Die Entlassung

Aus Gefangenenratgeber

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12. Die Entlassung

Wenn du von deiner Entlassung ein paar Wochen vorher weißt, wenn du den Tag ausrechnen kannst —eigentlich schon seit deiner Verurteilung un­gefähr — dann trifft es dich vielleicht nicht so mit einem Schlag, aber wenn du ganz unvorbereitet bist und es heißt mit einemmal; Sie werden heute — oder morgen — entlassen, dann jagt es wie ein Stromschlag durch den Kör­per. Manche heulen vor Freude, andere stürzt es in ungeheure Aufregung und Verwirrung, weil sie das am allerwenigsten erwartet hätten, und über­haupt nicht wissen, was anfangen. Einige bauen sich in aller Eile alle mög­lichen Luftschlösser. Und auch die ganz Kühlen zittern innerlich vor Auf­regung. Mir ging es so, dass ich hinundhergerissen war zwischen Staunen, Neugier, Freude, Wut und Traurigkeit. Die Freiheit, die sie dir da geben, ist quasi verordnet, und mit einem Schlag, von einer Stunde auf die andre, sollst du deine besten Freunde verlassen, mit denen du über Jahre zusammen warst, und du weißt, dass sie noch einige Jahre da hocken werden. Ich war wütend, so herumgeschoben zu werden, aber ich war auch neugierig, richtig neugierig auf das, was mich wohl erwartet, draußen. Was ich dann, zuerst mal gefunden habe, da draußen, war eher ein Gefühl von „drinnen". So als hatte ich bisher auf einer Insel gelebt- und wäre aufs industrielle Festland gekommen. Was notwendig war, damit hatte ichs noch nicht mal schwer. Eine Wohnung und Geld vom Sozialamt. Aber ich bin rumgelaufen wie im Traum. Alles fremd, die Bewegung der Menschen, die gewaltigen Häuser, die Autos, der Lärm, ein ungeheurer Lärm. Und ich .eingeklemmt in dieser furchtbaren Maschine, die sich sinnlos bewegt. Der Knast bekam mit einem mal einen Schleier von fast klösterlicher Ruhe und Schutz. Mein ganzer Hass war zugeschüttet und meine Erinnerung hat nur winzige Momente freigegeben. Ich hab mich gefühlt, als hatte ich keinen Boden unter den Füßen, keine Kraft in den Händen. Die Freunde von früher waren mir fremd. Alles war mir fremd. — Ich hab andre getroffen, die kurz davor oder danach entlassen worden waren, die haben mir dasselbe erzählt. Freiheit. Spucken kann man drauf. Aber wir wollten auch nicht in den Knast zurück, das keinesfalls. Viele haben angefangen zu trinken oder wieder Heroin zu nehmen. Nichts sehen, hören, spüren. Das, was du notwendig tun musst, um nicht gleich wieder verhaftet zu werden, ist gerade das, was du am wenigsten vertragen kannst: Ämter und nochmal Ämter. Anmelden, ummelden, bei der Polizei melden, beim Ar­beitsamt melden, beim Sozialamt melden. Ich stell mir vor, dass es ein bisschen erleichternd ist zu wissen, dass es nicht nur dir so geht, dass der kraftlose Zustand nicht ewig dauert. Dass du alle Konzentration und Sturrheit zusammennehmen musst, um das notwendigste zu erledigen und gleichzeitig nicht aufgefressen zu werden. Sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen, ist nicht nur eine Frage nach der Entlassung, sondern eine dauernde.


12. Die Entlassung

Wenn du von deiner Entlassung ein paar Wochen vorher weißt, wenn du den Tag ausrechnen kannst —eigentlich schon seit deiner Verurteilung un­gefähr — dann trifft es dich vielleicht nicht so mit einem Schlag, aber wenn du ganz unvorbereitet bist und es heißt mit einemmal; Sie werden heute — oder morgen — entlassen, dann jagt es wie ein Stromschlag durch den Kör­per. Manche heulen vor Freude, andere stürzt es in ungeheure Aufregung und Verwirrung, weil sie das am allerwenigsten erwartet hätten, und über­haupt nicht wissen, was anfangen. Einige bauen sich in aller Eile alle mög­lichen Luftschlösser. Und auch die ganz Kühlen zittern innerlich vor Auf­regung. Mir ging es so, dass ich hinundhergerissen war zwischen Staunen, Neugier, Freude, Wut und Traurigkeit. Die Freiheit, die sie dir da geben, ist quasi verordnet, und mit einem Schlag, von einer Stunde auf die andre, sollst du deine besten Freunde verlassen, mit denen du über Jahre zusammen warst, und du weißt, dass sie noch einige Jahre da hocken werden. Ich war wütend, so herumgeschoben zu werden, aber ich war auch neugierig, richtig neugierig auf das, was mich wohl erwartet, draußen. Was ich dann, zuerst mal gefunden habe, da draußen, war eher ein Gefühl von „drinnen". So als hatte ich bisher auf einer Insel gelebt- und wäre aufs industrielle Festland gekommen. Was notwendig war, damit hatte ichs noch nicht mal schwer. Eine Wohnung und Geld vom Sozialamt. Aber ich bin rumgelaufen wie im Traum. Alles fremd, die Bewegung der Menschen, die gewaltigen Häuser, die Autos, der Lärm, ein ungeheurer Lärm. Und ich .eingeklemmt in dieser furchtbaren Maschine, die sich sinnlos bewegt. Der Knast bekam mit einem mal einen Schleier von fast klösterlicher Ruhe und Schutz. Mein ganzer Hass war zugeschüttet und meine Erinnerung hat nur winzige Momente freigegeben. Ich hab mich gefühlt, als hatte ich keinen Boden unter den Füßen, keine Kraft in den Händen. Die Freunde von früher waren mir fremd. Alles war mir fremd. — Ich hab andre getroffen, die kurz davor oder danach entlassen worden waren, die haben mir dasselbe erzählt. Freiheit. Spucken kann man drauf. Aber wir wollten auch nicht in den Knast zurück, das keinesfalls. Viele haben angefangen zu trinken oder wieder Heroin zu nehmen. Nichts sehen, hören, spüren. Das, was du notwendig tun musst, um nicht gleich wieder verhaftet zu werden, ist gerade das, was du am wenigsten vertragen kannst: Ämter und nochmal Ämter. Anmelden, ummelden, bei der Polizei melden, beim Ar­beitsamt melden, beim Sozialamt melden. Ich stell mir vor, dass es ein bisschen erleichternd ist zu wissen, dass es nicht nur dir so geht, dass der kraftlose Zustand nicht ewig dauert. Dass du alle Konzentration und Sturrheit zusammennehmen musst, um das notwendigste zu erledigen und gleichzeitig nicht aufgefressen zu werden. Sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen, ist nicht nur eine Frage nach der Entlassung, sondern eine dauernde.

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