Die Beamtengesellschaft

Aus Gefangenenratgeber

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5.3. Die Beamtengesellschaft


Es gibt die „grünen", uniformierten Beamten und die „zivilen" Beamten. Das ist der erste Unterschied, der einem auffallen wird, aber er ist etwas zu einfach und sagt im Grunde gar nichts. Die Beziehungen der Bewacher untereinander sind viel komplizierter, als dass man sie von außen ohne weiteres, z. B. an den Rängen, erkennen könnte. Auch unter den Zivilen, gibt es Untergeordnete, und unter den Uniformierten gibt es solche, die als einzelne oder in der Masse oder als Klüngel ein Gefängnis beherrschen. Es ist sehr viel wert, dieses komplizierte Geflecht der Beziehungen unter den Bewachern zu studieren. Nur hat man als Gefangener nicht allzu oft Gelegenheit dazu, tiefer in dieses Geheimnis einzudringen. Auch die Fachliteratur gibt über das Innenleben der Beamten und der Ge­fängnis Verwaltung wenig Auskunft. Diese Literatur ist natürlich aus der Sicht der Beamten - und von Beamten - geschrieben und deshalb schon für uns nicht sehr interessant. Wir sind also auf unsere eigenen Beobachtungen angewiesen, wenn wir dieses unbekannte Neuland betreten und uns mit den merkwürdigen Formen und Spielarten des Beamtenverhaltens befassen. Dieses Gebiet ist eine lohnende Aufgabe für alle Gefangenen, außerdem eine ganz unentdeckte Wissenschaft. Wieviel könnte man über den Charakter eines Staates, einer Gesellschaft erfahren, wenn man den Stiefel untersucht, mit dem man getreten wird. Hier können wir uns natürlich nur auf einige auffällige und unvermeidliche Beobachtungen beschränken. Die Beamtengesellschaft - man kann ruhig von einer solchen sprechen, weil sie extrem „organisiert“ ist – funktioniert in der Art einer Maschine. Man nennt sie auch deswegen „Apparat“. Das bedeutet, dass sie nach einem generellen Plan entstanden ist. Der Plan weist allen ihren Teilen, wie den Glie­dern eines Tiers oder den mechanischen Teilen einer Maschine, bestimmte Aufgaben zu. Wie alles Geplante ist die Beamtengesellschaft angelegt auf reibungsloses Funktionieren. Und wie alles Geplante ist sie unnatürlich, unmenschlich. Sie ist jedoch immer noch zu menschlich, um fehlerlos zu funktionieren, und je unmenschlicher sie wird, umso mehr Fehler wird sie hervorbringen. Ihre Fehler liegen nicht im Apparat, sondern letztlich in seinem Zweck, dessen Unsinnigkeit im Grunde jeder spürt, auch die Beamten selbst. Die einzelnen Beamten sind deshalb nicht besonders engagiert, sie funktio­nieren wie tote Schrauben und Räder. Die Bereiche, für die ein einzelner „zuständig" ist, sind eng und scharf begrenzt, Daraus können wir vorläufig zwei Vorteile ziehen: 1. Ein solches reibungsloses Funktionieren muss Enttäuschung und Unbefriedigung, Interesselosigkeit erzeugen. Der Apparat ist zwar (nach dem Vorbild der Maschine) vollkommen, aber gänzlich ohne Interesse, ohne so etwas wie Begeisterung, die man nur für eine gute Sache haben kann. Für eine Sache, die offensichtlich schlecht ist, die nichts weiter als Menschenschinderei ist, kann man nur das Gegenteil, eine trübe und interesselose Menschen Verachtung entwickeln, oder sie zum Teufel wünschen. 