sich auf seine Mitgefangenen besser einzustellen und sie nicht von vornherein als „Schmock" oder Untermenschen anzusehen. Denn damit tut man genau das, was die Justiz mit einem selber macht. Unter deinen Mitgefangenen wirst du bestimmt einige finden, mit denen du dich gut verstehst, und du wirst umso weniger der Einbildung verfallen, dass die anderen - nur du nicht - zu Recht hier hingehören, je mehr du dich mit anderen abgibst und ihre Geschichte kennenlernst. Du wirst Überraschungen erleben. Wer dir vorgekommen ist als einer, mit dem du absolut nichts gemeinsam hast, kann dein bester Freund werden. Eine dritte Gelegenheit, die die neue Situation zulässt, ist die geistige Arbeit, die Aneignung von neuem Wissen. Man kann die Stille der Zelle dazu benutzen, um zu lesen; sich Notizen machen, eigene Überlegungen aufschreiben. Damit kann man sich bis zu einem gewissen Grad über den Zustand der Bewegungslosigkeit, zu dem man verdammt ist, hinweghel­fen. Man kann sich sogar vorstellen, dass geistige Arbeit die körperliche Beschränkung, das Eingesperrtsein im eigenen Körper, der Bedürfnisse hat, und im Knast, der alle Bedürfnisse erstickt, bis zu einem gewissen Grad ausschalten kann. Körperliche Bedürfnisse, das dauernde Bedürf­nis nach Freiheit, Bewegung, Sexualität zu unterdrücken, ist sicher falsch, aber es ist nicht unmöglich, seine Bedürfnisse in Phantasien auszuleben, die die weggenommene Freiheit auf eine subversive Weise wieder einfangen. Die Phantasie kann Wege gehen, die aus der Gesell­schaft herausführen und nie mehr zu ihr zurückkehren - Irrwege der Entfernung oder der Anpassung - aber als Drang sich zu befreien sind sie - ganz gleich, was aus ihrer Vorwegnahme eines Tuns später folgt -all notwendiger Ausdruck eines Lebens und deshalb legitim. Sie würden einen großen Teil ihres Schreckens für andere einbüßen, wenn man nicht auch die Phantasie weit der Gefangenen, als Äußerung ihres autonomen Schicksals, ihrer Ungebrochenheit und ihrer eigenen Kultur, mit Tabus und Strafen, Sprechängsten belegen würde. Erst das Unausgesprochene, am Aussprechen Gehinderte wird grausam - in der Form der Grausam­keit, die letzter verzweifelter und scheiternder Versuch ist, Zuneigung von andern zu erhalten. Deshalb ist es notwendig, seine Phantasien nicht nur zu träumen, sondern sie auch zu leben und auszusprechen, zu agieren. Dies alles sind Möglichkeiten, das Eingesperrtsein zu bewältigen -eine Verfeinerung eigenen Fühlens, Denkens und Handelns zu erreichen, die der äußeren Gewalt besser angepasst ist als eine gewaltsame Härte gegen sich und andere, „Abhärtung", „dicke Haut". Die Form des größtmögli­chen Widerstands im Knast ist die, die den eigenen Widerstand verfei­nert, das heißt fein verteilt handhaben kann, weil er sonst zerschlagen wird und nur blindes Anrennen, blinde Rebellion bedeutet, sinnlose Rebellion. Wir bilden uns nicht ein, damit irgendetwas Endgültiges gesagt zu haben. Das ist vielmehr nur ein erster, vielleicht gescheiterter, vielleicht aufge­blasener Versuch, zu diesem Thema doch etwas zu sagen, obwohl es schwer genug ist. Es ist auch eine Anregung, ein Stoff für kritisches Überlegen, mehr nicht. Außerdem ist es ein Erfahrungsbericht, also nicht ganz so ausgedacht wie es vielleicht scheint.


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