Anstaltszeitung- Gefangenenzeitung

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3.8. Anstaltszeitung — Gefangenenzeitung

Unter Anstaltszeitungen versteht man die hauseigenen Blätter, welche die Anstaltsleitung an die Gefangenen verteilen läßt und die sich auch den Anschein von Gefangenenzeitungen geben. Sie werden oft von der Mitverwaltung hergestellt, unter der Oberaufsicht eines Fürsorgers, Psychologen oder Oberlehrers. Im Normalfall sind es nicht mehr als Speisepläne und ein Organ für die Tagesbefehle der Anstaltsleitung. Diese Verlautbarungen von oben sind dann noch ergänzt durch die Verlautbarungen der Mitverwaltung, die den Gebrauch von Mülleimern, Putzlappen, Seife oder auch des Radios regeln, für das sie das Programm bestimmt. Manchmal schwellen diese Anstaltszeitungen zu einer beachtlichen Dicke an und geben sich den Anspruch einer eigenen Meinungsbildung der Gefangenen. Sie enthalten Schwulst. Ihr Seifenwasser „konstruktiver Kritik" ist derart verdünnt worden, daß nichts Echtes mehr übrig bleibt. Es sieht eben so aus wie eine Meinung, wenn alle Meinungen mit einer Ausnahme verboten sind. Es lohnt sich also nicht, an solchen Anstaltszeitungen mitzuarbeiten. Die sparsame Kritik, die man zwischen die Zeilen einfließen lassen könnte, wird bei weitem aufgewogen durch die Masse an konformer Anschmiererei, die sie sonst liefern. Ihr Boykott durch die Gefangenen wäre oft sinnvoller als der Versuch, sie irgendwie beeinflußen zu wollen. Allerdings werden sich wohl immer welche finden, die dafür ihren Namen und ihre „Meinung" hergeben werden, wie es auch immer welche geben wird, die sich als „Gefangenenvertreter" gegen die Gefangenen einsetzen lassen. Die einzige mögliche Alternative zu solchen Anstaltszeitungen wäre der Versuch, eine Gefangenenzeitung zu machen, in die sich Administratoren nicht einmischen können. Dieser Versuch ist natürlich von vornherein gegen die Interessen der Administratoren und der Kollaborateure gerichtet, und die Administratoren werden auch das harmloseste Erzeugnis einer „freien Meinung" der Gefangenen wie ein schweres Delikt verfolgen. Ein eigenes Schicksal zu haben, ist in dem Staat, in dem so vieles andere erlaubt ist, das schlimmste Verbrechen. Es ist ein Verbrechen der falschen Meinung. Es schließt alle anderen Verbrechen ein, bzw. macht sie erst möglich. Es ist also nur.konsequent, wenn in den Gefängnissen vor allem die freie Meinung unterdrückt wird. Was draußen mittels ununterbrochener Information geschieht, versucht der Knast mit Brachialgewalt: Zensur, Beschlagnahmung, Bunker. Und wo keiner mehr den Mund aufmacht, spricht umso lauter der Anschmierer.

Der „Samistad"

Eine Gefangenenzeitung herzustellen, kann von jedem unternommen werden — von einzelnen, von einer kleinen Gruppe auf einer Station. Der „Samistad" ist dabei für uns vorbildlich. „Samistad" ist ein russisches Wort und wird gebraucht als Bezeichnung der Untergrundliteratur, die in der Sowjetunion kursiert. Das sind alle die Schriften, die niemals Aussicht haben, von der offiziellen Presse und den Partei-Verlagen gedruckt zu werden: Artikel, Nachrichten, Chroniken, Bücher. Sie werden zunächst in einigen maschinegeschriebenen Exemplaren verbreitet, und diese Abschriften vermehren sich dann durch immer neue Abschriften. Es gibt eine Art Verpflichtung der Samistad-Leser, daß sie ihr Samistad-Exemptar mit mehreren Durchschlägen abtippen und weiterverbreiten. Auf diese Weise entstehen aus wenigen „Originalen" hunderte und tausende von Abschriften. Es ist also eine Literatur unter der Bedingung der Kontrolle, die ein Staat über die Literatur ausübt. Eine totale Kontrolle über Geschriebenes herrscht im Gefängnis. Eigen dich könnte man annehmen, daß es dann auch hier so etwas wie einen Samistad geben müßte. Es gibt ihn, allerdings in noch sehr unentwickelter Form. Es gibt zum Beispiel die mit Durchschlägen vervielfachten Flugzettel, die als Kassiber geschmuggelt werden, und es gibt regelrechte primitiv gemachte Zeitungen, die immer wieder neu auftauchen, von den Lesern immer wieder abgeschrieben und weitergegeben werden, bis sie in einer Razzia und Verlegungsaktion ihr Dasein beenden — um anderswo wieder aufzutauchen. Zwar haben sie kein langes Leben und sie sind auf ein paar Seiten beschränkt, aber immerhin gibt es sie und damit schon so etwas wie eine „Literatur" im Untergrund des Knasts, Oft werden auch Texte abgeschrieben, die den Umfang einer Broschüre haben, und auch Bücher — Lebensgeschichten über hunderte von Seiten, die nie eine Aussicht haben, irgendwo gedruckt zu werden, weil sie nicht in die Zielgruppenanalyse eines Verlages passen und nicht den Erwartungen des kultivierten Publikums, daß Gedanken immer schön sein müßten, entsprechen. Es gibt kaum eine Gruppe der Gesellschaft, die mehr zur Weltliteratur beisteuern könnte als die, die nicht zu Wort kommt.

