Der hohe Beamtenstab, der/die Anstaltsleiter in

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5.4. Der hohe Beamtenstab, der Anstaltsleiter


Dein Verhalten gegenüber den höheren Beamten sollte noch zurückhaltender sein, als gegenüber den normalen Schließern. Gibt es bei letzteren noch welche, mit denen du gelegentlich „rumkumpeln“ kannst, so sind erstere - also die höheren Beamten - grundsätzlich als deine Feinde einzuschätzen. Was Gutes kommt von ihnen selten. Eine Sonderstellung nehmen die Beamten ein, die nicht auf den Stationen Dienst tun, sondern auf der Kammer, in der Bücherei, in den Arbeitsbetrieben etc. tätig sind. Zu ihnen herrscht im allgemeinen ein entspannteres Verhältnis. Der größte Feind des Gefangenen ist der Sicherheitsinspektor der „Spitz". Er berät den Anstaltsleiter in allen Sachen, die nur im entferntesten mit der viel besungenen Sicherheit und Ordnung der Anstalt zusammenhängen - und das ist im Prinzip alles. Von seiner Willkür hängt es ab, ob du bestimmte Bücher und Zeitschriften beziehen kannst, ob du Blumen auf der Zeile haben darfst, dir Musikinstrumente gestattet werden etc.. £r ist die graue Eminenz im Knast. Die höheren Beamten sind in den meisten Fallen entweder Emporkömmlinge aus der Verwaltung, also Nichtakademiker, und im selteneren Fall sogenannte Akademiker, die eine Universitätsausbildung mit all ihren Folgen für ihr Denken und Verhalten durchgemacht haben (so der Anstaltsleiter, der Psychologe, der Arzt). Eine dieser Folgen ist wohl, dass dieser oberste Stab eines Gefängnisses in der Lage ist, unbewusste Primitivität und Grausamkeit mit einer höchst komplizierten juristischen oder medizinischen „Vernunft" zu umhüllen und sich einem gedachten System von Behauptungen gegenüber dem eigenen schlechten Gewissen hinzugeben, die schließlich das schlechte Gewissen davon überzeugen, dass es unrecht hat. Aber hat dieser oberste Stab so etwas wie ein moralisches Motiv? Um eine solche Frage beantworten zu können, müsste man das ganze komplizierte historische Gewebe der geistigen Herkunft und der Konflikte unter den höheren Justizbeamten in der Bundesrepublik zu verstehen versuchen. Wir können uns hier nur auf ein paar Vermutungen einlassen. Innerhalb der höheren Beamtenschaft gibt es offenbar einen Konflikt zwischen zwei verschiedenen Richtungen. Die einen sind die traditionell formaljuristisch oder auch reformerisch denkenden Beamten, die über ein ernstzunehmendes moralisches Konzept verfügen, ähnlich zwar dem unbewussten der niederen Beamten, jedoch, weil es ein bewusstes Konzept ist, „vernünftig" gemacht, diskutabel und mit einer allgemein zu akzeptierenden „Moral" versehen. Auf der anderen Seite stehen vor allem jüngere, erst nach 1945 ausgebildete, Beamte, die keinerlei Bedarf nach einer systematischen Begründung für ihr Handeln, weder logisch noch moralisch, mehr haben, sondern verwaltungsmäßig und opportunistisch vorgehen. Beiahnen ist die Ähnlichkeit mit der unbewussten Mentalität der niederen Beamten auffallend: unter der Oberfläche verwaltungstechnischer Präzision, die ohne Moral und Gedanken ist, wuchert eine unbewusste, ungeordnete Brutalität, die sich dann in einem Verhalten äußert, für das höchstens, wenn es mal zu weit geht und selbst strafbar geworden ist, das in die Enge geratene schlechte Gewissen die besänftigenden Begründungen und Ausflüchte liefern muss. Von dem „traditionellen" Typ, wenn es sich um einen Richter handelt, können überraschende, formaljuristische Freisprüche erwartet werden oder die zumindest subjektive Anerkennung des politischen Charakters eines Prozesses, eines Angeklagten. Von dem neueren Typ der geistlosen Verwalter kann man sowohl einen primitiven, halb unbewussten Fanatismus, wie einen blinden Opportunismus erwarten, Überraschungen sind hier weniger möglich: es werden immer die Scharfmacher sein, ob aus Opportunität oder aus Gehässigkeit. Der „Chef"