2. Der Apparat ist zwar stark, beharrlich, perfekt - aber zugleich instabil. Seine Teile sind zu wenig miteinander verbunden. Die vielen Ränge erzeugen zugleich äußerst viele und gefühlte Unterschiede unter den Beamten. Die untersten Beamten können sich mit den obersten Beamten nur noch mit Mühe identifizieren, und für die obersten Beamten sind die untersten kaum erreichbar, weil es zuviel Aufwand an Selbstüberwindung und Bescheidenheit kosten würde, sich mit ihnen auf die gleiche Ebene zu stellen. Das bedeutet, dass es keine Solidarität aller Beamten gibt, sondern immer nur die Solidarität bestimmter Beamtengruppen, z. B. der niederen Uniformierten oder der obersten Zivilen. Tatsächlich erzeugt jeder Gefängnisaufstand auch einen Bruch in den Reihen der Bewacher und führt zum Beispiel in Frankreich und Italien oft zu einem Streik der niederen Beamten. In Deutschland werden die Beamten vermutlich nicht streiken. Stattdessen gibt es hier eine Häufung von Selbstmorden auf der Seite der Bewacher-ein Anzeichen ihrer ehrlichen, tiefernst genommenen Pflichterfüllung und des strengen Gewissens der Justiz, das in ihrer Seele herrscht. Daraus könnte man eine dritte wesentliche Einsicht entnehmen: manche niedere Beamte sind gepeinigt von einem strengen Gewissen. Die Macht der Justiz erschöpft sich nicht in ihrem materiellen Dasein - sie begnügt sich nicht mit den geschundenen Leibern und Seelen der Gefangenen, sie kann auch einen Beamten den Strick nehmen lassen. Manche Beamte sind „gewissenhaft" in einem nahezu religiösen Sinn. Allerdings hinkt der Vergleich etwas. Zur Religion gehört ein festgefügtes, unverrückbares „Weltbild", das keinerlei Zweifel zulässt und das auch sehr bewusst vorstellbar, bis zur Halluzination „wirklich" werden kann. Das ist bei dem unbewussten Weltbild der Beamten keineswegs der Fall. Es ist tatsächlich unbewusst. Sie kennen es selbst nicht, weil es ein Ding ist, das in ihrem Unbewussten und in ihrem Charakter zuhause ist und nicht in ihrem Verstand. Es ist einer vernünftigen Ansprache oder überhaupt eines verbalen Ausdrucks nicht zugänglich. Im Gegenteil, es schämt sich ausgesprochen zu werden, und das zu Recht! Es ist also ein trübes, kaputtes Gefühl mit verschiedenen, je nach Lebensgeschichte ganz willkürlichen, einander widersprechenden Inhalten. Daraus lässt sich zunächst wieder eine praktische Einsicht entwickeln: Das Weltbild der Beamten ist ihnen selbst etwas Fremdes. Sie verhalten sich oft wie Schizophrene, die gespalten sind in das, was sie sagen und das, was sie tun - im Denken und Fühlen, unter Umständen im Denken selbst. Das macht die Gefährlichkeit dieses Weltbilds aus. Es ist unberechenbar in seinen Folgen für das Verhaken, und die Folgen sind meistens negativ. Das Verhalten sucht den Schwächeren, auf dem sich herum trampeln lässt. Es ist in einem tieferen Sinn rückständiger als eine reaktionäre politische Meinung - es ist unbewusst-primitiv, von Vernunft und Sittlichkeit nicht kontrolliert, höchstens am Aussprechen gehindert. Die Beamten werden sich im allgemeinen also bei ihrem Verhalten gegenüber Gefangenen immer in einer Grenzsituation befinden: auf der Grenze zwischen zurückhaltendem Im-Zaum-halten und der unbewussten Explosion, die alle Regeln .umwirft und Handlungen auslöst, die sich nicht mehr beherrschen lassen und die mit aller Macht zur Gewalt gegen Gefangene und auch in bestimmten Fällen gegen sich selbst, als Mord oder Selbstmord, drängen.