Zum Abschluß noch ein paar technische Ratschläge: Eine Schreibmaschine ist zur Herstellung einer Zeitung wohl notwendig. Wenn man keine eigene hat, sollte man jemanden finden, der die Texte abtippen kann. Es sollte ein Maschine sein, die scharfe (und nicht breite, abgeplättete) Typen hat, womit man dann mehr Durchschläge machen kann. Dafür nimmt man dünnes Papier, Durchschlagpapier. Man bekommt es im Knast beim Einkauf, ebenso das Kohlepapier. Wenn du eine Schreibmaschine hast, kannst du damit auch drucken. Notwendig ist allerdings, daß die Maschine — wie oben schon gesagt — spitze Typen hat. Man spanne ein Kohlepapier in die Maschine (am besten noch einige Blatt Papier unterlegen) und beschreibt es — bei ausgeschaltetem Farbband — auf der Vorderseite, wo das Kohlepapier meistens einen Reklameaufdruck hat. Auf der Farbseite kann man nicht schreiben, weil man dann den geschriebenen Text nicht sieht. Dann streicht man etwas Ölfarbe (schwarz oder jedenfalls dunkel) auf eine glatte Fläche. Die Ölfarbe kann man sich über eine Bastelgenehmigung besorgen. Am besten eignet sich natürlich Druckfarbe. Schlechter verwendungsfähig ist Plakatfarbe, aber vielleicht kann man sie mit anderen Substanzen so mischen, daß sie ähnliche Eigenschaften (Zähflüßigkeit, nicht schnell trocknend) annimmt wie Druckfarbe. Man muß eben probieren. — Über die Farbmasse, die man gleichmäßig verstreicht, legt man dann das Kohlepapier. Die Schreibmaschine hat ihre Typen so in das Kohlepapier eingeschlagen, daß man es — vorausgesetzt man hat die richtige Farbe — in der An des Schablonendrucks als Schablone verwenden kann. Das Kohlepapier legt man mit der Farbseite nach oben auf die Farbe und drückt es dann fest, Dann braucht man nur noch ein Blatt nach dem anderen auf das Kohlepapier zu legen und mit dem Handrücken darüberstreichen. Der Abdruck auf dem Papier ist zwar ziemlich unscharf und nicht gerade schön, aber man kann ihn lesen. Das ist die Hauptsache dabei. Wenn die Farbe gut ist und man nicht zu stumpfe Typen in der Maschine hat und außerdem der Zeilenabstand nicht zu eng ist, kann man von einem Farbauftrag 30-50 Drucke machen, ohne nachzufärben. Wenn man mehr machen will, muss man die Schablone vorsichtig von der Farbe wegnehmen, neue Farbe verstreichen und die Schablone wieder drauflegen. Rings um die Schablone legt man am besten eine Umrahmung aus Papier, um die zu bedruckenden Blätter am Rand sauber zu halten. Wichtig: Beim Tippen so fest auf die Tasten schlagen, daß jeder Buchstabe durch die Kohlepapierschablone geschlagen wird. Auch eine normale Illustrierte oder Tageszeitung kann zum „Samistad" werden, wenn sie von den Lesern „kommentiert" und weitergegeben wird.