Der Chef selber ist -zumindest in den größeren Knästen-für die Gefangenen ein unbekanntes Wesen. Zwar ist es vorgeschrieben, dass die Zugänge so bald wie möglich zum Zugangsgespräch dem Chef vorgeführt werden sollen - in großen Lagern ist das aber so gut wie nie der Hall. Wie mensch sich dem Chef gegenüber verhalten soll? Wichtig ist es, beim sogenannten Zugangsgespräch nicht auf das seiner Position innewohnende Imponiergehabe reinzufallen. Kleine psychologische Tricks können einfach unterlaufen werden: den angebotenen Besucherstuhl, der mindestens zehn Zentimeter niedriger ist als sein Chefsessel, ignorierst du am besten. Bleib stehen und glotz ihn an. Rede mit ihm so, wie du als Kind immer gerne mit dem Direktor deiner Schule geredet hättest. Der typische Anstaltsleiter könnte etwa so dem untypischen des „traditionellen" Typs gegenübergestellt werden:

Typischer Anstaltsleiter

Verwaltungsfachmann,

deckt alles,

setzt auf Gewalt,

Widerstand wird sofort mit Gewalt zu brechen versucht,

verstärkt Sicherheits­maßnahmen,

schafft Kapo-Ordnung,

führt alles aus, was von oben angeordnet wird,

hat keine moralischen Skrupel - weiß aber Von nichts, wenn etwas schiefgeht,


untypisch traditionell

Theoretiker, Reformer,

kritisiert Beamtenverhalten,

versucht Konflikte an Psychologen, Anstaltsarzt und Seelsorger weiterzu­geben,

verstärkt die Spaltung unter den Gefangenen,

schafft eine scheinbare „Mitverwaltung" von ausge­suchten Kollaborateuren unter den Gefangenen,

mildert bestimmte An­ordnungen, in bestimmten Fällen ignoriert er sie,

ist moralisch zwiespältig, unsicher und entwickelt ein kompliziertes Begründungssystem für seine Handlungen.


Die Vertreter des „traditionellen" Typus sind im Strafvollzug die Aus­nahme. Leute, die sich tiefere Gedanken über den Sinn ihres Tuns machen, selbst wenn es Juristen sind, bringen es selten zur Position eines Anstaltsleiters.