5.3. Die Beamtengesellschaft


Es gibt die „grünen", uniformierten Beamten und die „zivilen" Beamten. Das ist der erste Unterschied, der einem auffallen wird, aber er ist etwas zu einfach und sagt im Grunde gar nichts. Die Beziehungen der Bewacher untereinander sind viel komplizierter, als dass man sie von außen ohne weiteres, z. B. an den Rängen, erkennen könnte. Auch unter den Zivilen, gibt es Untergeordnete, und unter den Uniformierten gibt es solche, die als einzelne oder in der Masse oder als Klüngel ein Gefängnis beherrschen. Es ist sehr viel wert, dieses komplizierte Geflecht der Beziehungen unter den Bewachern zu studieren. Nur hat man als Gefangener nicht allzu oft Gelegenheit dazu, tiefer in dieses Geheimnis einzudringen. Auch die Fachliteratur gibt über das Innenleben der Beamten und der Ge­fängnis Verwaltung wenig Auskunft. Diese Literatur ist natürlich aus der Sicht der Beamten - und von Beamten - geschrieben und deshalb schon für uns nicht sehr interessant. Wir sind also auf unsere eigenen Beobachtungen angewiesen, wenn wir dieses unbekannte Neuland betreten und uns mit den merkwürdigen Formen und Spielarten des Beamtenverhaltens befassen. Dieses Gebiet ist eine lohnende Aufgabe für alle Gefangenen, außerdem eine ganz unentdeckte Wissenschaft. Wieviel könnte man über den Charakter eines Staates, einer Gesellschaft erfahren, wenn man den Stiefel untersucht, mit dem man getreten wird. Hier können wir uns natürlich nur auf einige auffällige und unvermeidliche Beobachtungen beschränken. Die Beamtengesellschaft - man kann ruhig von einer solchen sprechen, weil sie extrem „organisiert“ ist – funktioniert in der Art einer Maschine. Man nennt sie auch deswegen „Apparat“. Das bedeutet, dass sie nach einem generellen Plan entstanden ist. Der Plan weist allen ihren Teilen, wie den Glie­dern eines Tiers oder den mechanischen Teilen einer Maschine, bestimmte Aufgaben zu. Wie alles Geplante ist die Beamtengesellschaft angelegt auf reibungsloses Funktionieren. Und wie alles Geplante ist sie unnatürlich, unmenschlich. Sie ist jedoch immer noch zu menschlich, um fehlerlos zu funktionieren, und je unmenschlicher sie wird, umso mehr Fehler wird sie hervorbringen. Ihre Fehler liegen nicht im Apparat, sondern letztlich in seinem Zweck, dessen Unsinnigkeit im Grunde jeder spürt, auch die Beamten selbst. Die einzelnen Beamten sind deshalb nicht besonders engagiert, sie funktio­nieren wie tote Schrauben und Räder. Die Bereiche, für die ein einzelner „zuständig" ist, sind eng und scharf begrenzt, Daraus können wir vorläufig zwei Vorteile ziehen: 1. Ein solches reibungsloses Funktionieren muss Enttäuschung und Unbefriedigung, Interesselosigkeit erzeugen. Der Apparat ist zwar (nach dem Vorbild der Maschine) vollkommen, aber gänzlich ohne Interesse, ohne so etwas wie Begeisterung, die man nur für eine gute Sache haben kann. Für eine Sache, die offensichtlich schlecht ist, die nichts weiter als Menschenschinderei ist, kann man nur das Gegenteil, eine trübe und interesselose Menschen Verachtung entwickeln, oder sie zum Teufel wünschen. 2. Der Apparat ist zwar stark, beharrlich, perfekt - aber zugleich instabil. Seine Teile sind zu wenig miteinander verbunden. Die vielen Ränge erzeugen zugleich äußerst viele und gefühlte Unterschiede unter den Beamten. Die untersten Beamten können sich mit den obersten Beamten nur noch mit Mühe identifizieren, und für die obersten Beamten sind die untersten kaum erreichbar, weil es zuviel Aufwand an Selbstüberwindung und Bescheidenheit kosten würde, sich mit ihnen auf die gleiche Ebene zu stellen. Das bedeutet, dass es keine Solidarität aller Beamten gibt, sondern immer nur die Solidarität bestimmter Beamtengruppen, z. B. der niederen Uniformierten oder der obersten Zivilen. Tatsächlich erzeugt jeder Gefängnisaufstand auch einen Bruch in den Reihen der Bewacher und führt zum Beispiel in Frankreich und Italien oft zu einem Streik der niederen Beamten. In Deutschland werden die Beamten vermutlich nicht streiken. Stattdessen gibt es hier eine Häufung von Selbstmorden auf der Seite der Bewacher-ein Anzeichen ihrer ehrlichen, tiefernst genommenen Pflichterfüllung und des strengen Gewissens der Justiz, das in ihrer Seele herrscht. Daraus könnte man eine dritte wesentliche Einsicht entnehmen: manche niedere Beamte sind gepeinigt von einem strengen Gewissen. Die Macht der Justiz erschöpft sich nicht in ihrem materiellen Dasein - sie begnügt sich nicht mit den geschundenen Leibern und Seelen der Gefangenen, sie kann auch einen Beamten den Strick nehmen lassen. Manche Beamte sind „gewissenhaft" in einem nahezu religiösen Sinn. Allerdings hinkt der Vergleich etwas. Zur Religion gehört ein festgefügtes, unverrückbares „Weltbild", das keinerlei Zweifel zulässt und das auch sehr bewusst vorstellbar, bis zur Halluzination „wirklich" werden kann. Das ist bei dem unbewussten Weltbild der Beamten keineswegs der Fall. Es ist tatsächlich unbewusst. Sie kennen es selbst nicht, weil es ein Ding ist, das in ihrem Unbewussten und in ihrem Charakter zuhause ist und nicht in ihrem Verstand. Es ist einer vernünftigen Ansprache oder überhaupt eines verbalen Ausdrucks nicht zugänglich. Im Gegenteil, es schämt sich ausgesprochen zu werden, und das zu Recht! Es ist also ein trübes, kaputtes Gefühl mit verschiedenen, je nach Lebensgeschichte ganz willkürlichen, einander widersprechenden Inhalten. Daraus lässt sich zunächst wieder eine praktische Einsicht entwickeln: Das Weltbild der Beamten ist ihnen selbst etwas Fremdes. Sie verhalten sich oft wie Schizophrene, die gespalten sind in das, was sie sagen und das, was sie tun - im Denken und Fühlen, unter Umständen im Denken selbst. Das macht die Gefährlichkeit dieses Weltbilds aus. Es ist unberechenbar in seinen Folgen für das Verhaken, und die Folgen sind meistens negativ. Das Verhalten sucht den Schwächeren, auf dem sich herum trampeln lässt. Es ist in einem tieferen Sinn rückständiger als eine reaktionäre politische Meinung - es ist unbewusst-primitiv, von Vernunft und Sittlichkeit nicht kontrolliert, höchstens am Aussprechen gehindert. Die Beamten werden sich im allgemeinen also bei ihrem Verhalten gegenüber Gefangenen immer in einer Grenzsituation befinden: auf der Grenze zwischen zurückhaltendem Im-Zaum-halten und der unbewussten Explosion, die alle Regeln .umwirft und Handlungen auslöst, die sich nicht mehr beherrschen lassen und die mit aller Macht zur Gewalt gegen Gefangene und auch in bestimmten Fällen gegen sich selbst, als Mord oder Selbstmord, drängen.

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