3.8. Anstaltszeitung — Gefangenenzeitung

Unter Anstaltszeitungen versteht man die hauseigenen Blätter, welche die Anstaltsleitung an die Gefangenen verteilen läßt und die sich auch den Anschein von Gefangenenzeitungen geben. Sie werden oft von der Mitverwaltung hergestellt, unter der Oberaufsicht eines Fürsorgers, Psychologen oder Oberlehrers. Im Normalfall sind es nicht mehr als Speisepläne und ein Organ für die Tagesbefehle der Anstaltsleitung. Diese Verlautbarungen von oben sind dann noch ergänzt durch die Verlautbarungen der Mitverwaltung, die den Gebrauch von Mülleimern, Putzlappen, Seife oder auch des Radios regeln, für das sie das Programm bestimmt. Manchmal schwellen diese Anstaltszeitungen zu einer beachtlichen Dicke an und geben sich den Anspruch einer eigenen Meinungsbildung der Gefangenen. Sie enthalten Schwulst. Ihr Seifenwasser „konstruktiver Kritik" ist derart verdünnt worden, daß nichts Echtes mehr übrig bleibt. Es sieht eben so aus wie eine Meinung, wenn alle Meinungen mit einer Ausnahme verboten sind. Es lohnt sich also nicht, an solchen Anstaltszeitungen mitzuarbeiten. Die sparsame Kritik, die man zwischen die Zeilen einfließen lassen könnte, wird bei weitem aufgewogen durch die Masse an konformer Anschmiererei, die sie sonst liefern. Ihr Boykott durch die Gefangenen wäre oft sinnvoller als der Versuch, sie irgendwie beeinflußen zu wollen. Allerdings werden sich wohl immer welche finden, die dafür ihren Namen und ihre „Meinung" hergeben werden, wie es auch immer welche geben wird, die sich als „Gefangenenvertreter" gegen die Gefangenen einsetzen lassen. Die einzige mögliche Alternative zu solchen Anstaltszeitungen wäre der Versuch, eine Gefangenenzeitung zu machen, in die sich Administratoren nicht einmischen können. Dieser Versuch ist natürlich von vornherein gegen die Interessen der Administratoren und der Kollaborateure gerichtet, und die Administratoren werden auch das harmloseste Erzeugnis einer „freien Meinung" der Gefangenen wie ein schweres Delikt verfolgen. Ein eigenes Schicksal zu haben, ist in dem Staat, in dem so vieles andere erlaubt ist, das schlimmste Verbrechen. Es ist ein Verbrechen der falschen Meinung. Es schließt alle anderen Verbrechen ein, bzw. macht sie erst möglich. Es ist also nur.konsequent, wenn in den Gefängnissen vor allem die freie Meinung unterdrückt wird. Was draußen mittels ununterbrochener Information geschieht, versucht der Knast mit Brachialgewalt: Zensur, Beschlagnahmung, Bunker. Und wo keiner mehr den Mund aufmacht, spricht umso lauter der Anschmierer.

Der „Samistad"

Eine Gefangenenzeitung herzustellen, kann von jedem unternommen werden — von einzelnen, von einer kleinen Gruppe auf einer Station. Der „Samistad" ist dabei für uns vorbildlich. „Samistad" ist ein russisches Wort und wird gebraucht als Bezeichnung der Untergrundliteratur, die in der Sowjetunion kursiert. Das sind alle die Schriften, die niemals Aussicht haben, von der offiziellen Presse und den Partei-Verlagen gedruckt zu werden: Artikel, Nachrichten, Chroniken, Bücher. Sie werden zunächst in einigen maschinegeschriebenen Exemplaren verbreitet, und diese Abschriften vermehren sich dann durch immer neue Abschriften. Es gibt eine Art Verpflichtung der Samistad-Leser, daß sie ihr Samistad-Exemptar mit mehreren Durchschlägen abtippen und weiterverbreiten. Auf diese Weise entstehen aus wenigen „Originalen" hunderte und tausende von Abschriften. Es ist also eine Literatur unter der Bedingung der Kontrolle, die ein Staat über die Literatur ausübt. Eine totale Kontrolle über Geschriebenes herrscht im Gefängnis. Eigen dich könnte man annehmen, daß es dann auch hier so etwas wie einen Samistad geben müßte. Es gibt ihn, allerdings in noch sehr unentwickelter Form. Es gibt zum Beispiel die mit Durchschlägen vervielfachten Flugzettel, die als Kassiber geschmuggelt werden, und es gibt regelrechte primitiv gemachte Zeitungen, die immer wieder neu auftauchen, von den Lesern immer wieder abgeschrieben und weitergegeben werden, bis sie in einer Razzia und Verlegungsaktion ihr Dasein beenden — um anderswo wieder aufzutauchen. Zwar haben sie kein langes Leben und sie sind auf ein paar Seiten beschränkt, aber immerhin gibt es sie und damit schon so etwas wie eine „Literatur" im Untergrund des Knasts, Oft werden auch Texte abgeschrieben, die den Umfang einer Broschüre haben, und auch Bücher — Lebensgeschichten über hunderte von Seiten, die nie eine Aussicht haben, irgendwo gedruckt zu werden, weil sie nicht in die Zielgruppenanalyse eines Verlages passen und nicht den Erwartungen des kultivierten Publikums, daß Gedanken immer schön sein müßten, entsprechen. Es gibt kaum eine Gruppe der Gesellschaft, die mehr zur Weltliteratur beisteuern könnte als die, die nicht zu Wort kommt.