5.4. Der hohe Beamtenstab, der Anstaltsleiter


Dein Verhalten gegenüber den höheren Beamten sollte noch zurückhaltender sein, als gegenüber den normalen Schließern. Gibt es bei letzteren noch welche, mit denen du gelegentlich „rumkumpeln“ kannst, so sind erstere - also die höheren Beamten - grundsätzlich als deine Feinde einzuschätzen. Was Gutes kommt von ihnen selten. Eine Sonderstellung nehmen die Beamten ein, die nicht auf den Stationen Dienst tun, sondern auf der Kammer, in der Bücherei, in den Arbeitsbetrieben etc. tätig sind. Zu ihnen herrscht im allgemeinen ein entspannteres Verhältnis. Der größte Feind des Gefangenen ist der Sicherheitsinspektor der „Spitz". Er berät den Anstaltsleiter in allen Sachen, die nur im entferntesten mit der viel besungenen Sicherheit und Ordnung der Anstalt zusammenhängen - und das ist im Prinzip alles. Von seiner Willkür hängt es ab, ob du bestimmte Bücher und Zeitschriften beziehen kannst, ob du Blumen auf der Zeile haben darfst, dir Musikinstrumente gestattet werden etc.. £r ist die graue Eminenz im Knast. Die höheren Beamten sind in den meisten Fallen entweder Emporkömmlinge aus der Verwaltung, also Nichtakademiker, und im selteneren Fall sogenannte Akademiker, die eine Universitätsausbildung mit all ihren Folgen für ihr Denken und Verhalten durchgemacht haben (so der Anstaltsleiter, der Psychologe, der Arzt). Eine dieser Folgen ist wohl, dass dieser oberste Stab eines Gefängnisses in der Lage ist, unbewusste Primitivität und Grausamkeit mit einer höchst komplizierten juristischen oder medizinischen „Vernunft" zu umhüllen und sich einem gedachten System von Behauptungen gegenüber dem eigenen schlechten Gewissen hinzugeben, die schließlich das schlechte Gewissen davon überzeugen, dass es unrecht hat. Aber hat dieser oberste Stab so etwas wie ein moralisches Motiv? Um eine solche Frage beantworten zu können, müsste man das ganze komplizierte historische Gewebe der geistigen Herkunft und der Konflikte unter den höheren Justizbeamten in der Bundesrepublik zu verstehen versuchen. Wir können uns hier nur auf ein paar Vermutungen einlassen. Innerhalb der höheren Beamtenschaft gibt es offenbar einen Konflikt zwischen zwei verschiedenen Richtungen. Die einen sind die traditionell formaljuristisch oder auch reformerisch denkenden Beamten, die über ein ernstzunehmendes moralisches Konzept verfügen, ähnlich zwar dem unbewussten der niederen Beamten, jedoch, weil es ein bewusstes Konzept ist, „vernünftig" gemacht, diskutabel und mit einer allgemein zu akzeptierenden „Moral" versehen. Auf der anderen Seite stehen vor allem jüngere, erst nach 1945 ausgebildete, Beamte, die keinerlei Bedarf nach einer systematischen Begründung für ihr Handeln, weder logisch noch moralisch, mehr haben, sondern verwaltungsmäßig und opportunistisch vorgehen. Beiahnen ist die Ähnlichkeit mit der unbewussten Mentalität der niederen Beamten auffallend: unter der Oberfläche verwaltungstechnischer Präzision, die ohne Moral und Gedanken ist, wuchert eine unbewusste, ungeordnete Brutalität, die sich dann in einem Verhalten äußert, für das höchstens, wenn es mal zu weit geht und selbst strafbar geworden ist, das in die Enge geratene schlechte Gewissen die besänftigenden Begründungen und Ausflüchte liefern muss. Von dem „traditionellen" Typ, wenn es sich um einen Richter handelt, können überraschende, formaljuristische Freisprüche erwartet werden oder die zumindest subjektive Anerkennung des politischen Charakters eines Prozesses, eines Angeklagten. Von dem neueren Typ der geistlosen Verwalter kann man sowohl einen primitiven, halb unbewussten Fanatismus, wie einen blinden Opportunismus erwarten, Überraschungen sind hier weniger möglich: es werden immer die Scharfmacher sein, ob aus Opportunität oder aus Gehässigkeit. Der „Chef"

Der Chef selber ist -zumindest in den größeren Knästen-für die Gefangenen ein unbekanntes Wesen. Zwar ist es vorgeschrieben, dass die Zugänge so bald wie möglich zum Zugangsgespräch dem Chef vorgeführt werden sollen - in großen Lagern ist das aber so gut wie nie der Hall. Wie mensch sich dem Chef gegenüber verhalten soll? Wichtig ist es, beim sogenannten Zugangsgespräch nicht auf das seiner Position innewohnende Imponiergehabe reinzufallen. Kleine psychologische Tricks können einfach unterlaufen werden: den angebotenen Besucherstuhl, der mindestens zehn Zentimeter niedriger ist als sein Chefsessel, ignorierst du am besten. Bleib stehen und glotz ihn an. Rede mit ihm so, wie du als Kind immer gerne mit dem Direktor deiner Schule geredet hättest. Der typische Anstaltsleiter könnte etwa so dem untypischen des „traditionellen" Typs gegenübergestellt werden:

Typischer Anstaltsleiter

Verwaltungsfachmann,

deckt alles,

setzt auf Gewalt,

Widerstand wird sofort mit Gewalt zu brechen versucht,

verstärkt Sicherheits­maßnahmen,

schafft Kapo-Ordnung,

führt alles aus, was von oben angeordnet wird,

hat keine moralischen Skrupel - weiß aber Von nichts, wenn etwas schiefgeht,


untypisch traditionell

Theoretiker, Reformer,

kritisiert Beamtenverhalten,

versucht Konflikte an Psychologen, Anstaltsarzt und Seelsorger weiterzu­geben,

verstärkt die Spaltung unter den Gefangenen,

schafft eine scheinbare „Mitverwaltung" von ausge­suchten Kollaborateuren unter den Gefangenen,

mildert bestimmte An­ordnungen, in bestimmten Fällen ignoriert er sie,

ist moralisch zwiespältig, unsicher und entwickelt ein kompliziertes Begründungssystem für seine Handlungen.


Die Vertreter des „traditionellen" Typus sind im Strafvollzug die Aus­nahme. Leute, die sich tiefere Gedanken über den Sinn ihres Tuns machen, selbst wenn es Juristen sind, bringen es selten zur Position eines Anstaltsleiters.


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