Zum Abschluß noch ein paar technische Ratschläge: Eine Schreibmaschine ist zur Herstellung einer Zeitung wohl notwendig. Wenn man keine eigene hat, sollte man jemanden finden, der die Texte abtippen kann. Es sollte ein Maschine sein, die scharfe (und nicht breite, abgeplättete) Typen hat, womit man dann mehr Durchschläge machen kann. Dafür nimmt man dünnes Papier, Durchschlagpapier. Man bekommt es im Knast beim Einkauf, ebenso das Kohlepapier. Wenn du eine Schreibmaschine hast, kannst du damit auch drucken. Notwendig ist allerdings, daß die Maschine — wie oben schon gesagt — spitze Typen hat. Man spanne ein Kohlepapier in die Maschine (am besten noch einige Blatt Papier unterlegen) und beschreibt es — bei ausgeschaltetem Farbband — auf der Vorderseite, wo das Kohlepapier meistens einen Reklameaufdruck hat. Auf der Farbseite kann man nicht schreiben, weil man dann den geschriebenen Text nicht sieht. Dann streicht man etwas Ölfarbe (schwarz oder jedenfalls dunkel) auf eine glatte Fläche. Die Ölfarbe kann man sich über eine Bastelgenehmigung besorgen. Am besten eignet sich natürlich Druckfarbe. Schlechter verwendungsfähig ist Plakatfarbe, aber vielleicht kann man sie mit anderen Substanzen so mischen, daß sie ähnliche Eigenschaften (Zähflüßigkeit, nicht schnell trocknend) annimmt wie Druckfarbe. Man muß eben probieren. — Über die Farbmasse, die man gleichmäßig verstreicht, legt man dann das Kohlepapier. Die Schreibmaschine hat ihre Typen so in das Kohlepapier eingeschlagen, daß man es — vorausgesetzt man hat die richtige Farbe — in der An des Schablonendrucks als Schablone verwenden kann. Das Kohlepapier legt man mit der Farbseite nach oben auf die Farbe und drückt es dann fest, Dann braucht man nur noch ein Blatt nach dem anderen auf das Kohlepapier zu legen und mit dem Handrücken darüberstreichen. Der Abdruck auf dem Papier ist zwar ziemlich unscharf und nicht gerade schön, aber man kann ihn lesen. Das ist die Hauptsache dabei. Wenn die Farbe gut ist und man nicht zu stumpfe Typen in der Maschine hat und außerdem der Zeilenabstand nicht zu eng ist, kann man von einem Farbauftrag 30-50 Drucke machen, ohne nachzufärben. Wenn man mehr machen will, muss man die Schablone vorsichtig von der Farbe wegnehmen, neue Farbe verstreichen und die Schablone wieder drauflegen. Rings um die Schablone legt man am besten eine Umrahmung aus Papier, um die zu bedruckenden Blätter am Rand sauber zu halten. Wichtig: Beim Tippen so fest auf die Tasten schlagen, daß jeder Buchstabe durch die Kohlepapierschablone geschlagen wird. Auch eine normale Illustrierte oder Tageszeitung kann zum „Samistad" werden, wenn sie von den Lesern „kommentiert" und weitergegeben wird.



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